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21. KAPITEL

Einige Tage an Land

Es machte doch lebhaften Eindruck auf mich, als ich wieder den Erdboden betrat. Ned Land probierte den Boden mit dem Fuß, als wolle er ihn in Besitz nehmen. Und doch waren es erst 2 Monate, dass wir, wie Kapitän Nemo sich ausdrückte, »Passagiere der ›Nautilus‹« waren, d.h. in Wirklichkeit Gefangene ihres Kommandanten.In einigen Minuten waren wir einen Flintenschuss weit bei der Küste. Der Boden war fast madreporisch, aber einige ausgetrock

nete Strombette, worin sich granitene Trümmer fanden, bewiesen, dass die Bildung dieser Insel der Urzeit angehörte. Der ganze Horizont war hinter einem Vorhang staunenswerter Waldung verborgen. Ungeheure Bäume, oft bis zu 200 Fuß hoch, reihten sich durch Girlanden von Lianen aneinander, natürliche Hängeketten, die ein leichter Wind schaukelte. Es waren Mimosen, Ficus, Thok, Hibis

cus, Pendacus, Palmbäume, und unter ihrer grünen Wölbung, am Fuß ihres riesigen Stammes, wuchsen Orchideen, Hülsengewächse, Farnkräuter.

Aber der Kanadier bemerkte alle diese schönen Musterstücke der papuasischen Flora gar nicht, gab das Angenehme fürs Nützliche hin. Er bemerkte einen Kokosbaum, schlug einige seiner Früchte ab, zerbrach sie, und wir tranken ihre Milch, aßen ihren Kern, mit einem Vergnügen, das gegen den gewöhnlichen Tisch der ›Nautilus‹ protestierte.

»Vortrefflich!« sagte Ned Land.

»Ausgesucht«, erwiderte Conseil.

»Und ich denke nicht«, sagte der Kanadier, »dass Ihr Nemo etwas dagegen hat, dass wir eine Ladung von Kokos an seinen Bord einführen.«

»Ich glaub’s nicht«, erwiderte ich, »aber er wird nicht Lust haben, sie zu kosten.«

»Zu seinem eigenen Nachteil«, sagte Conseil.

»Um so besser für uns!« entgegnete Ned Land.

»Nur ein Wort, Meister Land«, sagte ich zum Harpunier, der schon im Begriff war, noch einen Kokosbaum zu plündern. Kokos ist gut, aber bevor wir das Boot damit füllen, wäre es, dünkt mir, klug, zu untersuchen, ob nicht andere, nicht minder nützliche Produkte sich finden. Frisches Gemüse würde der Küche der ›Nautilus‹ willkommen sein.«

»Mein Herr hat recht«, sagte Conseil, »und ich schlage vor, drei Plätze in unserem Boot freizuhalten, einen für Obst, einen zweiten für Gemüse und den dritten für Wildbret, wovon ich noch kein Pröbchen gesehen habe.«

»Conseil, man darf an nichts verzweifeln«, erwiderte der Kanadier.»So setzen wir unseren Ausflug fort«, versetzte ich, »aber hüten wir uns vor einem Überfall! Obwohl die Insel unbewohnt scheint, so könnten sich doch Leute da finden, die hinsichtlich der Beschaffenheit des Wildbrets weniger wählerisch wären als wir!«

»He! He!« rief Ned Land, mit sehr bezeichnender Bewegung der Kinnbacken.

»Ei! Ned!« rief Conseil.

»Meiner Treu!« entgegnete der Kanadier, »ich fange an zu begreifen, dass das Menschenfleisch gut schmecken mag!«

»Ned! Ned! Was sagen Sie«, versetzte Conseil. »Sie Menschenfresser! Dann bin ich ja nicht mehr in der Kabine sicher vor Ihnen!

