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Dalmally
Der Weg von Tyndrum hierher war schlechter wie bisher, doch immer noch fahrbar, die Wildnis noch schauerlicher und öder. Nur das Rauschen der von den kahlen Felsen schäumenden herabstürzenden Bergströme tönte durch die leblose Stille der öden Heide. Hie und da klommen einige Schafe an den mit spärlichen Berggräsern und Heidekräutern bekleideten Felsen, einsam und traurig blickte dann und wann ein Hirtenknabe von den Höhen herab auf unseren Wagen, der ihm eine seltene Erscheinung sein mochte; jede andere Spur des Lebens war verschwunden.
Viele halb versunkene alte Gräber zeigten, daß sonst ein mächtigeres Leben hier waltete. Am Himmel war geschäftige Bewegung, Nebel und Wolken und Sonne trieben immer noch ihr wunderbares Spiel.
Dalmally ist ein so kleines Dorf wie die anderen: es besteht aus einer handvoll armer Hütten und wieder aus einem für diese abgelegene Gegend sehr guten Gasthofe. Hier sahen wir die erste Kirche in den Hochlanden. Kaum konnten wir sie von den übrigen Hütten unterscheiden, so arm und klein ist sie. Der sie umgebende Gottesacker entdeckte sie uns zuerst. Nur wenige Grabhügel erhoben sich in dem kleinen Bezirke.
Man stirbt beinahe gar nicht in diesem Lande, diese einfachen Menschen erreichen ein hohes, glückliches Alter. Mit sechzig Jahren dünken sie sich noch gar nicht alt, sie gehen bis an das von der Natur ihnen vorgeschriebene Ziel, und nur mit dem letzten Tropfen Öl erlischt still und fast unbemerkt das Lebenslicht. Wir sahen in diesem Dorfe einen Mann von hundertdrei Jahren, seine Nachbarn gaben ihm sogar deren hundertelf und beschuldigten ihn, daß er sich jünger angebe, als er sei. In unseren kultivierten Ländern hätte man ihm deren höchstens sechzig zugetraut. Vor vierzehn Tagen hatte er eine Frau von vierzig Jahren geheiratet, an seinem Ehrentage ein Tänzchen gemacht und drei Lieder auf der Sackpfeife gespielt, denn er galt noch immer für einen der ersten Virtuosen auf diesem Lieblingsinstrument der Schotten.
In diesem Dorfe wurden wir auf das lebhafteste an Ossian erinnert. Ein Greis, in der Nationaltracht, saß auf einem Steine nahe am Kirchhofe; sein langer, schneeweißer Bart flog im Winde, sein Ansehen war wild, ein Paar dunkle Augen glühten unter einem hohen, kahlen Scheitel hervor; der Plaid hing phantastisch von den Schultern herab, wie ein Mantel; zwischen den Knien hielt er eine kleine Harfe, aus der er unzusammenhängende Akkorde wie mit Gewalt einzeln hervorriß. Mit starker, tiefer Stimme sang er dazu alte Volksgesänge; sein Gesang war eintönig, fast mehr Deklamation als Lied. Um ihn her war das ganze Dorf versammelt, unter ihnen auch der hundertjährige Greis; alles hörte feierlich aufmerksam zu. Unser Nähertreten störte weder den Sänger noch seine Zuhörer im geringsten, nur machten sie uns mit natürlicher Höflichkeit Raum in ihrem Kreise. Man sagte uns, der Greis sei ein Sänger, der mit seiner Harfe das Land durchziehe, ohne eigentliche Heimat, aber überall ein willkommener Gast, wie sonst die alten Barden. Leider konnten wir mit ihm nicht sprechen, denn er verstand nicht Englisch. Überhaupt trafen wir seit einigen Tagen selten jemanden, der Englisch sprach oder es auch nur verstand, außer in den Gasthöfen.