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Pferderennen
Das Pferderennen, welches so viel Fremde in Edinburgh versammelt hatte, konnten wir nicht unbesucht lassen; wir wohnten noch den beiden letzten und daher wichtigsten bei. Gewöhnlich werden sie an anderen Orten auf einer dazu eingerichteten große Wiese gehalten, hier aber hat man, wunderlich genug, das Ufer des Meeres bei Leith dazu erwählt, eigentlich die sandige Fläche, von welcher sich das Meer zur Zeit der Ebbe zurückzieht. Darum muß die Stunde genau abgepaßt werden. Uns schien die Expedition nicht ganz ohne Gefahr. Sollte den alten Poseidon einmal eine Laune anwandeln und er schickte seine Wogen etwas früher zurück, so möchte wohl die Katastrophe des Königs Pharao im Roten Meere nochmals wiederholt werden, und Edinburgh wäre mit einem Male verödet, denn niemand bleibt bei diesem wichtigen Vorgange zu Hause, wenn er nicht muß. Uns kann das ganze Vergnügen etwas wunderlich vor.
Auf dem nassen, pfützenreichen Sande, wo es unbegreiflich ist, wie die Pferde festen Tritt haben können, und der noch obendrein wie ein Fischmarkt riecht, ist ein Platz mit Schranken von Stricken umgeben. Alte, invalide Soldaten stehen ringsumher und halten auf Ordnung. An einem Ende dieses Platzes sitzen die Kampfrichter, auf einem hohen, mit Fähnchen verzierten Gerüste, gravitätisch wie Rhadamant mit seinen Kollegen; die Helden des Tags, die Pferde, stehen daneben. Eine unzählige Menge Menschen umgibt den Platz. Auf die Dächer, an die Fenster der benachbarten Häuser von Leith, auf die Mauern, auf eigens dazu erbaute Gerüste, auf den Quai des Hafens, überall, wo nur ein Plätzchen zu finden ist, haben neugierige Fußgänger sich hingestellt. Diese bunte, fröhliche Menge gibt, vom Rennplatz aus gesehen, einen sehr hübschen Anblick. Die Glücklichen, welche über ein Fuhrwerk oder Pferd disponieren können, tummeln sich, in Erwartung des großen Schauspiels, lustig auf der Rennbahn herum und geben selbst dem Beobachter einen sehr belustigenden Anblick. Prächtige, mit Wappen und Grafenkronen verzierte, mit vier stolzen Pferden bespannte Equipagen und dann Karren mit einem alten, lebensmüden Gaul davor, Reiter und Reitpferde jeder Art, alle möglichen Fuhrwerke, die Luxus und Lust zu fahren, es sei auf welche Weise es wolle, nur erfinden konnten, fahren und reiten untereinander herum im buntesten Gewühl. Alles patscht ohne Zweck und Ziel die Kreuz und Quer im Schlamme und nassen Sande lustig darauf los.
Während der Zeit wird alles ganz genau von den Kampfrichtern untersucht, damit kein Betrug irgendeiner Art beim Rennen vorgehe. Die Jockeis, welche schon geraume Zeit vorher sich durch strenge Diät auf diesen großen Tag bereiten mußten, werden sorgfältig gewogen; keiner darf schwerer sein als der andere, deshalb wird dem leichteren das fehlende Gewicht durch Blei in den Taschen ersetzt.
Die wettlustigen Zuschauer schließen indessen ihre Wetten. Ein Trommelschlag wirbelt durch die Luft, und alles eilt sich, an den Seiten zu rangieren; jedes strebt, einen guten Platz zum Sehen zu bekommen, viele Männer steigen aus den Kutschen hinaus oben auf die Imperiale, einige Frauenzimmer setzen sich auf den hohen Kutschersitz neben ihren Kutscher; alles ist in der gespanntesten Erwartung. Mit dem zweiten Trommelschlage laufen die Renner aus, man hält vor Begierde, sie zu sehen, den Atem an, man sieht sie fast nur einen Moment mit Blitzesschnelle vorüberrauschen und hernach, auf der entgegengesetzten Seite, ganz in der Ferne. Sie nahen wieder, rauschen zum zweiten Mal vorbei, sie nähern sich zum zweiten Mal dem Ziele, und nun reiten alle alten und jungen John Bulls [Fußnote: Spitzname für den Engländer, entnommen einer Satire "History of John Bull" von J. Arbuthnoth, 1712] auf die halsbrecherischste Weise, ohne auf irgend etwas zu achten, wie wütend, hinterdrein, um bei der Entscheidung gegenwärtig zu sein. Zweimal, ohne anzuhalten, durchlaufen die Pferde im Kreise die Bahn, und das, welches das zweite Mal zuerst am Ziele ist, hat gesiegt.