Da könnte ich einmal morgens halb gefressen aufwachen?«

»Freund Conseil, ich liebe Sie sehr, doch nicht so arg, um ohne Not Sie aufzuzehren.«

»Darauf verlass’ ich mich nicht«, erwiderte Conseil. »Auf die Jagd! Wir müssen durchaus ein Wildbret zur Befriedigung dieses Kannibalen auftreiben, oder eines schönen Morgens wird mein Herr nur noch einige Stücke seines Dieners finden.«

Während dieser Unterhaltung drangen wir unter düsterem Gewölbe tiefer in den Wald und durchstreiften ihn 2 Stunden lang in allen Richtungen.

Der Zufall begünstigte das Suchen nach Pflanzennahrung, und eins der nützlichsten Produkte der tropischen Zone gewährte uns eine kostbare Speise, die an Bord völlig mangelte.

Ich meine den Brotbaum, der auf der Insel Queboroar sehr reichlich wächst; besonders fiel mir die Varietät ohne Körner auf, die im Malayischen »Rima« genannt wird.

Dieser Baum unterscheidet sich von den anderen durch einen geraden, 40 Fuß hohen Stamm. Seine stattlich gerundete, aus großen vielfach gezackten Blättern gebildete Krone lässt den Naturforscher leicht den »artocarpus« erkennen, die auf den Maskarenen mit Glück angepflanzt worden ist. Aus seinem grünen Laub ragten große kugelrunde Früchte vom Durchmesser eines Dezimeter mit rauer Schale hervor, deren Unebenheiten sechseckige Form zeigten. Die Natur hat die Gegenden, wo kein Getreide wächst, mit diesem nützlichen Nahrungsbaum versehen, der ohne alle Pflege 8 Monate im Jahr seine Früchte spendet.

Ned Land kannte diese Frucht wohl. Er hatte sie bei seinen zahlreichen Reisen kennengelernt und verstand sich darauf, sie schmackhaft zuzubereiten. Darum regte auch ihr Anblick sein Verlangen an, das er nicht zurückhalten konnte.

»Mein Herr«, sagte er zu mir, »ich bin des Todes, wenn ich nicht ein wenig Pastete von dieser Brotfrucht koste!«

»Koste nur, Freund Ned, koste nach Belieben. Unser Zweck hier ist, Experimente zu machen. Machen Sie nur einen Versuch.«

»Das soll nicht lange währen«, erwiderte der Kanadier.

Und er zündete mit einem Brennglas ein Feuer an, das mit dürrem Holz lustig aufflackerte. Währenddessen sammelte ich nebst Conseil die schönsten Früchte des Baums. Manche waren noch nicht völlig reif, die enthielten in dicker Schale ein weißes, wenig faseriges Fleisch, andere, in großer Anzahl, gelblich und gallertartig, warteten nur, dass man sie einsammelte.

Diese Früchte hatten gar keinen Kern. Conseil brachte Ned Land ein Dutzend, der sie in dicke Schnitten zerlegte und über Kohlenfeuer setzte. Dabei sagte er wiederholt:

»Sie werden sehen, mein Herr, wie gut dies Brot ist!«

»Zumal wenn man lange keins genossen hat«, sagte Conseil.

»Es ist kein Brot mehr«, fuhr der Kanadier fort, »es ist eine kostbare Pastete. Sie haben noch nie welche gegessen, mein Herr?«

»Nein, Ned.«

»Nun, halten Sie sich gefasst, etwas Saftiges zu verzehren.

Schmeckt Ihnen das nicht, so bin ich nicht mehr König der Harpuniere!«

Nach einigen Minuten waren die übers Feuer gesetzten Früchte völlig mit Kohle umgeben. Darinnen zeigte sich ein weißer Teig, eine zarte Krume von Geschmack gleich der Artischocke.

Ich muss gestehen, dies Brot war vortrefflich, und ich aß es sehr gern.

