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Der »Rurik«. Abfahrt von Kopenhagen. Plymouth
Ich meldete mich am Morgen des 9. August 1815 am Bord des »Ruriks« auf der Reede zu Kopenhagen bei dem Kapitän. Ein Gleiches tat mit mir der Leutnant Wormskiold; und Herr von Kotzebue, anscheinlich durch die Eintracht, die er unter uns herrschen sah, bewogen, sagte ihm die Aufnahme zu. Seiner Reisebeschreibung nach scheint er hierin nicht eigenmächtig gehandelt zu haben. Er übergab mir einen schmeichelhaften Brief vom Grafen Romanzow und einen andern vom Herrn von Krusenstern, ließ mich übrigens vorläufig ohne Instruktion und Verhaltungsbefehle. Ich fragte vergebens danach; ich ward über meine Pflichten und Befugnisse nicht belehrt und erhielt keine Kenntnis von der Schiffsordnung, in die ich mich zu fügen hatte. Es mußte mir in meinen Verhältnissen auf dem »Rurik« so wie überhaupt in der Welt ergehen, wo nur das Leben das Leben lehrt. Es ward uns befohlen, binnen drei Tagen mit unserer Habe am Bord zu sein. Die Abfahrt verzögerte sich aber bis zum 17. Am 13. besuchten die Gesandten mehrerer Höfe das Schiff und wurden, wie sie dessen Bord verließen, mit dreizehn Kanonenschüssen salutiert.
Es ist hier der Ort, von der abgesonderten kleinen Welt, zu der ich nun gehörte, und von der Nußschale, in der eingepreßt und eingeschlossen sie drei Jahre lang durch die Räume des Ozeans geschaukelt zu werden bestimmt war, eine vorläufige Kenntnis zu geben. Das Schiff ist die Heimat des Seefahrers; bei solcher Entdeckungsreise schwebt es über zwei Drittel der Zeit in völliger Abgeschiedenheit zwischen der Bläue des Meeres und der Bläue des Himmels; nicht ganz ein Drittel der Zeit liegt es vor Anker im Angesichte des Landes. Das Ziel der weiten Reise möchte sein, in das fremde Land zu gelangen; das ist aber schwer, schwerer, als sich es einer denkt. Überall ist für einen das Schiff, das ihn hält, das alte Europa, dem er zu entkommen vergeblich strebt, wo die alten Gesichter die alte Sprache sprechen, wo Tee und Kaffee nach hergebrachter Weise zu bestimmten Stunden getrunken werden und wo das ganze Elend einer durch nichts verschönerten Häuslichkeit ihn festhält. Solange er vom fremden Boden noch die Wimpel seines Schiffes wehen sieht, hält ihn der Gesichtsstrahl an die alte Scholle festgebannt. – – Und er liebt dennoch sein Schiff! – wie der Alpenbewohner die Hütte liebt, worin er einen Teil des Jahres unter dem Schnee freiwillig begraben liegt.
Hier ist, was ich zu Anfang der Reise über unsere wandernde Welt aufschrieb. Den Namen sind die Vor- und Vatersnamen hinzugefügt, bei welchen wir auf dem Schiffe nach russischer Sitte genannt wurden.
Der Kapitän Otto Astawitsch von Kotzebue. Erster Leutnant Gleb Simonowitsch Schischmarew, ein Freund des Kapitäns, älterer Offizier als er, nur Russisch redend; ein heiter strahlendes Vollmondsgesicht, in das man gern schaut; eine kräftige, gesunde Natur; einer, der das Lachen nicht verlernt hat. – Zweiter Leutnant Iwan Jakowlewitsch Sacharin, kränklich, reizbar, jedoch gutmütig, versteht etwas Französisch und Italienisch. – Der Schiffsarzt, Naturforscher und Entomolog Iwan Iwanowitsch Eschscholtz, ein junger Doktor aus Dorpat, fast zurückhaltend, aber treu und edel wie Gold. – Der Naturforscher, ich selbst, Adelbert Loginowitsch. – Der Maler Login Andrewitsch Choris, der Herkunft nach ein Deutscher, der, jetzt noch sehr jung, bereits als Zeichner Marschall von Bieberstein auf einer Reise nach dem Kaukasus begleitet hatte. – Freiwilliger Naturforscher Martin Petrowitsch Wormskiold. – Drei Untersteuerleute: Chramtschenko, ein sehr gutmütiger, fleißiger Jüngling; Petrow, ein kleiner, launig-lustiger Bursche; der dritte, Koniew, uns fernerstehend. – Zwei Unteroffiziere und zwanzig Matrosen.
Die Seeleute, unter denen, die sich freiwillig zu dieser Expedition gemeldet haben, ausgesucht, sind ein hochachtbares Volk; handfeste Leute, der strengsten Mannszucht unbedingt unterwürfig, sonst von tüchtiger, ehrgeiziger Gesinnung, stolz auf ihren Beruf als Weltumsegler.
Der Kapitän, der in seiner frühesten Jugend mit Krusenstern auf der »Nadeshda« die Reise um die Welt gemacht, ist der einzige an seinem Bord, der die Linie überschritten hat; – der Älteste an Jahren bin ich selbst.
