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Von Radack nach Unalaschka

Nordfahrt; die Inseln Sankt Paul, Sankt George, Sankt Laurenz; der Zweck der Reise wird aufgegeben. Aufenthalt zu Unalaschka

Wir hatten am 13. März 1817 Udirick von Radack und am 19. das letzte zu demselben Bezirke Polynesiens gehörige Riff gesehen; wir wandten uns von einer heitern Welt dem düstern Norden zu. Die Tage wurden länger, die Kälte wurde empfindlich, ein nebelgrauer Himmel senkte sich über unsere Häupter, und das Meer vertauschte seine tief azurne Farbe gegen ein schmutziges Grün. Am 18. April 1817 hatten wir Ansicht von den Aleutischen Inseln. Der eigentliche Zweck der Reise lag vor uns; über Unalaschka hinaus eilten die Gedanken dem Eismeere zu. Frischen Sinnes und voller Tatenlust versprachen wir uns alle, Offiziere und Mannen, die wir Freude an der Natur gehabt, jetzt Freude an uns selber zu haben während dieses ernsteren Abschnittes unserer Reise und unseres Lebens.

Nicht ohne Reiz war für mich die Gegenwart. Das Ergebnis von Kadus Aussagen über die ihm bekannte Welt, von den Pelew-Inseln bis Radack, liegt in meinen »Bemerkungen und Ansichten« dem Leser vor. Aber das dort Aufgezeichnete zur Sprache zu bringen und zu ermitteln, das war die Aufgabe, das war die lustvolle Plage dieser Zeit. Erst mußte das Mittel der Verständigung erweitert, ausgebildet und eingeübt werden. Die Sprache setzte sich aus den Dialekten Polynesiens, die Kadu redete, und wenigen europäischen Wörtern und Redensarten zusammen. Kadu mußte zu verstehen und, was schwieriger war, Rede zu stehen gewöhnt werden. Sächliches und Geschichtliches konnte bald abgehandelt werden, und die Erzählung war ohne Schwierigkeit. Was aber verbarg nicht noch der Vorhang! Kadu mußte ausgefragt werden – seine Antwort überschritt die Frage nicht. Naturhistorische Bilderbücher beseitigten manche Zweifel über fragliche Gegenstände. – Auf den Grund des Briefes des Paters Cantova über die Karolinen-Inseln in den »Lettres édifiantes« ward weiter inquiriert. Da war Kadus freudiges Erstaunen groß, wie er aus unserm Munde so vieles über seine heimischen Inseln vernahm. Er bestätigte, berichtigte; es bot sich mancher neue Anknüpfungspunkt dar, und jede neue Spur wurde emsig verfolgt. Aber in gleiches Erstaunen versetzte uns oft auch unser Freund. Einst sprach ich mit Eschscholtz, während Kadu auf einem Stuhle zu schlummern schien; und wie manche fremdartige Redensarten sich in unsere Schiffsprache gemischt hatten, so zählten wir auf Spanisch. Da fing Kadu von selber an, Spanisch zu zählen, sehr richtig und mit guter Aussprache, von eins bis zehn. Das brachte uns auf Mogemug und auf die letzten noch vorhandenen Spuren der Mission von Cantova. Das Land Waghal, von dem die Lieder Kadus Meldung taten, das Land des Eisens, mit Flüssen und hohen Bergen, ein von Europäern bewohntes, von den Karolinianern besuchtes größeres Land, blieb uns lange ein Rätsel, und wir erhielten dessen zuversichtliche Lösung erst auf Waghal selbst, das ist auf Guajan, wo wir Don Luis de Torres sogleich mit dem Liede begrüßten, welches auf Ulea seinen Namen verherrlichet und welches wir von Kadu erlernt hatten, der es noch oft auf den Höhen von Unalaschka gesungen.

Ich bitte die, denen ich widersprechen muß, sehr um Verzeihung. Mein Freund Kadu war kein Anthropophage, so schön das Wort auch klingt, und hat uns auch nie für Menschenfresser angesehen, die ihn als Schiffsproviant mitgenommen hätten. Er war ein sehr verständiger Mann, der, falls er diesen verzeihlichen Argwohn gefaßt, nicht so hartnäckig darauf bestanden hätte, mit uns zu reisen. Er hat auch nie Menschen zu Pferde für Zentauren angesehen. Er kann in beiden Fällen nur in einen Scherz eingegangen sein oder selbst gescherzt haben.

Es ist wahr, daß er, der uns eben das näher liegende Bigar verfehlen gesehen, gegen das Ende einer so langwierigen Fahrt zu zweifeln begann, ob wir nicht auch das verheißene Land Unalaschka verfehlt hätten. – »Emo Bigar!«, »Kein Bigar!«, ist sprichwörtlich auf dem »Rurik« geblieben. – Kadu sah der Veränderung des gestirnten Himmels aufmerksam zu, wie andere Sterne im Norden aufgingen, andere im Süden sich zu dem Meere senkten; er sah uns an jedem Mittag die Sonne beobachten und sah uns nach dem Kompasse steuern; zu wiederholten Malen stieg das Land, wann, wo und wie wir es vorausgesagt, vor uns auf; da lernte er zuversichtlich auf unsere überlegne Wissenschaft und Kunst vertrauen. Diese waren natürlicherweise für ihn unermeßlich; wie hätte er vermocht, ihre Leistungen zu würdigen und zu vergleichen, und wie zu beurteilen, was an der Grenze ihres Bereiches lag. – Die Kunde von dem Luftballe und der Luftschiffahrt, die ich ihm gab, schien ihm nicht unglaublicher und fabelhafter als die von einer pferdegezogenen Kutsche. Haben wir aber auch selber einen andern Maßstab für diese Würdigung als das Gewohnte und Ungewohnte? Dünkt uns nicht, was alltägig für uns geworden ist, eben darum der Beachtung nicht wert und aus demselben Grunde das Unerreichte unerreichbar? – Scheint es uns nicht ganz natürlich, daß ein Knabe die Gänse auf die Weide treibt, und märchenhaft, daß man davon rede, den Walfisch zu zähmen?

