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Ein Gang durch die Straßen in London

[Fußnote: Johanna bewundert hier noch den Lichterglanz der Stadt vor der Einführung der Gasbeleuchtung um 1807.]

Man erzählt von einem der unzähligen kleinen vormaligen Souveräne des weiland Heiligen Römischen Reichs: er habe, da er spät abends in London seinen Einzug hielt, gemeint, die Stadt sei ihm zu Ehren illuminiert. Wäre er bei Tage durch die volkreichsten Straßen der City, etwa durch Ludgate Hill oder den Strang gekommen, er hätte ebenso leicht meinen können, ein allgemeiner gefährlicher Aufruhr setze die Einwohner alle in Bewegung.

Niemand, der es nicht mit seinen Augen sah, kann sich einen Begriff machen von dem ewigen Rollen der Fuhrwerke aller Art in der Mitte des Weges, von dem Wogen und Treiben der Fußgänger auf den an beiden Seiten der Straßen hinlaufenden, etwas erhöhten Trottoirs. Nicht die Leipziger Ostermesse, nicht Wien, selbst nicht Paris können hier zum Vergleiche dienen. Dennoch geht es sich nirgends besser zu Fuß als in London, sobald man sich in die Art und Weise der Eingeborenen zu finden gelernt hat. Dies gewährt den Fremden, besonders den reisenden Damen, einen großen Vorteil, um alles zu sehen und zu bemerken. Wenn man wie in anderen großen Städten immer in seinem Wagen festgebannt bleiben muß und keinen Schritt gehen kann, lernt man den Ort kaum zur Hälfte kennen; auf den schönen Quadersteinen der Londoner Trottoirs aber kommt man vortrefflich fort, selbst wenn das Wetter auch nicht ganz günstig wäre. In den Hauptstraßen sind diese breit genug, um sechs, acht und mehr Personen bequem nebeneinander hinwandeln zu lassen; in den engen winkeligen Gassen der eigentlichen City ist's freilich nicht so bequem, weil die Fußpfade dort auch schmäler sein müssen. Fremde kommen indessen wenig in jenes, einem Ameisenhaufen ähnlichen Stadtviertel, wo Handel und Wandel so ganz im eigentlichen Ernst ihr Wesen treiben und Mode und Luxus noch wenig Eingang fanden.

Die prächtigen Läden, die Ausstellungen aller Art trifft man größtenteils in den breiten Straßen, welche gleichsam das Mittel halten zwischen der arbeitsamen City und dem vornehmeren, nur genießenden Teile der Stadt. Die Gewohnheit der Engländer, immer zur rechten Hand dem Entgegenkommenden auszuweichen, erleichtert das Gehen sehr und verhindert fast alles Stoßen und Drängen. Den Damen und überhaupt den Respektspersonen läßt man immer die Seite nach den Häusern zu, sie mag zur rechten oder linken Hand stehen. Anfangs kommt es der Fremden wunderlich vor, wenn der sie führende Londoner, so oft man eine Straße durchkreuzt hat, ihren Arm losläßt und hinter ihr weg auf die andere Seite tritt; doch gar bald wird man von dem Nutzen dieser Nationalhöflichkeit überzeugt. Auf dem Mittelwege, wo Hunderte von Wagen sich ewig von allen Richtungen her durcheinander drängen, ist freilich die Ordnung nicht so leicht zu erhalten als auf den Fußpfaden. So breit die Fahrwege auch im Durchschnitt sind, so entsteht dennoch oft eine Stockung, die mehrere Minuten dauert und durch die Mannigfaltigkeit der Wagen, der Pferde, der Beweglichkeit des Ganzen einen recht interessanten Anblick gewährt; nur muß man dem Lärmen gelassen aus dem Fenster zusehen können.

Elfhundert Mietwagen stehen den ganzen Tag auf den dazu angewiesenen Plätzen bereit, und dennoch ist's oft unmöglich, einen zu finden, wenn man ihn eben braucht. Die Italiener selbst fürchten vielleicht den Regen nicht so sehr als die Londoner; naß werden ist ihnen eine schreckliche Idee; sobald nur ein paar Tropfen vom Himmel fallen, eilt alles, was keinen Regenschirm führt, sich in einer Kutsche zu bergen. Im Hui sind dann alle Wagen verschwunden, und man findet selbst jene große Anzahl noch bei weitem nicht zulänglich.

