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11. KAPITEL

Das Tangmeer

Die Richtung der ›Nautilus‹ hatte sich nicht geändert. Jede Hoffnung auf eine Rückkehr in die Meere Europas musste also für die nächste Zeit aufgegeben werden. Kapitän Nemo steuerte gerade

südwärts. Wohin schleppte er uns? Ich getraute mir nicht, es zu ahnen.

An diesem Tag fuhr die ›Nautilus‹ durch einen ansehnlichen Teil des Atlantiks. Jedermann weiß, dass darin eine große Strömung warmen Wassers ist, bekannt unter dem Namen Golfstrom.

Er fließt, nachdem er aus den Engen von Florida herausgekommen, in der Richtung von Spitzbergen. Aber bevor dieser Strom in den Golf von Mexiko gedrungen, um den 44. Grad nördlicher Breite, teilt er sich in zwei Arme, von denen der eine nach den Küsten Irlands und Norwegens hinzieht, während der andere südlich nach den Azoren zu sich wendet; darauf bricht er sich an der afrikanischen Küste und kehrt in einem länglichen Oval nach den Antillen zurück.

Dieser zweite Arm nun – eher ein Halsband als ein Arm – umgibt mit seinen Ringen warmen Wassers den kalten, ruhigen, unbeweglichen Teil des Ozeans, den man das Tangmeer nennt. Die Gewässer dieser großen Strömung bilden inmitten des Atlantiks einen wahren See und brauchen nicht weniger als 3 Jahre Zeit, um ihn ganz zu durchlaufen.

Das Tangmeer bedeckt eigentlich den ganzen Teil der versunkenen Atlantis. Manche Schriftsteller haben gar die Meinung aufgestellt, die zahlreichen Kräuter, womit es bedeckt ist, hätten ihren Ursprung in dem Wiesenland des vormaligen Kontinents. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass diese Kräuter, Algen und Meergras vom Golfstrom aus den Küstengegenden Europas und Amerikas fortgeschwemmt und bis in diese Zone geführt worden sind. Dieses war auch einer der Gründe, die Kolumbus auf die Vermutung brachten, es existiere eine Neue Welt. Als die Fahrzeuge dieses kühnen Entdeckers in das Tangmeer kamen, konnten sie nur mit Mühe inmitten der Kräuter fortkommen, die zum großen Schrecken der Mannschaft den Lauf der Schiffe hemmten, und sie verloren 3 lange Wochen damit, über sie hinauszukommen.

So war die Gegend beschaffen, welche die ›Nautilus‹ eben besuchte, ein echtes Wiesenland, ein dichtes Gewirke von Algen und Meergras, das so fest zusammenhing, dass der Kiel eines Fahrzeugs nur mit Mühe hindurchdringen konnte. Kapitän Nemo wollte auch

nicht seine Schraube sich in dieser Kräutermasse verwickeln lassen und hielt sich daher einige Meter tief unter der Meeresoberfläche.

Der Hauptbestandteil dieser ungeheuren Bank ist Seegras. Als Grund, weshalb diese Wassergewächse in dem ruhigen Becken des Atlantiks zusammenkommen, führt der gelehrte Maury folgendes an:»Die Erklärung«, sagt er, »die man davon geben kann, scheint aus einer allgemein bekannten Wahrnehmung hervorzugehen. Wenn man Korkstückchen oder sonst schwimmende Gegenstände in ein Gefäß tut und setzt das Wasser des Gefäßes in eine Kreisbewegung, so sieht man, dass die zerstreuten Krümelchen sich im Zentrum der Oberfläche zu einer Gruppe sammeln, d.h. an dem am wenigsten bewegten Punkt. Bei der fraglichen Naturerscheinung ist der Atlantik das Gefäß, der Golfstrom die Kreisbewegung und das Tangmeer der Mittelpunkt, zu dem die zerstreuten schwimmenden Körper sich sammeln.«

Ich teile Maurys Ansicht und habe die Erscheinung von dem eigentümlichen Standpunkt aus, wohin die Schiffe selten dringen, studieren können. Über uns schwammen Körper, die aus allen Gegenden herkamen, und häuften sich mitten in diesen bräunlichen Kräutern Baumstämme aus den Anden oder den Felsengebirgen, die durch den Amazonas oder den Mississippi herbeigeschwemmt waren, zahlloses Strandgut, Stücke von Kielen und Brettern, dermaßen von Muschelwerk beschwert, dass es nicht wieder auf die Meeresoberfläche aufsteigen konnte. Und die Zeit wird einst die andere Ansicht Maurys rechtfertigen, dass diese seit Jahrhunderten so zusammengehäuften Stoffe durch Einwirken des Wassers sich mineralisieren und dann unerschöpfliche Kohlengruben bilden werden. So bereitet die Natur einen kostbaren Vorrat für die Zeit, wann die Menschen die Gruben des Kontinents werden ausgebeutet haben.