Kadu sah uns auf Unalaschka und überall, wo wir landeten, alle Erzeugnisse der Natur beachten, untersuchen, sammeln und verstand viel besser als Unwissende unseres Volkes den Zusammenhang dieser unbegrenzten Wißbegierde mit dem Wissen, worauf unsere Übermacht beruhte. Ich zog einst im Verlauf der Reise zufälligerweise einen Menschenschädel aus meiner Koje hervor. Er sah mich fragend an, und sich an seiner Verwunderung zu ergötzen, taten Eschscholtz und Choris ein Gleiches und rückten mit Totenköpfen gegen ihn an. »Was heißt das?« frug er mich, wie er es zu tun gewohnt war. Ich hatte gar keine Mühe, ihm begreiflich zu machen, daß es uns daran läge, Schädel von den verschieden gebildeten Menschenstämmen und Völkern untereinander zu vergleichen, und er versprach mir gleich von selber, mir einen Schädel von seinem Menschenstamm auf Radack zu verschaffen. Die kurze Zeit unseres letzten Aufenthaltes auf Otdia war mit anderen Sorgen ausgefüllt, und es konnte von jenem Versprechen die Rede nicht sein.

Ich werde mit wenigen Worten über unsere Fahrt nach Unalaschka berichten.

Wir steuerten nach Norden und etwas westlicher, um den Punkt zu erreichen, wo wir im vorigen Jahr Anzeige vom Land gehabt hatten. Am 21. März mochte uns die Insel Wakers in Nordost liegen, die zu erreichen der Wind uns ungünstig war. Viele Seevögel wurden gesehen, deren Flug am Abende, dem Winde entgegen, unsern Kurs etwas ostwärts durchkreuzte. »Sie gehen ans Land schlafen«, sagte Kadu. Ich bemerkte jedoch, daß nicht alle Vögel derselben Richtung folgten und der abweichende Flug anderer Unzuverlässigkeit in die Beobachtung brachte. Die Seevögel begleiteten uns noch am folgenden Tage.

Den 23. März verloren wir den Passat in 20°15'nördlicher Breite, 195°5' westlicher Länge. Wir mußten in den nächsten Tagen erfahren, daß wir außerhalb der Wendekreise uns befanden; der unbeständige Wind wuchs bald zum Sturm an und legte sich bald zur gänzlichen Windstille. Die Kälte ward bei fünfzehn Grad Réaumur empfindlich.

Wir waren am 29. März in 31°39' nördlicher Breite, 198°52' westlicher Länge in dem Meerstriche, wo wir nach den vorjährigen Erfahrungen Land vermuteten; jetzt deutete nichts darauf. Wir steuerten jetzt gerade nach Unalaschka. Wir hatten von hier an bis zum 5. April, 35°36' nördlicher Breite, 191°49' westlicher Länge, einen ausnehmend starken Strom gegen uns, der uns zwischen zwanzig und fünfunddreißig Meilen den Tag nach Südwesten zurücktrieb.

Am 30. ließ sich ein Pelikan auf dem Schiffe fangen. Wir lavierten vom 31. März bis zum 2. April zwischen 34 und 35 Grad nördlicher Breite und 194 und 195 Grad westlicher Länge gegen den Nordwind und den Strom in einem dunkelgrünen Meere. Wenige Seevögel, viele Walfische wurden gesehen. Diese, obgleich dem Kadu nicht unbekannt (wir haben selbst einen Physeter bei den Riffen von Radack gesehen), hatten für ihn einen ausnehmenden Reiz.

Wir hatten am 3. April Windstille. Ein schwimmender Kopf (ein Fisch, Tetrodon Mola L., der aber kein Tetrodon ist), der unbeweglich auf der Oberfläche des Wassers zu ruhen schien, wurde von einem ausgesetzten Boote harpuniert und versorgte uns und die ganze Mannschaft auf mehrere Tage mit einer sehr köstlichen frischen Speise. Das Fleisch desselben ist fest und an Geschmack sehr ähnlich dem Krebse. Wir hatten zur Vorsicht wegen der zweideutigen Verwandtschaft dieses Fisches mit giftig geglaubten Tetrodon-Arten die Leber und das Eingeweide einem Schweine vorgeworfen. Zahlreiche Walfische spielten um das Schiff. Wo sie Wasser spritzen, bleibt von dem ausgeworfenen Tran eine glatte Spiegelfläche auf dem Wasser.

Am 4. steuerten wir bei Nordwind nach Osten. Ein Reiher umkreiste im Fluge das Schiff und verfolgte uns einige Zeit. Zahlreiche Flüge von Seevögeln zeigten sich. Flößholz und ein Kreuz von Bambus, das mit Schnüren zusammengefügt war, trieben an uns vorbei. Drei schwimmende Köpfe wurden gesehen.

Am 5. morgens ward ein zweiter schwimmender Kopf harpuniert. Das ganze Fleisch, Knorpel und Haut war ausnehmend stark phosphoreszierend; ich konnte noch nach einigen Tagen bei dunkler Nacht im Scheine des Maxillarknochens, den ich aufbewahrt hatte, die Zeit an der Uhr erkennen. Wir hatten den Tag über fast Windstille. Es zeigten sich rote Flecke im Meere, die, wie westlicher im selben Meere am 6. Juni 1816, von kleinen Krebsen herrührten. Am Abend frischte der Wind aus Süden, wir führten alle Segel.

Am 9., nachdem wir mit wechselnden Winden vier Tage ohne Mittagsobservation gefahren, fanden wir uns durch den Strom, der bis dahin nach Süden gesetzt hatte, beiläufig um einen Grad nördlich von unserer Schiffsrechnung versetzt.

Der große Sturm bei Unalaschka, berüchtigten Andenkens, ist auf dem »Rurik« zu einem Sprichwort geworden, welches sich, wenigstens in meiner Familie, über die Jahre der Fahrt hinaus erhalten hat. Merkwürdigerweise scheint dieser Sturm einige Verwirrung in unsere sonst übereinstimmende Zeitrechnung gebracht zu haben.