Der »Rurik«, dem der Kaiser auf dieser Entdeckungsreise die Kriegsflagge zu führen bewilligt hat, ist eine sehr kleine Brigg, ein Zweimaster von 180 Tonnen, und führt acht kleine Kanonen auf dem Verdeck. Unter Deck nimmt die Kajüte des Kapitäns den Hinterteil des Schiffes ein. Von ihr wird durch die gemeinschaftliche Treppe die Kajüte de Campagne getrennt, die am Fuß des großen Mastes liegt. Beide bekommen das Licht von oben. Der übrige Schiffsraum bis zu der Küche am Fuße des Vordermastes dient den Matrosen zur Wohnung.
Die Kajüte de Campagne ist beiläufig zwölf Fuß ins Gevierte. Der Mast, an dessen Fuß ein Kamin angebracht ist, bildet einen Vorsprung darin. Dem Kamine gegenüber ist ein Spiegel und unter dem, mit der einen Seite an der Wand befestigt, der viereckige Tisch. In jeglicher Seitenwand der Kajüte sind zwei Kojen befindlich, zu Schlafstellen eingerichtete Wandschränke, beiläufig sechs Fuß lang und dritthalb breit. Unter denselben dient ein Vorsprung der Länge der Wand nach zum Sitz und gibt Raum für Schubladen, von denen je vier zu jeder Koje gehören. Etliche Schemel vollenden das Ameublement.
Zwei der Kojen gehören den Offizieren, die zwei anderen dem Doktor und mir. Choris und Wormskiold schlafen im Schiffsraum in Hängematten. Meine Koje und drei der darunter befindlichen Schubkasten sind der einzige Raum, der mir auf dem Schiffe angehört; von der vierten Schublade hat Choris Besitz genommen. In dem engen Raume der Kajüte schlafen vier, wohnen sechs und speisen sieben Menschen. Am Tische wird morgens um sieben Uhr Kaffee getrunken, mittags um zwölf gespeist und sodann das Geschirr gescheuert, um fünf Uhr Tee getrunken und abends um acht der Abhub der Mittagstafel zum zweitenmal aufgetragen. Jede Mahlzeit wird um das Doppelte verlängert, wenn ein Offizier auf dem Verdecke die Wache hat. In den Zwischenzeiten nimmt der Maler mit seinem Reißbrett zwei Seiten des Tisches ein, die dritte Seite gehört den Offizieren, und nur wenn diese sie unbesetzt lassen, mögen die andern sich darum vertragen. Will man schreiben oder sonst sich am Tische beschäftigen, muß man dazu die flüchtigen, karggezählten Momente erwarten, ergreifen und geizig benutzen; aber so kann ich nicht arbeiten. Ein Matrose hat den Dienst um den Kapitän, Scheffecha, ein kleiner Tatar, ein Mohammedaner; ein anderer in der Kajüte de Campagne, Sikow, einer der tüchtigsten, ein Russe fast herkulischen Wuchses. – Es darf nur in der Kajüte Tabak geraucht werden. – Es ist wider die Schiffsordnung, das Geringste außerhalb des jedem gehörigen Raumes unter Deck oder auf dem Verdeck ausgesetzt zu lassen. – Der Kapitän protestiert beiläufig gegen das Sammeln auf der Reise, indem der Raum des Schiffes es nicht gestatte und ein Maler zur Disposition des Naturforschers stehe, zu zeichnen, was dieser begehre. Der Maler aber protestiert, er habe nur unmittelbar vom Kapitän Befehle zu empfangen.
Zu Kopenhagen wurde über die oben angeführte Zahl der Schiffsmannschaft noch ein Koch angeworben, ein verwahrlostes Kind der See: der Gesichtsbildung nach ein Ostindier oder ein Malaie; der Sprache nach, die aus allen Dialekten der redenden Menschen undeutlich zusammengemischt war, kaum ein Mensch. Außerdem ward ein Lotse für die Fahrt im Kanal und nach Plymouth an Bord genommen, und dieser brachte die Zahl unserer Tischgesellschaft auf acht, die am kleinen Tische nicht mehr Raum hatten.
Der »Rurik« war am 30. Juli 1815 – zwei Tage früher, als mir gemeldet worden – von Kronstadt ausgelaufen und am 9. August auf der Reede von Kopenhagen angelangt. Wir lichteten am 17. um vier Uhr des Morgens die Anker, die wir vier Stunden später vor Helsingör wiederum auswerfen mußten. Der Wind, der abwechselnd nur zur Ein- oder Ausfahrt das Tor offenhält, ward uns erst am Morgen des 19. günstig, an welchem Tage wir um zehn Uhr des Morgens durch den Sund fuhren und mit uns zugleich über sechzig andere Schiffe, die auf denselben Moment gewartet hatten. Wir salutierten die Festung, ohne ein Boot abzuwarten, das vom Blockschiff auf uns zu ruderte; und rascher segelnd als die Kauffahrer um uns her, überholten wir schnell die vordersten und ließen bald ihr Geschwader weit hinter uns. Der Augenblick war wirklich schön und erhebend.