Mitten in diesem verworrenen Gewebe von Kräutern und Seegras bemerkte ich reizende rosenfarbene Seesplinte, Meernesseln, deren Fühlhörner gleich langem Haupthaar herabhingen; grüne, rote, blaue Medusen und besonders die großen Rhizotomen Cu

viers, deren bläulicher Schirm mit einer violetten Girlande umbordet ist.

Den ganzen 22. Februar brachten wir im Tangmeer zu, wo die Fische, die gern Seepflanzen und Schaltiere fressen, reichliche Nahrung finden. Am folgenden Tag hatte der Ozean wieder ein gewöhnliches Aussehen.

Von da an 19 Tage lang, vom 23. Februar bis 12. März, fuhren wir unausgesetzt mit der Geschwindigkeit von 100 Lieue in 24

Stunden. Kapitän Nemo wollte offenbar sein unterseeisches Programm ausführen; und ich zweifelte nicht, dass er im Sinne hatte, nachdem er um das Kap Horn herumgefahren, in die südlichen Meere des Pazifiks zurückzukehren.

Ned Land hatte daher Grund zu Besorgnissen gehabt. Auf hoher See durfte man ja nicht versuchen, von Bord zu entweichen.

Ebenso wenig konnte man sich dem Willen von Kapitän Nemo widersetzen. Das einzige, was uns blieb, war Unterwerfung; aber ich gab mich gern dem Gedanken hin, dass, was man nicht mehr von der Gewalt oder List erwarten durfte, einmal durch Überredung zu erlangen sein würde. Sollte nicht Kapitän Nemo nach Beendigung dieser Fahrt einwilligen, uns auf einen Eid, niemals das Geheimnis seines Daseins zu enthüllen, die Freiheit wiederzugeben?

Wir würden ein Ehrenwort gehalten haben. Aber man musste über diese delikate Frage mit dem Kapitän unterhandeln. Würde ich nun aber mit dieser Reklamation ankommen können? Hatte er nicht von Anfang an förmlich erklärt, das Geheimnis seines Lebens verlange unsere ewige Gefangenschaft an Bord der ›Nautilus‹? Musste ihm nicht mein Stillschweigen seit 4 Monaten als eine stille Genehmigung dieser Lage vorkommen? Den Gegenstand zur Sprache zu bringen, konnte ihm Verdacht einflößen, der unseren Plänen schaden musste, wenn sich später eine günstige Gelegenheit ergeben sollte, sie wieder vorzunehmen? Ich erwog alle diese Gründe, überlegte sie in meinem Geist hin und her, besprach sie mit Conseil, der ebenso verlegen war wie ich. Schließlich, obwohl ich nicht leicht zu entmutigen war, begriff ich doch, dass sich die Aussichten, meinesgleichen jemals wiederzusehen, täglich minderten, zumal seit der Kapitän wie unsinnig in den Süden eilte!

Während der obgedachten 19 Tage begab sich kein besonderer Zwischenfall. Ich sah den Kapitän wenig. Er arbeitete. Ich sah in der Bibliothek öfters Bücher, die er aufgeschlagen liegen ließ, besonders naturhistorischen Inhalts. Mein Werk über den Meeresgrund war am Rand mit Anmerkungen bedeckt, die oft mit meinen Theorien und Ansichten im Widerspruch waren. Aber der Kapitän beschränkte sich darauf, dergestalt meine Arbeit zu bessern, und selten besprach er sich darüber mit mir. Manchmal hörte ich die melancholischen Töne seiner Orgel, die er sehr ausdrucksvoll spielte, aber nur bei Nacht, mitten in stiller Dunkelheit, wenn die

›Nautilus‹ in den einsamen Gegenden des Ozeans schlummerte.

Während dieser Zeit fuhren wir ganze Tage lang auf der Oberfläche. Das Meer war wie öde und verlassen. Kaum sah man einige Segelschiffe, Ostindienfahrer in der Richtung nach dem Kap der Guten Hoffnung. Eines Tages wurden wir von Walfischjägern verfolgt, die uns ohne Zweifel für einen kostbaren Walfisch ansahen.

Aber Kapitän Nemo wollte nicht diese wackeren Leute Zeit und Mühe verlieren lassen und tauchte unter.