Herr von Kotzebue sagt: »Der 13. April war der schreckliche Tag, welcher meine schönsten Hoffnungen zerstörte. Wir befanden uns an demselben unter dem 44.°30' nördlicher Breite und 181.°8' westlicher Länge. Schon am 11. und 12. stürmte es heftig mit Schnee und Hagel; in der Nacht des 12. zum 13. brach ein Orkan aus; die ohnehin hochlaufenden Wellen türmten sich in ungeheuren Massen, wie ich sie noch nicht gesehen; der ›Rurik‹ litt unglaublich. Gleich nach Mitternacht nahm die Wut des Orkans in einem solchen Grade zu, daß er die Spitzen der Wellen vom Meere trennte und sie in Gestalt eines dicken Regens über die Fläche des Meeres herjagte. – Eben hatte ich den Leutnant Schischmarew abgelöst; außer mir waren noch vier Matrosen auf dem Verdeck, von denen zwei das Steuer hielten; das übrige Kommando hatte ich der Sicherheit wegen in den Raum geschickt. Um vier Uhr morgens staunte ich eben die Höhe einer brausenden Welle an, als sie plötzlich die Richtung auf den ›Rurik‹ nahm und mich in demselben Augenblicke besinnungslos niederwarf. Der heftige Schmerz, den ich beim Erwachen fühlte, ward übertäubt durch den traurigen Anblick meines Schiffes, das dem Untergang nahe war, der unvermeidlich schien, wenn der Orkan noch eine Stunde anhielt; denn kein Winkel desselben war der Wut jener gräßlichen Welle entgangen. Zuerst fiel mir der zerbrochene Vordermast (Bugspriet) in die Augen, und man denke sich die Gewalt des Wassers, welche mit einem Stoß einen Balken von zwei Fuß im Durchmesser zersplitterte; dieser Verlust war um so wichtiger, da die beiden übrigen Maste dem heftigen Hinundherschleudern des Schiffes nicht lange widerstehen konnten und dann keine Rettung denkbar war. Dem einen meiner Matrosen hatte die Riesenwelle ein Bein zerschmettert; ein Unteroffizier ward in die See geschleudert, rettete sich aber, indem er mit vieler Geistesgegenwart ein Tau umklammerte, das neben dem Schiffe herschleppte; das Steuerrad war zerbrochen, die beiden Matrosen, welche es hielten, waren sehr beschädigt, und ich selbst war mit der Brust gegen eine Ecke geschleudert, litt sehr heftige Schmerzen und mußte einige Tage das Bett hüten. Bei diesem furchtbaren Sturme bitte ich Gelegenheit, den unerschrockenen Mut unserer Matrosen zu bewundern; aber keine menschliche Kraft konnte Rettung herbeiführen, wenn nicht, zum Glück der Seefahrer, die Orkane nie lange anhielten.«

Choris ist in diesem Teile der Reise bis zur Ankunft in Unalaschka um einen Tag zurück. Ich selbst habe in mein Tagebuch unter dem 15. April notiert: »Freitag, den 11. April, fing der stärkste Sturm an, den wir je erfahren. – Außerordentliche Größe der Wellen. – Eine zerschlug in der Nacht zum Sonnabend (vom 11. zum 12.) den Bugspriet. Der Sturm dauerte den Sonntag durch; am Montag, dem 14., ward erst die Kajüte wieder helle. Am Abende ward der Wind wiederum bis zum Sturme stark. – Am 15. noch sehr scharf; wir genießen jedoch das Tageslicht. Heute der erste Schnee. – In diesen Tagen ward vieles von Kadu herausgebracht, usw.«

Nachdem die Welle eingeschlagen, ließ der Kapitän das Kielwasser messen, um zu erfahren, ob vielleicht das Schiff von der Erschütterung leck geworden. Das geschieht, indem man ein Lot in eine der Pumpenröhren hinabläßt. Der junge Unteroffizier, der den Befehl erhalten, ein Mann, der sich vor unseren tapferen Matrosen nicht durch größere Unerschrockenheit auszeichnete, berichtete leichenbleich, das Schiff sei ganz voll Wasser. – Die Sache war zu interessant, um nicht genauer untersucht zu werden – die Leine nur oder die Röhre war naß gewesen; es ergab sich, daß gar kein Wasser in das Schiff eingedrungen.

Ich vermisse unter meinen Papieren etliche Stanzen, die mir der Müßiggang eingegeben hatte. Ich kann mich nur auf die erste besinnen, die hier der Kuriosität halber eine Stelle finden mag. Man macht wenig deutsche Verse auf und bei Unalaschka.

So wüte, Sturm, vollbringe nur dein Tun,
Zerstreue diese Planken, wie den Mast,
Den wohlgefügten, mächt'gen, eben nun
Du leichten Spieles schon zersplittert hast!
Da unten, mein ich, wird ein Mensch doch ruhn;
Da findet er von allen Stürmen Rast.
Was kracht noch? Gut! die Welle schlug schon ein?
Fahr hin! es ist geschehn, wir sinken. – Nein!
Wir sinken nicht! Geschaukelt wird annoch,
Getragen himmelan der enge Sarg;

Kadu, der, ein anderer Odysseus, ein vielbewegtes, taten- und abenteuerreiches Leben zwischen den Wendekreisen auf einem Meerstrich geführt, dessen Ausdehnung beiläufig der Breite des Atlantischen Ozeans gleichkommt, und nie das flüssige Lasur des Wassers erstarren, nie das üppige Grün des Waldes verwelken gesehen – Kadu sah in diesen Tagen zum erstenmal das Wasser zum festen Körper werden und Schnee fallen. Ich glaube, daß ich ihm das gräßliche Märchen unseres Winters nicht vorher erzählt hatte, um nicht von ihm, wenigstens bis zu der traurigen Erfüllung meiner Worte, für einen Lügner gehalten zu werden.