»Leider«, sagte ich, »lässt sich diese Speise nicht frisch erhalten, und es scheint mir unnütz, viel davon an Bord zu nehmen.«

»Das wäre, mein Herr«, rief Ned Land. »Sie reden da wie ein Gelehrter, ich aber will’s machen wie ein Bäcker. Conseil, sammeln Sie nur recht viel von dieser Frucht, dass wir sie bei der Rückkehr mitnehmen.«

»Und wie wollen Sie sie zubereiten?« fragte ich den Kanadier.

»Ich mache aus ihrem Fleisch einen gegorenen Teig, der hält sich sehr lange, ohne zu verderben. Wann ich davon brauche, röste

ich ihn in der Küche, und dieses Gebäck wird Ihnen, trotz seines etwas säuerlichen Geschmacks, vortrefflich munden.

»Dann, Freund Ned, fehlt’s, wie ich sehe, diesem Brot an nichts ...«

»Ja, Herr Professor«, erwiderte der Kanadier, »man vermisst dabei etwas Obst oder wenigstens Gemüse!«

»Suchen wir also Obst und Gemüse.«

Als wir mit dem Einsammeln fertig waren, machten wir uns auf den Weg, um unsere »Landmahlzeit« zu vervollständigen.

Wir suchten nicht vergeblich; um Mittag hatten wir reichlich Bananen gesammelt. Diese kostbaren Erzeugnisse der heißen Zone reifen das ganze Jahr über, und die Malayen, die sie Pisang nennen, verspeisen sie ungekocht. Neben diesen Bananen sammelten wir ungeheure Jack von vortrefflichem Geschmack, delikate Mangobeeren und Ananas von unglaublicher Größe. Aber dieses Einsammeln nahm unsere Zeit viel in Anspruch, was wir übrigens nicht zu bedauern hatten.

Conseil hatte Ned stets im Auge. Der Harpunier ging voran und sammelte während seines Gangs durch den Wald mit sicherem Griff vortreffliches Obst, das seinen Proviant vervollständigen sollte.

»Endlich, Freund Ned«, sagte Conseil, »wird Ihnen doch nichts mehr mangeln?«

»Hm!« sagte der Kanadier.

»Wie? Sie sind nicht zufrieden?«

»Alle diese Pflanzen können ein Mahl nicht vollständig machen«, erwiderte Ned. »Dieses ist das Dessert. Aber die Suppe? Der Braten?«

»In der Tat«, sagte ich, »Ned hatte uns Koteletts versprochen, die mir jetzt in Zweifel gestellt scheinen.«

»Mein Herr«, erwiderte der Kanadier, »die Jagd ist nicht nur noch nicht zu Ende, sondern nicht einmal angefangen. Geduld!

Wir werden bald endlich ein gefiedertes oder behaartes Tier treffen, wo nicht hier, so anderswo ...«

»Und wo nicht heute, doch morgen«, fügte Conseil bei, »denn

wir dürfen uns nicht zu weit entfernen. Ich schlage sogar vor, nach unserem Boot zurückzukehren.«

»Wie? Schon!« rief Ned.

»Wir müssen vor Abend wieder zu Hause sein«, sagt’ ich.

»Aber wie viel Uhr ist’s denn?« fragte der Kanadier.

»2 Uhr wenigstens«, erwiderte Conseil.

»Wie auf diesem festen Boden die Zeit rasch verläuft!« rief Meister Ned Land mit Seufzen und Bedauern.

»Marsch!« erwiderte Conseil.

Wir begaben uns also durch den Wald auf den Heimweg und vervollständigten unsere Ernte, indem wir eine Razzia von Palmkohl machten, die auf den Gipfeln der Bäume zu holen waren, von kleinen Bohnen und einer vorzüglichen Sorte Yams.

Überreich beladen kamen wir beim Boot an. Doch war Ned Land noch nicht mit dem Vorrat zufrieden. Aber das Schicksal war ihm günstig. Als wir eben einsteigen wollten, bemerkte er einige 25 bis 30 Fuß hohe Bäume, die zu den Palmen gehörten. Diese, so wertvoll wie der Brotfruchtbaum, werden mit Recht zu den nützlichsten Produkten des Malayenlandes gezählt.