Die Fische, die ich unterdessen mit Conseil beobachtete, unterschieden sich wenig von denjenigen, die wir unter anderen Breiten studiert hatten. Hauptsächlich gehörten sie der fürchterlichen Gattung der Knorpelfische an, die nicht weniger als 32 Arten zählt: gestreifte Haifische, 5 Meter lang, mit plattem Kopf, der breiter als der Körper ist, zugerundeten Schwanzflossen und sieben großen schwarzen Parallelstreifen der Länge nach auf dem Rücken; sodann perlgraue oder aschgraue mit sieben Kieferöffnungen und einer einzigen Rückenflosse, ungefähr an der Mitte des Körpers.

Auch große Meerhunde zogen vorüber, die unendlich gefräßig sind. Es gibt Fischermärchen, die berichten, man habe im Leib eines solchen einen Büffelkopf und ein ganzes Kalb gefunden; in einem anderen zwei Thunfische und einen Matrosen in Uniform u.a.

dergl. Lassen wir nun dieses dahingestellt sein, so waren diese Tiere doch immer von der Art, dass sie sich in den Garnen der ›Nautilus‹ nicht fangen ließen, um mich von ihrer Gefräßigkeit selbst zu überzeugen.

Ganze Tage lang begleiteten uns zierliche und mutwillige Delfine scharenweise. Sie zogen in Banden von fünf bis sechs zusammen und hielten Hetzjagd wie die Wölfe zu Land; gefräßig sind sie übrigens nicht minder als die Meerhunde. Diese Familie zählt zehn Gattungen; die ich bemerkte, waren 3 Meter lang, oben schwarz, unten rosaweiß mit einzelnen Flecken, und hatten eine sehr schmale Schnauze, die viermal so lang war als der Schädel. Auch trafen wir in diesen Gewässern merkwürdige Probestückchen von Stachel

flossern, von denen man erzählt, sie sängen melodisch wie in einem Konzert, und zwar schöner als Menschenstimmen. Ich will dem nicht widersprechen, muss aber bedauern, dass sie uns bei dem Vorüberfahren nicht mit einem Ständchen bedacht haben.

Conseil zählte endlich auch eine Menge fliegender Fische auf.

Es ist gewiss merkwürdig, wie die Delfine mit höchster Genauigkeit auf sie Jagd machen. Wohin ein solcher Vogel auch seinen Flug richten, welche Bahn er dabei beschreiben mag, selbst über die ›Nautilus‹ hinaus, der Unglückliche fällt immer in den zum Aufschnappen geöffneten Rachen des Delfins. Es waren entweder Seehäher oder Meerweihe mit leuchtendem Maul, die bei der Nacht feurige Streifen durch die Luft zogen, dann gleich Sternschnuppen in das dunkle Wasser fielen.

In dieser Weise fuhren wir ununterbrochen bis zum 13. März.

An diesem Tag wurde die ›Nautilus‹ zu Sondierungen verwendet, die mein lebhaftes Interesse erregten.

Wir hatten damals nahezu 13.000 französische Meilen seit unserer Abfahrt aus der hohen See des Pazifiks gemacht und befanden uns unter 45° 37ʹ südlicher Breite und 37° 53ʹ westlicher Länge.

In derselben Gegend hatte der Kapitän Denham der ›Herald‹ mit 14.000 Meter Sonde keinen Grund gefunden, und ebenso war der Lieutenant Parker von der amerikanischen Fregatte Congreß mit 15.140 Meter nicht zum Ziel des Meeresgrunds gekommen.

Kapitän Nemo entschloss sich, mit seiner ›Nautilus‹ bis in die äußerste Tiefe hinabzufahren, um diese verschiedenen Sondierungen zu prüfen. Ich machte mich bereit, alle Ergebnisse des Experiments zu notieren. Die Läden des Salons wurden geöffnet, und die Manöver begannen, um zu den so wunderhaft tiefen Schichten hinabzukommen.

Es versteht sich wohl, dass nicht davon die Rede sein konnte, durch Anfüllen der Behälter hinabzutauchen. Vermutlich hätten sie die spezifische Schwere der ›Nautilus‹ nicht hinreichend erhöhen könnten. Sodann hätte man, um wieder aufwärts zu kommen, dieses Übermaß von Wasser hinaustreiben müssen, und die Pumpen hätten nicht Kraft genug gehabt, um den äußeren Druck zu überwinden.

