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Die Peaks Höhle

Diese sehr berühmte Höhle liegt nahe vor der Stadt, der Eingang derselben ist wahrhaft groß und imposant. Eine Reihe meist senkrecht steiler Felsen von wunderbar zackiger Form erhebt die mit Bäumen gekrönten Scheitel. In einem derselben hat die Natur ein schauerliches, zweiundvierzig Fuß hohes und einhundertzwanzig Fuß breites Tor gewölbt, durch welches man in undurchdringliches Dunkel zu blicken wähnt. Langsam fließt ein schwarzes, ziemlich breites Wasser aus der Unterwelt an's Tageslicht hervor. Vor der Wölbung hängen ungeheure, bizarr geformte Tropfsteine; wildes Gesträuch rankt dazwischen, Efeu umwindet sie und flattert in leichten Kränzen darum her. Felsenstücke hängen herab, Untergang drohend dem Haupte dessen, der vorwitzig in die Geheimnisse der Unterwelt dringen will.

Wir traten in die Höhle, die dunkle Nacht war dem allmählich sich daran gewöhnenden Auge zur Dämmerung. Bald unterschieden wir darin eine Menge Weiber und Kinder, emsig spinnend, die ärmlichsten Gestalten, welche die Phantasie nur erdenken kann. Gnomen gleich hocken sie in dieser kalten feuchten Dunkelheit und fristen kümmerlich ihr armes leben; des nachts schlafen sie in kleinen bretternen Hütten, die sie sich in der Höhle erbauten und deren wir eine ziemliche Anzahl umherstehen sahen. Ungestüm bettelnd umgaben sie uns, sowie sie uns gewahrten; wir waren froh, nach dem Rate der Wirtin in Castleton, eine Menge Kupfergeld eingesteckt zu haben, um uns loszukaufen. Dies ist die unterirdische Stadt, von der mancher Reisende gefabelt hat. Die Wärme der Höhle im Winter, die ein eigentliches Haus entbehrlich macht, der kleine Gewinn, den die neugierigen Fremden ihnen gewähren, besonders aber die Freiheit von Abgaben, welche nur auf der Oberwelt, im Sonnenlichte gefordert werden, bewegen diese Armen, eine so unfreundliche Wohnung zu wählen.

Wie wir uns selbst erst von ihrem Ungestüm losgekauft hatten, kauften wir Lichter. Jeder von uns mußte eins tragen, der Führer trug deren zwei voraus, und so ging es denn weiter in den ganz finsteren Hintergrund der Höhle. Der Führer machte uns auf einige ungeheuer große Tropfsteine aufmerksam, welchen er allerhand Namen gab, ohne daß wir die Ähnlichkeit mit den dadurch bezeichneten Dingen finden konnten. Dann öffnete er eine schmale niedrige Tür, und wir standen in einem großen Gewölbe, von dessen Decke große Felsenstücke, drohender als je, über unsere Häupter herabhingen. Der Schimmer der flackernden Lichter machte sie noch grausenvoller, sie schienen sich zu bewegen.

Jetzt ward das Gewölbe ganz niedrig. Gebückt, mit unsicherem Tritte auf dem schlüpfrigen unebenen Boden, mußten wir uns lange durch eine enge Felsenspalte winden; bald ging es steil in die Höhe, bald ebenso hinunter. Wir stießen von allen Seiten an die vorragenden Felsen; ein einsames Licht brannte hin und wieder und diente nur, das Grabesdunkel noch sichtbarer zu machen; die Luft war schwer, wir möchten sagen zähe, denn ihr Widerstand schien uns fühlbar.

