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Drury Lane

[Fußnote: Das Haus, das Johanna besuchte, stammte aus dem Jahre 1794 und brannte 1809 wieder ab. Die Gründung des Drury Lane Theaters geht auf Thomas Killigrew zurück, der mit königlichem Patent 1662 hier ein Theater gebaut hatte, das aber ebenfalls mehrmals restauriert und umgebaut wurde. Das Patent besagte, daß nur Drury Lane und Covent Garden das Recht hatten, reine Schauspiele aufzuführen; daher durch Jahrhunderte die Stellung dieser beiden Bühnen. Seit 1802 hatte mit dem Abgang der Geschwister Kemble, Robert Kemble und Sarah Siddons, Drury Lane die Führung gegenüber Covent Garden verloren, und sein besonders skrupelloser Direktor Sheridan wirtschaftete das Haus auch finanziell ab. 1812 wurde ein neues Haus eröffnet, das in wenig veränderter Form bis heute besteht.]

Dieses Theater ist von innen eines der größten und schönsten in der Welt; die Außenseite desselben sahen wir nicht vollendet. In einem schwerfälligen Stil erbaut, wie fast alle öffentlichen Gebäude Londons, scheint es trotz seiner Größe von einem ungewöhnlich hohen Dache fast erdrückt zu werden. Dies Dach ist indessen für das Ganze von unschätzbarem Nutzen, nicht allein wegen der Flugwerke und übrigen Maschinen, die darin angebracht sind, sondern weil es einen eisernen Vorhang enthält, der im Fall, daß während der Vorstellung Feuer auf dem Theater auskäme, sogleich herabgelassen wird und den Teil des Hauses, welchen die Zuschauer erfüllen, vor aller Gefahr sichert.

Von innen ist das Haus hell gemalt, geschmackvoll dekoriert; es enthält vier Reihen Logen, ohne die Galerien. Wenigstens fünfzig glänzende kristallene Kronleuchter und noch viel mehr Spiegelwandleuchter sind ringsum in zierlicher Ordnung angebracht, mehrere Hundert von Wachslichtern brennen darauf, und doch schwindet ihr Glanz gegen den des Theaters, sowie der Vorhang aufgeht. Erleuchtet durch eine Unzahl von Lampen strahlt dieses wie im hellsten Sonnenscheine.

Die Dekorationen sind des Ganzen würdig; der hintere Vorhang derselben ist eigentlich kein Vorhang, er wird nicht aufgerollt, sondern zerlegt sich in mehrere Teile, je nachdem der Gegenstand ist, den er vorstellt; diese einzelnen Teile trennen sich wieder in kleinere, schieben sich ineinander und werden so in die Höhe gezogen. So steigen sie auch herab und entwickeln sich mit Zauberschnelle, keine Spalte deutet ihre Zusammensetzung an. Diese Einrichtung hat den Vorteil, daß die Dekorationen durch das Aufrollen nicht beschädigt werden, daß sie keine Falten und Streifen zeigen und nie so in Bewegung kommen wie unsere Vorhänge, die uns oft in den friedlichsten Szenen ein Erdbeben vergegenwärtigen.

Die glänzendsten Sterne des theatralischen Himmels hatten sich, wie wir in London waren, in Covent Garden vereint; doch blieb Drury Lane, besonders im komischen Fach, noch reich genug, um durch sehr ausgezeichnete Vorstellungen zu erfreuen. Vor allem glänzte Mme. Jordan [Fußnote: Wilhelm, Herzog von Clarence, König Wilhelm IV. von 1830-37, hatte Dorothy Jordan 1785 im Drury Lane zum ersten Mal auf der Bühne gesehen und sich in die junge Frau verliebt. Sie lebten 20 Jahre miteinander, hatten 10 Kinder; 5 andere, die aus einer Beziehung vor Wilhelm bestanden, hatten sie in der Nachbarschaft untergebracht. Zwischen ihren Geburten trat sie weiter auf. Ein Jahr nach Johannas Aufenthalt kam es dann zum Bruch, da Wilhelm sich mit Heiratsabsichten trug, Dorothy ging ins Ausland und starb in Frankreich in bitterster Not.] hervor, die Geliebte, oder, wie einige behaupteten, die heimlich angetraute Gemahlin des damaligen Herzogs von Clarence, des jetzigen Königs, der auch vor der Welt sie auf alle Weise ehrte und sie immer in seiner Equipage mit seiner Livree ins Theater fahren ließ. Beim Anblick dieser wunderbar reizenden Frau mußte man ganz vergessen, daß sie schon ziemlich weit über die erste Blüte der Jugend hinaus und für jugendliche Rollen etwas zu stark geworden war. Der fröhlich schalkhafte Ausdruck ihres sehr hübschen Gesichts, ihr angenehmes sonores Organ, die naive Grazie und Wahrheit in jeder ihrer Bewegungen bezauberten unwiderstehlich und ließen nichts vermissen.