Am 17. April versprachen wir unserm Freunde auf den andern Tag Ansicht vom Lande, das wir ihm mit seinen hohen, zackigen, weiß schimmernden Gipfeln beschrieben. Der Wind ließ nach, und die Kette der Aleutischen Inseln ward erst am Abend des 18. sichtbar.

Wir befanden uns im Westen von Unalaschka. Der Schnee war auf den südlichen Niederungen geschmolzen. Die Walfische, die sich hier den Sommer über aufhalten, waren noch nicht eingetroffen; dieselben vermutlich, denen wir zwischen fünfundvierzig und siebenundvierzig Grad nördlicher Breite begegnet waren. Wir hatten in dieser frühen Jahreszeit im Norden des Großen Ozeans weniger anhaltende Nebel gehabt als im vorigen Jahre, wo wir denselben Meerstrich im Mai und Juni befuhren.

Einen merkwürdig herrlichen Anblick gewährten am 21. April beim Sonnenaufgang die weißen Schneeberge von Umnack in blutrotem Scheine auf dunkelm Wolkengrunde. Wir versuchten an diesem Tage den Durchgang zwischen Umnack und Unalaschka. Der Wind änderte sich, und Schneegestöber umdunkelte uns. Unsre Lage soll nicht ohne Gefahr gewesen sein. »Schon konnten wir die Stunde unsers Untergangs berechnen, als der Wind sich plötzlich rettend wandte«, sagt Herr von Kotzebue. Wir gewannen während der Nacht das hohe Meer südlich von Unalaschka.

Wir suchten am 22. und 23. bei hellem Wetter und schwachem Winde, der uns oft gänzlich verließ, den Durchgang östlich von Unalaschka zu erreichen. Wir fuhren am 24. grade vor dem Winde, der zu frischen begann, durch die Straße von Unalaschka und Unalga. Wir hatten den Strom gegen uns, der reißend und einer Brandung zu vergleichen war. Wir riefen eine vierzehnruderige Baidare, die sich blicken ließ, mit einem Kanonenschusse herbei; sie erreichte uns, als wir um die Felsenspitze in Windstille lagen. Der Wind schwoll zum Sturm an mit unendlichem Schneegestöber. Wir warfen Anker in der Bucht und wurden am 25. in den innern Hafen hineinbugsiert, wo wir vor der Ansiedelung Illiuliuk nahe am Ufer vier Anker auswarfen.

Der vergangene Winter hatte sich vor andern ausgezeichnet durch die außerordentliche Menge des Schnees, der gefallen war. Noch lag er tief auf den Abhängen; noch war die Natur nicht erwacht, noch blühte keine Pflanze als die Rauschbeere (Empetrum nigrum) mit winterlichen, dunklen, fast purpurnen Blättern. Gegen die Mitte Mai zog sich der Schnee allmählich auf die Hügel zurück. Gegen den 24. lockte die Sonne die ersten Blumen hervor, die Anemonen, die Orchideen. Gegen das Ende Mai fiel frischer Schnee, der sich einige Zeit auf den Bergen erhielt, und es fror zu Nacht. Mit dem Juni begann die Blütezeit.

Das Schiff, dessen Bugspriet nah am Fuße gebrochen war, dessen andere Masten schadhaft, dessen Tauwerk morsch, dessen Kupferbeschlag, abgerissen, nur noch den Lauf hemmte, mußte abgeladen, abgetakelt und gekielt werden. Der alte Bugspriet mußte, verkürzt und zusammengefügt, instand gesetzt werden, den Dienst zu verrichten. Es gab viel zu tun, und es wurde ungesäumt an das Werk geschritten.

Was der Kapitän zu seiner Ausrüstung auf unsere zweite Nordfahrt verlangt hatte, war teils bereit, teils im Werke und gedieh bald zur Vollendung. Den 27. Mai langten aus Kodiak zwei Dolmetscher an, welche die Dialekte der nördlichern Küstenvölker Amerikas, bei denen sie gelebt hatten, redeten und sonst verständige, brauchbare Leute zu sein schienen.

Der Kapitän war ans Land zu Herrn Kriukow, dem Agenten der Kompanie, gezogen, und wir hatten da unsern Tisch. Wir selbst wohnten auf dem Schiffe. Alle Sonnabende ward das erfreuliche Dampfbad geheizt.

Wir lebten meist von Fischen (Lachs und eine Riesenbutte). – Wahrlich, wahrlich! die schlechteste Nahrung, die es geben kann. Ein großer Krebs (Maja vulgaris) war das Beste, was auf unsern Tisch kam, und wirklich gut. Wir waren auf vegetabilische Nahrung lüstern. Das einzige Gemüse, das wir zur Genüge hatten, war eine große Rübe; wir ließen sie uns, in Wasser abgekocht, trefflich schmecken. Man sucht sonst wild wachsende Kräuter auf: etliche Schirmpflanzen, etliche Kreuzblumen, etliche Ampferarten und die jungen Sprößlinge der Uvullaria amplexifolia, die den Geschmack von Gurken haben. Später im Jahre hatten wir verschiedene Beeren, besonders eine ausnehmend schöne, aber wenig schmackhafte Himbeere (Rubus spectabilis). Russen und Aleuten essen überall auf ihren Wegen die Stengel von dem Heracleum, welches häufig in den Bergtälern wächst. Herr Kriukow ließ von seiner kleinen Herde ein Rind für uns schlachten. Wir kosteten etlichemal Walfischspeck. Es war für uns eine schlechte, jedoch genießbare Speise. Was aber nicht zu essen war und wirklich ungegessen von unserm Tische abgehoben wurde, dünkt mich des Erwähnens wert.

Wir hatten von unsern o-waihischen Tieren noch ein trächtiges Mutterschwein zum Geschenke für Unalaschka aufgespart, wo übrigens schon Schweine waren, und zwar auf einem anderen Teile der Insel, bei Makuschkin. – Das Tier, welches in den ersten Tagen unseres Hierseins seine Jungen warf, wurde mit Fischen gefüttert. Eins der Ferkel kam auf unsern Tisch; die Nahrung der Mutter hatte dem Fleische einen unleidlicheren Trangestank mitgeteilt, als wir je an Vögeln oder Säugetieren des Meeres gefunden hatten.