Kapitän Nemo entschloss sich, den Meeresgrund durch eine hinreichend lange Diagonale aufzusuchen vermittels seiner geneigten Flächen, die in einem Winkel von 45 Grad zu den Wasserlinien der ›Nautilus‹ gerichtet wurden. Hierauf wurde der Schraube ihr höchstes Maß von Schnelligkeit gegeben, und sie schlug mit unbeschreiblicher Gewalt die Wellen.

Unter diesem mächtigen Druck dröhnte der Rumpf der ›Nautilus‹ wie eine tönende Saite und sank regelmäßig unter die Gewässer hinab. Der Kapitän und ich, wir begleiteten den Zeiger des Manometers, der rasend schnell umlief. Bald hatten wir die bewohnbare Zone, wo die meisten Fische hausen, zurückgelegt.

Wenn manche dieser Tiere nur an der Oberfläche der Meere oder Flüsse leben können, so halten sich andere, eine geringere Anzahl, in sehr großen Tiefen auf. Unter diesen letzteren beobachtete ich eine Art Meerhunde mit sechs Atmungsspalten, den Teleskopen mit enormen Augen, den Panzerhahn mit grauen Bauch und schwarzen Bauchflossen, der mit einem Brustharnisch von blassroten Knochenplättchen geschützt war.

Ich fragte Kapitän Nemo, ob er in noch größerer Tiefe Fische bemerkt habe.

»Fische?« erwiderte er; »selten. Aber nach gegenwärtigem Zustand der Wissenschaft, was nimmt man an, was weiß man?«

»Das will ich Ihnen sagen, Kapitän. Man weiß, dass, wenn man zu den niederen Schichten des Ozeans hinabsteigt, das vegetale Leben schneller als das animale verschwindet. Man weiß, dass da, wo sich noch belebte Wesen finden, nicht eine einzige Wasserpflanze mehr fortkommt. Man weiß, dass die Pilgermuscheln, die Austern in einer Tiefe von 2.000 Meter leben und dass Mac Clintock einen lebenden Seestern aus einer Tiefe von 2.500 Meter geholt hat. Aber, Kapitän Nemo, vielleicht werden Sie mir sagen, dass man nichts weiß?«

»Nein, Herr Professor«, erwiderte der Kapitän, »ich werde so unhöflich nicht sein. Doch will ich Sie fragen, wie erklären Sie, dass Geschöpfe in solchen Tiefen leben können?«

»Ich erkläre es aus zwei Gründen«, erwiderte ich. »Erstlich, weil die senkrechten Strömungen, die durch den verschiedenen Salzge

halt und Dichte der Wasser bestimmt werden, eine Bewegung hervorrufen, die genügt, um den niederen Grad vom Leben der Meerpalmen u.a. zu unterhalten?«

»Richtig«, sagte der Kapitän.

»Sodann, weil man weiß, dass, wenn Sauerstoff die Basis des Lebens ist, die Quantität im Meerwasser aufgelösten Sauerstoffs mit der Tiefe zunimmt, anstatt abzunehmen, und dass der Druck der unteren Schichten dazu beiträgt, ihn darin zusammenzupressen.«

»So! Man weiß das?« erwiderte Kapitän Nemo im Ton einiger Überraschung. »Nun, Herr Professor, man hat Grund, es zu wissen, denn es ist wirklich so. Ich will nun die Tatsache hinzufügen, dass die Schwimmblase der Fische mehr Stickstoff als Sauerstoff enthält, wenn diese Tiere an der Oberfläche der Wasser gefischt wurden, dagegen mehr Sauerstoff als Stickstoff, wenn sie aus großen Tiefen geholt werden. Dadurch erhält Ihr System eine Bestätigung.

Doch setzen wir unsere Beobachtungen fort.«

Mein Blick fiel auf das Manometer. Das Instrument zeigte eine Tiefe von 6.000 Meter. Unser Hinabfahren dauerte schon eine Stunde lang. Die ›Nautilus‹ glitt über ihren geneigten Flächen immer tiefer hinab. Die leeren Gewässer waren zum Staunen durchsichtig. Eine Stunde nachher waren wir 13.000 Meter tief, und man konnte noch nichts vom Meeresgrund spüren.

Doch bei 14.000 Meter gewahrte ich schwarze Spitzen, die inmitten der Gewässer sich erhoben. Aber es konnten ja Spitzen von Bergen sein, die höher als der Himalaja oder Montblanc sind, man konnte also die Tiefe noch nicht abschätzen.