Wir hatten auf der Fahrt durch die Nordsee fast anhaltend widrige Winde bei naßkaltem Wetter und bedecktem Himmel. Nach langem Lavieren mußte uns ein Schiff, das wir anriefen, das Leuchtschiff am Ausfluß der Themse zeigen, das wir noch nicht entdeckt hatten. Ich ward in der Nacht vom 31. August zum 1. September auf das Verdeck gerufen, um die Feuer der französischen Küste bei Calais brennen zu sehen; der Eindruck entsprach nicht ganz meiner Erwartung. Am Morgen brachte uns ein günstiger Windhauch durch die Dover-Straße. Albion mit seinen hohen weißen Küsten lag uns nahe zur Rechten, fern zur Linken dämmerte Frankreich im Nebel; wir verloren es allmählich außer Sicht, und es ward nicht wieder gesehen. Wir mußten noch am selben Tage die Anker auf einige Stunden fallen lassen. Am 7. September mittags gingen wir vor der Stadt Plymouth im Cathwater vor Anker.
Die Zeit dieser Fahrt war für mich eine harte Lehrzeit. Ich lernte erst die Seekrankheit kennen, mit der ich unausgesetzt rang, ohne sie noch zu überwinden. Es ist aber der Zustand, in den diese Krankheit uns versetzt, ein erbärmlicher. Teilnahmslos mag man nur in der Koje liegen oder oben auf dem Verdecke, am Fuße des großen Mastes, sich vom Winde anwehen lassen, wo näher dem Mittelpunkte der Bewegung dieselbe unmerklicher wird. Die eingeschlossene Luft der Kajüte ist unerträglich, und der bloße Geruch der Speisen erregt einen unsäglichen Ekel. Obgleich mich der Mangel an Nahrung, die ich nicht bei mir behalten konnte, merklich schwächte, verlor ich dennoch nicht den Mut. Ich ließ mir von andern erzählen, die noch mehr gelitten als ich, und von Nelson, der nie zur See gewesen, ohne krank zu sein. Ich duldete um des freudigen Zieles willen die Prüfung ohne Murren.
Wormskiold hatte indes die meteorologischen Instrumente zu beobachten übernommen. Seine Kenntnis des Seelebens gab ihm einen großen Vorsprung vor mir, der ich, in die neuen Verhältnisse uneingeweiht, durch manchen Verstoß unvorteilhafte Vorurteile wider mich erweckte. Ich wußte zum Beispiel noch nicht, daß man nicht ungerufen den Kapitän in seiner Kajüte aufsuchen darf; daß ihm, wenn er auf dem Verdeck ist, die Seite über dem Wind ausschließlich gehört und daß man ihn da nicht auch anreden soll; daß diese selbe Seite, wenn sie der Kapitän nicht einnimmt, dem wachthabenden Offizier zukommt; ich wußte vieles der Art nicht, was ich nur gelegentlich erfuhr.
Ich hatte nicht bemerkt, daß in Hinsicht der Bedienung ein Unterschied zwischen den Offizieren und uns anderen gemacht werde. Als wir in Plymouth einliefen, gab ich unserm Sikow meine Stiefeln zu putzen; er empfing sie aus meiner Hand und setzte sie vor meinen Augen sogleich da wieder hin, wo ich sie eben hergenommen hatte. So ward mir kund, daß er nur seinen Offizieren zu dienen habe. Ich mußte von dem Tage an auf die kleinen Dienste Verzicht leisten, die er mir bis dahin freiwillig geleistet hatte; der wackere Kerl war mir von Herzen gut, ich glaube, er würde für mich durchs Feuer gegangen sein; aber meine Stiefeln hätte er nicht wieder angerührt. Solche Dienste wußte sich Choris von andern Matrosen zu verschaffen; Eschscholtz wußte sie sich selber zu leisten; ich aber wußte mich darüber hinwegzusetzen und ihrer zu entbehren.
Ich ward, sobald das Schiff vor Anker lag, zu dem Kapitän gerufen. Ich trat zu ihm in seine Kajüte ein. Er redete mich ernst und scharf an, mich ermahnend, meinen Entschluß wohl zu prüfen; wir seien hier in dem letzten europäischen Hafen, wo zurückzutreten mir noch ein leichtes sei. Er gebe mir zu überlegen, daß ich als Passagier an Bord eines Kriegsschiffes, wo man nicht gewohnt sei, welche zu haben, keinerlei Ansprüche zu machen habe. Ich entgegnete ihm betroffen: es sei mein unabänderlicher Entschluß, die Reise unter jeder mir gestellten Bedingung mitzumachen, und ich würde, wenn ich nicht weggewiesen würde, von der Expedition nicht abtreten.
