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Palast von St. James. Die Parks von Kensington Gardens
Kein Fürst, auch nicht der kleinste regierende Herr, dessen Besitzungen kaum auf der Karte zu finden sind, hat eine schlechtere Residenz als der König von England. Kaum traut man seinen Augen, wenn man das alte, winkelige, rostige Gebäude ansieht, das mit dem stolzen Titel: St. James Palast prangt [Fußnote: nach dem Brand von Whitehall (1691) die ständige Residenz der englischen Könige von Wilhelm III. bis Georg IV.; 1809 zerstörte ein Feuer den Ostflügel, so daß wenig mehr vom alten Tudor Palast übrigblieb.]. Auch bewohnte König Georg der Dritte es gelegentlich nicht, und nur zum Schein prunkte ein großes Bette mit rotsamtenen Vorhängen im großen Leverzimmer.
Alle Hoffeierlichkeiten wurden zwar nach althergebrachter Weise in diesem königlichen Rattenneste gehalten; aber die hohen Herrschaften begaben sich immer vorher incognito hin und wohnten eigentlich im Palaste der Königin, Buckingham House genannt [1703 von John Sheffield, Herzog von Buckingham, erbaut, 1761 von Georg III. angekauft und von Georg IV. 1825 nach Plänen von Nash umgebaut und später noch mehrmals ergänzt, zum letzten Mal 1913 von Aston Webb. Seit dem Regierungsantritt der Königin Victoria (1837) Residenz der englischen Herrscher: Buckingham Palace.], einem etwas moderneren Gebäude, welches aber auch, weit entfernt von aller königlicher Pracht, weder sehr groß noch sehr schön aus bloßen Ziegelsteinen erbaut war. Es liegt in dem an den Palast von St. James anstoßenden St.James Park, der Lieblingspromenade der Londoner.
Dieser Park ist eigentlich nur eine sehr schöne große Wiese, durchschnitten von angenehmen Fußwegen, belebt durch einen ihn durchkreuzenden Kanal und geziert mit hin und wieder zerstreuten Gruppen schöner alter Bäume. Alles darin ist einfach, aber unaussprechlich angenehm durch den Kontrast dieser ländlichen Stille mit dem Geräusche der großen Hauptstadt, aus welchem man unmittelbar hineintritt.
Am westlichen Ende des Parks liegt Buckingham House mit seinen Gärten. Der Green Park zieht sich längs diesen hin, ebenfalls eine zur Promenade eingerichtete Wiese, mit wenigen Bäumen besetzt. Der Hyde Park begrenzt beide; größer als sie, geht er bis an die Gärten von Kensington; ein in mannigfaltigen Krümmungen sich hindurchwindender silberheller Strom verschönt ihn; Kühe und schöne Pferde weiden am Ufer, alles ist frisch und grün, als wäre man hundert Meilen von der Stadt.
Wenn man vom Hyde Park aus in die Gärten von Kensington tritt, wähnt man am Eingange eines uralten heiligen Hains zu sein; so majestätisch erheben die hohen, schönen Bäume, der ausgezeichnetste Schmuck jener Gärten, ihr prächtiges Laubgewölbe. Diese Gärten, das gewöhnliche Ziel der Spaziergänger, gehören ebenfalls dem Könige und stehen, solange die schöne Jahreszeit währt, von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends dem wohlgekleideten Publikum offen. Sie sind nicht im neuesten Geschmacke angelegt, man findet noch nach alter Weise breite, nach der Schnur gezogene Alleen darin und eine gewisse Symmetrie, von welcher die neue Gartenkunst nichts wissen will; desto besser aber eignen sie sich zur Promenade einer großen Hauptstadt. Angefüllt mit Spaziergängern, die unter diesen prächtigen Bäumen lustwandeln, machten sie einen ebenso reizenden als imposanten Eindruck.
Der zu diesen Gärten gehörende Palast von Kensington verdient nur wegen seines Eigentümers diesen prächtigen Namen. Die königliche Familie kommt nie hin, er wird von einigen Privatpersonen bewohnt, welche vom König die Erlaubnis dazu erhielten.
Jeden Sonntag nachmittags bei schönem Wetter wimmelt im Sommer der St. James Park von wohlgekleideten Spaziergängern, die zwar Nobodies sind, sich aber doch ebenso gut ausnehmen, als würden sie wirklich mitgezählt. Alles was die Woche hindurch sich in den Ladengewölben und Arbeitszimmern der City abmühte und kein Haus zu hüten hat, eilt dann hinaus, um frische Luft zu schöpfen, grüne Bäume zu sehen und wohl auch seinen Sonntagsputz zu zeigen.
Der Anblick dieser wohlgekleideten Menge ist sehr angenehm; weit interessanter aber noch der, den der Hyde Park im Frühling gewährt. An schönen Sonntagsmorgen, nach Londoner Rechnung zwischen zwei und fünf Uhr nachmittags, fährt, reitet und geht dann die schöne Welt dort spazieren. Eine unzählbare Menge der schönsten Equipagen, der herrlichsten Pferde bedecken in dieser Zeit den durch Hyde Park führenden Fuhrweg bis Kensington; kein Fiaker, kein öffentliches Fuhrwerk darf diesen Weg befahren; nichts darf sich zeigen, was uns daran erinnern könnte, daß es auch Leute in der Welt gibt, die nicht reich und vornehm sind. Der Anblick der vielen schönen Reiter und Pferde, der tausend Equipagen von allen Formen und Größen, der schönen Frauen und lieblichen Kinderköpfchen, die aus diesen herausgucken, ist einer der prächtigsten, den nur irgendeine große Hauptstadt gewähren kann. Nichts gibt einen anschaulicheren Beweis der Opulenz und Bevölkerung Londons.
Auch die Spaziergänge wimmeln von Spazierengehenden, die zum Teil jene schimmernden Equipagen verließen, um hier zu lustwandeln und Bekannte zu treffen. Besonders brillant sind dann die Alleen von Kensington; man hat berechnet, daß an solchen Tagen bisweilen hunderttausend Menschen zugleich sich in den Parks und den Gärten von Kensington des blauen Himmels und der schönen Erde freuen.
Auch im Winter versammeln sich oft viele tausend Menschen dort, besonders, wenn bei starker Kälte der Strom im Hyde Park mit Eis bedeckt ist. Dann zeigen die Schlittschuhläufer ihre Künste, man eilt hin, sie zu bewundern; für Erfrischungen und Wärme ist in dazu erbauten Pavillons gesorgt, und was noch besser ist, für Hilfe bei möglichen Unglücksfällen, durch eine sehr zweckmäßige, an den Ufern des Stroms errichtete Rettungsanstalt.