Es waren Sagobäume, die ohne Anbau sich wie die Maulbeerbäume durch Sprösslinge und Körner selbst fortpflanzen.

Ned Land verstand sich darauf, diese Bäume zu behandeln. Er nahm sein Beil, und mit kräftigen Hieben hatte er bald zwei bis drei Bäume auf den Boden gelegt, deren Reife an dem weißen Staub, der ihre Blätter bepuderte, zu erkennen war.

Ich sah ihm zu mit dem Blick des Naturforschers. Er schnitt zuerst von jedem Stamm einen Streifen Rinde, die einen Zoll dick ein Netz von langen Fasern bedeckte, die verwickelte Knoten bilden, von einer Art gummihaltigem Mehl zusammengekittet. Dieses Mehl, Sago genannt, ist essbar und dient den Einwohnern als ein Hauptnahrungsmittel.

Ned Land beschränkte sich für den Augenblick darauf, die Stämme in Stücke zu zerhauen wie beim Brennholz, indem er sich vorbehielt, das Mehl später herauszuklauben, es durchzusieben, um es von den Fasern zu trennen, die Feuchtigkeit an der Sonne verdunsten und es in Formen hart werden zu lassen.

Endlich, um 5 Uhr abends, verließen wir mit all unseren Schätzen beladen das Ufer und langten eine halbe Stunde nachher bei der ›Nautilus‹ an. Der enorme Blechzylinder schien verlassen. Wir schafften unsere Vorräte an Bord, ich begab mich auf mein Zimmer, wo mein Abendessen schon bereit stand. Ich aß und legte mich schlafen.

Am folgenden Morgen, dem 6. Januar, nichts Neues an Bord.

Kein Geräusch im Innern, kein Lebenszeichen. Das Boot war neben dem Fahrzeug an derselben Stelle geblieben, wo wir es gelassen hatten. Wir beschlossen, uns nochmals auf die Insel Queboroar zu begeben. Ned Land hoffte, als Jäger glücklicher als gestern zu sein, und wünschte eine andere Gegend des Waldes zu besuchen.

Bei Sonnenaufgang waren wir schon unterwegs. Das Fahrzeug, durch die Flut höher gehoben, brachte uns bald zur Insel.

Wir stiegen aus und hielten es fürs beste, uns auf den Instinkt des Kanadiers zu verlassen; wir ließen uns daher von Ned Land führen, dessen lange Beine uns stets vorauseilten.

Ned Land ging längs der Küste westwärts, dann wateten wir durch einige Bäche und erreichten die Hochebene, die von bewundernswerter Waldung umgeben war. Einige Eisvögel streiften längs den Gewässern, ließen uns aber nicht ihnen nah kommen. Ihre Vorsicht gab zu erkennen, dass sie wussten, wie sie mit den Zweifüßlern unserer Rasse daran waren, und ich schloss daraus, dass wenn die Insel nicht bewohnt, sie doch von Menschen besucht sei.

Nachdem wir über eine ziemlich fette Wiese gekommen, gelangten wir an den Rand eines kleinen, von Vögeln munter belebten Gehölzes.

»Das sind nur erst Vögel«, sagte Conseil.

»Aber es gibt darunter auch essbare!« erwiderte der Harpunier.

»Nein, Freund Ned«, entgegnete Conseil; »denn ich sehe da nur Papageien.«

»Freund Conseil«, erwiderte Ned ernsthaft, »ein Papagei ist für die, welche nichts anderes zu essen haben, so gut wie ein Fasan.«

»Und ich füge bei«, sagte ich, »dass dieser Vogel, wenn er nur gehörig zubereitet ist, es verdient, dass man um ihn seine Klinge schlägt.«

In der Tat flatterten unterm dichten Laubdach dieses Gehölzes eine Menge Papageien von Zweig zu Zweig, die bei besserer Erziehung auch die menschliche Sprache erlernt haben würden.