Die Worte des Kapitäns, die ich hier wiederholt habe, wie ich sie damals niederschrieb, wie sie ausgesprochen wurden und mir unvergeßlich noch im Ohre schallen, waren für mich sehr niederschlagend. Ich glaubte nicht, Veranlassung dazu gegeben zu haben. Ich kann aber dem Kapitän bei dieser Gelegenheit nicht unrecht geben. Es scheint so natürlich, daß ein Titulargelehrter, Teilnehmer einer gelehrten Unternehmung, begehren werde, dabei eine Auctorität zu sein, daß dem Schiffskapitän nicht zu verargen ist, es zu erwarten und dem vorzubeugen. Denn zwei Auctoritäten können auf einem Schiffe nicht zusammen bestehen, und das lehrt die Erfahrung auch auf Kauffahrteischiffen, wo es meist unerfreulich zugeht, wann neben dem Kapitän ein Superkargo und Stellvertreter des Eigentümers ist. Man nimmt auch, wo das Seewesen verstanden wird, Rücksicht darauf. In Frankreich und England werden auf Entdeckungsreisen keine Titulargelehrten mehr mitgenommen, sondern es wird dafür gesorgt, daß alle Teilnehmer der Expedition Gelehrte seien; bei den amerikanischen Kauffahrern ist der Führer des Schiffes zugleich der Handelsmann, und die Handelskompanien haben Faktoreien, zwischen welchen und dem Mutterland das betrachtete Schiff zu fahren dem unumschränkt an seinem Bord gebietenden Offizier einzig obliegt. Ob es gleich in der Wesenheit der Dinge liegt, ist es doch zu bedauern, daß der Gelehrte, dem es in der Regel am Bord eines Kauffahrers so wohl ergeht, so beengt wird da, wo sich ihm ein weiterer Wirkungskreis zu eröffnen scheint. Voller Lust und Hoffnung, voller Tatendurst kommt er hin und muß zunächst erfahren, daß die Hauptaufgabe, die er zu lösen hat, darin besteht, sich so unbemerkbar zu machen, sowenig Raum einzunehmen, sowenig dazusein als immer möglich. Er hat hochherzig von Kämpfen mit den Elementen, von Gefahren, von Taten geträumt und findet dafür nur die gewohnte Langeweile und die nie ausgehende Scheidemünze des häuslichen Elendes, ungeputzte Stiefeln und dergleichen.
Meine nächste Erfahrung war eben auch nicht ermutigend. Ich hatte mich vorsorglich über das Prinzip und den Bau der Filtrierfontäne belehrt und erbot mich, eine solche zu verfertigen. Das zur ungünstigsten Zeit geschöpfte und jetzt schon sehr übel riechende Wasser der Newa, welches wir tranken, schien meinen Antrag zu unterstützen. Nichtsdestoweniger fand er keinen Anklang. Es fehlte an Raum, an Zeit, an andern Erfordernissen, und zuletzt war der Kapitän der Meinung, »das Filtrieren werde dem Wasser die nahrhaften Teile entziehen und es weniger gesund machen«. Ich sah ein, daß ich die Sache fallenlassen müsse.
Plymouth liegt an einem Einlaß des Meeres, welcher sich hinter dem Küstenstriche höheren Landes in Arme teilt und zwischen schönen Felsenufern weit in das Land eindringt. Alte und neue Städte, Dörfer, Stapelplätze, Arsenäle, Festungen, prachtvolle Landhäuser drängen sich an diesen Ufern; die ganze Gegend ist nur eine Stadt, das eigentliche Plymouth nur ein Revier derselben. Das Land umher wird überall von Mauern und Hecken in Felder abgeteilt. Die weißen Mauern, der feine Staub, die Bauart, die riesenhaften Inschriften der Häuser und die Anschlagzettel erinnern unwillkürlich an die Umgegend von Paris. Ein solches Meer von Häusern ist auch Paris; aber ihm fehlt die große Straße, das Meer. Dieses trägt hier in eigenen Häfen und auf Ankerplätzen unzählige Schiffe, dort (Plymouth-Dock) Kriegsschiffe, hier (Plymouth-Cathwater) Kauffahrteischiffe aller Nationen. Es wurde zur Zeit ein riesenhaftes Werk ausgeführt, das Breakwater, ein Damm, der den Eingang des Sundes zum Teil absperren und das Binnenwasser vor dem Andrange der äußeren Wellen schützen sollte. Über zweiundsechzig Fahrzeuge waren unaufhörlich beschäftigt, die Felsenmassen herbeizubringen, die in den Steinbrüchen an den Ufern des Fjordes unablässig gesprengt wurden. Das Abdonnern dieser Minen, die Signalschüsse, das Salutieren der Schiffe erweckten oft im tiefsten Frieden das Bild einer belagerten Stadt.
Ich war und blieb fremd in Plymouth. Die Natur zog mich mehr an als die Menschen. Sie trägt einen unerwartet südlichen Charakter, und das Klima scheint besonders mild zu sein. Die südeuropäische Eiche (Quercus ilex) bildet die Lustwälder von Mount Edgcomb, und Magnolia grandiflora blüht im Freien am Spalier.
Das Meer hat bei hohen felsigen Ufern und Fluten von einer Höhe, die kaum auf einem andern Punkte der Welt – auf der Küste von Neuholland – beobachtet wird, seine ganze Herrlichkeit. Die Flut steigt an den Übergangs-, Kalk- und Tonschieferklippen bis auf zweiundzwanzig Fuß; und bei der Ebbe enthüllt sich dem Auge des Naturforschers die reichste, wunderbar rätselhafteste Welt. Ich habe seither nirgends einen an Tangen und Seegewürmen gleich reichen Strand angetroffen. Ich erkannte fast keine von diesen Tieren; ich konnte sie in meinen Büchern nicht auffinden, und ich entrüstete mich ob meiner Unwissenheit. Ich habe erst später erfahren, daß wirklich die mehrsten unbekannt und unbeschrieben sein mußten. Ich habe im Verlaufe der Reise manches auf diese Weise versäumt, und ich zeichne es hier geflissentlich auf zur Lehre für meine Nachfolger. Beobachtet, ihr Freunde, sammelt, speichert ein für die Wissenschaft, was in euren Bereich kommt, und lasset darin die Meinung euch nicht irren: dieses und jenes müsse ja bekannt sein, und nur ihr wüßtet nicht darum. – War doch unter den wenigen Landpflanzen, die ich von Plymouth zum Andenken mitnahm, eine Art, die für die englische Flora neu war.