Es war zur Sprache gekommen, daß in Hinsicht unseres Tisches und unserer Mundvorräte nicht zum besten gewirtschaftet worden; Speisekammer und Keller waren in dem Zustande nicht, in welchem sie hätten sein sollen. Um Ordnung darein zu bringen, wurde das Amt einer Schaffnerin unserm Choris zugeteilt, der für dasselbe Neigung und Talent hatte, und wir befanden uns in der Folge sehr wohl bei dieser Einrichtung. Choris sorgte, wie wir im August Unalaschka verließen, für einen Vorrat von Seevögeleiern und von eingesalzenem Ampfer, woran wir uns noch zwischen den Wendekreisen erfreuten. Er verschaffte sich zu Hana-ruru und zu Manila von andern, uns wohlwollenden Schiffskapitänen manche Zierde und Würze des Mahles, deren wir bis jetzt entbehrt hatten. Er ließ von Zeit zu Zeit auf dem »Rurik« frisches Brot backen usw. Lauter Dinge, die zur See angenehmer sind, als man es zu Lande glauben kann. Dabei wirtschaftete er mit Sparsamkeit. Aber Freund Login Andrewitsch ging bei den einzuführenden Reformen mit einem durchgreifenden Diensteifer zu Werke, wodurch er die Wichtigkeit seiner neuen Stellung auf eine mir nicht ganz zusagende Weise beurkundete. Ich fand nämlich, als ich abends von den Bergen herabkam, wo ich in Amtsgeschäften, botanisierend, die Tischzeit versäumt hatte, die Schränke verschlossen und Verordnungen zu dem Zwecke erlassen, mir ein Stück Zwieback und einen Schluck Branntwein, das einzige, was ich bescheiden ansprach, unzugänglich zu machen; und so sollte es werden und bleiben. – Gasthäuser und Restaurationen findet man auf Unalaschka nicht. Ich konnte mich bei der neuen Ordnung nicht beruhigen. – Ich glaube, daß unser wackerer Sikow, der auch eine Auctorität auf dem Schiffe war, sich ins Mittel legte und zugunsten meiner den Starrsinn des Reformators beugte; die Sache kam von selbst in ein besseres Geleise, und ich hatte den Hunger nicht mehr zu befürchten.

Herr Kriukow erwies sich gegen den Kapitän in außeramtlichen sowohl als in amtlichen Verhältnissen von einer untertänigen Dienstfertigkeit, die sehr weit ging. Er hatte ihm, dem Mächtigeren, mit Beeinträchtigung der Ansprüche von Choris gedient, welcher es ihm nicht vergaß und sich darbietende Gelegenheiten gern ergriff, ihm auf die Hühneraugen zu treten. Die Erinnerungen an Unalaschka sind mir ebenso betrübend, wie die an Radack erheiternd sind. – Ich möchte über den Schmutz den Vorhang ziehen.

Das bräuchliche Geschenk, was man hier einem Schiffskapitän macht – andere Notabilitäten verirren sich wohl nicht auf diese Insel –, besteht in einer feiner gearbeiteten Kamlaika, deren Verzierungen wirklich bewundrungswürdig sind. Dieses Geschenk kostet den Vorstehern bloß die Arbeit der armen aleutischen Mädchen, die nichts dafür bekommen als einige Nähnadeln und – hoch in Wert gehalten wie Gold und Edelsteine – ein Stück roten Frieses von der Größe der Hand. Die Hälfte davon wird aber an der Kamlaika selbst verbraucht und verarbeitet. Die Nähte werden mit ganz feinen Friesfransen zierlich besetzt.

Kriukow hatte nicht ermangelt, dem Kapitän und auch seinem Leutnant und endlich auch seinen Passagieren jedem eine Kamlaika zu verheißen. Es kam ihm später vor, als sei eben kein Grund vorhanden, sich meinetwegen in Unkosten zu setzen. Die andern erhielten ihr Geschenk, und ich wurde übergangen. Login Andrewitsch nahm die Gelegenheit wahr und sagte ihm mit einer gewissen Auctorität, die er sich zu geben wußte, er möge Adelbert Loginowitsch ja nicht vergessen. – Ich erhielt nachträglich meine Kamlaika, und Login Andrewitsch holte sich den Dank bei mir ein.

Kriukow erzählte dem Herrn von Kotzebue von einem hundertjährigen Aleuten, der auf der Insel lebte. Der Alte ward auf den Wunsch des russischen Kapitäns vorgeladen und kam aus seinem entfernten Wohnort vor ihn. Eine fast mythische Figur aus den Zeiten der Freiheit her, die Schicksale seines Volkes überragend, jetzt vor Alter blind und gebrochen. Der Kapitän, ein gewaltiger Machthaber auf dieser russischen Insel, ließ ihn seiner Gnade versichern; was in seiner Macht stehe, wolle er für ihn tun. Er möge sich ein Herz fassen und seinen kühnsten, während seines langen Lebens unerreicht gebliebenen Wunsch aussprechen. Der Alte erbat sich ein Hemd: er habe noch keines besessen.

Während unseres Aufenthaltes auf Unalaschka schossen die Aleuten Vögel und balgten sie für uns aus. Das Berliner Museum verdankt Herrn von Kotzebue und seinem Eifer für die Wissenschaften die beträchtliche Sammlung nordischer See- und Raubvögel, die es von mir erhalten hat. Ohne die Hülfe des Kapitäns und die Befehle, die er geben ließ, hätte ich hier für die Ornithologie wenig getan und gesammelt, zumal da ich meine englische Doppelflinte dem Gouverneur von Kamtschatka überlassen, von welchem den bedungenen Preis abzuholen der später veränderte Plan der Reise mich verhinderte. Ein paar große Kisten Vogelbälge wurden zu Unalaschka gepackt. – Wann überhaupt während des Verlaufes der Reise meine Koje sich mit Gesammeltem überfüllte, ließ der Kapitän Kisten machen, die er wohlgepackt, vernagelt und verpicht in Verwahrung nahm.

