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Staines. Slough. Oatlands

Wenige Meilen hinter Hampton Court, etwas entfernter von der Themse, fuhren wir durch den schönen Park von Claremont, alsdann durch das nahe daran gelegene freundliche Städtchen Chobham nach Painshill. Das Haus von Claremont Park wird Fremden nicht gezeigt. Seine Außenseite verspricht nichts Außerordentliches. Man lobt sehr dessen innere Einrichtung und die vielen Gemälde und anderen Kunstwerke, die es verbirgt.

Die Gärten von Painshill waren die ersten, welche wir vor mehreren Jahren bei einem früheren Aufenthalte in London besuchten. In der Nähe dieser Hauptstadt gibt es keinen Landsitz, dessen Promenaden sie an Größe und Schönheit überträfen. Erwartungsvoll, als gingen wir einem alten Freunde entgegen, langten wir an; aber der heutige Tag war ein Tag getäuschter Hoffnungen für uns. Wir wurden nicht eingelassen. Painshill war seit kurzem verkauft. Der jetzige Besitzer, ein reicher Londoner Bankier, erlaubte niemandem mehr den Eintritt in sein mit baren Guineen bezahltes Paradies. Traurig sahen wir von weitem die schönen Bäume, nach deren Schatten wir uns sehnten, und wandten uns wieder zur Themse, nach dem hart an ihren Ufern erbauten Städtchen Staines, in dessen Nachbarschaft es eben sehr lustig beim Pferderennen herging.

Das frohe, bunte Gewühl der Zuschauer ergötzte uns und zerstreute schnell den Verdruß über unser Mißgeschick in Painshill und Claremont Park. Er erinnerte uns von neuem auf das Lebhafteste an die Jahrmärkte und Kirchmessen, welche in Deutschland von Zeit zu Zeit Dörfern und kleine Städten Leben und Freude bringen.

Dicht neben dem Gasthofe in Staines führt eine hoch und kühn gewölbte Brücke über den Strom. Nicht ganz so groß als die bei Sunderland, gleicht sie jener auf's Genaueste und verdient allein, daß man die kleine Reise von London hierher macht, besonders wenn man nicht nach Newcastle und Sunderland zu reisen Gelegenheit hat. Leicht und zierlich wie ein kühner Sprung wirft sie sich über den Strom, und der Pont aux arts in Paris läßt sich trotz seiner mit Orangenbäumen garnierten Geländer auf keine Weise mit diesem schönen, wie von Feenhänden durch die Luft gezogenen Bogen vergleichen.

Von Staines führte uns ein sehr angenehmer Weg durch eine höchst reizende, fruchtbare Gegend, fast immer im Angesicht der Themse, über Windsor nach dem nahe dabei gelegenen Salthill, einem einzelnen Gasthofe, welcher alle Bequemlichkeit bietet, die man nur wünschen kann. Von London aus werden oft Landpartien dahin gemacht, besonders von Fremden, die mehrere Tage hier verweilen, um alles Schöne mit Muße zu genießen, was Windsor und die mannigfaltigen Reize der Gegend ringsumher gewähren.

Ganz nahe an Salthill liegt das kleine Dorf Slough, in welchem Doktor Herschel seit mehreren Jahren in einem nicht großen, aber sehr hübschen, vom Könige ihm geschenkten Hause wohnt [Fußnote: Sir William (1738-1822); entdeckte den Planeten Uranus und über 250 Nebel und Sternhaufen. Seine Schwester Karoline (1750-1848) entdeckte mehrere Kometen.]. Wir hatten ein Empfehlungsschreiben an unseren berühmten Landsmann. Freundlich empfing er uns, er und seine ihm an Geist und Ausbildung ähnliche Schwester. Während diese die Aufsicht über den Himmel mit dem Bruder teilte, machte sie ihm zugleich das Leben auf der Erde so angenehm als möglich und überhob ihn jeder irdischen Sorge. Fast gleich aneinander an Jahren, beide ganz demselben hohen Zwecke ergeben, genossen diese seltsamen Geschwister in ruhiger, ländlicher Stille hier ein schönes, glückliches Dasein.

