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Reise von Teneriffa nach Brasilien. Santa Catharina
Am 1. November 1815 lichteten wir die Anker und verließen die Reede von Santa Cruz. Wir hatten im Kanal zwischen Teneriffa und Canaria Windstille oder nur schwachen Wind. Wir sahen den Pik von Wolken völlig enthüllt und am Morgen die Wasserdünste sich an ihm niederschlagen und ihn verschleiern. Am 3. hatten wir außerhalb des Kanals den Nordostpassat erreicht, der ungemein frisch blies und uns mit einer Schnelligkeit von sechs bis acht Knoten – so viele Meilen die Stunde – auf unsrem Wege förderte. Ich bemerke beiläufig, daß die Schnelligkeit seines Schiffes ein Punkt ist, in betreff dessen die Aussage jegliches Schiffskapitäns so unzuverlässig ist als die einer Frau, die ihr eigenes Alter angeben soll. Wir durchkreuzten den 6. früh um vier Uhr den nördlichen Wendekreis. Wir sahen an diesem Tage Delphine und am 7. die ersten Fliegenden Fische.
Diese Tiere, die an Gestalt Heringen zu vergleichen sind, haben Brustflossen, die, zum Fluge und nicht zum Schwimmen geschickt, so lang wie der Körper sind. Sie fliegen mit ausgebreiteten Flossen in gebogenen Linien ziemlich hoch und weit über die Wellen, in die sie wieder tauchen müssen, um die Geschmeidigkeit ihrer Flugwerkzeuge zu erhalten. Da sie aber das Auge des Vogels nicht haben und nicht brauchen, weil die Natur ihnen in der Luft keine Hindernisse entgegensetzt, so wissen sie Schiffen, denen sie begegnen, nicht auszuweichen und fallen häufig an Bord derer, die, wie der »Rurik«, nicht höher, als sich ihr Flug erhebt, aus den Wellen ragen. Begreiflich ist es, daß dem Nordmann, zu dem die Kunde nicht gedrungen ist, der Flug der Fische, Grausen erregend, als eine Umkehrung der Natur erscheine. Der erste Fliegende Fisch, der auf das Verdeck und unsern Matrosen in die Hände fiel, ward von ihnen unter Beobachtung des tiefsten Stillschweigens in Stücke zerschnitten, die sie sodann nach allen Richtungen in die See warfen. Das sollte das vorbedeutete Unheil brechen. Gar bald verlor sich für unsere Leute das Unheimliche einer Erscheinung, die in den gewöhnlichen Lauf der Natur zurücktrat. Die Fliegenden Fische fielen im Atlantischen und Großen Ozean so oft und häufig auf das Schiff, daß sie nicht nur uns, sondern auch, soviel ich weiß, ein paarmal den Matrosen zu einer gar vorzüglichen Speise gereichten.
Wir hatten in Teneriffa eine Katze und ein kleines weißes Kaninchen an Bord genommen. Beide lebten in großer Eintracht. Die Katze fing sich Fische, und das Kaninchen verzehrte die Gräten, die sie ihm übrigließ. Ich erwähne dessen, weil es mir auffiel, das Kaninchen, nach Art der Mäuse und anderer Nager, ganz von animalischer Nahrung leben zu sehen. Das Kaninchen starb jedoch, bevor wir die Linie passierten, und die Katze erreichte auch nicht Brasilien.
Wir hatten am 9. die Breite der nördlichsten der Kapverdischen Inseln erreicht. Am 10. mittags zeigte sich uns Brava durch den Nebel, schon unter einem sehr hohen Winkel. Wir hatten gegen halb zwei Uhr diese hohe Insel zehn Meilen im Südosten plus Süd einhalb Ost, und östlicher erschienen unter einem sehr geringen Winkel zwei andere Lande, das östlichste mit einem anscheinlich vulkanischen Pik in der Mitte. Wir kamen am Abend der Insel Brava zu nah unter dem Winde, den sie uns plötzlich benahm. Über der Wolkenlage, die auf ihren Höhen ruhte, erschienen auf kurze Zeit unter einem fast gleichen Winkel die Gipfel der weiter liegenden Insel Fogo. Zwischen uns und Brava spielten unzählige Herden von Delphinen, die uns wohl nicht gewahrten, da sie an das Schiff nicht kamen.