Von den erfahrensten Aleuten ließ ich mir die Walfischmodelle verfertigen und erläutern, die ich in dem Berliner Museum niedergelegt und in den »Verhandlungen der Akademie der Naturforscher«, 1824, T. XII, P. I., abgebildet, beschrieben und abgehandelt habe. Für diesen Teil der Zoologie ist jede Nachricht schätzbar. Nach unserer Rückkunft auf Unalaschka ward in unserer Nähe ein Walfisch von der Art Aliomoch von den Aleuten zerlegt. Das unappetitliche Werk wird so emsig von vielem Volke betrieben, daß der Naturforscher sich einzumischen keinen Beruf fühlt. Wir haben den Schädel des Tieres nach Sankt Petersburg gebracht.

Es fehlt auf Unalaschka an Feuerung; da wächst kein Baum, und das Treibholz wird nicht in Überfluß angespült. Der Torf müßte den Mangel ersetzen, aber die Menschen wissen ihn nicht aufzufinden und zu benutzen. Es fehlt mehr an der Technik als an der Natur. Ich hatte zu der Zeit noch kein Torfmoor untersucht und noch nicht über den Torf geschrieben. Ich würde jetzt den Torf sicherer unter der Bunkerde zu finden wissen und mit nachdrücklicherem Rat das Vorurteil bekämpfen, welches den Menschen so schwer macht zu tun, was sie noch nicht getan haben.

Obiger naturhistorischer Zeitung hänge ich ein Feuilleton an. Ein Sohn von Kriukow, ein munterer Knabe, war von Unalaschka aus nach Unimak gekommen; so weit war für ihn schon die Welt. Er hatte daselbst Bäume gesehen, ja, er war auf einen Baum hinaufgeklettert und hatte sich auf dessen Zweigen gewiegt. Das erzählte er uns mit großem Stolze, aber auch mit nicht geringer Furcht, ob der seltsamen Kunde für einen Lügner zu gelten, und gab sich alle Mühe, uns glaubhaft zu erläutern, was ein Baum sei.

Auf den Aleutischen Inseln kommen keine Amphibien vor, und die Naturgeschichte von Unalaschka weiß von keinem Frosche. Nichtsdestoweniger kam einmal in dem chinesischen Zuckersirup, welcher daselbst verbraucht wird, ein wohlerhaltener, großer Frosch zum Vorschein. Es war schon viele Jahre her, aber man sprach noch davon, und ob es ein kleiner Mensch gewesen, so ein Wilder, ein junger Waldteufel, oder sonst eine Kreatur, darüber war man noch uneinig.

Ich verbrachte meine Tage auf den Bergen. Kadu, nachdem er den Seekohl dieses Meeres (Fucus esculentus) für Bananenblätter anzusehen aufgehört hatte und sich ungern bereden lassen, es würde vergeblich sein, Kokosse an diesem unwirtbaren Strande zu pflanzen, las am Hafen für seine Freunde auf Radack Nägel und vernachlässigtes Eisen auf, wählte für sie unter den meerbespülten Geschieben sorgfältig diejenigen aus, die sich am besten zu Schleifsteinen eigneten, ging von weitem den Rindern auf der Weide nach, setzte sich auf die nächsten Hügel und sang sich Lieder von Ulea und von Radack vor.

Er begehrte, mit unseren Feuergewehren umgehen zu lernen, und Eschscholtz übernahm den Unterricht. Zu dem Ende ward vom Schiffe eine alte, schlechte Flinte verabreicht. Beim ersten Schusse, den unser Freund tat, brannte das Pulver zu dem Zündloch langsam heraus, während er wacker im Anschlag liegenblieb und nicht wußte, was er versehen habe, um nicht wie der Kapitän einen guten Knall herauszubekommen. Ich weiß nicht, ob der Unterricht mit besserer Flinte wieder vorgenommen ward, wenigstens ist unser friedlicher Kadu kein Schütze geworden.

Wir hatten einen Sohn von Herrn Kriukow und fünfzehn Aleuten, Baidaren, große und kleine, gesalzene und gedörrte Fische (Stockfisch) an Bord genommen. Der »Rurik« war segelfertig. Wir hatten vergebens auf die Ankunft eines Schiffes aus Sitcha gehofft, uns mit manchem, woran wir Mangel litten, zu versorgen. Widrige Winde hielten uns ein paar Tage im Hafen zurück, an dessen Eingange wir in Windstille auf der Scheidelinie zweier einander entgegengesetzten Winde vor Anker lagen. Vor uns blies der Wind von der See her, hinter uns hingegen, im innern Hafen zwischen der kleinen Insel und dem Hauptlande, seewärts. Wir gingen am Sonntag, dem 29. Juni 1817 nach unserer Schiffsrechnung (einen Tag später nach der Rechnung der Insel), unter Segel.

Wir sollten auf unserer Nordfahrt auf den Inseln Sankt George und Sankt Paul durch die Agenten der Kompanie, welche den dortigen Ansiedelungen unter Herrn Kriukow vorstehen, auf Anweisung von diesem mit manchem, woran wir Mangel litten, versehen werden. Auf beiden Inseln, welche im Meerbecken im Norden der aleutischen Inselkette vereinzelt liegen und sonst unbewohnt waren, werden von wenigen Russen und mehreren angesiedelten Aleuten die Herden von Seelöwen und Seebären, welche ihren Strand besetzen, bewirtschaftet, und die Kompanie zieht aus denselben einen sichern und beträchtlichen Ertrag. Beide Inseln sind ohne Hafen und Ankerplatz.