Die königliche Familie, unter deren besonderem Schutze sie einzig ihrer Wissenschaft lebten, zeichnete sie auf alle Weise aus, besonders während des Sommeraufenthaltes in Windsor. Die ganze Nachbarschaft, Reiche und Arme, Vornehme und Geringe, ehrten und liebten sie; überall war man ihres Lobes voll, sowie wir nur ihren Namen nannten.

Trotz seines hohen Alters und der von seiner Wissenschaft unzertrennlichen Beschwerden, die in den feuchten englischen Nächten vielleicht zerstörerischer sind als irgendwo, erfreute sich Doktor Herschel einer festen, dauerhaften Gesundheit. Im Umgange war er heiter, anspruchslos und nahm auf's erste Wort für sich ein, so auch seine Schwester. Durch den langen Aufenthalt in England hatten beide ihre Muttersprache verlernt, wenigstens wurde es ihnen schwer, sich geläufig darin auszudrücken; übrigens aber waren sie Deutsche geblieben, und ihr ganzes Wesen trug unverkennbar den Stempel unserer Nation.

Gefällig und freundlich zeigte uns Herschel seine astronomischen Instrumente. Das große Riesen-Teleskop in seinem Hofe betrachtete er selbst mehr nur als eine Seltenheit und bediente sich fast immer kleinerer Fernrohre. Er gestand, daß er mit diesen alle seine wichtigen Entdeckungen machte, und daß nicht die Größe der Gläser, sondern unablässige Aufmerksamkeit, Fleiß und Treue in seinen Beobachtungen ihn zu der Höhe brachten, die er erreicht hatte.

Alles, was wir hier sahen, ist in Deutschland bekannter, als wir, bei unserem Mangel an den dazugehörigen Kenntnissen, durch unsere Beschreibung es machen könnten. Herschel erschien uns immer selbst das Merkwürdigste unter allen seinen Umgebungen. Nach dem bekannten Sprichworte lobt zwar das Werk den Meister, aber uns dünkt doch, daß der Meister immer über sein Werk erhaben bleibt.

Doktor Herschel gehörte zu den merkwürdigen Menschen, die ohne äußere Unterstützung, ohne daß ihre Eltern sie durch eine, ihrem Talent angemessene Erziehung auf das Leben vorbereiten konnten, in die Welt treten, arm, freudlos, aber mit festem Willen, hellem Blick und nie zu ermüdendem Mute bei allen Stürmen des Lebens. Er ward 1738 im Hannoverischen geboren. Sein Vater, ein armer Musiker, mit vielen Kindern, konnte wenig mehr für ihn tun, als daß er ihm, so gut er es vermochte, in seiner eigenen Kunst Unterricht erteilte. Doch fand der Knabe bald Gelegenheit, Französisch zu lernen, und glücklicherweise war sein Lehrer auch übrigens ein unterrichteter Mann, der ihm einige logische und mathematische Kenntnisse beibrachte, die den jungen Geist des lernbegierigen Schülers auf das lebhafteste beschäftigten. Während des siebenjährigen Krieges gingen Herschel und sein Vater mit dem Musikchor eines hannoverischen Regiments nach England. Der Vater kehrte nach einiger Zeit mit seinem Regiment zurück ins Vaterland, während der Sohn sich entschloß, in London zu bleiben und dort sein Glück zu versuchen. Aber sein Stern war noch nicht aufgegangen. Verloren in der Menge, übersehen, zurückgestoßen überall, gehörte sein fester Geist dazu, um hier nicht den Mut zu verlieren. Er verließ die glänzende Hauptstadt, die dem schutzlosen unbekannten Fremdling sich so unfreundlich zeigte, und wanderte ins nördliche England. Auch hier irrte er eine Zeitlang von Ort zu Ort, bis endlich in Halifax ihm eine bleibende Stätte ward. Die Stelle eines Organisten war dort eben erledigt, er meldete sich dazu, bestand in den Proben und ward angenommen. Außer den Stunden, welche er seinem Amte widmen mußte, und einigen anderen, die er, um Geld zu verdienen, auf musikalischen Unterricht verwendete, gab er alle seine übrige Zeit jetzt dem Sprachenstudium hin. Mit der italienischen Sprache fing er an, dann lernte er mit vieler Anstrengung Latein, in welchem er große Fortschritte machte; das Griechische, was er auch zu studieren anfing, gab er indessen bald wieder auf. Alle diese Studien trieb er für sich allein, ohne fremde Hilfe. Vom Studium der Sprachen schritt er weiter zu noch ernsteren Kenntnissen, immer allein und ohne Lehrer. Zuerst erwarb er sich eine vollkommene Übersicht des ihm zunächst gelegenen, der Theorie der Harmonie, dann drang er weiter und immer weiter zur Mathematik und allen ihr verwandten Wissenschaften.