Nunmehr freilich schwatzten sie in Gesellschaft mit Verwandten aller Farben, Kakadus, Loris, Kolaos, lasurblauen Papuas und einer

Mannigfaltigkeit reizenden Geflügels, das im allgemeinen wenig essbar war.

Doch ein diesen Ländern eigentümlicher Vogel mangelte dieser Sammlung. Aber es war mir vorbehalten, ihn bald darauf zu bewundern.

Nachdem wir ein Stück Wald, der nicht besonders dicht war, durchschritten, gelangten wir an eine mit Gebüsch bewachsene Ebene. Da sah ich prachtvolle Vögel auffliegen, die durch die Eigentümlichkeit ihrer langen Federn genötigt waren, ihren Flug gegen den Wind zu richten. Ihr wellenförmiger Flug, die Anmut der krummen Linien, die sie in der Luft beschrieben, ihre schillernden Farben zogen an und entzückten den Blick. Ich erkannte sie leicht.

»Paradiesvögel!« rief ich aus.

»Ordnung der Sperlingsartigen ...« erwiderte Conseil.

»Familie der Rebhühner?« fragte Ned Land.

»Ich glaube nicht, Meister Land. Demungeachtet zähle ich auf Ihre Geschicklichkeit, um eins der reizendsten Erzeugnisse der Tropennatur zu erwischen!«

»Man wird’s versuchen, Herr Professor, obwohl ich mehr geübt bin, mit der Harpune, als mit der Flinte umzugehen!«

Die Malayen, die mit diesem Vogel viel Handel nach China treiben, bedienen sich, um sie zu fangen, verschiedener Mittel, die wir nicht anwenden konnten. Bald legen sie Schlingen auf die Gipfel hoher Bäume, wo sich die Paradiesvögel vorzugsweise aufhalten. Bald fangen sie sie mittels eines Leims, der ihre Bewegungen hemmt. Sie gehen sogar so weit, dass sie die Quellen vergiften, wo diese Vögel zu trinken pflegen! Wir waren darauf angewiesen, sie im Flug zu schießen, wobei wir wenig Aussicht hatten, sie zu, treffen. Und in der Tat, wir verbrauchten vergeblich einen Teil unserer Munition.

Gegen 11 Uhr vormittags war der vordere Teil der Berge, die das Zentrum der Insel bilden, durchschritten, und wir hatten noch nichts erlegt. Der Hunger spornte uns. Die Jäger hatten sich auf das Ergebnis ihrer Jagd verlassen, und sie hatten unrecht. Glücklicherweise gelang Conseil, zu seiner großen Überraschung, ein doppelter Schuss, und er sicherte damit das Frühstück. Er erlegte

eine weiße Täubin und eine Holztaube. Diese wurden rasch entfiedert, und an einen Bratspieß gesteckt, brieten sie bei einem hellen Feuer von dürrem Holz. Währenddessen bereitete Ned die Frucht des Brotfruchtbaums zu. Darauf wurde das Geflügel bis auf die Knochen verzehrt und vortrefflich befunden. Die Muskatnuss, die sie gern fressen, gibt ihrem Fleisch einen feinen Würzgeschmack, macht es zu einem köstlichen Essen.

»Wie wenn die jungen Hühner sich von Trüffeln nährten«, sagte Conseil.

»Und jetzt, Ned, was mangelt Ihnen?« fragte ich den Kanadier.

»Ein vierfüßig Wildbret, Herr Arronax«, erwiderte Ned Land.