Die Kapverdischen Inseln werden unter portugiesischer Botmäßigkeit mehrstens von armen Negern bewohnt. Die Einwohner der verschiedenen Inseln werden jedoch sehr verschieden geschildert. Die mit weißem Blute versetzten Einwohner von San Jago werden als unverständig und räuberisch dargestellt; die armen und guten Neger von Brava erinnern an die Neger, die uns Mungo Park kennen und lieben gelehrt hat.
Die Sage erzählt, daß die ersten, die auf Fogo gelandet, zwei Christenpriester gewesen, die daselbst ein gottgefälliges, einsiedlerisch beschauliches Leben führen wollten. Noch brannte die Insel von keinen unterirdischen Feuern. Man weiß nicht, ob die Ankömmlinge Alchimisten oder Zauberer gewesen; aber sie fanden im Gebürge Gold und bauten da ihre Zellen. Sie gruben nach Gold und scharrten einen Schatz zusammen, und ihr Herz wandte sich der Welt wieder zu. Der eine, der sich über den andern überhob, riß das mehrste Gold an sich; daher ihr wechselseitiger Haß und ihre Fehde. Die Flammen, die ihre nicht geheure Kunst ihrem Rachedurst verliehen, entzündeten die ganze Insel, und beide fanden im allgemeinen Brande ihren Untergang. Seither ließ die Gewalt des Feuers nach, das sich in den Mittelpunkt der Insel zurückzog.
Versunken im Anschaun dieser Inseln, auf denen meines Wissens noch kein Naturforscher verweilte, mochte ich träumen, es sei mir vorbehalten, sie einst zum Ziele einer eigenen Reise zu machen und, was dort noch für die Wissenschaft zu tun sei, zu leisten.
Übrigens haben uns weder Rauch noch Flammen die Vulkane dieser Inseln verraten, die frühere Reisende brennen gesehen, und Cook, der auf San Jago landete, erwähnt auch nichts von vulkanischen Erscheinungen.
Der nördliche Passatwind, den wir bis zum sechsten Grad nördlicher Breite zu behalten uns schmeichelten, verließ uns schon am 13. November im zehnten Grad. Dagegen erreichten wir am 18. zwischen dem siebenten und achten Grad nördlicher Breite den südlichen, den wir erst gegen die Linie anzutreffen hofften. Wir hatten binnen dieser Grenzen und während dieser Zeit unbeständiges Wetter, Windstille, von häufigen Windstößen und Regengüssen unterbrochen; zweimal leuchtete das Wetter, und Donner ward gehört. Einmal, am 17. nachmittags, ward ein Phänomen, das einer Wasserhose glich, wahrgenommen. Der plötzlich einbrechende Regen störte einigemal unsere Nachtruhe auf dem Verdecke. Boten brachten uns Kunde von dem Lande, das uns fünfeinhalb Grad im Osten lag. Am 15. setzte sich ein schön rot befiederter Landvogel auf unsern Bugspriet nieder und flog dann von uns weg. Am 16. umkreisten uns drei Reiher, von denen einer, der sich auf das Schiff setzen wollte, ins Wasser fiel; die andern setzten ihren Flug fort. Am 17. verfolgte uns vom Morgen an eine Ente, die am Mittag geschossen ward (Anas Sirsair Forsk.); endlich zeigte sich am 18. eine andere Ente.
Während dieser Zeit wurden auch verschiedene Haifische geangelt und versahen uns mit erwünschter frischer Nahrung. Ich möchte sagen, ich habe nie bessern Fisch gegessen als den Haifisch; denn er pflegt auf hoher See gefangen zu werden, wenn man eben seiner begehrt.