Endlich konnten wir unsere Häupter erheben, wir befanden uns in einem kleinen Gewölbe und bald am Ufer des unterirdischen Stroms, der hier, wie der Styx, kalt und stumm in ewiger Nacht die schwarzen Wellen langsam dahinwälzt. Wir fanden einen mit Stroh angefüllten Kahn, in welchem zwei Personen ausgestreckt nebeneinander liegen konnten. Der Führer stieg ins Wasser, welches ihm fast bis an die Hüfte ging, so schob er den Kahn vor sich hin, in welchem wir auf dem Stroh lagen und kaum zu atmen wagten. Es ging unter Felsen weg, die nur eine Hand breit von unserem Haupte entfernt, alle Augenblicke einzustürzen schien; von beiden Seiten war kein Zoll breit Ufer, um darauf fußen zu können. Nie war uns die Idee eines lebendig Begrabenen anschaulicher als hier in dem sargähnlichen Kahne mit der schwarzen, schweren Felsendecke über uns. Der Führer mußte ganz gebückt waten, ein Stoß an einen der Felsen, der ihn besinnungslos gemacht hätte, und wir waren verloren auf die entsetzlichste Weise. Mit diesen erbaulichen Gedanken beschäftigt, schwammen wir eine ziemliche Zeit, bis wir landen konnten, immer das Licht in der Hand. Endlich stiegen wir aus unserem Sarge. Schwindlig von der Fahrt, mußten wir uns erst eine Weile erholen, ehe wir um uns blicken konnten, und fast wären wir es beim ersten Umherschauen von neuem geworden. In einem ungeheuren Dom, der nach der Aussage des Führers einhundertzwanzig Fuß hoch, zweihundertsiebzig lang und zweihundertzehn breit war, funkelten eine Menge hin und wider zerstreuter Lichter wie Sterne, die nicht leuchten. Hier ist der Tempel des ewigen Schweigens, zu dem noch nie ein Strahl der sonnigen Oberwelt, ein Laut der Freude drang. In dieser unabsehbaren Höhle war uns noch bänglicher als in den engen kleinen; die Entfernung von allem Leben war hier fühlbarer durch den Raum, der uns sichtbar davon trennte.

Mühsam kletterten wir über abgerissene, rauhe Felsstücke und kamen wieder an das Wasser; wir standen still, es war als ob Töne einer sehr fernen Musik zu uns herüberschlüpften. Der Führer stieg abermals ins Wasser und trug einen nach dem anderen eine ziemliche Strecke auf den Schultern hindurch. In einer kleinen runden Höhle, in welcher das Wasser tropfenweise von allen Seiten unaufhörlich niedersinkt, und die deshalb Rogers Regenhaus heißt, fanden wir eben in diesem ewigen Tröpfeln die Ursache jener Töne, die uns zuvor wie Musik aus der Ferne schienen. Der Fußboden war mit tausend wunderlichen Schnörkeln aus Tropfstein bedeckt, und das Gehen darauf höchst beschwerlich, besonders da die ewige Nässe ihn schlüpfrig macht. Die Luft war hier noch unangenehmer kalt und feucht als zuvor.

So gut als es anging, eilten wir weiter, und in einer höheren, gewölbten Abteilung der Höhle harrte unser eine sonderbare Überraschung. Ein Chor von Männern empfing uns mit einem langsamen, eintönigen Gesang. Lichter in den Händen haltend, die sie hin und her schwenkten, standen sie fünfzig Fuß hoch über uns in einer Art von Nische, welche die Natur in einer der Seitenwände geschaffen hatte. Ihr Gesang war rauh, aus wenig Tönen zusammengesetzt, wild und klagend, aber dennoch nicht unangenehm.