Bei hellem Wetter und günstigem Winde kamen wir am 30. Juni nachmittags in Ansicht der Insel Sankt George, näherten uns derselben, meldeten uns durch einen Kanonenschuß an und lavierten die Nacht über. Am Morgen des 1. Juli holte uns die große Baidare der Ansiedelung an das Land. Einen gar wundersamen Anblick gewährt die zahllose Herde von Seelöwen (Leo marinus Stelleri), die, unabsehbar im Umkreis der Insel und bis unter der Ansiedelung, einen breiten, felsigen, nackten, von Fett geschwärzten Gurt des Strandes überdeckt. Unförmliche, riesige Fett- und Fleischmassen, ungeschickt und schwerfällig auf dem Lande. Die Männchen bewachen ihre Weiber und kämpfen gegeneinander wütend um deren Besitz; jene folgen dem Sieger. Ihr Gebrüll wird sechs Meilen weit zur See vernommen. Man kann ihnen bis auf wenige Schritte nahen; sie kehren sich bloß gegen die Menschen und brüllen sie an. Nichts hat während der Zeit, die Kadu unter uns zubrachte, seine Aufmerksamkeit so sehr gefesselt und einen stärkeren Eindruck auf ihn gemacht als der Anblick dieser Tiere. Er schloß sich mir an, als ich sie zu besichtigen ging, blieb aber immer etliche Schritte hinter mir zurück. Man tötet alte Männchen vorzüglich der Haut wegen, die zum Überziehen der Baidaren und ähnlichem dient; auch werden deren Eingeweide zu Kamlaiken verarbeitet. Junge schlachtet man um des Fleisches willen, das wir selber nicht übeln Geschmackes gefunden haben. Etliche Menschen, mit Stöcken bewaffnet, verscheuchen die Alten, und die Jungen, von der See abgeschnitten, werden landeinwärts nach dem Orte hin getrieben, wo sie abgetan werden sollen. Ein Kind treibt eine Herde von zwölf bis zwanzig vor sich her. Alte werden mit der Flinte geschossen; sie haben nur eine Stelle am Kopfe, wo der Schuß tödlich ist. Sankt George und Sankt Paul werden von den Russen »die Inseln der Seebären« genannt, weil dieses Tier ihnen den größeren Ertrag liefert. Sankt George ist aber die Insel der Seelöwen. Nur wenige Familien der Seebären nehmen abgesonderte Stellen des Strandes ein. Es worden für uns und unsere Mannschaft etliche junge Seelöwen geschlachtet; auch vermehrten wir unsere Vorräte um etliche Fässer Eier, die sich im Tran eine lange Zeit frisch erhalten. Die Nester der Seevögel, die hier ihre Brüteplätze haben, werden regelmäßig geplündert, und die Menschen wirtschaften mit Robben und Vögeln, als seien sie ihnen hörig geworden.

Wir hatten am selben Abend Ansicht erst von der Bober-Insel, einer Klippe in der Nähe von Sankt Paul, und dann von dieser Insel selbst. Sankt George und Sankt Paul liegen in solcher Nähe, daß die eine Insel von der andern gesehen werden kann. Wir lagen am 2. Juli in Windstille bei Nebel und Regen in der Nähe der Bober-Insel. Das Meer war trüb und schmutzig; häufige Fettflecken darauf spielten in den Farben der Iris. Die Baidaren von Sankt Paul kamen und gingen zwischen dem Lande und dem Schiffe; vom »Rurik« ward kein Boot, keine Baidare in die See gelassen. Nachmittags erhob sich ein schwacher Windhauch; wir fuhren an der Klippe vorüber und näherten uns der Hauptinsel. Den 3. am frühen Morgen verkündigte ein Kanonenschuß der Ansiedelung, daß wir uns in ihrer Nähe befänden. Eine Baidare ruderte sogleich heran, und wir fuhren auf derselben ans Land. Choris und Kadu versäumten dieses Mal die Gelegenheit und blieben auf dem »Rurik« zurück.


Die Insel Sankt Paul

Die Insel Sankt Paul erhält von dem Seebären (Ursus marinus Stelleri), der zur Zeit, wo die Mütter werfen, ihren Strand in unendlichen Herden besetzt hält, ihre größere Wichtigkeit. Das Fell der Jungen wird als Pelzwerk geschätzt und findet in Kanton einen sichern Markt und feste Preise. Das Männchen ist um das Doppelte größer als das Weibchen, welches sich außerdem durch Gestalt und Farbe sehr unterscheidet. Männchen und Junge sind dunkler, das Weibchen fahler. Ich habe Schädel von beiden Geschlechtern mitgebracht; sie weichen in der Gestalt sehr voneinander ab, doch scheint die Verschiedenheit ihrer Größe geringer als die der Tiere selbst. Der Schädel des Männchens ist gewölbter, der des Weibchens flacher, bei stärkerem Hervortreten der Fortsätze und Ränder, welche die Augenhöhlen bilden. Der Seebär ist gelenkiger als der Seelöwe und bewegt sich auf dem Lande schneller und leichter als er. Das Männchen überschaut von einem erhöhten Sitze den Kreis seiner Familie und bewacht eifersüchtig seine Weiber. Mancher besitzt deren nur eine einzige oder wenige, indem andere gegen ein halb Hundert beherrschen. Das Weibchen wirft zwei Junge, die mit Zähnen in beiden Kinnladen zur Welt kommen. Die Mutter beißt die Nabelschnur nicht ab, und man sieht die jungen Tiere noch lange die Nachgeburt nach sich ziehen. Ich beschaute und streichelte einen solchen Neugeborenen; er tat die Augen auf und setzte sich, wie er mich sah, gegen mich zur Wehre, indem er sich auf die Hinterpfoten erhob und mir sehr schöne Zähne wies. Gleichzeitig nahm der Hausvater Kenntnis von mir und setzte sich in Bewegung, um mir entgegenzukommen: »Et qui vous a chargé du soin de ma famille [Fußnote]?« Ich versicherte ihm, daß ich es nicht übel gemeint habe, empfahl mich aber und zog mich weiter zurück.

Die Seevögel (Uria) nehmen zwischen den Familien der Robben die freien Stellen des Strandes ein; sie fliegen ohne Scheu mitten durch die Herde und vor dem Rachen der Wache haltenden Männchen, ohne sich an deren Gebrüll zu kehren. Sie nisten in unzähliger Menge in den Höhlen der meerbespülten Felsenwände und unter den gerollten Steinen, die längs dem Strande einen Damm bilden. Der Rücken dieses Dammes ist von ihrem Unflat weiß überzogen.