Am 18. setzte sich der Wind zwischen Süd und Südost fest, und wir steuerten einen sehr westlichen Kurs. Wir sahen am 19. eine Seeblase, das seltsamste vielleicht der tierischen Geschöpfe, welche die Oberfläche des Meeres bewohnen. Wir sahen nur die eine nördlich vom Äquator; in der südlichen Halbkugel wurden sie häufig. Am Morgen des 21. waren uns zwei Segel im Angesicht, und wir wurden am Mittag von einem dritten Schiffe, einem heimwärts segelnden Ostindienfahrer, angesprochen, der ein Boot an uns sandte, Nachrichten von Europa zu begehren. Er teilte uns welche von Sankt Helena mit, wo Napoleon angelangt war. Am 22. und 23. umschwärmten uns Herden von Delphinen.
Am 23. November 1815 abends um acht Uhr durchkreuzten wir zum erstenmal den Äquator. Die Flagge ward aufgezogen, alles Geschütz abgefeuert und ein Fest auf dem »Rurik« begangen. Die Matrosen, die alle Neulinge waren, wußten nicht recht, was sie tun sollten, und ihr Neptun war ziemlich albern. Aber eine ausnehmende Freudigkeit herrschte unter ihnen, und eine Komödie, die sie aufführten, beschloß spät und ergötzlich den Tag. Punsch war ihnen in hinreichender Menge gereicht worden.
Der Beifall, den dieses Schauspiel geerntet, veranlaßte eine zweite Vorstellung, die am 3. Dezember stattfand und noch vorzüglicher ausfiel. Der Steuermann Petrow war diesmal Dichter des Stückes und einer der Hauptdarstellenden. Es war ein rührendes Stück, aber mit gehöriger Ironie aufgefaßt und vorgetragen. Der Kirchengesang bei der Einsegnung des liebenden Paares bestand in der Litanei sämtlicher Taue und Leinen des Schiffes unter Anrufung des Herrn Steuermanns.
Überhaupt ward alle Sonntage für die Ergötzung der Matrosen gesorgt. Die Janitschareninstrumente wurden hervorgeholt, und es ward gesungen. Ich bemerke beiläufig, daß unter den russischen Nationalliedern, die wir in allen fünf Weltteilen ertönen ließen, auch »Marlborough« war. Ich zweifle nicht, daß, wenn heutzutage eine gleiche russische Expedition die See hält, ihre Sänger überall das »Mantellied« von Holtei unter ihren volkstümlichen Gesängen anstimmen.
Wir sahen am 24., 25. und 26. November ein Schiff, eine englische Brigg, welcher die Bramstange des großen Mastes fehlte.
Wir hatten auch, seit wir den südlichen Passat erreicht, häufige Wolken und rasch vorübergehende leichte Regengüsse, besonders während der Nacht. Der Wind, der allmählich vom Süden zum Osten übergegangen war, wandte sich am 30. November nach Norden und verließ uns ganz am 1. Dezember. Nach einer kurzen Windstille erhob sich der Südwind. Wir hatten am 5. die Sonne scheitelrecht. Wir durchkreuzten am 6. den südlichen Wendekreis. In diesen Tagen wurden mehrere Boniten harpuniert und versorgten uns mit frischen Lebensmitteln. Auch brachten uns Schmetterlinge wiederholt Kunde von dem Festlande Amerika, das uns 120 Meilen im Westen lag. Etliche Schiffe wurden gesehen.
