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Pension für Knaben

Gewöhnlich sind es Landprediger, die irgend ein großes schönes Lokal, unfern der Kirche, in welcher sie predigen, mieten oder kaufen und neben ihren Berufsgeschäften dieses Erziehungsgeschäft treiben, wobei sich die sehr ehrwürdigen Herren ungemein wohl befinden. [Fußnote: dazu notierte Johanna in einer Fußnote. "Most reverend Sir, sehr ehrwürdiger Herr, der Titel der englischen Geistlichen."]

Wir hatten Gelegenheit, die Erziehungsanstalt des Herrn Lancaster in Wimbledon, acht englische Meilen von London, genau kennenzulernen. Sie gilt für eine der besten, selbst Lord Nelson ließ zwei seiner Neffen da erziehen [Fußnote: Admiral, Lord, lebte zu dieser Zeit zurückgezogen mit Lady Hamilton in der Grafschaft Surry. Am 21. Oktober 1805 schlug die englische Flotte unter seinem Befehl die spanisch-französische bei Trafalgar vernichtend. Er selbst kam dabei ums Leben.] Im Grunde gleichen sich alle; nur die Zahl der Zöglinge, die größere oder beschränktere Einrichtung des Ganzen unterscheidet sie voneinander.

Der sehr ehrwürdige Herr zu Wimbledon befaßte sich gar nicht mit dem Unterrichte; unsichtbar für seine Schüler saß er den Tag über in seinem Studierzimmer, wo er eine Anzahl junger Fremder, die bloß als Kostgänger, nicht als Schüler in seinem Hause lebten, im Englischen unterrichtete. Nur mittags, nach vollendeten Schulstunden erschien er auf einem Katheder im Schulzimmer, um sich von den Lehrern Rapport abstatten zu lassen. Vier Lehrer, die im Hause wohnten und von denen wechselweise einer jede Woche die Spezialaufsicht über die Schüler hatte, gaben den notwendigen Unterricht, und zwar alle zugleich in dem nämlichen großen Zimmer. Jeder steht auf einem kleinen Katheder, und die Schüler gehen wechselnd, pelotonweise von einem zum anderen. Dies währt vier Stunden lang ununterbrochen von acht bis zwölf.

Die Schule wird mit Gebet eröffnet und geschlossen, ganz nach der englischen Liturgie, wobei auch des Königs, seines Hauses, der Schwangeren und Säugenden usw. von den Knaben christlich gedacht werden muß.

Die Knaben erhalten Unterricht in den alten Sprache, in Geographie, Geschichte, Schreiben, Rechnen und der französischen Sprache. Wer Fechten, Musik, Tanzen und Zeichnen lernen will, muß es besonders bezahlen; die Lehrer dazu kommen wöchentlich einige Male von London herüber; an alles übrige Wissenswerte, was unsere Kinder in Deutschland lernen, wird nicht gedacht.

Die Zöglinge essen zusammen, ziemlich schlecht, unter Aufsicht des die Woche habenden Lehrers, werden zu bestimmten Zeiten von ihm auf der Gemeinhut des Dorfes spazieren getrieben, spielen unter seiner Aufsicht auf dem großen Hofe und werden täglich in einem großen Bassin gebadet, auch im Winter, wo dann erst das Eis aufgehauen werden muß.

Alles, Lehre, Strafe, die ganze Behandlung der Kinder, wird nach angenommenen Gesetzen mechanisch betrieben, ohne Rücksicht auf Alter, Charakter und Fähigkeit. Wie könnte es anders sein, ihrer sind sechzig, zwischen sechs und sechzehn Jahren; alle Wochen wechselt der die Aufsicht habende Lehrer und dankt Gott, daß er auf drei Wochen die Last los ist und sich bei der sehr reichlich besetzten Tafel des sehr ehrwürdigen Herrn mit den Kostgängern und der übrigen Gesellschaft, von der in der Woche ausgestandenen Not und Mangel erholen kann. Kein Lehrer lernt die Kinder genauer kennen, da jeder sie nur ungefähr zwölf Wochen im Jahre in so verschiedenen Zeiträumen unter seiner Aufsicht hat.

