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Edinburgh

In keinem der vielen schönen Gasthöfe dieser Stadt konnten wir unterkommen. Es waren eben die letzten Tage der Woche, in welcher dort alljährlich Pferderennen gehalten werden. Wir fanden alles vollgepfropft von Fremden, die teils jenes edle Vergnügen, teils die es begleitenden Lustbarkeiten, das Theater, die Bälle, Konzerte und tausend andere Freuden herbeigezogen hatten. Da wir bald eine artige Wohnung bei einem Kupferstichhändler, einem der unzähligen Mackintoshes, fanden, waren wir es wohl zufrieden, das Volk einmal in seiner Nationalfreude zu sehen.

Die Stadt Edinburgh, von beträchtlicher Größe, ist eine der schönsten und häßlichsten Städte zugleich und verdient in dieser Hinsicht mit Marseille verglichen zu werden. Die Altstadt, ein grauen- und ekelerregender Klumpen alter, schmutziger, den Einsturz drohender Häuser, die anscheinen ohne Ordnung in engen, winkligen Straßen an- und übereinandergeworfen zu sein scheinen; die neue Stadt dagegen wetteifernd mit den schönsten Städten Europas. Edinburghs ganze Lage ist einzig in ihrer Art, von hoher romantischer Schönheit.

An den Seiten eines hohen Felsens, der sich an eine lange, majestätische Reihe anderer Felsen anschließt, liegen die Häuser der alten Stadt, wie Schwalbennester angeklebt, unter- und übereinander; einige dieser Häuser haben, von einer Straße aus gesehen, zehn Stockwerke, während sie von der anderen Seite deren nur zwei oder drei zählen, und man aus dem vierten oder fünften Stock der niedriger liegenden Seite auf der hohen geraden Fußes ins Freie in eine andere Straße geht. Wie krumm, wie eng, wie winklig der größte Teil dieser Straßen ist, läßt sich schwer beschreiben. Einige derselben führen steile und hohe Berge hinauf und hinab, auf die allerbeschwerlichste Weise. Auf den höchsten Gipfel dieser Felsenkette thront die uralte Wohnung der schottischen Könige, das Kastell, hoch über den Häusern der übrigen Einwohner. Eine tiefe Kluft, aus welcher jene Felsen steil, fast senkrecht emporsteigen, trennt die alte Stadt von einer Anhöhe, auf welcher die neue Stadt erbaut ist. Einige schöne steinerne Brücken führen hinüber und vereinigen beide Städte. Tief im Abgrunde sieht man von einer dieser Brücke Straßen, die dort unten liegen, wie im Erebus, denen Sonne und Mond fast nie scheinen, und deren Dächer noch lange nicht bis zu der Grundlage der Brücke hinaufreichen. Die Menschen, die dort wandeln, erscheinen, von oben gesehen, wie Gnomen. Es ist unbegreiflich, wie man im Angesichte der schönen, neueren Stadt diese unfreundlichen Wohnungen ertragen kann. Nur ein Teil dieser Kluft ist bebaut, der übrige wird zum Teil als Viehweide benutzt, zum Teil liegt er steinig und unfruchtbar da.

Die neue Stadt kann sich in Hinsicht der Regelmäßigkeit und Breite der wohlgepflasterten, mit breiten Fußwegen auf beiden Seiten versehenden Straßen mit den schönsten Städten Europas messen; in Hinsicht der Schönheit, der Solidität und des guten Geschmacks der aus Quadersteinen erbauten Wohnhäuser übertrifft sie solche vielleicht.

Wie in London gibt es auch hier große Plätze, umgeben von schönen Gebäuden, und in ihrer Mitte einen mit eisernem Geländer eingefaßten artigen Garten oder einen schönen Grasplatz. Fast alle Straßen bieten Aussicht auf's Meer. Dieses große, ewig wechselnde, ewig neue Schauspiel erhält hier noch durch eine Menge kleiner, zerstreut liegender Inseln neuen Reiz. Ferne, blaue Berge begrenzen von der einen Seite die große Perspektive, die von der anderen sich in's Unendliche ausbreitet.