Wir beobachteten am 7. Dezember ungefähr anderthalb Grad südlich vom Kap Frio eine Erscheinung, die sich am 9. auffallender wiederholte. Wind und Strom hatten andersfarbiges Wasser, strohgelbes und grünes, bandartig, scharf begrenzt, unabsehbar über die Oberfläche des Meeres hingezogen. Wir untersuchten das Wasser dieser farbigen Flüsse oder Straßen, die wir in unserm Kurs durchschnitten. Das blaßgelbe Wasser war wie von einem sehr feinen blaßgrünen Staube getrübt oder wie von einer mikroskopischen Spreu dicht überstreut. Das Färbende zeigte sich unter dem Mikroskop als eine frei schwimmende, gradstäbige, gegliederte Alge. Eigenmächtige Bewegung ward an derselben nicht wahrgenommen. – Das am 7. untersuchte Wasser enthielt außerdem in sehr geringem Verhältnis grüne, schleimige Materie und seltnere, sehr kleine rötliche Tiere aus der Klasse der Krebse, die, umherschwimmend, sich häufig Fäden von der Oberfläche holten und selbige zu Grunde zogen. Die Striche grünen Wassers, die am 9. beobachtet wurden, waren in der Regel weniger breit als die graugelben. Sie verbreiteten einen sehr auffallenden faulen Geruch. Die reine grüne Farbe rührte von einer unendlichen Menge Infusorien her, die das Wasser verdichteten. Die Planarien ähnlichen Tiere waren mit bloßen Augen kaum unterscheidbar. Das Wasser des Kanals von Santa Catharina war manchmal, besonders bei Südwind, ähnlich gefärbt und hatte einen ähnlichen faulen Geruch, aber diese Tiere waren darin nicht vorhanden.
Am 10. überfiel uns ein Sturm in der Nähe des Hafens. Am 11. sahen wir das Land und lagen am 12. nachmittags um vier Uhr im Kanal von Santa Catharina auf der Seite des festen Landes und in der Nähe des Forts Santa Cruz vor Anker.
Die Küste Brasiliens gegenüber der Insel Santa Catharina
Ich werde nicht, ein flüchtiger Reisender, der ich auf dieses Land gleichsam nur den Fuß gesetzt habe, um vor der riesenhaft wuchernden Fülle der organischen Natur auf ihm zu erschrecken, mir anmaßen, irgend etwas Belehrendes über Brasilien sagen zu wollen. Nur den Eindruck, den es auf mich gemacht, den es in mir zurückgelassen hat, möchte ich den Freunden mitteilen; aber auch da fehlen mir die Worte.
Die Insel Santa Catharina liegt in der südlichen Halbkugel außerhalb des Wendekreises, in derselben Breite wie Teneriffa in der nördlichen. Dort ist der felsige Grund nur stellenweis und nur dürftig begrünt, den europäischen Pflanzenformen sind nur fremdartige beigemengt und die auffallendsten derselben auch fremd dem Boden. Hier umfängt eine neue Schöpfung den Europäer, und in ihrer Überfülle ist alles auffallend und riesenhaft.
Wenn man in den Kanal einläuft, der die Insel Santa Catharina von dem festen Lande trennt, glaubt man sich in das Reich der noch freien Natur versetzt. Die Berge, die sich in ruhigen Linien von beiden Ufern erheben, gehören, vom Urwald bekleidet, nur ihr an, und man gewahrt kaum an deren Fuß die Arbeiten des neu angesiedelten Menschen. Im Innern ragen, als Kegel oder Kuppeln, höhere Gipfel empor, und ein Bergrücken des festen Landes begrenzt gegen Süden die Aussicht.