Uns begünstigte die heiterste Sonne. Ich begegnete auf einer meiner Wanderungen zweien Offizieren vom 43. Regimente, die, neugierig, unser Schiff zu sehen, mir auf dasselbe folgten. Sie luden den Kapitän und uns alle, Genossen ihres gemeinschaftlichen Tisches zu sein. Die Einrichtung ist getroffen, daß an einem oder zweien Tagen der Woche ein reichlicheres Mahl aufgetragen wird und jeder Gäste mitbringen kann. Der Kapitän und ich folgten der Einladung. Ich glaube nie eine reichlicher besetzte Tafel gesehen zu haben. Es ward viel gegessen, noch mehr getrunken, wobei jedoch den fremden Gästen kein Zwang auferlegt wurde; aber es herrschte keine Lustigkeit. Am Abend gaben uns, die uns eingeladen hatten, das Geleit, und einer der beiden entledigte sich vor uns des genossenen Weins, ohne daß dadurch der Anstand verletzt wurde.
Ich habe der politischen Ereignisse, die mich auf diese Reise gebracht und die, sobald der Ruf an mich ergangen war, für mich in den Hintergrund zurückgetreten waren, nicht wieder erwähnt. Mich mahnt Plymouth, mich mahnt die freundliche Berührung mit dem Offizierkorps des 43. Regimentes an den Mann des Schicksals, den von hier aus kurz vor unserem Einlaufen der »Bellerophon« nach Sankt Helena abgeführt hatte, damit er, der einst die Welt unterjocht und beherrscht hatte, dort in erbärmlichen Zwistigkeiten mit seinen Wächtern kleinlich untergehe. Allgemein war für den überwundenen Feind die Begeisterung, die aus allen Klassen des Volkes, besonders aus dem Wehrstande, einmütig uns entgegenschallte. Jeder erzählte, wann und wie oft er ihn gesehen und was er getan, in die Huldigung der Menge einzustimmen; jeder trug seine Medaillen, jeder pries ihn und schalt zürnend die Willkür, die ihn dem Gesetze unterschlagen. In welchem Gegensatze mit der hier herrschenden Gesinnung war nicht der niedrige Schimpf der Spanier in Chile, die sich beeiferten, das Tier der Fabel zu sein, das dem toten Leuen den letzten Fußtritt geben will! Der »Bellerophon« hatte weit im Sunde vor Anker gelegen, und der Kaiser pflegte sich zwischen fünf und sechs Uhr auf dem Verdecke zu zeigen. Zu dieser Stunde umringten unzählige Boote das Schiff, und die Menge harrte begierig auf den Augenblick, den Helden zu begrüßen und sich an seinem Anblick zu berauschen. Später war der »Bellerophon« unter Segel gegangen und hatte, kreuzend im Kanal, was noch zu seiner Ausrüstung mangelte, erwartet. Man erzählte von einer wegen Schulden gegen Napoleon erhobenen Klage und der darauf erfolgten Vorladung eines Friedensrichters, welche Vorladung, falls sie auf das Schiff, während es vor Anker lag, hätte gebracht werden können, zur Folge gehabt haben würde, daß der Verklagte dem Richter hätte gestellt werden müssen. Hätte aber sein Fuß den englischen Boden berührt, so konnte er nicht mehr dem Schutze der Gesetze entzogen werden.
Auf dem Theater von Plymouth trat zur Zeit bei erhöhten Eintrittspreisen Miß O'Neill in Gastrollen auf. Ich habe sie zweimal gesehen, in »Romeo und Julie« und in »Menschenhaß und Reue« (»The Stranger«). Nach der Rückkehr im Jahre 1818 habe ich in London auch Kean gesehen, und zwar in der Rolle von Othello. Ich erkenne es dankbar als eine Gunst des Schicksals, daß ich, der ich das französische und das deutsche Theater, beide in ihrem höchsten Glanze, ich möchte sagen, vor ihrem Verfall, gekannt habe, auch etliche Fürsten der englischen Bühne, sei es auch nur flüchtig, zu sehen bekam. Miß O'Neill befriedigte mich in der Julie nicht, in welcher Rolle sie mir zu massiv erschien; gegen die Eulalia hatte ich nichts einzuwenden; die Gabe der Tränen, die man an ihr bewundern mußte, kam ihr da vortrefflich zustatten. Mir schienen überhaupt die Darstellenden den Shakespeare zu geben, schier wie Hamlet seine »Mausefalle« nicht gegeben haben will. Kotzebue berechtigt zu minderen Anforderungen, die genügender erfüllt wurden. Übrigens haben die englischen Schauspieler alle einen guten Anstand, sprechen die Verse richtig und bemühen sich mit sichtbarer Anstrengung, die Worte, gegen die Sitte des gemeinen Lebens, deutlich und vernehmbar auszusprechen. Sie scheinen mir darin den französischen Schauspielern vergleichbar, denen eine Dressur unerläßlich ist, die alles einbegreift, was auch der nicht von dem Gotte Begabte aus sich heraus und in sich hinein zu bilden vermag. Gottbegabte Künstler sind überall selten. Vielleicht hat unser Deutschland deren verhältnismäßig viele, aber selten sieht man auf unserer Bühne solche, die sich zu dem hinaufgebildet haben, was von den französischen Schauspielern gefodert wird; und das gemeine Handwerkervolk, das die Mehrzahl ausmacht – was soll man von ihnen sagen?