All dies Geflügel ist nur Beiessen und Zeitvertreib. Darum bin ich auch nicht zufrieden, solange ich nicht ein Tier für Koteletts erlegt habe!«

»Ich auch nicht, Ned, wenn ich nicht einen Paradiesvogel erhasche.«

»So wollen wir unsere Jagd fortsetzen«, erwiderte Conseil, »aber uns wieder zum Meer hinwenden. Wir sind am ersten Abhang des Gebirgs angekommen, und ich denke, es ist besser, wieder in die Waldgegend uns zu ziehen.«

Es war dies ein vernünftiger Rat, und er wurde befolgt. Nachdem wir eine Stunde gegangen, kamen wir in einen wahren Wald von Sagobäumen. Einige ungefährliche Schlangen flohen unter unseren Tritten. Die Paradiesvögel verloren sich, als wir in die Nähe kamen, und wahrhaftig, schon gab ich die Hoffnung auf, sie zu erreichen, als Conseil, der voranging, sich plötzlich bückte, und jubelnd zu mir zurückkam, einen prachtvollen Paradiesvogel in der Hand.

»Ah! Bravo! Conseil«, rief ich aus.

»Mein Herr ist sehr gütig«, erwiderte Conseil.

»Aber nein, lieber Junge. Da hast du einen Meistergriff getan.

Einen solchen Vogel lebendig und mit der Hand zu fangen!«

»Wenn mein Herr es näher untersuchen will, wird er sehen, dass mein Verdienst dabei nicht groß ist.«

»Und warum, Conseil?«

»Weil der Vogel betrunken ist.«

»Betrunken?«

»Ja, mein Herr, betrunken von den Nüssen des Muskatbaums, unter dem ich ihn gefangen habe. Sehen Sie, Freund Ned, was die Unmäßigkeit für Wunder tut!«

»Tausend Teufel!« entgegnete der Kanadier, »was ich seit 2 Monaten an Gin zu mir genommen, verdient nicht einen solchen Vorwurf !«

Inzwischen untersuchte ich den merkwürdigen Vogel, Conseil irrte nicht. Der Paradiesvogel war betrunken von dem Saft, der ihm zu Kopf stieg, und dadurch seiner nicht mächtig, konnte er nicht fliegen, kaum gehen. Das kümmerte mich aber wenig, und ich ließ ihn seinen Rausch ausschlafen.

Dieser Vogel gehört zu den schönsten der acht Arten, die man auf Papuasien und den benachbarten Inseln zählt. Der »große Smaragdvogel« ist einer der seltensten.

Er war 3 Dezimeter lang, sein Kopf verhältnismäßig klein, seine Augen ebenfalls klein nächst der Öffnung des Schnabels. Seine Färbung aber zeigte Nuancen zum Erstaunen: Der Schnabel gelb, Füße und Krallen braun, die Flügel nussfarbig mit purpurfarbenen Spitzen, Kopf und Hinterhals blassgelb, die Kehle smaragden, Bauch und Brust kastanienbraun. Zwei lange, sehr leichte Federn mit hornartigem Stiel und äußerst feinem Flaum besetzt, ragten aus seinem Schwanz hervor, die Schönheit des merkwürdigen Vogels zu vollenden, dem die Eingeborenen den Namen »Sonnenvogel« gegeben haben.

Ich wünschte sehr, dieses prächtige Exemplar des Paradiesvogels nach Paris heimbringen zu können, um es dem Jardin des Plantes zu schenken, der ein lebendiges nicht besitzt.

»Er ist also sehr rar?« fragte der Kanadier im Ton eines Jägers, der das Wild vom Standpunkt der Kunst aus nicht zu schätzen weiß.

»Sehr rar, wackerer Kamerad, und zudem sehr schwer lebendig zu fangen. Und selbst tot sind diese Vögel noch ein wichtiger Handelsartikel. Darum sind auch die Eingeborenen auf den Gedanken gekommen, solche Vögel zu fabrizieren, wie man Perlen oder Diamanten nachmacht.«

»Wie?« rief Conseil, »man verfertigt falsche Paradiesvögel?«

»Ja, Conseil.«

»Und mein Herr weiß, wie die Eingeborenen es machen?«

»Sehr wohl. Zur Zeit der Ostpassatwinde verlieren die Paradiesvögel ihre prachtvollen Schwanzfedern. Diese werden von den Fälschern gesammelt und einem zugestutzten Papagei geschickt angepasst. Dann verstehen sie die Anfügung zu färben, firnissen den

Vogel und schicken diese Erzeugnisse ihrer sonderbaren Industrie den Museen und Liebhabern in Europa zu.«

»Richtig«, sagte Ned, »ist’s auch nicht der Vogel, so sind’s doch seine Federn, und insofern der Gegenstand nicht zum Essen bestimmt ist, sehe ich dabei kein so arges Übel!«

Waren nun auch meine Wünsche durch den Besitz dieses Vogels erfüllt, so war’s mit den Wünschen des Kanadiers nicht ebenso.