Die Ansiedelungen des Menschen liegen meist längs dem Gestade, umschattet von Orangenbäumen, welche die Höhe unserer Apfelbäume erreichen oder übertreffen. Um dieselben liegen Pflanzungen von Bananen, Kaffee, Baumwollenstauden usw. und Gehege, worin etliche unserer Küchengewächse, denen viele europäische Unkrautarten parasitisch gefolgt sind, unscheinbar gebaut werden. Der Melonenbaum und eine Palme (Cocos Romanzowiana M.) ragen aus diesen Gärten hervor. Unterläßt der Mensch, die Spanne Landes, die er der Natur abgerungen hat, gegen sie zu verteidigen, überwuchert gleich den Boden ein hohes, wildes Gesträuch, worunter schöne Melastoma-Arten sich auszeichnen, umrankt von purpurblütigen Bignonien. Will man von da seitab in die dunkle Wildnis des Waldes einzudringen versuchen, wird man von dem ausgehauenen Pfade, den man betreten hat, bald verlassen, und der Gipfel des nächsten Hügels ist unerreichbar. Fast alle erdenklichen Baumformen drängen sich im Walde in reicher Abwechselung. Ich will bloß die Akazien anführen, mit vielfach gefiederten Blättern, hohen Stämmen und fächerartig ausgebreiteten Ästen. Darunter wuchern am Boden über umgestürzten modernden Stämmen, weit über Manneshöhe, Gräser, Halbgräser, Farren, breitblättrige Helikonien usw.; dazwischen Zwergpalmen und baumartige Farrenkräuter. Vom Boden erhebt sich zu den Wipfeln hinan und hängt von den Wipfeln wieder herab ein vielfach verschlungenes Netz von Schlingpflanzen. Viele Arten aus allen natürlichen Familien und Gruppen des Gewächsreiches nehmen in dieser Natur die bezeichnende Form der Lianen an. Hoch auf den Ästen wiegen sich luftige Gärten von Orchideen, Farren, Bromeliazeen usw., und die Tillandsia usneoides überhängt das Haupt alternder Bäume mit greisen Silberlocken. Breitblättrige Aroideen wuchern am Abfluß der Bäche. Riesenhafte, säulenartige Kaktus bilden abgesonderte, seltsame, starre Gruppen. Farrenkräuter und Lichene bedecken dürre Sandstrecken. Über feuchten Gründen erheben luftige Palmen ihre Kronen, und gesellig übergrünt die ganzblättrige Mangle (Rhizophora) die unzugänglichen Moräste, in welche die Buchten des Meeres sich verlieren. Die Gebirgsart, ein grobkörniger Granit, durchbricht nirgends die Dammerde und wird nur stellenweise am Gestade und an den Klippen wahrgenommen, die aus dem Kanal hervorragen.
Ich muß bemerken, daß ich nirgends die Palmen, weder in Brasilien, noch auf Luzon, noch auf Java, soweit ich vom Schiffe aus die nahe liegende Küste überschauen konnte, die Vorherrschaft über andere Pflanzenformen behaupten, den Wald überragen und den Charakter der Landschaft bedingen sah. Nur die von dem Menschen angepflanzte und ihm nur hörige schönste der Palmen, die schlanke, windbewegte Kokospalme auf den Südsee-Inseln, könnte als Ausnahme angeführt werden. Aber vorherrschend sollen zwischen den Tropen die Palmen sein in den weiten, niedren, oft überflossenen Ebenen, durch welche die großen Flüsse Amerikas sich ergießen.
Obgleich Amerika den riesenhaften Tierformen der Alten Welt, von dem Elefanten bis zu der Boaschlange, keine ähnliche entgegenzustellen hat, scheint doch in der brasilianischen Natur die Mannigfaltigkeit und Fülle diesen Mangel auszugleichen. Die Tierwelt ist in Einklang mit der Pflanzenwelt. Der Lianenform der Gewächse entspricht der Kletterfuß der Vögel und der Wickelschwanz der Säugetiere, mit dem selbst Raubtiere versehen sind. Überall ist Leben. Herden von Krebsen bewohnen in der Nähe des Meeres die feuchteren Stellen des Landes und ziehen sich vor dem Wanderer in ihre Höhlen zurück, ihre größere Schere über dem Kopfe schwingend. Der größte Reichtum und die größte Pracht herrschen unter den Insekten, und der Schmetterling wetteifert mit dem Kolibri. Senkt sich die Nacht über diese grüne Welt, entzündet rings die Tierwelt ihre Leuchtfeuer. Luft, Gebüsch und Erde erfüllen sich mit Glanz und überleuchten das Meer. Der Elater trägt in geradlinigem Fluge zwei Punkte beständigen Lichtes, zwei nervenversehene Leuchtorgane, auf dem Brustschild; die Lampyris wiegt sich in unsicheren Linien durch die Luft mit ab- und zunehmendem Schimmer des Unterleibes, und bei dem märchenhaften Schein erschallt das Gebell und das Gepolter der froschähnlichen Amphibien und der helle Ton der Heuschrecken.