Unvergeßlich bleibt uns ein Abend, den wir in Princes Street bei einem unserer Bekannten zubrachten. Diese, eine englische Meile lange Straße besteht nur aus einer Reihe sehr schöner Häuser; gegenüber begrenzt eine eiserne Balustrade jene Kluft, welche die alte Stadt von der neuen scheidet, und welche, gerade hier unbebaut, Kühen und Ziegen zur Weide dient. Senkrecht steigen daraus die ganz nackten Felsen empor, wild, zackig, in schönen, wechselnden Formen. Hoch liegt die alte Königsburg und andere alte Gebäude; über ihnen droht, von blauen Nebeln umwoben, König Arthurs Sitz, ein wunderbar geformter Fels, fast wie ein Thron gestaltet. Von ihm erzählt sich das Volk manche schauerliche Sage der Vorzeit. In seiner Nähe erblickt man auf einem anderen Felsen die Ruine eines alten Schlosses, in welchem die unglückliche Maria Stuart von ihrem eigenen Volke gefangen gehalten ward, ehe sie nach England in den Tod ging. Das Meer begrenzt die Aussicht am Ende der Straße. Hier sahen wir die sinkende Sonne die Spitzen der Felsen röten, später den Mond die Wellen des Meeres versilbern, und schieden mit der Überzeugung, daß nicht leicht eine andere große, volkreiche Stadt uns ein ähnliches Schauspiel darbieten wird.

Die dritte Abteilung von Edinburgh ist Leith. Eigentlich eine Stadt für sich, aber, fast mit Edinburgh zusammenhängend, kann sie doch dazugerechnet werden. Leith liegt in der Tiefe, hart am Hafen, in einer niedrigen, etwas sumpfigen, unangenehmen Lage. Hier sind die Schiffswerften, Magazine, Comptoire und die Wohnungen derer, die mit allen diesen Dingen sich beschäftigen. Hier gibt's des Drängens, Stoßens, Treibens genug. Leith ist nicht so bergig, aber fast so häßlich als die Altstadt Edinburgh; die Straßen sind voll Gewühl und Getümmel; wir waren froh, bald zu entkommen.

Das schönste Gebäude in Edinburgh ist das Register Office; es dient zu mannigfaltigen öffentlichen Zwecken. In einer durch eine Kuppel von oben erleuchteten Rotunde sahen wir hier die marmorne Statue des Königs Georg des Dritten. Mrs. Damer, eine Dame von Stande in London, hat sie der Stadt geschenkt, und, was das Merkwürdigste dabei ist, sie hat sie selbst verfertigt. Man muß ihren guten Willen ehren, die Statue selbst ist ein unförmiges Machwerk.

Das Kastell ist ehrwürdig durch seine ehemalige Bestimmung, sein Alter und seine imposante Lage, hoch auf dem Gipfel des Felsens. Holyrood House, die Residenz des Königs von Großbritannien, wenn er einmal nach Edinburgh kommen sollte, ist ein großes, ganz gewöhnliches altmodisches Schloß, welches sich auf keine Weise auszeichnet, aber dennoch dem Palaste von St. James in London vorzuziehen. Verschiedene Privatpersonen, denen der König die Erlaubnis dazu gab, bewohnen es jetzt; auch war es die Residenz des Grafen Artois, späterhin König Karl der Zehnte. Die Wohnungen im Schlosse und dem es zunächst umgebenden Bezirke haben das Vorrecht, daß niemand schuldenhalber darin arretiert werden kann. Sie werden deshalb sehr gesucht, besonders, wie man uns versicherte, vom schottischen Adel.

Graf Artois [Fußnote: als Karl X. König von Frankreich (1824-30). Er gründete nach dem Sturm auf die Bastille mit dem Prinzen Condé die Emigration. In dieser Eigenschaft führte er mehrere Feindhandlungen gegen Frankreich. Von 1795-1813 lebte er im englischen Exil von einer Pension, die ihm das englische Parlament bewilligt hatte.] lebte hier, soviel möglich wie weiland zu Versailles. Zweimal die Woche speiste er öffentlich, allein, wie es die Etikette fordert. Dreimal die Woche hielt er Lever vor einem Hofe von Emigranten, die er um sich versammelte. Wir sahen seine Zimmer; sie sind so ganz bürgerlich einfach, daß sie ihn doch oft an die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge erinnert haben müssen. Uns waren nur drei Gegenstände darin merkwürdig: das Bildnis der Tochter Ludwigs des Sechzehnten, das ihrer Tante, der Prinzessin Elisabeth, und eine Aussicht auf Malta, welche diese unglückliche Dame zu Paris im Temple [Fußnote: hier wurden die Mitglieder des Königshauses gefangengehalten] malte, und hoffentlich so, unterm Schutze der ewig heiteren Kunst, wenigstens einige Stunden den großen Schmerz vergaß, der schwer auf ihr lastete.