Da ich eben berichten müssen, wie ich in Shakespeares Vaterland unsern Kotzebue von den ersten Künstlern, und zwar befriedigender als ihren eigenen Heros, habe aufführen sehen, so werd ich auch gleich, um nicht wieder darauf zurückzukommen, ein vollgültiges Zeugnis ablegen, daß für die, welche die Regierungen de facto anerkennen, dieser selbe Kotzebue der Dichter der Welt ist. Wie oft ist mir doch an allen Enden der Welt, namentlich auf O-Wahu, auf Guajan usw., für meinen geringen Anteil an dem Beginnen seines Sohnes mit dem Lobe des großen Mannes geschmeichelt worden, um auch auf mich einen Zipfel von dem Mantel seines Ruhmes zu werfen. Überall hallte uns sein Name entgegen. Amerikanische Zeitungen berichteten, daß »The Stranger« mit außerordentlichem Beifall aufgeführt worden. Sämtliche Bibliotheken auf den Aleutischen Inseln, soweit ich solche erkundet habe, bestanden in einem vereinzelten Bande von der russischen Übersetzung von Kotzebue. Der Statthalter von Manila, huldigend der Muse, beauftragte den Sohn mit einem Ehrengeschenke von dem köstlichsten Kaffee an seinen Vater, und auf dem Vorgebürge der Guten Hoffnung erfuhr der Berliner Naturforscher Mundt die Ankunft des »Ruriks«, auf dem er mich wußte und erwartete, von einem Matrosen, der ihm nur zu sagen wußte, daß der Kapitän des eingelaufenen Schiffes einen Komödiantennamen habe. Vom »Alarcos«, vom »Ion« und deren Verfassern habe ich in gleicher Entfernung vom Hause nichts gehört.
Die amerikanischen Kauffahrer, denen keine meerbespülte Küste unzugänglich ist, denen aber die Sonne der romantischen Poesie noch nicht aufgegangen, sind die wandernden Apostel von Kotzebues Ruhm; er ist das für sie taugliche Surrogat der Poesie. Die Tat beweist übrigens, daß er ein Erfordernis besitzt, welches manchem Vornehmeren abgeht; denn was hilft es der Stute Rolands, so unvergleichlich und tadellos zu sein, wenn sie leider tot ist?
Wir fanden in der Regel die Meinung herrschend, der große Dichter lebe nicht mehr. Das ist natürlich: Wer suchte Homer, Voltaire, Don Quixote und alle die großen Namen, in deren Verehrung er aufgewachsen, unter den Lebendigen? Aber auch die Anzeige seines Todes wollte man auf O-Wahu und wohl auch an andern Orten in amerikanischen Zeitungen gelesen haben. Dieses Gerücht, welches mich beunruhigte, kam auch zu den Ohren des Kapitäns, der es auf den Tod eines seiner Brüder deutete, welcher im Feldzug 1813 rühmlich starb. Man wird im Verlauf dieser Blätter sehen, wie man uns in Europa, die wir die Post in Kamtschatka versäumt, verloren und verschollen hat glauben müssen und wie der Vater den hoffnungsvollen Sohn zu beweinen vollgültigen Grund gehabt. Endlich langt unverhofft, unerwartet, allen möglichen Nachrichten von ihm zuvorkommend, der »Rurik« wieder an, und Otto Astawitsch eilt, dem Vater die junge Gattin, mit der er sich vermählt, zuzuführen – er findet die blutige Leiche auf der Totenbahre!
Ich komme von einer Abschweifung, die mich etwas weit geführt hat, auf Plymouth wieder zurück und eile der Abfahrt entgegen. Die Zeit, nicht immer zweckmäßig angewandt, verging sehr schnell. Wir hatten jeder unsere Ausrüstung zu vervollständigen; uns hielt in der zerstreuenden Umgebung nichts zusammen; jeder sorgte für sich selbst, wie er konnte und mochte; vieles hätte, gemeinschaftlich besprochen und planmäßig ausgeführt, zweckmäßiger und schneller geschehen können. Ein paar Diners, zu denen ich mit dem Kapitän eingeladen wurde, bieten mir zu keinen neuen Bemerkungen Stoff. Die Sitten der mehr Ehrfurcht gebietenden als durch Liebenswürdigkeit anziehenden Engländer finden sich in allen Büchern beschrieben. Ich habe da den Stachelbeerwein gekostet, dessen wegen das Haus des Vicar of Wakefield berühmt war, und habe ihn dem Champagner gleich, nur süßer gefunden. Ich habe nach abgehobenem Tischtuch am grünen Teppiche getrunken und trinken sehen; ernst, gelassen und wortkarg, einer abwechselnd sich gegen den andern verneigend, eine Ehren- oder Wohlwollensbezeigung, die auf gleiche Weise zu erwidern man nicht verabsäumen darf. Ich habe überhaupt Engländer nur dann lachen sehen, wann ich Englisch mit ihnen zu reden versucht, und habe mir auf die Weise oft zu meiner eigenen Freude freudige Gesichter erzeugt. Ich habe später auf dem Schiffe den Freund Choris Englisch gelehrt, der mir die Mühe dadurch vergalt, daß er mir hinfort unter Engländern zu einem Dolmetscher gedient. Wo er zu meinem Englischen die Aussprache herbekommen hat, ist mir unerklärt geblieben. Ich habe übrigens die Engländer im allgemeinen höflich und dienstfertig gefunden. Das Seehospital, welches ich besuchte, veranlaßt mich nur zu bezeugen, daß alles, was man von der Reichlichkeit, Reinlichkeit und Schönheit solcher englischen Institute und von der Ordnung und Fülle, die in ihnen herrscht, aus Büchern weiß, weit hinter dem Eindruck zurückbleibt, den die Ansicht macht.
