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Kenmore

Durch eine zuerst ziemlich flache, fruchtbare Gegend gelangten wir in ein Tal von erhabener Schönheit. Hohe, wilde Felsen umgeben es von beiden Seiten. So wie der Weg an ihrem Fuße immer in einer gewissen Höhe sich hinwindet, öffnen sich neue, entzückende Aussichten. Tief unten rauscht und wogt der ziemlich breite Strom Tay. Kleine Kornfelder und Baumgärtchen grünen und blühen an den Ufern, zwischen ihnen zerstreuen sich einzelne Hütten. In einem tieferen Winkel, heimlich zwischen die Felsen gedrängt, sahen wir ein Dörfchen; Scharen fröhlicher Kinder trieben darin ihr lautes Spiel, die Mütter spannen in den Türen, die Männer, in ihrer romantischen Tracht, waren in den Feldern und Gärten beschäftigt. Das ganze sah sehr fremd aus, und doch wieder so heimisch, so ruhig und zufrieden. Nachdem wir in einer Fähre über den Strom gesetzt waren, erreichten wir Dunkeld, und fanden gegen unsere Erwartung einen sehr guten Gasthof in diesem abgelegenen Winkel der Welt.

Immer noch am romantischen Ufer des Stroms Tay führte unser Weg nach Kenmore, einem Dörfchen, arm und klein wie alles in diesem Lande. Wir fuhren über Berg und Tal, zuweilen dicht an Abgründen hin, die uns schaudern machten. Bald näherten wir uns ganz dem Gestade des Stroms; bald sahen wir ihn völlig aus dem Gesichte; aber immer führte uns der sich auf mannigfaltige Weise schlängelnde Weg wieder in seine Nähe. Ein unnennbar freudiges Gefühl von Ruhe und Frieden bemächtigte sich unser in dieser Stillen Abgeschiedenheit, wo klare, lebendige Wasser durch fruchtbare angebaute Täler rieseln und brausen, von hohen Bergen umfriedet. Diese starrten nicht, wie die von Derbyshire, rauh und nackt uns entgegen, schöne Waldungen bekleiden sie, fast bis zum höchsten Gipfel hinaus, und winken freundlich dem Wanderer in ihre erquickenden Schatten.

Der Anblick der armen Hütten, die wir einzeln in den Tälern, am Fuße der Felsen oder in der Nähe des Stroms zerstreut liegen sahen, würde uns schmerzhaft berührt haben, wenn die Bewohner mit ihrem kläglichen Lose weniger zufrieden geschienen hätten. Wir sahen große Armut, aber nicht eigentliches Elend. Jede Hütte hat ihr kleines Kartoffelfeld, das die Einwohner nährt, und einige Ziege und Schafe, von einer besonderen, sehr kleinen Rasse, fast wie die Heideschnucken auf der Lüneburger Heide, welche ihnen Milch, Käse und die notwendige Kleidung gewähren.

Die Häuser in den schottischen Hochlanden sind wohl die schlechtesten menschlichen Wohnungen im kultivierten Europa; so enge, daß man nicht begreift, wie eine Familie darin Platz findet, aus rohen Steinen, oft ohne allen Mörtel, nur zusammengetragen. Die Fugen sind mit Moos und Lehmerde verstopft, Türen aus Brettern schlecht zusammengeschlagen, ohne Schloß und Riegel (denn wer sollte hier Diebe fürchten?), Fenster, so klein, daß man sie kaum bemerkt, oft sogar ohne Glas. Die niedrigen Dächer von Schilf, Moos, Rasen, bisweilen auch aus Holz und Schiefer, haben oft statt des Schornsteins nur eine Öffnung, durch welche der Rauch abzieht. Das Innere dieser Hütten entspricht dem Äußeren. Menschen und Tiere hausen unter dem nämlichen Dache friedlich beisammen, nur durch einen schlechten bretternen Verschlag voneinander getrennt. In dem einzigen Zimmer des Hauses sieht man deutlich, bei dem fast gänzlichen Mangel allen Hausgeräts, wie wenig der Mensch zum Leben eigentlich braucht. Der Fußboden besteht aus festgetretenem Lehm; der große Feuerplatz, dicht auf der Erde, ohne alle Erhöhung dient zugleich zum Feuerherd und Kamin. Ein an einer Kette hängender Kessel über dem Feuer, einige hölzerne Schemel, ein groß zusammengezimmerter Tisch und in der Ecke ein Lager von Moos oder Stroh: das ist alles, was diese von aller Weichlichkeit entfernten Menschen zu ihrer Bequemlichkeit haben.

Das Ansehen der Männer ist wild, und ihre fremde Kleidung, die so sehr von jeder anderen europäischen abweicht, ist zum Teil schuld daran. Im Umgange verliert sich der Eindruck gänzlich, den ihr erster Anblick erregt. Ihr von Luft und harter Arbeit gebräuntes Gesicht ist ausdrucksvoll, seine Züge sind angenehm und regelmäßig. Stiller, an Trauer grenzender Ernst scheint der Grundton ihres Wesens; dennoch können sie sehr fröhlich sein. Sie sind gebildeter, als man vermuten möchte. Die Geschichte ihrer Väter und ihre Heldengesänge sind keinem fremd. Fast in jeder Hütte, in welcher wir einkehrten, sahen wir eine Bibel, ein Gebetbuch, auch wohl irgend eine alte Chronik, aus welchen der Hausvater sonntags die Seinen erbaut. Winters mögen die Wege den Besuch der Kirchen sehr erschweren, doch kann gewiß nur die Unmöglichkeit den frommen Bergschotten davon abhalten, obgleich die meisten einen sehr weiten Weg dahin zu machen haben.

"Wir beten und spinnen!" antwortete mir ein junges, schönes Mädchen auf die Frage: "Was tut ihr denn winters, wenn Kälte und Schnee euch in euren Hütten gefangen halten?"

In jedem Hause beinah hängt der Stammbaum der Familie, auf welchen sie oft mit Stolz blickten; gewöhnlich ist ein horizontal liegender geharnischter Ritter darauf abgebildet, der oft den Namen irgend eines alten schottischen, der Fabel halb verfallenen Königs führt. Aus seiner Brust sprießt der Baum, der sich in unzählige Äste verbreitet. Bekanntlich gibt's nur wenige, aber unendlich zahlreiche Familien in Schottland, deren Glieder alle einen Namen führen, sich in allen drei Königreichen, ja sogar in der ganzen Welt ausbreiten, aber doch durch ein heiliges Band sich vereinigt fühlen und dies gewissenhaft anerkennen, wo sie sich treffen, wenn sie sich treffen, wenn sie sich auch vorher nie sahen.

In Kenmore nahm uns abermals ein guter Gasthof auf, umringt von etwa zwanzig solcher Hütten, wie wir oben beschrieben. Sie machten das ganze Dorf aus. So klein sind alle Dörfer, die einzelnen Wohnungen liegen sehr zerstreut, oft meilenweit voneinander.

 

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