Die Fiaker sehen im Durchschnitt recht anständig aus und würden in Deutschland noch immer als stattliche Equipagen paradieren; nur das Stroh, womit der Fußboden belegt ist, macht sie unangenehm. Die Pferde sind in unbegreiflich gutem Zustande, wenn man bedenkt, daß sie täglich über zwölf Stunden auf dem Pflaster bleiben. Auch werden sie möglichst gut verpflegt; sowie sie einen ruhigen Augenblick haben, bindet ihnen der sorgsame Kutscher einen langen, schmalen, genau um den Kopf passenden Beutel voll Hafer um, aus welchem sie sich gütlich tun. Die Polizei hält strenge Aufsicht über die Fiaker; alle sind numeriert. Wehe dem Kutscher, der sich beigehen ließe, die festgesetzten, sehr billigen Preise zu überschreiten, oder sonst auf irgend eine Weise sich gegen die ihm vorgeschriebenen Gesetze aufzulehnen; jeder vorübergehende, der Sache kundige Engländer wird dann sein Richter und hält streng auf die einmal festgesetzte Ordnung. Zu jeder Stunde der Nacht kann man sich einem Fiaker sicher anvertrauen, wäre man auch ganz allein, und trüge man auch noch so viel Geld oder Juwelen bei sich; wenn nur jemand aus dem Hause, wo man einsteigt, die Nummer des Wagens so bemerkt, daß es der Kutscher gewahr wird.

Von der Pracht der Läden und Magazine ist schon vielleicht zum Überfluß viel geschrieben. Wahr ist's, nichts setzt den Fremden mehr in Erstaunen als der Reichtum und die Eleganz derselben. Die kostbaren glänzenden Ausstellungen der Silberarbeiten, die schönen Drapierungen, in welchen die Kaufleute, welche mit Musselinen und anderen Zeuchen handelt, ihre Waren hinter großen Spiegelfenstern dem Publikum zeigen, der feenhafte Schimmer der Glasmagazine, alles blendet und reizt.

Aber auch viel geringere Gegenstände werden auf eine dem Auge gefällige Weise zum Verkaufe ausgestellt. Die Kerzengießer zum Beispiel wissen ihre Lichter recht zierlich hinter den Fenstern aufzuputzen. Die Apotheker, hier Chymisten genannt, verzieren ihre Läden mit großen gläsernen Vasen, angefüllt mit Spiritus oder Wassern in allen möglichen schönen und glänzenden Farben; dazwischen prangen große künstliche Blumensträuße. Abends, wenn hinter allen diesen farbigen Gläsern Lampen brennen, schimmern diese Läden wie Aladins Zaubergrotte.

Nichts Lockenderes kann man sehen, als einen der vielen großen Obstläden, in welchen die Früchte aller Jahreszeiten und Zonen, von der königlichen Ananas bis zum kleinen sibirischen Staudenapfel, in zierlichen Körben, mit Blumen und Orangerien geschmückt, prangen. Die Kuchenläden, in welchen es Ton ist, morgens einzusprechen und einige kleine Törtchen, heiß von der Pfanne weg, zum Frühstück einzunehmen, präsentieren sich auch recht hübsch. Alles, was Kuchenbäcker und Konditoren nur erfanden, steht, lockend angerichtet, auf schneeweiß behangenen Tischen, dazwischen Blumen, Gelees, Eis, Liköre, Dragées von allen Farben und Arten in zierlichen Kristallvasen. Bald fesseln uns wieder die Kupferstichläden, in welchen täglich neue Gegenstände dargeboten werden, oft wahre Kunstwerke, öfter Erguß satirischer Laune oder Porträts berühmter Menschen, auch wohl Tiere, wie es kommt. Immer umlagert ein Kreis Neugieriger diese Fenster. Fast ist's unmöglich, vorbeizugehen, ohne wenigstens einige Augenblicke von der Schaulust festgehalten zu werden. Die Magazine der Buchhändler gewähren ebenfalls täglich neuen Genuß. Bald sind es Neuigkeiten, bald schöne Prachtausgaben älterer Schriftsteller, bald kostbare Kupferwerke, sogenannte Stationers, die mit allen möglichen, zum Schreiben und Zeichnen brauchbaren Dingen handeln, zeigen täglich tausend neue Dinge, uns Deutschen fast unbekannte Papparbeiten, Verzierungen, Kupferstiche, Vergoldungen und dergleichen; wieder andere haben in ihren Läden Brieftaschen, nichts als Brieftaschen, von der riesenmäßigsten Mappe an bis zum winzig kleinen, zierlichen Necessaire. Dazwischen flimmern Magazine, wo die herrlichsten Stahlarbeiten im Sonnenglanze das Auge blenden. Die Miniaturmaler stellen ihre oft sehr schönen Arbeiten dem Publikum vor's Auge; gewöhnlich sind's sehr ähnliche Porträts bekannter Personen, Schauspieler und Redner, um die Lust zu erwecken, auch sein eigenen wertes Ich so täuschen vervielfacht zu sehen.