Wir wollen hier einer Vorstellung in Drury Lane gedenken, die uns vor allen gefiel. Man spielte Shakespeares "Much Ado about Nothing" (Viel Lärm um nichts). In Deutschland sehen wir zuweilen eine Verkrüppelung dieses herrlichen Lustspiels unter dem Namen: "Die Quälgeister" [Fußnote: von dem Mannheimer Schauspieler Beck. Johanna besuchte diese Vorstellung bei ihrem ersten London-Aufenthalt, am 30. Mai, wenige Tage nach ihrer Ankunft in England.], und es unterhält auch da noch, soviel Mühe sich dessen Verfasser gegeben hat, es zur Mittelmäßigkeit herabzuziehen, so unbeholfen sich auch Shakespeare in der engen Uniform eines modernen Leutnants oder Hauptmanns bewegt. Welch ein ganz anderer Genuß aber ist es, dieses Stück mit wenigen Weglassungen, die unsere Sitten durchaus notwendig machen, in seinem ursprünglichen Glanze zu sehen! Madame Jordan als Beatrice und Mr. Bannister [Fußnote: John; "den besten niederen Komiker auf der Bühne" nannte ihn Leigh Hunt in seinen "Critical Essays", 1807.] als Benedickt waren ganz an ihrem Orte. Die Szenen zwischen beiden, wo ein Witz den anderen wie ein Wort das andere jagt, muß man von beiden gesehen haben, um zu glauben, daß etwas auswendig Gelerntes mit dieser Wahrheit wiedergegeben werden kann. Die langsam pathetische Abstoßung der Worte, deren wir oben gedachten, war hier wie bei allen guten englischen Komikern ganz verschwunden; alles ging Schlag auf Schlag, dennoch verlor kein Zuhörer in dem ungeheuren Hause nur eine Silbe. Freilich, sowie die Verse und mit ihnen der Ernst wieder eintreten, erscheint auch wieder der feierliche Predigerton. Über alles ergötzlich waren der Richter Dogberry und seine Gesellen mit ihrem breiten Bauerndialekte. Das ganze große Haus bebte vom unaufhaltsamen Gelächter der Zuschauer; sowie sie erschienen, mußten sie oft innehalten, um nur gehört zu werden.

Mme. Bland, eine kurze, dicke, ältliche Favoritin des Publikums, die für eine vortreffliche Sängerin galt, weil sie gewaltig schrie und dabei deutlich aussprach, sang in einem Zwischenakt eine englische Liebesromanze, "Poor crazy Jane" (die arme wahnsinnige Hanna). Es sind die einfachen Klagen eines von seinem Geliebten betrogenen und darüber wahnsinnig gewordenen Mädchens. Die Musik war nicht sonderlich; doch mußte sie unter lautem Beifall zweimal wiederholt werden. Hierzulande gilt der Text mehr als die Musik, und solche Schilderungen des höchsten menschlichen Elends sind einmal die größte Freude der Engländer. Mit ihrem Gefühl geht es ihnen wir mit dem Cayennepfeffer: nur das möglichst Starke vermag bei ihnen Herz und Magen zu reizen.

Den Beschluß machte für diesen Abend, oder wie man hierzulande passender sagt, für diese Nacht, eine große, meistenteils von Italienern aufgeführte Pantomime; ein Schauspiel, das wir in dieser Vollkommenheit noch nirgends sahen. Ein Zauberer saß auf seinem Throne, umgeben von dienenden Geistern aller Art. Im Hintergrunde, hinter einem eisernen Gitter, erblickte man den alten Pantalon, Harlekin, Colombine und den treuen Diener Pierrot, alle in Todesschlummer versunken, in Särgen liegen. Der Zauberer mußte notwendig verreisen, und alles kam darauf an, daß jemand einstweilen an seiner Stelle auf dem Throne säße und das Szepter aufrecht hielte, ohne einzuschlafen. Ein kleiner, neckischer Kobold, unübertrefflich von einem Signor Grimaldi [Fußnote: der Clown Grimaldi gehörte seit seiner Kindheit dem Haus an und war ein über alle Maßen beliebter, aber auch von der Kritik gerühmter Pantomime.]gespielt, wird zu diesem Ehrenamt erlesen und weiß sich nicht wenig damit. Der Zauberer ermahnt ihn auf's Dringendste, ja nicht einzuschlafen, und fährt ab in seinem Drachenwagen. Eine Weile geht es vortrefflich; der kleine närrische Kobold ist außer sich vor Freuden auf dem weiten prächtigen Thron. Nun aber meldet sich der Schlaf, umsonst widersteht er aus allen Kräften, umsonst nimmt er aus einer ungeheuren Dose eine so starke Prise, daß er dreimal niesen muß, bei jedem Niesen wenigstens drei Ellen hoch vom Sitze in die Höhe geschnellt wird, in der Luft sich ein paar mal überschlägt und immer wieder auf den Sitz zurückplumpt. Die Natur siegt, er schläft ein, das Zepter entsinkt einen Moment seiner Hand, der Zauber ist zerstört, und der bunteste Wirrwarr hebt an. Die Schlafenden erstehen hoch erfreut aus ihren Särgen, alles verschwindet. Harlekin und die Seinen sind nun auf ewiger Flucht, überall, in tausend Abwechslungen, lassen sie sich häuslich nieder und fangen an, ihr lustiges Wesen zu treiben, überall verfolgt sie der Kobold. Ewiger Szenenwechsel, Dekorationen, so prächtig man sie nur erdenken kann, Verwandlungen, bei denen man verleitet wird, an Hexerei zu glauben, folgen in der schnellsten Mannigfaltigkeit, daß das Auge kaum Zeit hat, alles zu bemerken. Die Mimiker waren alle vortrefflich, wie die Dekorationen; ein echter komischer Zug jagte den andern. Das Haus erscholl vom unaufhaltsamsten Gelächter; alles lachte, alles war erfreut, aber gewiß niemand imstande, zu Hause zu erzählen, was er gesehen hatte. Gegen ein Uhr endigte das Schauspiel.

 

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