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Lebensweise

Der größte, fleißigste Teil von Londons Bewohnern, die Handwerker und Ladenhändler (beide werden hier zu einer Klasse gerechnet), führt im Ganzen ein trauriges Leben. Die großen Abgaben, die Teuerung aller Bedürfnisse, die durch den einmal herrschenden Luxus in Kleidung und dergleichen ins Unendliche vermehrt sind, zwingt sie zu einer großen Frugalität, die in anderen Ländern fast Ärmlichkeit heißen würde.

Ewig in den Laden und an die daran stoßende, oft ziemlich dunkle Hinterstube gebannt, müssen sie fast jedem Vergnügen entsagen. Die Theater sind ihnen zu entlegen, meistens zu kostbar, kaum daß die Frau eines wohlhabenden Kaufmanns dieser letzten Klasse zweimal im Jahre hinkommt.

In's Freie kommen sie fast gar nicht; mehrere versicherten uns, sie hätten seit zehn Jahren keine anderen Bäume als die von St. James Park gesehen. Die Woche über dürfen sie von morgens neun Uhr bis Mitternacht den Laden fast gar nicht verlassen; dieser ist sehr oft das Departement der Frau, und der Mann sitzt dann in dem oben erwähnten Hinterzimmer und führt die Rechnungen. Sonntags sind freilich alle Läden geschlossen, aber die Theater auch, und da alle Untergebenen an diesem Tage die Freiheit verlangen, auszugehen, so muß die Frau vom Hause es hüten.

Der größere, wirkliche Kaufmann führt ein nicht viel tröstlicheres Leben. Auch er muß in gesellschaftlichen und öffentlichen Vergnügungen weit hinter den reichen Kaufmannshäusern von Hamburg oder Leipzig zurückstehen. Doch liegt das wohl auch zum Teil an der Landesart. Die Frauen lieben mehr häusliche Zurückgezogenheit, sie sind an das rauschende Leben, an die vielen großen Zirkel nicht gewöhnt. Sie wollen ihre Ruhe, Ordnung und Gleichförmigkeit in ihrem Hause nicht derangieren. Die Männer hingegen suchen nach vollbrachten Geschäften die Freude gern auswärts, in Kaffeehäusern und Tavernen.

Die Familien der meisten wohlhabenden Kaufleute wohnen den größten Teil des Jahres, oft das ganze Jahr hindurch auf dem Lande, in sehr zierlichen, größeren und kleineren Landhäusern, die sie Cottages, Hütten, nennen, obgleich sie wohl einen vornehmeren Namen verdienen. Hier genießen Frauen und Kinder die freie Luft, halten gute Nachbarschaft und erfreuen sich ganz gelassen und anständig, vielleicht etwas langweilig, des Lebens; während das Haupt der Familie den Tag in London auf seinem Comptoir zubringt und sich dann abends in ein paar Stunden auf den herrlichen Wegen, zu Pferde oder Wagen, zu den Seinigen begibt.

Von der Lebensweise der Großen und Vornehmen läßt sich nichts sagen: diese gehören in keinem Lande zur Nation, sondern sind sich überall gleich, in Rußland wie in Frankreich, in England wie in Deutschland. Auch ist von dem Luxus, den sie, besonders auf dieser Insel, auf's höchste gesteigert haben, von der Art und Weise, wie sie Jahres- und Tageszeiten durcheinander wirren, schon von anderen so viel geschrieben, als man in unserem Vaterlande zu wissen braucht. Wir wollen also jetzt davon schweigen und nur, wenn sich die Gelegenheit dazu künftig darbietet, im Vorübergehen das vielleicht Nötige erwähnen. Unser Streben auf Reisen ging immer dahin, die Landessitte der eigentlichen Nation kennen zu lernen; diese muß man aber weder zu hoch, noch zu tief suchen. Nur im Mittelstande ist sie noch zu finden.

 

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