Schon der Anblick der vielen Inschriften unterhält, welche an den Häusern mit vollkommen schön gezogenen goldenen Buchstaben glänzen. Welche Mengen Bedürfnisse, die der genügsame Deutsche kaum kennt! Besonders fällt es auf, daß die königliche Familie so viele Kaufleute und Handwerker beschäftigt. Aber jeder derselben, bei dem einmal zufällig für ein Mitglied des königlichen Hauses gekauft wird, jeder Schuster oder Schneider, der einmal so glücklich war, für einen Prinzen einen Stich zu tun, hat das Recht, sich auf der Inschrift seines Hauses dessen zu rühmen und die Gunst des Augenblicks für dauerns auszugeben. So prangt denn auch der Name eines mit allerhand Arkanen Handelnden auf der Inschrift seines Hauses am Strand mit dem prächtigen Titel: Bugdestroyer to Her Majesty, the Queen, Wanzentilger Ihrer Majestät der Königin. Gewiß ein Titel, der noch auf keiner Hofliste gefunden ward!

Wunderbar abstechend ist der Kontrast, wenn man aus dem Gewühl der City in den anderen Teil der Stadt tritt. Hier deutet alles auf bequemes, ruhiges Genießen; kein rauschender Erwerb, kein Gedränge der arbeitenden Menge. Alles hat Zeit, alles scheint einzig bedacht, diese auf das angenehmste hinzubringen.

Die Magazine und Läden bieten dar, was nur der raffinierteste Luxus verlangt, weit teurer als in der City, aber auch schöner, moderner, eleganter. Der Schuhmacher in der City verkauft zum Beispiel seine Waren im Laden, hübsch aufgeputzt, und nimmt in seiner an denselben stoßenden, reinlich möblierten Stube das Maß, wenn's verlangt wird; in Bond Street aber wird man in ein elegantes, mit Diwan, köstlichen Lampen und seidenen Gardinen geschmücktes Boudoir zu diesem Zweck geführt, und schwerlich würde der Artist einen Fuß berühren, der nicht aus einer Equipage gestiegen wäre. Dafür kostet aber auch sein Kunstwerk zwei Guineen. Nach diesem Maßstabe geht alles.

Nichts ist schöner als die großen Plätze in diesem Teile von London; zwar umgeben sie keine Paläste, denn deren gibt's ohnehin hier wenige, aber schöne große Häuser, alles solid und prächtig. Dazu die hübschen Boskette in der Mitte der Plätze, zu welchen jeder Bewohner der umliegenden Häuser für eine Guinee einen Schlüssel haben kann.

Glänzende Equipagen rollen, Mohren, bunte Livreen, geputzte Herren und Damen beleben die Trottoirs, ohne Gedränge, ohne Lärm Der Fremde aber, dem es darum zu tun ist, das englische Volk kennen zu lernen, kehrt bald gern zurück aus diesem vornehmen Quartiere, wo es wie überall in der großen Welt zugeht, und sucht das neue, sonst nirgends gesehene Leben der eigentlichen Stadt London auf.

 

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