Nach diesem wunderlichen Empfange ging es weiter. Ängstlich gebückt schlichen wir unter und über Felsenmassen bis zu einem kleinen Gewölbe, noch grausender und schauerlicher als alle übrigen, und ein schwarzer Abgrund, zu welchem wir schaudernd hinableuchteten, gähnte dicht vor unseren Füßen. Der Führer zeigte uns den steilen, furchtbaren Fußsteig, welcher über schlüpfrige Tropfsteine hinabführt. "Dies ist der Teufelskeller", sagte er, und indem er plötzlich einen von uns beim Arm ergriff: "Hier bin ich Herr", sprach er widerlich lachend, "hier kann ich tun, was ich will; ich wollte, ich hätte Napoleon hier!"-- Wir können's nicht leugnen, wir erschraken, denn er war nur zu sichtbar Herr, und wir hatten es längst gemerkt, daß er uns für Franzosen hielt. Indessen faßten wir uns bald und antworteten ihm, daß wir ihm die Erfüllung dieses Wunsches gern gönnen wollten, wenn nur Napoleon [Fußnote: zur Zeit von Johannas Reise stand England im Krieg mit Frankreich] nicht die Gewohnheit hätte, immer mit starker Begleitung zu kommen; schon unsere Begleiter, die, wie er wohl wisse, draußen geblieben wären, würden ernstlich nachforschen, wenn uns hier ein Unglück widerführe. Dies Argument schien ihm deutlich und machte ihn etwas höflicher. Unser Erschrecken über das wunderliche Benehmen des Führers wäre indessen weit heftiger gewesen, wenn wir damals schon gewußt hätten, was wir später erfuhren, daß vor mehreren Jahren ein Herr und eine Dame in einem einspännigen Whisky ohne andere Begleitung ankamen, gerade vor die Höhle fuhren, das Pferd anbanden, hineingingen und nie wieder gesehen wurden.

Der Führer leuchtete jetzt in den Abgrund vor uns hinab. Die wenigsten Wanderer wagen sich den steilen Pfad hinunter, der einhundertfünfzig Fuß tiefer führt; sie lassen bloß den Führer mit einigen Lichtern hinabgehen und begnügen sich mit dem schauerlichen Anblicke von oben. Wir taten dies auch. Kühne, bogenähnliche Vertiefungen, emporstrebende Säulen, geformt von der Hand der Natur, sahen wir im flimmernden Lichte, das Wasser plätscherte lebendiger im tiefsten Grunde. Der Führer sagte uns, es wäre dort von kristallener Helle. Endlich stieg er wieder herauf, wir traten den Rückweg an, ein ferner Schimmer des Tages, den unser, an die Dunkelheit gewöhntes Auge jetzt in der zweiten Höhle vom Eingang entdeckte, erfreute uns unbeschreiblich.

Zwei Stunden waren wir in der Wohnung der Nacht und des ewigen Schweigens geblieben. Wie wir nun wieder hinaustraten an's erfreuliche Sonnenlicht, wie uns wieder die milde, schmeichelnde Sommerluft warm und lebendig empfing, da war uns, als erwachten wir von einem beängstigenden Traume; alles umher, die ganze Gegend in ihrer wilden Pracht erschien uns in himmlischem Glanze. Es freue sich, riefen wir mit Schiller:

Es freue sich, was da lebet im rosigen Licht! Dort unten aber ist's fürchterlich Und der Mensch versuche die Götter nicht.

Wir fuhren weiter nach Buxton, einem Badeorte, wo wir übernachten wollten. Die Aussicht vom Gipfel eines hohen steilen Berges, dicht hinter Castleton, über welchen der Weg führt, ist des Verweilens wert. Man erblickt das fruchtbare, bebaute Tal und von beiden Seiten die wunderbar gestalteten Felsen, die es umschließen.

Einer dieser Berge heißt Win Hill, der andere Lose Hill, von einer Schlacht, die hier in uralten Zeiten gefochten worden sein soll. Der merkwürdigste unter ihnen ist der Mam Tor, auch der Shivering Hill, der schaudernde Berg genannt. Die Sage geht, daß seine Oberfläche sich immer auflöse und wie Sand herabkrümle, ohne daß er dadurch abnehme. Der schaudernde heißt er, weil das Herabrieseln des Sandes von weitem aussieht, als ob er zusammenschaudre. Die Wahrheit ist, daß Regen und Wetter jährlich größere und kleinere Fragmente von Mam Tor ablösen, indem er ungewöhnlich schroff und steil ist, aber auch, daß er, genauen Beobachtungen zufolge, allerdings kleiner dadurch wird. Die Landleute bleiben indes bei ihrem alten Glauben und rechnen ihn zu einem der sieben Wunder des Peaks Gebirge. Über unfruchtbare Felsen, öde Heiden ging es fort bis Buxton, welches wir noch zu guter Tageszeit erreicht.

 

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