Der Weg, den die Renner so zurücklegen, beträgt, genau gemessen, vier englische Meilen, von denen man fünfe auf eine deutsche rechnet; die Zeit aber, die sie darauf zubringen, ist unglaublich kurz. Sowie das erste Rennen vorüber ist, fährt und reitet alles wieder auf dem Platze durcheinander wie zuvor, bis ein neuer Trommelschlag verkündet, daß andere Pferde zum Laufen bereit sind, und die Zuschauer wieder zur Ordnung verweist. Jeden Morgen während der Woche des Pferderennens werden drei solche Wettläufe gehalten. Nach dem dritten eilt alles sehr befriedigt nach Hause.
Es ist nicht erfreulich, die Pferde am Ziel anlangen zu sehen; ermattet, mit Schweiße bedeckt, atmen sie kaum noch, das Blut strömt aus ihren von den Sporen zerrissenen Seiten. Auch die Jockeis sinken fast hin vor Ermattung; das pfeilschnelle Reiten benimmt ihnen den Atem, sie müssen unaufhörlich mit der einen Hand vor dem Munde die Luft zu zerteilen suchen, um nur nicht zu ersticken.
Die übrige Zeit des Tages, welche Toilette und die Freunden der Tafel freilassen, wird in dieser Woche auf mannigfache Weise hingebracht. Anstalten genug gab es dazu. Wachsfiguren, Seiltänzer, unsichtbare Mädchen und ein sehr interessantes Panorama von Konstantinopel. Nächst dem wechseln abends Bälle, Konzerte und Assembleen in den, zu diesem Zwecke bestimmten, sehr schönen Sälen. Auch ein Vauxhall gibt es hier. Obgleich recht hübsch eingerichtet, hält es doch keinen Vergleich mit dem berühmten Vauxhall [Fußnote: Londoner Stadtteil mit Vergnügungspark] in London aus, das wohl immer das einzige seiner Art bleiben wird.
Das Theater wird stark besucht und das Publikum darin ist laut, ungestüm und souverän herrschend wie in London; das Haus ist nicht groß, aber sehr hübsch dekoriert, gut erleuchtet und zweckmäßig eingerichtet. Nur die Schauspieler zeichnen sich auf keine Weise aus; keiner unter ihnen erhebt sich über die Mittelmäßigkeit, und die Schauspielerinnen bleiben sogar noch weit unter ihr zurück.
In dem sehr hübschen Konzertsaale ward ein echt schottisches Konzert vor einem sehr brillanten Auditorium gegeben. Es war als ein Vokalkonzert angekündigt und bestand nur aus drei Singstimmen, begleitet von einem Pianoforte. Die Sänger gaben den ganzen Abend nur leichte Romanzen, Lieder und dreistimmige Kanons, hier Glees genannt. Diese Art Musik ist in England, noch mehr in Schottland, sehr beliebt. Musik und Text waren ganz schottisch. Letzterer oft aus Ossian entlehnt, erstere durchaus sanft und klagend, durch Molltöne sich hinwindend. Manche uralte Melodie ertönte hier und wurde mit heißer Vaterlandsliebe aufgenommen. Das Ganze wäre für eine Stunde etwa recht angenehm gewesen; aber es hatte den Fehler aller Ergötzlichkeiten in Großbritannien, es währte zu lange. Das Auditorium war indessen sehr aufmerksam bis ans Ende; nur einige ältliche Herren, die sich wahrscheinlich bei Tische das Wohl der Nation zu sehr zu Herzen genommen hatten, verfielen in süßen Schlummer und schnarchten überlaut den Grundbaß zu dem etwas mageren Akkompagnement des Pianoforte. Die Singstimmen waren gut und sangen diese einfachen Melodien, wie dergleichen gesungen werden müssen, schmucklos, richtig und ausdrucksvoll.
Die lärmende Woche war nun vorüber, die Sehenswürdigkeiten wurden eingepackt, die Assembleesäle geschlossen, die Fremden reisten fort, die Einheimischen zogen zum Teil auf ihre Landhäuser, und alles kehrte zur gewohnten Ordnung und Stille zurück.
Wir blieben noch einige Zeit, um Edinburgh auch in der Ruhe zu sehen und zu genießen; dann kam auch der Tag unserer Abreise. Wie wir aus der Tür unserer Wohnung traten, hatten wir einen in England ganz ungewohnten Anblick: eine große Anzahl Bettler umlagerte unseren Wagen bis zur Haustür; wir mußten unseren Weg von den Söhnen und Töchtern des Elends erkaufen. Endlich rollten wir fort. Die Morgensonne rötete das alte Schloß, König Arthurs Sitz, und die Ruinen von Mariens Gefängnis. Nochmals blickten wir zurück auf das spiegelhelle Meer und eilten nun erwartungsvoll den Hochlanden zu.