Den unerschöpflichen Reichtum der Flora Brasiliens beweisen die seit Jahren ihr gewidmeten Bemühungen von Auguste de Saint-Hilaire, Martius, Nees von Esenbeck, Pohl, Schlechtendal und mir, teils auch von de Candolle und Adrien de Jussieu. Alles war neu für die Wissenschaft. Die Arbeiten so vieler Männer haben sich noch nur über Bruchstücke erstrecken können; und hält einer Nachlese in einer Familie, die bereits ein anderer bearbeitet hat, gibt oft diese der ersten Ernte wenig nach.
Am 13. Dezember, dem Morgen nach unserer Ankunft, ward der »Rurik« dem Lande näher gebracht, und ich begleitete sodann den Kapitän nach der Stadt Nostra Señora do Destero, auf der Insel, beiläufig neun Meilen von unserm Ankerplatz, an der engsten Stelle des Kanals gelegen. Ich habe sie wiederholt besucht, und sie hat mir keine deutliche Erinnerung zurückgelassen; auch von den Menschen, mit denen ich in Berührung gekommen, vermisse ich in mir ein bestimmtes Bild. Die Natur, nur die riesenhafte Natur hat mir bleibende Eindrücke eingeprägt.
Am 14. ward das Observatorium ans Land gebracht und daselbst ein Zelt aufgeschlagen. Ein ärmliches Haus und das Zelt dienten dem Kapitän und der Schiffsgesellschaft, die er mit sich nahm, zur Wohnung, während Gleb Simonowitsch auf dem Schiffe blieb, dessen Kommando er übernahm.
Ich erfuhr, daß der Leutnant Sacharin, der auf der Herreise mehr und mehr erkrankt war, sich hier, und gleich am andern Morgen, einer furchtbaren chirurgischen Operation unterwerfen wolle, und Eschscholtz, der sie verrichten sollte, eröffnete mir, daß er dabei auf meine Beihülfe rechne. Es war, ich gestehe es, einer der ernstesten Momente meines Lebens, als nach empfangenen Instruktionen und getroffenen Vorbereitungen ich mit Eschscholtz an das Bette des Kranken trat und zu mir selber sagte: »Fest und aufmerksam! Von deiner unerschütterlichen Kaltblütigkeit hängt hier ein Menschenleben ab.« Als aber zu dem blutigen Werke geschritten werden sollte, fand der Doktor die Umstände, und zwar zum Bessern, verändert. Die Operation unterblieb, und der Kranke erholte sich wirklich und konnte in der Folge seinen Dienst wieder versehen.
Ob es gleich nicht die Regenzeit war, die für diesen Teil Brasiliens in den September fällt, so hatten wir doch fast beständigen Regen, und man brachte wohl im Volke die Ankunft der Russen mit dem ungewöhnlichen Wetter in Verbindung. Indes war von den gesammelten und schwer zu trocknenden Pflanzen mein ganzer Papiervorrat bereits eingenommen. Die vom Schiffe, welche unter dem Zelte schliefen, Maler, Steuermann und Matrose, bedienten sich meiner Pflanzenpakete zur Einrichtung ihres Lagers und als Kopfkissen. Ich war darum nicht befragt worden und hätte mich der eingeführten Ordnung zu widersetzen vergeblich versucht. Das Zelt ward aber in einer stürmisch regnichten Nacht umgeworfen, und das erste, woran jeder bei dem Unfalle dachte, war eben nicht, meine Pflanzenpakete ins Trockne zu bringen. Ich verlor auf die Weise nicht nur einen Teil meiner Pflanzen, sondern auch noch einen Teil meines Papieres – ein unersetzlicher Verlust und um so empfindlicher, als mein Vorrat nur gering war, indem ich auf einen anderen zu rechnen verleitet worden und selber nun mit meinem Eingebrachten für einen zweiten, für Eschscholtz, der ganz entblößt war, ausreichen sollte.