Bei aller romantischen Pracht und Schönheit eignet sich die Lage Edinburghs dennoch wenig zu Spaziergängen. Es fehlt in der Nähe an Schatten, an ländlicher Lieblichkeit; doch findet man auch diese, wenn man sich nur die Mühe geben will, sie ein oder zwei Stunden weit aufzusuchen.

Das Pferderennen, das man wohl den Karneval der Briten nennen darf, erfüllte während der ersten Tage unseres Aufenthalts daselbst die ganze Stadt Edinburgh mit ungewöhnlichem Leben. Die Vergnügungen jagten einander in dieser Woche. Sonst lebt man hier stiller, einfacher als in London, mehr ein Familienleben auf deutsche Weise. Die Kinder werden nicht, wie es dort durchaus gewöhnlich ist, in Pensionen erzogen, sie wachsen im Hause unter den Augen der Eltern heran.

Die äußere Frömmigkeit und besonders die Feier des Sonntags wird hier noch strenger beobachtet als dort. Einer unserer Bekannten, welcher uns an einem Sonntagmorgen zu einer Spazierfahrt abholte, schloß sorgfältig die Jalousien an seinem Wagen, solange wir in der Stadt fuhren; weil er sich scheute, den Leuten, die in die Kirchen gingen, zu zeigen, daß er in einer Stunde spazieren fahre, welche eine so heilige Bestimmung hat. Am Sonntagmorgen werden alle musikalischen Instrumente, alle Bücher, die nicht religiösen Inhalts sind, alle Spielkarten, alle Handarbeiten, auch die unbedeutendsten, sorgfältig weggeschlossen, damit auch selbst ihr Anblick nicht störend werde. Jedermann geht in die Kirche und hält Andachtsübungen zu Hause, wobei die Hausgenossen bis auf die geringsten Bedienten erscheinen müssen. Jede Ergötzung ist hoch verpönt; den Herren bleibt nur die Flasche, bei der sie an diesem Tage noch länger als sonst nach Tische verweilen, und den Damen der Teetisch.

Zuvorkommende, gutmütige Freundlichkeit und ein gewisses treuherzig- fröhliches Wesen unterscheiden den Schotten merklich vom Engländer. Man achtet hier die Fremden mehr als in England, ist bekannter mit ihren Sitten und Gebräuchen; denn Armut zwingt den Schotten oft, in der weiten Welt ein Fortkommen zu suchen, und er sucht es lieber recht fern, als in England, wo man sein geliebtes Vaterland mit ungerechter Verachtung betrachtet. Der größte Teil der in Deutschland und anderen Ländern angesiedelten Briten sind eigentlich Schotten.

Frömmigkeit, Ehrlichkeit, Arbeitsamkeit ist der Charakter des Volks im allgemeinen; dazu eine ungemessene Liebe zu ihrem Lande, zu ihrer vaterländischen Literatur. Mit ihr, wie mit den Alten, ist jeder bekannt, der nur auf Bildung einigen Anspruch macht. Sie hegen hohe Ehrfurcht vor allem, was auf ihre ehemaligen besseren Tage hindeutet. Maria Stuart hat hier noch unzählige warme Verehrer, und jede Reliquie, die von ihr übrig ist, wird wie ein Heiligtum betrachtet und sorgsam vor dem Untergang geschützt.

Die bildende Kunst will unter britischem Himmel nicht recht gedeihen; doch daß sie wenigstens nicht immer dort nach Brote geht, davon fanden wir den Beweis bei einem wirklich ausgezeichneten Künstler, mit Namen Reaburn. Wir besuchten ihn in seinem eigenen, elegant gebauten und möblierten Hause, in welchem er mit seiner Frau und vier Kindern auf einem sehr angenehmen Fuß lebt. Ein ähnliches Landhaus besitzt er vor der Stadt, und alles dieses erwarb ihm sein Pinsel, denn er war ohne Vermögen. Freilich hat er einen Kunstzweig erwählt, der wohl nirgends so belohnt werden würde als in Großbritannien; er malt Pferde, aber so wunderschön, mit solcher Wahrheit, daß selbst ein nicht englisches Auge davon entzückt werden muß. Auch menschliche Porträts gelingen ihm mit ziemlichem Glück, aber die Konterfeis der vierfüßigen Lieblinge manches reichen Lords haben eigentlich doch sein Glück und seinen Ruhm gegründet. In einem großen, von oben erleuchteten Saale, den er sich zu diesem Zwecke erbauen ließ, sahen wir viele seiner Gemälde im schönsten Lichte mit wahrer Freude.

 

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