So verflossen ihm in Halifax einige von ihm höchst nützlich verwandte Jahre auf das Angenehmste, dann ward er, ebenfalls als Organist, nach Bath berufen. Hier fand er mehr Arbeit in seinem einmal erwählten Stande, er mußte in den Assemblee-Sälen spielen, in Konzerten, im Theater, aber alles dieses hinderte ihn nicht, in seinem eigentümlichen Berufe fortzufahren. Trotz der überhäuften Arbeit, trotz der Lockungen zu einem zerstreuten Leben in der glänzenden Außenwelt, die ihn umgab, blieb er seinem Genius treu und verwachte viele Nächte bei den abstraktesten Gegenständen.

Astronomie und Optik beschäftigten ihn jetzt fast ausschließend. Mit unbeschreiblichem Vergnügen betrachtete er den gestirnten Himmel durch ein von einem Freunde geliehenes Teleskop. Unwiderstehlich erwachte in ihm der Wunsch, einen ganzen astronomischen Apparat zu besitzen. Unbekannt mit den dazu erforderlichen Kosten, schrieb er einem seiner Londoner Bekannten, er möge ihm für's erste ein größeres Teleskop aus der Hauptstadt schicken. Dieser, verwundert über den dafür geforderten Preis, wagte den Einkauf nicht, ohne Herschel vorher davon zu benachrichtigen. Auch dieser erschrak nicht wenig darüber, denn die verlangte Summe schien ihm unerschwinglich. Statt sich aber dadurch niederschlagen zu lassen, faßte er jetzt den kühnen Entschluß, selbst ein solches Instrument, wie er es sich wünschte, zu verfertigen. Nach unendlichen fehlgeschlagenen Versuchen mit den schlechtesten Hilfsmitteln, immer angefeuert durch seinen strebenden Geist, gelang es ihm endlich im Jahr 1774, den Himmel durch einen, von ihm selbst verfertigten, fünffüßigen Newtonschen Reflektor zu betrachten. Jetzt strebte er weiter und immer weiter, verfertigte Instrumente von einer zuvor nie gesehenen Größe und hielt doch fest bei seinem einmal angefangenen Berufe. Oft eilte er aus dem Theater, aus den glänzenden Konzertsälen, während der Pausen hinaus ins Freie zu seinen Sternen und kehrte dann zur rechten Zeit zurück zum Notenpulte.

Von dieser Zeit an datieren sich seine weltbekannten astronomischen Entdeckungen. Herschel ward berühmt und zuletzt drang sein Ruf bis zum Könige. Im Jahr 1782 nahm ihn dieser ganz unter seinen Schutz, befreite ihn von seinen beschwerlichen Berufsarbeiten, gab ihm eine lebenslängliche Pension und räumte ihm die Wohnung in Slough ein, wo wir so glücklich waren, den ehrenwerten Mann persönlich kennenzulernen, und von wo aus er bis an seinen vor einigen Jahren erfolgten Tod die Geheimnisse der Sphären belauschte.