Krusenstern, an dessen Bord Otto von Kotzebue sich befand, war vor zwölf Jahren zu derselben Jahreszeit mit der »Nadeshda« und der »Newa« in diesem selben Hafen gewesen, hatte ungefähr an derselben Stelle vor Anker gelegen und sein Observatorium auf der kleinen Insel Atomery gehabt, auf welcher das Fort Santa Cruz liegt. Damals hatte ein geborener Preuße, namens Adolf, wohnhaft zu San Miguel, vier bis fünf Meilen von unserm Zelt, Krusenstern und seine Offiziere auf das gastlichste empfangen und mit ihnen auf das freundschaftlichste gelebt. Otto Astawitsch erinnerte sich liebevoll des Gastfreundes, er erkundigte sich nach ihm; es wurde ihm berichtet, daß jener gestorben sei, daß aber die Witwe noch lebe, und er beschloß, die wohlbekannte, freundliche Frau zu besuchen; wir wallfahrteten nach San Miguel. – Diese Witwe war nicht die Frau, die Otto Astawitsch gekannt hatte, sondern eine junge Frau, die Adolf bald nach dem Tode der ersten in zweiter Ehe geheiratet hatte. Sie beherbergte einen Landsmann und Freund in dem neu aufgeputzten Hause. Damals hatten die russischen Offiziere ihre Namen an die gastliche Wand eingeschrieben: geglättet und übertüncht waren die Wände; der Fleck, wo jene Namen gestanden, war nicht mehr zu ermitteln, keiner wußte davon, und das Andenken des erst im vorigen Jahre verstorbenen Adolfs schien sowohl als das der Russen gänzlich ausgegangen.
Wir wurden auf solchen Exkursionen von den Landbewohnern, bei welchen wir ansprachen oder die uns selber zuvorkommend in ihre Häuser zogen, mit Früchten bewirtet, und es ward uns, was der Vorrat erlaubte, angeboten; wenn wir aber für das Genossene Bezahlung anboten, verstand man uns nicht. Die Übervölkerung hat der natürlichen Gastfreundschaft noch nicht Einhalt getan.
Wir fanden hier den Sklavenhandel noch in Flor. Das Gouvernement Santa Catharina bedurfte allein jährlich fünf bis sieben Schiffsladungen Neger, jede zu hundert gerechnet, um die zu ersetzen, die auf den Pflanzungen ausstarben. Die Portugiesen führten solche aus ihren Niederlassungen in Kongo und Moçambique selber ein. Der Preis eines Mannes in den besten Jahren betrug 200 bis 300 Piaster. Ein Weib war viel geringeren Wertes. Die ganze Kraft eines Menschen schnell zu verbrauchen und ihn durch neuen Ankauf zu ersetzen schien vorteilhafter zu sein, als selbst Sklaven in seinem Hause zu erziehen. – Mögen euch ungewohnt diese schlichten Worte eines Pflanzers der Neuen Welt ins Ohr schallen. – Der Anblick dieser Sklaven in den Mühlen, wo sie den Reis in hölzernen Mörsern mit schweren Stampfkolben von seiner Hülse befreien, indem sie den Takt zu der Arbeit auf eine eigentümliche Weise ächzen, ist peinvoll und niederbeugend. Solche Dienste verrichten in Europa Wind, Wasser und Dampf. Und schon stand zu Krusensterns Zeit eine Wassermühle im Dorfe San Miguel. Die im Hause der Herren und die in ärmeren Familien überhaupt gehalten werden, wachsen natürlich dem Menschen näher als die, deren Kraft bloß maschinenmäßig in Anspruch genommen wird. Wir waren übrigens nie Zeugen grausamer Mißhandlungen derselben. Das Weihnachtsfest schien, wie überall das Fest der Kinder, auch hier das Fest der Schwarzen zu sein. Sie zogen truppenweise, phantastisch ausstaffiert von Haus zu Haus durch die Gegend und spielten und sangen und tanzten um geringe Gaben, ausgelassener Fröhlichkeit hingegeben. Um Weihnachten diese grüne Palmen- und Orangenwelt! Überall im Freien Paniere und Fackeln, Gesang und Tanz und das freudige Stampfen des Fandango. – In den letzten Tagen hatten die Genossen Bekanntschaften angeknüpft, bei denen sie das Fest feiern mochten; – ich war an diesem Abend so für mich allein!
