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Matlock

Freundlich und dennoch erhaben, einsam und dennoch voll regen Lebens, ist dieses liebliche Tal eines der schönsten Plätzchen Britanniens.

Sei es immer, daß seine Heilquelle wenig wirksam ist, es braucht ihrer nicht, um in dieser himmlischen Gegend neue Lebenskraft zu finden. Auch sahen die fünfzig oder sechzig Badegäste, die wir hier fanden, gar nicht aus, als ob Äskulap sie mit seinem Schlangenstabe hierher gebannt hätte. Sie schienen sich vor dem wilden, unsteten Treiben des Lebens hergeflüchtet zu haben, um einmal ruhig Atem zu schöpfen und dann mit frischem Mute wieder an ihr Werk zu gehen.

Der eigentliche Badeort besteht nur aus drei schönen großen Gasthöfen und zwei Logierhäusern. Das Dorf Matlock liegt etwa anderthalb Meilen davon. Es ist unmöglich, dies reizende Tal durch bloße Beschreibung anschaulich darzustellen: so still, so heimlich liegt es da, durchrauscht von der Derwent, umgeben von hohen, kühnen Felsen, die bald schroff und nackt gen Himmel starren, öfter noch ihre mit den schönsten Bäumen gekrönten Gipfel freundlich erheben.

Wir schifften in einem Nachen auf der Derwent umher, so weit sie befahrbar ist; freilich nur eine kleine Strecke; denn es ist ein wildes Bergwasser, voll Fällen und Strudeln. Die Felswände zogen sich enger zusammen, als wollten sie uns den Weg versperren; die Sträucher am Ufer bildeten Lauben über den Nachen, und drohend schauten die Felsspitzen von oben hinein. Dann traten sie wieder zurück, und wir sahen freundliche Hütten, mit Gärtchen und Wiesenplätzchen untermischt, an ihrer Seite hangen; stattliche Häuser, große Fabrikgebäude, zu ihren Füßen liegen. Kunstlose, wie von der Hand der Natur geschaffene Spaziergänge ziehen sich an beiden Ufern zwischen Wald und Fels dahin, bis zurück zu unserem Gasthofe.

Ihm gegenüber erhebt sich der höchste Fels dieser Gegend. Die Landleute nennen ihn High Tor. Auf einem größtenteils schattigen, nicht sehr beschwerlichen Wege stiegen wir hinauf. Wir erblickten oben von einer Seite das enge Tal in der ganzen Pracht seiner üppigen Vegetation. Mitten hindurch gaukelt der Strom; an dem gegenüberstehenden, waldbewachsenen Fels lehnen die netten Gebäude des Bades und geben ein freundliches Bild des bequemen, geselligen Lebens in dieser Abgeschiedenheit. Von der entgegengesetzten Seite blickten wir in ein zweites Tal. Als ob noch nie ein menschlicher Fuß bis hierher gedrungen wäre, so heimlich in verborgener Stille liegt es da, rings umgeben von grünen Bergen. Schöne Herden weideten ohne Hirten im hohen Grase. Nirgends sahen wir die wilde, einfache Schönheit der Natur glücklicher mit hoher Kultur vereint als hier am Ufer der Derwent. Die Freuden der Badegäste beschränken sich größtenteils auf den Genuß dieser herrlichen Natur; denn ein Bowling green [Fußnote: dazu Johanna in einer Anmerkung: "Ein grüner, solgfältig mit Walzen geglätteter Rasenplatz, zu einem nur in England gebräuchlichen Spiele mit Kugeln."] und einige Billard-Tafeln sind alles, was die Kunst zu ihrem Ergötzen ihnen hier darzubieten wagt. Getanzt wird selten und nur auf Veranlassung der Badegäste selbst: denn der Spekulationsgeist der hiesigen Wirte reicht nicht so weit. Dem Wasser erzeigt man die Ehre, es warm zu nennen, wir fanden es kaum lau; es schmeckt recht gut und ist sehr klar. Die Bäder sind so bequem und reinlich eingerichtet, wie man es nur in diesem Lande erwarten kann.

Für den Geologen ist Matlock höchst interessant, die verschiedenen Steinarten, Flußspate, Stalaktiten usw., welche Derbyshire hervorbringt, sind allbekannt. In Matlock findet man sie in zwei eleganten Läden in aller ihrer Mannigfaltigkeit zum Verkaufe und zum Anschauen ausgestellt, zum Teil roh in sehr schönen Exemplaren für den Liebhaber und Sammler, der auch zu Kaminen, Urnen, Vasen, Schreibzeugen und unzähligen anderen Dingen verarbeitet wird. Alle diese Sachen werden zu niedrigen Preisen hier verkauft, sie sind vortrefflich poliert, von schöner Form und sehen ungemein glänzend und elegant aus. Leider ist es wegen ihrer Zerbrechlichkeit schwer, sie weit zu verführen.

