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Einrichtungen der beiden großen Londoner Theater in Hinsicht auf die Zuschauer

Um halb sieben Uhr soll jede Vorstellung anfangen, doch wird es fast immer sieben Uhr, und auch diese Stunden ist noch zu früh für ein Publikum, das im Durchschnitt erst gegen sechs Uhr und oft weit später noch zu Mittag speist. Die Vorstellungen dauern so lange, daß jede nicht englische Geduld ermüden muß. Selten kommt man vor Mitternacht nach Hause. Kurz und gut ist nun einmal nicht das Symbol der Engländer: überall lieben sie lange Sitzungen, im Parlament, an der Tafel und auch im Theater.

Jeden Abend müssen zwei Stücke gegeben werden, eines von fünf Akten und ein Nachspiel, welches auch oft zwei bis drei Aufzüge hat. Gewöhnlich spielt man zuletzt irgend eine Posse, selten eine kleine Oper, oft irgend ein den neuen englischen Romanen nachgeformtes Unding voll Nacht und Graus. Ob übrigens das Nachtspiel zum ersten Stück passend gewählt ist, ob es nicht mit den durch jenes erregten Empfindungen auf das schreiendste kontrastiert - dies kümmert niemanden; genug, der Zuschauer bekommt volles Maß für sein Geld.

Beide großen Theater von Drury Lane und Covent Garden sind vom Monat September bis Ende Junius geöffnet, dann werden sie geschlossen und das kleinere Sommer-Theater zu Haymarket kommt an die Reihe. Im Monat Mai und Junius werden die meisten Benefiz-Vorstellungen für die älteren und besseren Schauspieler gegeben; sie gehören mit zu deren Gehalt. Dann währen diese Vorstellungen oft bis nach ein Uhr; denn um das Publikum vollkommen gut zu bewirten, schiebt man noch allerhand Sächelchen in die Zwischenakte ein, bald ein Liedchen, bald einen Tanz. Diese gefallen gewöhnlich den hohen Zuschauern, müssen zwei- bis dreimal wiederholt werden und kosten viel Zeit.

Die Logen sind sehr geräumig und so gebaut, daß man aus allen gleich gut sehen kann. Sie enthalten sämtlich mehrere Reihen Bänke, die sich übereinander erheben; so ist's auch im Parterre, welches sich, ohne Parkett oder Parterre noble, vom Orchester bis ans Ende des Hauses erstreckt.

In allen Reihen Logen werden die Plätze gleich zu sechs Schilling bezahlt, das Parterre kostet etwas über die Hälfte. Über die Logen erheben sich noch zwei Galerien, zu zwei und einem Schilling die Person, und hoch über der letzten Galerie ganz im Hintergrunde thronen, wie unsichtbar, die respektablen Personen, die, wir wir eben erzählten, gewöhnlich den Ton angeben. Niedrige Abteilungen trennen jede Loge von ihren nächsten Nachbarn. Hell wie Tageslicht erleuchtet, angefüllt mit Zuschauern, gewähren sie einen bezaubernden Anblick. Die Etikette will, daß alle Damen im vollen Putz das Theater besuchen, wenn sie auf die vordersten Sitze in den Logen Anspruch machen, besonders in denen des ersten und zweiten Ranges. Keine Dame wird mit einem tiefen Hut hineingelassen, ein kleiner, mit Federn oder Blumen gezierter Putzhut ist erlaubt. Im Parterre dagegen erscheint man in gewöhnlicher Kleidung mit großen Hüten, die aber ohne Widerrede abgenommen werden müssen, wenn es verlangt wird. Frauenzimmer des Mittelstandes und Herren jedes Standes besuchen das Parterre. Es ist ein ganz anständiger Platz, nur muß man früh, oft vor Öffnung des Hauses kommen, um eine gute Stelle zu finden; denn kein Vorherbestellen findet dort statt.

In die beiden ersten Logenreihen wird zu Anfang keine Dame hineingelassen, die nicht zuvor ihren Namen ins Logenbuch hat aufschreiben und dadurch ihren Platz bestellen lassen. Dies geschieht, um die öffentlichen Stadtnymphen von diesen Logen zu entfernen, welche für die ersten und unbescholtensten Familien des Reichs bestimmt sind. Jenen Damen sind eigene Sitze im Hintergrund des Schauspielhauses angewiesen.

Mit dem Einschreiben des Namens gewinnt man das Recht, mehrere Plätze, in welcher Reihe Bänke man will, bis zu Ende des ersten Aufzuges für sich aufbewahren zu lassen. Man kann seinen eigenen Bedienten hinschicken, oder, was gewöhnlicher ist, einen Shilling bezahlen. Für diesen Preis wird jemand von dem Logenwärter hineingestellt. Bis Ende des ersten Aktes werden diese leeren Plätze freigelassen, später hat jeder das Recht, sich ihrer zu bemächtigten. Niemand darf für mehr Plätze bezahlen, als er braucht, und täte man es, mietete man auch eine ganze Loge, es würde nichts helfen. Der Engländer behauptet: niemand dürfe durch sein Geld einen anderen, der auch bezahlt, vom Genusse eines öffentlichen Vergnügens ausschließen, wenn es der Raum erlaubt. Deshalb findet auch in den englischen Theatern kein Abonnement statt. Selbst die königliche Familie muß ihre Loge vorher bestellen, die sich übrigens durch nichts von den übrigen unterscheidet und ohne Unterschied wie die übrigen besetzt wird, wenn niemand vom königlichen Hause da ist.

Nach dem dritten Akt wird jedermann für den halben Preis hineingelassen; dieser Gebrauch ist sehr unangenehm für den besseren Teil der Gesellschaft. Mit großem Geräusche schwärmen dann jene Nachtvögel, die man so gern aus diesem Kreise abhielte, herbei, und alle Vorkehrungen dienten nur, sie von den ersten Reihen der Sitze in den Logen zu vertreiben. Die schlechteste Gesellschaft, freilich vorschriftsmäßig gekleidet, verbreitet sich dann durch's ganze Haus; deshalb gehen auch Damen nie ohne männliche Begleitung ins Theater, und kein Mann tritt einem hinter ihm sitzenden, ihm unbekannten Frauenzimmer seinen Platz ab, aus Furcht, die neben ihm Sitzenden in eine unpassende Nachbarschaft zu bringen. Dies ist einer von den Fällen, in welchen ein Fremder, der diese Sitte nicht kennt, aus großer Höflichkeit unhöflich werden könnte.

 

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