Die Kostgänger haben dagegen ein herrliches Leben, denn sie bringen dem ehrwürdigen Herrn dreimal soviel Guineen als die Schüler. Nur einige Schüler, deren Eltern es zu bezahlen vermögen, gehören auch dazu. Diese nehmen zwar an den Schulstunden teil, essen aber an dem gut besetzten Tische, können nach Herzenswunsch im Lustgarten und im Obstgarten ihr Wesen treiben, während ihre Kameraden auf dem öden Hofe bleiben müssen und entsetzlich geprügelt werden, wenn sie sich einmal in jene verbotenen Reviere eingeschlichen haben. So müssen die Kinder schon in der Jugend lernen, daß dem Reichen alles erlaubt, und Geld daher das höchste Ziel ist, wonach man zu trachten hat.

Hat ein Knabe einen Fehler begangen, seine Lektion nicht gelernt oder beim Spiel Unordnung gemacht, so wird ihm vom Lehrer zur Strafe aufgegeben, eine Seite Griechisch oder Latein auswendig zu lernen. Wenn er diese zur bestimmten Zeit nicht auswendig weiß, so schreibt der Lehrer seinen Namen auf und legt ihn auf's Katheder des Herrn Lancaster. Abends werden dann die so Verklagten zu ihm ins Studierzimmer gerufen, so viel ihrer sind, alle zugleich. Er redet sie mit Sir oder Gentleman an und fragt, ohne fernere Untersuchung ihres Vergehens, ob sie ihre Aufgabe gewußt haben? Sie müssen natürlich mit "Nein" antworten. Ohne sich auf etwas Weiteres einzulassen, fragt er: was sie dafür verdient hätten? Sie antworten: geprügelt zu werden, und ohne Aufschub vollzieht der sehr ehrwürdige Herr an ihnen dies Urteil mit eigener Hand, oft an sieben oder acht nacheinander, ohne Rücksicht, ob der Knabe sechs oder sechzehn Jahre alt ist, und dazu auf die beschimpfendste Weise.

Haben zwei Knaben miteinander Streit gehabt oder sich geschlagen, so verklagt einer den anderen; wenn aber auch seine Klage noch so sonnenklar wäre, er bekommt kein Recht, solange der Beklagte leugnet. Der Kläger muß Zeugen mitbringen; sagen dagegen er und seine Zeugen noch so augenscheinlich die Unwahrheit, der Beklagte wird bestraft, wenn er nicht andere Zeugen beibringen kann, die seine Unschuld beweisen. Alles wird nach der Form abgetan wie vor englischen Richterstühlen; den Charakter der Kinder zu ergründen, ihr Gefühl für Recht und Unrecht im höheren Sinn, ihre Liebe für das eigentliche Wissen zu bilden, daran denkt niemand.

Wir enthalten uns aller Bemerkungen über eine solche Erziehungsmethode, jeder macht sie gewiß selbst und fühlt, welchen Vorzug auch in dieser Rücksicht wir Deutsche vor jenen stolzen Insulanern haben, und welche Resultate sich von einer solchen frühen Behandlung erwarten lassen.

Sonntagmorgens werden die Schüler im Schulzimmer versammelt. Herr Lancaster ist nicht Prediger in Wimbledon, sondern Merton, einem eine halbe Stunde weit entlegenen Dorfe; aber zu seiner Übung hält er seinen Schülern die Predigt, die er mittags dort halten wird, erst einmal in der Frühe. Damit verbindet er den in der englischen Liturgie vorgeschriebenen Gottesdienst, so daß das Ganze eine starke Stunde währt. Um elf Uhr werden sie in sauberen Sonntagskleidern paarweise auf dem Hofe rangiert und treten dann in Begleitung der vier Lehrer den Marsch nach der Wimbledoner Kirche an, wo sie bei Predigt, Gesang und Litanei zwei Stunden verweilen müssen. Nachmittags werden sie wieder auf die nämliche Weise zur Kirche getrieben, und abends um acht Uhr wird abermals in der Schulstube großer Gottesdienst gehalten, wobei wieder des Königs und seines Hauses gedacht wird. Zwischen allen diesen Andachtsübungen müssen sie in der Bibel lesen und dürfen in Begleitung der Lehrer einen Spaziergang machen; alle Spiele aber und alle lauten Ausbrüche der Freude sind hoch verpönt, und werden streng bestraft.

 

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