Noch ist eine versteinernde Quelle [Fußnote: kalksinterhaltiges Wasser] hier merkwürdig. Alles, was man hineinlegt, wird in kurzer Zeit inkrustiert, und wenn es länger liegt, ganz in Stein verwandelt. Der Wächter dieser Quelle zeigte uns eine auf diese Weise verewigte Perücke und einen Haarbesen, die beide in dieser Gestalt gar wunderlich aussahen.

Jenseits der Derwent, dem Dorfe schräg gegenüber, liegt Cromford Mill, die Baumwollspinnerei des Sir Richard Arkwright [Fußnote: (1732-92), ursprünglich Barbier, baute 1769 die erste brauchbare Spinnmaschine, die wegen der Anwendung von Wasserkraft auch Wassermaschine genannt wurde], die erste, welche er,der eigentliche Erfinder der in ihren Wirkungen ans Wunderbare grenzenden Spinnmaschinen, erbaute. Dieser durch seine mechanische Geschicklichkeit und seinen ausdauernden Mut so merkwürdige Mann war ursprünglich ein Barbier; er hatte bei seinen Unternehmungen Schwierigkeiten zu bekämpfen, denen ein gewöhnlicher Mann unterlegen wäre. Er verdiente, mächtige Freunde zu finden, die ihm hilfreich beistünden, und er fand sie; sein großes Unternehmen gelang, und er selbst lebte lange genug, um im hohen Wohlstande sich dessen zu erfreuen. Noch heute ist diese Fabrik, welche jetzt aus drei Spinnmaschinen besteht, im Besitz der Familie Arkwright, welche die ganz nahe dabei gelegene schöne Villa Wellersley bewohnt. Das von weißen Steinen massiv erbaute Wohnhaus sowohl als die großen Fabrikgebäude am Ufer des Stromes, beschirmt von mächtigen Felsen, erhöhen die Schönheit der Gegend. Noch erfreulicher aber ist der Anblick des Wohlstands, der durch sie ringsumher unter den Einwohnern des Tals verbreitet wird. Wir sahen mit wahrer Freude an einem Sonntagabend die wohlgekleideten Arbeiter mit ihren geputzten Weibern und Mädchen spazieren gehen, umspielt von schönen reinlichen Kindern.

Die englischen Bauernmädchen und jungen Weiber sind durchgängig schöne Gestalten, älter werden sie oft zu dick. In ihrem Putze sehen sie gewissermaßen vornehm und damenhaft aus. Ein feiner Strohhut, mitfarbigem Bande geschmückt, auf einem kleinen schneeweißen Häubchen, steht den artigen bescheidenen Gesichtern sehr gut. Dazu große, weiße musselinene Halstücher, ein Rock von durchgestepptem Zeug von eine hellen Farbe, himmelblau oder rosenrot bei den Eleganten, und ein vorn offenen kattunenes langes Kleid, hinten künstlich mit Nadeln aufgesteckt, alles blendend rein bis auf die feinen weißen gewebten Strümpfe [Fußnote: dazu Johanna in einer Anmerkung: "Nur die ärmsten Engländerinnen stricken; diese Arbeit wird bei ihnen für schimpflich gehalten]. Dies ist ihr Sonntagskostüm, von welchem das der Wochentage nur durch dunklere Farben und schlechteren Stoff abweicht.

Hinter dem Wohnhause von Wellersley strecken sich die dazu gehörigen großen, wohlangelegten Promenaden hoch den Berg hinan. Die mannigfaltigen Ansichten des Tales von oben herab sind wunderschön. Die Gärten enthalten Treibhäuser und eine hübsche Orangerie. Überall sieht man die segensreichen Früchte des Fleißes und der Industrie.

An einem frühen Morgen verließen wir endlich ungern das freundliche Matlock. Lange noch zog sich der Weg durch das Tal am Ufer der bald ruhig hinfließenden, bald über Felsstücke wild daherbrausenden Derwent. Dann wand sich der hohe Berge hinan, deren Gipfel uns eine weite Aussicht auf das fruchtbare, durch unzählige Fabriken und Häuser belebte Land eröffneten. Jetzt führte der Weg abwärts; im Morgenlicht schimmerte uns ein prächtiges Gebäude entgegen. Es war Chatsworth [Fußnote: das Schloß wurde 1687-1706 vom Herzog von Devonshire in italienischem Spätrenaissancestil erbaut, anstelle eines älteren Schlosses, in dem Maria Stuart gefangen gehalten worden war; 1820 wurde der Nordflügel angebaut. Das Zimmer, das Johanna hier beschreibt, ist also nicht das ursprüngliche Zimmer Marias gewesen.], seit zweihundert Jahren der Landsitz der edlen Familie von Cavendish, jetzt ihrer Abkömmlinge, der Herzöge von Devonshire.

Das Schloß liegt romantisch in einem weiten tiefen Tale. Hinter demselben erhebt ein hoher Fels den stolzen, waldgekrönten Scheitel. Vor dem Schlosse windet sich silbern die Derwent durch das lachende Grün, eine sehr schöne steinerne Brücke führt hinüber. Wir fuhren durch den Park; neugierig guckten seine Bewohner, die Hirsche und Rehe, von beiden Seiten des Wegs in unsere Postchaise.

 

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