Die ›Nautilus‹ drang immer noch tiefer, ungeachtet des starken Drucks, den sie litt. Ich fühlte, dass seine Eisenplatten unter der Fügung ihrer Zapfen zitterten, seine Eisenstangen sich krumm bogen; seine Verschläge dröhnten; die Glasscheiben des Salons schienen unter dem Druck zu weichen. Und dieses solide Fahrzeug hätte ohne Zweifel nachgegeben, wäre es nicht, wie sein Kapitän gesagt hatte, widerstandsfähig gewesen wie ein fester Block.

Im Vorbeifahren an den Felswänden bemerkte ich noch einige Muscheln, wie Serpula und Spinorbis lebend.

Aber bald verschwanden auch diese letzten Repräsentanten des Tierlebens, und in einer Tiefe von 12.000 Meter drang er über die Grenzlinie unterseeischen Lebens hinaus, wie wenn der Ballon über die atmungsfähige Zone hinaus in die Lüfte steigt. Wir hatten eine Tiefe von 16.000 Meter – 4 Lieue – erreicht, und die Seitenwände der ›Nautilus‹ hatten damals einen Druck von 1.600 Atmosphären auszustehen, d.h. 1.600 Kilogramm auf jeden Quadratzentimeter seiner Oberfläche!

»Welche Lage«, rief ich aus! »Diese tiefen Regionen zu durchlaufen, wohin der Mensch noch nie gedrungen ist! Sehen Sie doch, Kapitän, diese prachtvollen Felsen, diese unbewohnten Grotten!

Und warum sollen wir darauf verwiesen sein, nur die Erinnerung daran festzuhalten?«

»Wäre es Ihnen angenehm«, fragte mich Kapitän Nemo, »mehr als die Erinnerung daran mitzunehmen?«

»Was meinen Sie damit?«

»Ich meine, dass es ganz leicht ist, eine fotografische Ansicht von dieser unterseeischen Gegend aufzunehmen!«

Ich hatte noch nicht Zeit, mein Erstaunen über diesen neuen Vorschlag auszudrücken, als auf Bestellung von Kapitän Nemo ein Objektiv in den Salon gebracht wurde. Durch die weit geöffneten Läden, indem das umgebende Wasser elektrisch beleuchtet war, verteilte sich das Licht mit vollständiger Klarheit. Kein Schatten, keine Abschwächung unserer künstlichen Beleuchtung. Das Sonnenlicht hätte einer solchen Vorrichtung nicht günstiger sein können. Die ›Nautilus‹, unter dem durch ihre geneigten Ebenen bemeisterten Druck ihrer Schraube, hielt sich unbeweglich. Das Instrument wurde auf die Ansichten des Meeresgrunds gerichtet, und in einigen Sekunden hatten wir ein äußerst reines Negativbild.Ich gebe hier eine Beschreibung des Positivs. Man sieht darauf jene urweltlichen Felsen, die niemals das Himmelslicht erblickt haben, jenen Granitkern, der die mächtige Grundschicht des Erdballs bildet, diese tiefen, in den Steinmassen ausgehöhlten Grotten, diese unvergleichlich klaren Profile, deren letzter Strich sich schwarz abhebt. Sodann, weiter hinaus ein Horizont von Bergen, eine bewundernswerte Wellenlinie, die den Hintergrund des Gemäldes bildet.

Unbeschreiblich ist dieses Gesamtbild glatter, schwarzer, glänzender Felsen, ohne ein Moospflänzchen, ohne einen Flecken, in seltsam geschnittenen Formen, von solidem Bau auf diesem Teppich von Sand, der in den Strahlen des elektrischen Lichts funkelte.

Doch als diese Arbeit fertig war, sagte Kapitän Nemo:

»Jetzt wollen wir wieder aufsteigen, Herr Professor. Man darf die ›Nautilus‹ nicht allzu lange solchem Druck aussetzen.«

»Jawohl«, erwiderte ich.

»Halten Sie sich fest.«

Ich hatte noch nicht Zeit zu begreifen, weshalb der Kapitän mir dieses empfahl, als ich zu Boden geworfen wurde.

Als auf ein Signal des Kapitäns die Schraube gehemmt, die Ebenen senkrecht gerichtet waren, fuhr die ›Nautilus‹, wie ein Ballon in die Lüfte steigt, mit blitzgleicher Schnelligkeit aufwärts. Sie durchschnitt die Wassermassen mit lautem Zischen. Es war unmöglich, irgendein Detail zu sehen. In 4 Minuten legte sie die 4

Lieue zurück, die sie von der Oberfläche des Ozeans entfernt war, fuhr wie ein fliegender Fisch darüber empor und fiel wieder herab, dass die Wogen zum Erstaunen hoch aufspritzten.

 

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