Zum Glück erlegte Ned Land gegen 2 Uhr ein stattliches Waldschwein, das die Eingeborenen »Bari-Outang« nennen. Das Tier kam uns erwünscht, um uns mit echtem Vierfüßlerfleisch zu versehen, und wir hießen es willkommen. Ned Land war stolz auf seinen Schuss, der mit einer elektrischen Kugel augenblicklich tötete.

Der Kanadier weidete es geschickt aus und nahm davon ein halbes Dutzend Koteletts zu einem Rostbraten für den Abend. Darauf wurde die Jagd fortgesetzt, bei der Ned und Conseil noch Ausgezeichnetes leisten sollten.

Als die beiden Freunde den Wald durchstreiften, scheuchten sie einen Trupp Kängurus auf, die mit elastischen Sprüngen entflohen. Aber ihre Flucht war doch nicht rasch genug, um sie den elektrischen Kugeln zu entziehen.

»Ei! Herr Professor«, rief Ned Land in der Begeisterung des Jägers, »was für ein treffliches Wildbret, geschmort zumal! Welchen Vorrat für die ›Nautilus‹! Zwei, drei, fünf liegen auf dem Boden!

Und diese Braten werden wir allein verzehren, da die Dummköpfe an Bord keinen Bissen davon bekommen!«

Ich glaube, hätte der Kanadier nicht so viel gesprochen, so hätte er mit seiner Freude den ganzen Trupp erlegt! Aber er begnügte sich mit einem Dutzend dieser interessanten Tiere.

Sie gehörten zu der kleinen Sorte, Känguruh-Lapins genannt, die meist in hohlen Bäumen haust und äußerst schnell ist; sie liefern ein vortreffliches Fleisch.

Wir waren mit den Ergebnissen unserer Jagd sehr zufrieden.

Ned nahm in seiner Freude sich vor, den folgenden Tag diese Zauberinsel wieder zu besuchen, um sie ihrer essbaren Vierfüßler zu berauben. Aber er machte seine Rechnung ohne den Wirt.

Um 6 Uhr abends waren wir wieder am Ufer angelangt. Unser

Boot lag an seiner Stelle am Strand. Die ›Nautilus‹ ragte 2 Meilen entfernt wie eine lange Klippe aus den Wellen hervor.

Ned Land machte sich unverzüglich an die Bereitung des Mahles, worauf er sich vortrefflich verstand. Die auf dem Rost gebratenen Koteletts von »Bari-Outang« verbreiteten bald einen angenehmen Geruch in der Luft umher ...!

Man halte mir zugute, dass ich mich wie der Kanadier durch Rostbraten frischen Wildes begeistern lasse!

Kurz, es war eine vortreffliche Mahlzeit. Zwei Waldtauben vervollständigten noch die Nebengerichte. Die Sagopastete, das Brot von Artokarpus, einige Mango, ein halbes Dutzend Ananas, und der gegorene Trank aus einigen Kokosnüssen machten uns lustig.

Ich glaube sogar, dass die Gedanken meiner wackeren Kameraden nicht mehr ganz klar waren.

»Wenn wir diesen Abend nicht auf die ›Nautilus‹ zurückkönnen?« fragte Conseil.

»Wenn wir nie wieder dahin zurückkehrten!« fügte Ned Land hinzu.

In diesem Augenblick fiel ein Stein zu unseren Füßen nieder und brach die Unterredung ab.

 

Reiseromane