Man findet überall bekannte Spuren. In der Stadt lebte ein Schneider, der aus meiner Provinz, gleichsam aus meiner Vaterstadt, aus Châlons-sur-Marne, gebürtig war. Mein Name mußte ihm geläufig sein. – Er hat mich aufgesucht; ich weiß aber nicht, wie es sich traf, ich habe ihn nicht gesehen.
Folgende Notiz möge hier noch Platz finden. Der Name Armaçaõ bezeichnet die königlichen Fischereien, die den Walfischfang ausüben und deren es vier in diesem Gouvernement gibt. Der Fang geschieht in den Wintermonaten vor dem Eingange des Kanals. Es gehen bloß offene, gezimmerte Boote aus, die mit sechs Ruderern, einem Steuermann und einem Harpunier bemannt sind; der erlegte Fisch wird ans Land gezogen und da zerschnitten. Jede Armaçaõ soll deren in jedem Winter nah an hundert einbringen, und man versicherte uns, die Zahl könnte viel höher anwachsen, wenn die Auszahlung der Gehalte, die um drei Jahre verspätet war, pünktlicher geschehe. Nördlicher gelegene Gouvernements haben an dem Walfischfange auch teil. Man soll den Fischen schon unter dem zwölften Grad südlicher Breite begegnen. – Es ist vermutlich der Pottfisch (Physeter), dem unter so heißer Sonne an den Küsten Brasiliens nachgestellt wird.
Ich finde in einem Briefe, den ich aus Brasilien nach Berlin schrieb, eine Entdeckung verzeichnet, die kaum in eine Reisebeschreibung gehören mag, die ich jedoch hier einbuchen will, weil es mir neckisch vorkommt, daß grade ein geborener Franzose um die Welt reisen mußte, um sie fernher den Deutschen zu verkünden. Ich habe nämlich auf der Fahrt nach Brasilien in der »Braut von Korinth«, einem der vollendetsten Gedichte Goethes, einem der Juwelen der deutschen und europäischen Literatur, entdeckt, daß der vierte Vers der vierten Strophe einen Fuß zuviel hat!
Daß er angekleidet sich aufs Bette legt.
Ich habe seither keinen Deutschen, weder Dichter noch Kritiker, angetroffen, der selbst die Entdeckung gemacht hätte; ich habe Kommentare über die »Braut von Korinth«, vergötternde und schimpfende, gelesen und darin keine Bemerkung über den angeführten überzähligen Fuß gefunden. – Die Deutschen geben sich oft so viel Mühe, von Dingen zu reden, die sie sich zu studieren so wenig Mühe geben! – Ich halte die Entdeckung noch für neu.
Am 26. Dezember 1815 wurden die Instrumente an Bord gebracht, und wir selbst schifften uns ein. Stürmisches Wetter hielt uns am 27. noch im Hafen, den wir erst den dritten Tag verließen.