Am 22. September war der »Rurik« segelfertig. Das Observatorium, das unter einem Zelte auf Mount Batten, einer wüsten Halbinsel in unsrer Nähe, gestanden hatte, war wieder eingeschifft und das Dampfbad abgebrochen, welches neben dem Observatorium unter einem andern Zelte für Offiziere und Matrosen eingerichtet worden war. Ich habe in Plymouth zuerst die Sitte der russischen Bäder kennengelernt und mir angeeignet.
Wir sollten am nächsten Tage die Anker lichten, und noch lagen die Briefe meiner Lieben und in Anweisungen ein kleines Kapital, das ich auf die Reise mitnehmen wollte, bei der russischen Gesandtschaft in London, an die ich sie adressieren lassen; und alle Schritte, die ich getan, die Absendung derselben an mich zu erwirken, waren vergeblich gewesen. Ich habe seither auch in Amtsgeschäften erfahren, daß selten durch Gesandtschaften etwas pünktlicher besorgt werde, und selber nie diesen Weg zu Versendungen gewählt. Das Liegenlassen, welches ein treffliches Mittel sein mag, viele Geschäfte abzutun, ist nicht dem Bedürfnis jeglichen Geschäftes angemessen. Ich bedauerte zur Zeit, daß der Kapitän den Plan, den er zuerst hatte, nicht befolgt, mich auf der Fahrt hierher zu Dover oder auf jedem andern Punkt der englischen Küste ans Land zu setzen, von wo ich über London nach Plymouth gereist wäre. Erst nachdem wir zweimal ausgelaufen und zweimal durch den Sturm in den Hafen zurückgeschlagen worden, kamen meine Briefe an. Es mußten die Stürme der Nachtgleichen sich meiner in meinem Kummer und in meinen Sorgen erbarmen.
Auf einer weiten Reise wird, wie für die Gesundheit der Leute, frische Nahrung usw., auch möglichst für deren Unterhaltung gesorgt; denn das Ertötendste ist die Langeweile. Ein Sängerchor der Matrosen war mit den Instrumenten einer Janitscharenmusik versehen, und unser bengalesischer Koch besaß eine Geige. Nichtsdestoweniger hätte der Kapitän gerne für noch mehr Musik gesorgt. Iwan Iwanowitsch spielte Klavier, und es ward beraten, ein Hackebrett oder ein Instrument, wie nur der Raum es zulassen wollte, für ihn anzuschaffen. Dessen nahm sich Martin Petrowitsch mit außerordentlichem Eifer an. Er kam am letzten Tage ganz begeistert auf das Schiff und meldete, er habe eine ganz vortreffliche Orgel gefunden, die er ausgemessen, die im Schiffsraume am Fuße des großen Mastes aufgestellt werden könne und wofür einundzwanzig Pfund begehrt würden. Man schließt sich nicht aus, wo die Mehrheit entschieden hat; der Kauf ward beliebt, und ich ward für meine drei Pfund ein Gönner der edlen Tonkunst so gut wie ein anderer. Der Kapitän fuhr in Geschäften ans Land; seinerseits auch Martin Petrowitsch, um das Instrument zu holen, welches er bald mit einem Arbeiter, um es aufzustellen, heimbrachte; und unsre Offiziere sahen verwundert und entrüstet, aber stillschweigend am vorbestimmten Orte eine große Maschine, eine Kirchenorgel, aufbauen, welche die Luken, die Zugänge zu dem unteren Schiffsraume, besetzt hielt. Otto Astawitsch, als er, wie kaum das Werk vollbracht war, an Bord wieder eintraf, entsetzte sich davor und wollte dem wachthabenden Offizier zürnen, daß er solches gelitten. Er hatte aber ja selbst den Befehl gegeben. Es blieb ihm nur übrig zu verfügen, daß binnen einer halben Stunde Zeit die Orgel entweder wieder ans Land geschafft oder über Bord geworfen sein solle. Das erste geschah. Wodurch man gesündigt hat, damit wird man bestraft: es kommt mir selber, dem Gegenfüßler eines musikalischen Menschen, ergötzlich vor, an diesem unserm in England liegenden Besitztume nicht nur eine, sondern zwei Aktien zu haben – denn ich habe dem Martin Petrowitsch, als er in Kamtschatka von uns schied, die seine diskontiert.