Von Slough nahmen wir unseren Weg über Oatlands zurück nach London. Diese einsame ländliche Wohnung der seitdem auch verstorbenen Prinzessin Friederike von Preußen [Fußnote: Gattin des Herzogs von York, eines Bruders von Georg IV., den sie 1791 heiratete. Wegen Kinderlosigkeit trennten sie sich nach sechsjähriger Ehe. Die Wochenendgesellschaften in Oatlands waren berühmt, und auch der Herzog besuchte sie bisweilen trotz ihrer Trennung.], Gemahlin des Herzogs von York, liegt in geringer Entfernung von den Ufern der Themse, fast am äußersten Ende des schönen Tals, welches der Blick von Richmonds Hügel aus beherrscht. Hier wohnte diese Fürstin, die Tochter König Friedrich Wilhelms des Zweiten, als Kind schon der Liebling ihres großen Oheims, beinahe das ganze Jahr hindurch in klösterlicher Eingezogenheit, umgeben von wenigen Damen. Selten nur kam der Herzog mit einigen Freunden nach Oatlands und brachte Abwechslung in ihr einförmiges Leben. Ihre Hauptbeschäftigung waren wunderschöne Stickereien, an welchen sie mit ihren Damen bis tief in die Nacht arbeitete. Wenn der Morgen dämmerte, ging sie gewöhnlich erst zur Ruhe, und stand auf, wenn die Sonne wieder zu sinken begann.

Der böse Genius, der uns vom Anfange dieser kleinen Reise begleitete und uns so manche Erwartung vereitelte, schien uns auch hier noch nicht verlassen zu wollen. Wir waren leider wieder nicht an dem Tage dort, an welchem Fremden der Eintritt erlaubt wird, und hätten durchaus an einem Sonntage kommen sollen, versicherte uns eine alte, ziemlich grämliche, korpulente Dame, die Frau des Kastellans. Neben ihr stand ein ebenso wohlbeleibter und verdrießlicher Berliner Mops und wies uns knurrend die weißen Zähne. Trotz dieser trüben Aspekte versuchten wir unsere Redekünste und glücklicherweise nicht ohne Wirkung. Wir stellten ihr vor, wie wir ausdrücklich aus Deutschland über's Meer hierher gekommen wären, um unseren Landsleuten hernach sagen zu können, wie es in der Wohnung unserer Prinzessin aussähe und wie es ihr erginge? Dies rührte das Herz der alten Dame, zusehends wurde sie freundlicher, der knurrende Mops ward auf sein Kissen verwiesen, sie schrieb ein Billett an Madame Silvester, eine deutsche Favorite der Herzogin, und machte zuletzt noch eine große Toilette, um uns selbst ins Schloß zu begleiten. Langsam wedelnd watschelte jetzt der Mops gesellig neben uns her.

In dieser Begleitung durchwanderten wir zuerst einen schönen großen Park, dann traten wir in einen Blumengarten, voll der schönsten und seltensten Pflanzen. Eine Menge großer und kleiner, lang- und kurzgeschwänzter Affen trieb darin ihr lustiges Wesen. Die Herzogin liebte diese und alle Tiere, welche sich zur häuslichen Geselligkeit erziehen lassen. Fremde und einheimische Vögel, Papageien, Hunde aller Art fanden wir in großer Anzahl überall in und um ihre Wohnung.

Die größte Zierde des nicht groß, nicht prächtig, sondern ganz einfach und fast bürgerlich eingerichteten Schlosses waren die künstlichen Stickereien der Fürstin und ihrer Damen. Die Spaziergänge fanden wir sehr angenehm, sehenswürdig allein eine schöne, mit seltenen Versteinerungen und Fossilien aus Derbyshire etwas phantastisch verzierte Grotte, die ein marmornes Bad enthält. Rund um sie her lagen die mit Inschriften versehenen Gräber der verstorbenen Lieblingshunde und Affen der Fürstin. Diese erinnerten uns lebhaft an den Kirchhof, welchen Friedrich der Große in Sanssouci für seine vierbeinigen Freunde einrichtete und in dessen Mitte er einst, in einer trüben Stunde, sein eigenes Grab bereiten ließ.

 

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