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Alnwick Castle und Berwick

Alnwick, diesen alten Sitz der Herzöge von Northumberland, erreichten wir einige Stunden, nachdem wir Newcastle verlassen hatten. Der Anblick dieses Schlosses aus der Ferne versetzte uns zurück in längst vergangene Tage, wir glaubten eine Burg aus jenen Zeiten vor uns zu sehen, in welchen das Faustrecht noch galt, und jeder gegen feindliche Nachbarn mit eigener Kraft sich zu schützen suchen mußte. Die wunderbare Erhaltung dieses großen altertümlichen Gebäudes, an welchem durchaus nichts Verfallenes oder Ruinenartiges zu erblicken war, fiel uns vor allem auf. Die durchaus altertümliche Burg mit ihren runden Ecktürmen, ihren mit Schießscharten versehenen Ringmauern, ihren Brustwehren, ihren Toren, ihren über dem Schloßgraben führenden Zugbrücken, schien wie durch ein Wunder der Gewalt der Elemente wie der gegen sie anstürmenden Feinde Jahrhunderte lang auf unbegreifliche Weise getrotzt zu haben.

Es war eine Täuschung, aber die gelungenste, die uns in dieser Art jemals vorgekommen ist.

Alnwick Castle [Fußnote: eines der schönsten Feudalschlösser Englands, letzte, weitgehende Restaurierung im 19. Jahrhundert; durchaus nicht "ganz modernen Ursprungs", sondern nur oft und manchmal recht unglücklich restauriert] ist ganz modernen Ursprungs und verdankt seine altertümliche Gestalt nur der seltsamen Laune des Herzogs von Northumberland. Auf den Zinnen der Mauer und der Türme stehen alte Krieger in drohender Stellung, von Stein gehauen, in Lebensgröße. So viel wir von unten davon urteilen konnten, sind diese Figuren recht gut gearbeitet. Über jedem Tor steht einer davon in gebückter Stellung, mit beiden Händen einen großen Stein haltend, als wäre er im Begriff, den Eintretenden damit zu zerschmettern. Die Idee kann man eben nicht gastfreundlich nennen; aber diese ganze Verzierung, so wunderlich und einzig in ihrer Art sie ist, macht einen großen Effekt. Von weitem glaubt man fast, die Geister der alten Krieger, die einst hier hausten, wären zurückgekehrt und wollten der Neugier den Eintritt in ihr Heiligtum wehren: in so drohender mannigfaltiger Bewegung und Gebärde stehen sie da. Auch sind sie nicht so harmlos, als man denken möchte. Mancher dieser Helden kam schon ungerufen herunter, wenn es ihm oben zu windig ward, und richtete auf der Erde Schaden und Unfug an.

Das Innere der Burg ist ebenfalls im Geist der Vorzeit gehalten: hohe gewölbte Zimmer mit Bogenfenstern voll künstlicher gotischer Verzierungen und Schnörkeln, ungeheure Pfeiler und Mauern, lange sich durchkreuzende Galerien, dunkle, krumme Gänge würden ein sehr schauerliches Ganzes machen, wären die Zimmer nicht mit hellen Farben heiter und lustig aufgemalt. Indessen glauben wir doch, daß einer der englischen Schauerromane, einsam um Mitternacht hier gelesen, seine Wirkung nicht verfehlen würde.

Wir eilten fort, hinaus in den freundlichen Sonnenschein, in den artigen, die Burg umgebenden, ganz modernen Garten, zu den wohl angelegten Treibhäusern, in welchen wir uns zu unserer Freude, da der Herzog nicht da war, mit Weintrauben und Melonen für die Reise versorgen konnten. Den Park, der sich eben durch nichts von anderen Parks auszeichnet, sahen wir nur von weitem aus den Fenstern der Burg. Man wollte uns nicht erlauben hindurchzufahren, was doch bei anderen Parks selten Schwierigkeit findet.

Jetzt führte der Weg längs der Küste des Meeres, das wir fast nie aus dem Gesichte verloren, nach der uralten Stadt Berwick, an der äußersten Spitze Northumberlands.

In Northumberland, besonders in Berwick, der letzten englischen Stadt, fiel uns die Sprache der Einwohner auf. Das wunderliche allgemeine Schnarren, womit sie den Buchstaben R aussprechen, und die vielen ganz unbekannten Provinzialausdrücke, welche sie einmischen, machten, daß wir Mühe hatten, sie zu verstehen. Schon nach Newcastle spricht man das Englische sehr fehlerhaft, fast wie plattdeutsch aus.

 

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