Wir lichteten am 23. September die Anker, die wir, da der Wind umsprang, sogleich wieder auswerfen mußten. Wir liefen erst am 25. morgens mit schwachem Landwinde aus, aber gleich am Ausgang des Sundes empfing uns von der See her der Südwind, der, frisch und frischer wehend, uns im Angesichte der Küste zu lavieren zwang und in der Nacht zu einem gewaltigen Sturme anwuchs. Wir erlitten etliche Havarien, wobei ein Mann beschädigt ward, und schätzten uns glücklich, am 26. bei Tagesanbruch unsern alten Ankerplatz wieder zu erreichen. Wir befährdeten dabei ein neben uns liegendes englisches Kauffahrteischiff, dem wir einigen Schaden an seinem Tauwerke zufügten und dessen Kapitän in Hemdärmeln, mit vorgebundenem Tuche, halb eingeseift und halb barbiert, fluchend auf dem Verdeck erschien.
Der »Rurik« aber kämpfte gegen die Gewalt des Sturmes in einer finstern Herbstnacht zwischen dem Leuchtturme von Eddystone, der sein blendendes Licht auf die Szene warf, und der Küste von England, auf der zu scheitern er in Gefahr schwebte, gezwungen durch die Umstände, viele Segel zu führen. Ihr kennt den Leuchtturm von Eddystone schon von euren längst verbrauchten Kinderbilderbüchern her, dieses schöne Werk der modernen Baukunst, das sich von einem einzeln im Kanal verlorenen Steine bis zu einer Höhe erhebt, die ihr vielleicht wißt und die nachzuschlagen ich mir die Zeit nicht nehmen will; ihr wißt, daß bei hohem Sturme der schäumende Kamm der Wellen bis zu der Laterne hinan gespritzt wird; ihr merkt, daß alle Umstände sich hier vereinigen, einen Sturm recht schön zu machen, und ihr erwartet von mir eine recht dichterische Beschreibung. Meine Freunde, ich lag nach entleertem Magen stille, ganz stille in meiner Koje, mich um nichts in der Welt bekümmernd und kaum auf den Lärm merkend, den Tisch, Stühle, Stiefeln, Schubkasten um mich her verführten, die nach der Musik und dem Takte, die oben auf dem Verdeck geblasen und geschlagen wurden, unruhig auf ihre eigene Hand durch die Kajüte hin und her tanzten. Was der seekranke Mensch für ein erbärmliches Tier ist, entnehmet daraus, daß unser guter Doktor, sonst eifrig und gewissenhaft in seiner Pflicht wie nicht ein anderer, zur Hülfe des verwundeten Matrosen gerufen, geholt, kommandiert, stille, ruhig und regungslos in seiner Koje liegenblieb, bis alles vorüber war.
Ist euch einmal, wie mir, das Haus, das ihr bewohntet, in einer schönen Nacht über dem Kopfe abgebrannt? Habt ihr besonnen und tätig für Weib und Kind, für Habe und Gut Sorge getragen und von allem, was zu tun war, nichts versäumt? Dasselbe mag für den Seeoffizier ein Sturm sein. Mit gesteigerter Tätigkeit führt er den Kampf gegen das Element und hat, siegend oder besiegt, Freude an sich selber, ist reicher nach überstandener Gefahr um eine erfreuliche Erfahrung von der eigenen Tatkraft. Es ist dasselbe Gefühl, welches den Soldaten nach der Schlacht begierig macht. Für den Passagier aber ist der Sturm nur eine Zeit der unsäglichen Langeweile. Wie es im Verlauf der Reise dabei zuzugehen pflegte, werde ich hier in der Kürze berichten. Bei einem gewissen Kommando, das oben auf dem Verdeck erscholl, hieß es in der Kajüte: der Krieg ist erklärt. Darauf vernagelte jeder seine Schubladen und sorgte, seine bewegliche Habe fest zu stellen. Wir legten uns in unsre Kojen. Bei der nächsten Welle, die auf das Verdeck schlug und häufig in die Kajüte zu den Fenstern hineindrang, wurden diese mit verpichten Tüchern geschützt, und wir waren geblendet. Dann wurde ich gewöhnlich aufgefodert, den Versuch zu machen, noch etliche unerzählte Anekdoten aus dem Vorrat hervorzuholen; bald aber verstummten wir alle und hörten nur einander der Reihe nach gähnen. Die Mahlzeiten hörten auf. Man aß Zwieback und trank Schnaps oder ein Glas Wein. Auf das Verdeck darf sich kaum der Naturforscher wagen, um sich aus Pflichtgefühl einmal den Wellengang flüchtig anzusehen; überspült ihn eine Welle, so hat er in vollkommener Unbeholfenheit kein Mittel, Kleider oder Wäsche zu wechseln oder sich zu trocknen. Übrigens hat die Sache nicht einmal den Reiz der Gefahr; diese ist für die unmittelbare Anschauung nie vorhanden und könnte höchstens nur auf dem Wege der Berechnung für den Verstand zu ermitteln sein. Die nicht geladene Pistole, deren Mündung ich mir selber vor das Auge halte, zeigt mir die Gefahr; ich habe ihr nie so auf dem kleinen wellengeschaukelten Bretterhause ins Angesicht gesehen.
Wir gingen am 30. früh abermals unter Segel und mußten, vom Sturm empfangen und heimgetrieben, am selben Abend Schutz hinter dem Breakwater suchen, wo wir die Anker fallen ließen. Unserem Lotsen, den wir, nach seiner treffenden Ähnlichkeit mit den Karikaturen, John Bull nannten, mußten wir wie der immer wiederkehrende Bucklige aus den »Tausendundeine Nacht« vorkommen.
Es gelang uns erst am 4. Oktober, die See zu behaupten.