Tanger
© Willi Schnitzler
Von fern scheint Tanger eine weitere der vielen andalusischen Städte zu sein, die ich bereist habe, und ich weiß, dass nicht wenige aus Granada hier ihre zweite Heimat hatten.
Die gekalkten Wände der Häuser verstärken die schreiende Helligkeit.
Ein Minarett überragt die Stadt. Betulich nähern wir uns dem Hafen und passieren ein einsames Fischerboot, das leckt und einen Mann zwingt, mit bloßen Händen hin und wieder Wasser aus dem Bug ins Meer zu schaufeln. Doch kaum hat die Fähre angelegt, sind die Neugierigen einer nach dem anderen über die eisernen Treppchen nach unten verschwunden und drängeln sich mit den Übrigen um eine geschlossene Tür, die den Weg nach draußen bedeutet. Es ist wie ein Unwetter von Stimmen, das ringsum tobt.
Meknès es Zeitoun
© Willi Schnitzler
Meknès unter den Oliven, wie die Stadt von den Berberstämmen der Meknassa genannt wurde, kommt in Sicht. Sie liegt am Rande des Mittleren Atlasgebirges.
Obwohl über der Stadt ein wolkenloser blauer Himmel glänzt, bin ich auf den ersten Blick entsetzt. Wer einmal an diesem Bahnhof, dem trostlosesten aller mir bekannten Bahnhöfe, ausgestiegen ist, wird mir das nachempfinden können. Als ich aus dem Schlagschatten des Gebäudes in die gleißende Helligkeit trete, fällt er mir sofort auf, dieser rippendürre Hund, der mich mit hungrigen Augen aus verfilzter Wolle anblickt; der kleine Jungen daneben, so dreckig wie die Hose eines Automechanikers, der schläft; das Haus, aus dem eine graue Brühe sickert; der lautlose Vogelschwarm auf dem Dach. Selbst die Entfernung kann das Bild nicht schminken. Alles ringsum ist dermaßen elend, dass man am liebsten davonlaufen möchte. Doch eines fällt auf: niemand begrüßt mich oder scheint sich auch nur im mindesten für mich zu interessieren, denn unerklärlicherweise fehlten die sonst überall präsenten, miteinander wetteifernden Führer.
Marrakesch
© Willi Schnitzler
Marrakesch, einst Mittelpunkt von Kunst und Lehre und die große Hauptstadt des alten Marokkos, wurde von alten arabischen Chronisten Mraksch, d. h. „die Stadt“, genannt. El amara, die Rote, war über lange Jahre die südliche Rivalin von Fès, und, wie der Name schon andeutet, eine Metropole aus Sand, Erde und Lehm.
Und all jene, die kamen, Globetrotter, Reisende, Abenteuerlustige, all jene trugen das erregende Bild einer verzauberten Stadt in die Träume und die Sensationslust der Welt.
Winston Churchill, der in Marrakesch gelegentlich seine der Malerei gewidmeten Ferien verbrachte – auf Dutzenden von Leinwänden hat er die rote Erde, den tiefblauen Himmel und das schneebedeckte Atlasgebirge eingefangen – und hier im wohl berühmtesten Hotel Afrikas, dem legendären Mamounia, am Ende seiner Tage seine Memoiren schrieb, nannte die Stadt „Paris der Sahara“. Vom neomaurischen Reiz des Mamounia-Palasts war Alfred Hitchcock derart angetan, dass er dort, verlässlichen Quellen nach zu urteilen, Teile des Films „Der Mann, der zu viel wusste“ drehte und damit dem Hotel einen kleinen Platz in der Geschichte sicherte. Ganz gewiss hätte das Paar, welches das Kind entführte, in einer anderen Umgebung nicht die gleiche Rolle spielen können, ganz gewiss wären die Verfolgungsjagden in den Gassen der Medina in einem anderen Labyrinth nicht so authentisch gewesen.
Fès
© Willi Schnitzler
Der Morgen ist wunderschön: eine Sonne, wie man sie sich wünscht, ein Wind, der sanft die Wangen tätschelt. Um sieben beginnt der Tag in Fès. Mohammed, mein Führer, dessen Dienstleistung mir sein Cousin gestern aufgeschwatzt hat, läuft schon seit geraumer Zeit unten auf der Straße herum. Er reicht mir die linke grobschlächtige Hand und stellt sich vor. Er, ziemlich groß, trägt eine gestreifte djellaba, hat die Figur eines tüchtigen Erlenmeyerkolbens, eine angenehm tiefe Stimme und einen gestutzten Schnurrbart. Seine Haut ist auf immer und ewig von einer pubertären Akne gekennzeichnet, die, so scheint es mir, mit einem Make-up übertüncht worden ist, das so dünn ist wie der Raureif einer Nacht. Ich behaupte nicht, dass er schon seit gestern Abend wartet, das nicht, aber müde genug sieht er schon aus.
Der Bus nach Marrakesch
© Willi Schnitzler
Der Morgen ist klar und noch ein wenig kühl, genau wie gestern. Es ist kurz nach Sechs, als ich, noch im Halbschlaf, das Hotel verlasse und über eine fast leere Straße zur Bushaltestelle gehe. Unsichtbar vor meinen Augen haben längst die Straßen- und Gassenkehrer ihre Arbeit aufgenommen. Der Müllmann gehört zum Quartier und ich staune über ihre Ähnlichkeit. Vielleicht werden in nicht allzu ferner Zukunft alle Müllmänner der Erde so und genauso aussehen, wenn die Wissenschaftler in den Laboratorien ihre Arbeit mit dem Klonen von Menschen richtig aufgenommen haben.