Vor Sankt Paul soll einmal ein amerikanisches Schiff erschienen sein, dessen Kapitän mit einem starken Kommando ans Land fuhr, Branntwein hinbringend, womit er gar nicht karg tat. Russen und Aleuten tranken zur Genüge, aber die Zeit, die sie darauf schliefen, benutzte der freigebige Fremde, Seebären zu schlachten und abzuziehen; so verschaffte er sich seine Ladung. – In solchen Fällen, wo man die Häute zu trocknen keine Zeit hat, werden solche eingesalzen, wodurch sie nichts von ihrem Wert verlieren sollen.

Unser Kapitän hatte einen Kompaß ans Land gebracht, um sich die Richtung genau angeben zu lassen, in welcher man sowohl von Sankt George als von hier aus auf hoher See vulkanische Erscheinungen und Land gesehen zu haben meint. Die Magnetnadel ward auf diesem Boden vulkanischer Eisenschlacke sehr unruhig befunden. – Doch fand sich ein Standpunkt, wo sie ruhig blieb und von dem aus die Richtung jener Erscheinungen Südwest einhalb West bestimmt wurde. In ebendieser Richtung waren wir am 4. Juli mittags bei hellem Wetter und klarem Horizont sechzig Meilen von Sankt Paul entfernt, und kein Land war zu sehen. Wir behielten bis fünf Uhr abends denselben Kurs, und kein Land erschien. Da steuerten wir nach Norden, um die Ostspitze der Sankt-Laurenz-Insel zu erreichen.

Wir hatten bei meist trübem Wetter wechselnde Winde und Windstillen. Am 9. Juli waren wir über die Breite der Insel Sankt Matwey gekommen, ohne dieselbe sehen zu wollen, und sollten am andern Tage, da der Wind günstiger wurde, Ansicht von der Sankt-Laurenz-Insel bekommen. Wir benachrichtigten davon unsern Freund Kadu. Wir hatten Walfische und öfters Robben gesehen, etliche Seelöwen schienen an diesem Abend dem Laufe unsers Schiffes zu folgen. In diesem Meere ohne Tiefe, wo wir oft das Senkblei warfen, fingen sich mehrere Kabliau (Gadus) an der Angel und versorgten uns mit frischer Nahrung.

Wir sahen am 10. Juli morgens das Land und steuerten auf das südliche Vorgebürge der Sankt-Laurenz-Insel zu. Die Ansicht ist die von einer Gruppe mäßig hoher Inseln, deren Rücken ruhige Linien begrenzen und deren Küsten abstürzig sind. Aber Niederungen vereinigen alle diese Felseninseln, und sie erstrecken sich stellenweise von ihnen aus weit in die See. Auf diesen Niederungen sind die Ansiedelungen der Menschen, welche das in stehenden Pfützen und Seen angesammelte Schneewasser trinken. Wir gingen vor Anker und fuhren nachmittags bei einer Ansiedelung an das Land. Wir hatten uns bewaffnet; Kadu, darüber entrüstet, hatte sich sehr erkundigt, was unsere Meinung sei. Wie er aber vernommen, unsere Gesinnung sei friedlich und wir sorgten bloß für unsere Sicherheit unter Unbekannten, so ließ er sich auch einen Säbel geben und schloß sich dem Kapitän an.


Bewohner der Aleuten

Nur wehrhafte Männer kamen uns selbstvertrauend entgegen, während Weiber und Kinder entfernt wurden. Unsere Dolmetscher machten sich verständlich. Sie gaben Friedensworte, und Tabak und Glasperlen begründeten ein freundschaftliches Verhältnis. – Die Männer hatten tatuierte Linien um das Gesicht nebst etlichen Zeichen auf Stirne und Wangen. Die Mundknöpfe waren selten und wurden oft durch einen runden tatuierten Fleck ersetzt. Sie waren auf der Scheitel geschoren und trugen einen Kranz längerer Haare um das Haupt (die Aleuten schneiden ihr Haar nicht ab). Sie besitzen das Rentier nicht. Ihre Hunde werden auf Küstenfahrten an die Baidaren gespannt. Ihre Waren erhalten sie von den Tschuktschen, mit denen sie in Handelsverbindungen sind.

Wir betraten ihre Wohnungen nicht. Wir sahen ihre irdenen Jurten längs dem Strande, von den üblichen Gerüsten umragt, unter denen die Hundelöcher sind. Ein Zelt von Häuten war ein Sommeraufenthalt.

Wir erfuhren, daß das Eis erst seit drei Tagen (nach meinen eigenen Notaten seit fünf Tagen) aufgegangen war und nordwärts mit dem Strome treibe.

Wir fuhren an das Schiff zurück und gingen unter Segel, um die Insel von der Ostseite zu umfahren.

Am Morgen des 11. Juli lavierten wir bei hellem Wetter und Südwinde. Ich erfuhr, daß man in der Nacht bei der Ostspitze der Insel Eis angetroffen habe und daß der Kapitän an der Brust litte und bettlägerig sei.

Am 12. machte der Kapitän uns und der Mannschaft des »Ruriks« schriftlich bekannt, daß er den Zweck der Reise wegen seiner zerstörten Gesundheit aufgebe und deren Reste dazu verwenden müsse, uns in die Heimat zurückzuführen. – Wir hatten demnach nur noch das bisher Getane rückwärts abzuwenden. Hier die Worte des Herrn von Kotzebue in seiner »Reise«, Zweiter Teil, Seite 105:

»Um zwölf Uhr nachts, als wir eben am nördlichen Vorgebürge vor Anker gehen wollten, erblickten wir zu unserem Schreck stehendes Eis, das sich, so weit das Auge reichte, nach Nordosten erstreckte und nach Norden zu die ganze Oberfläche des Meeres bedeckte. Mein trauriger Zustand, der seit Unalaschka täglich schlimmer wurde, erlitt hier den letzten Stoß. Die kalte Luft griff meine kranke Brust so an, daß der Atem mir verging und endlich Brustkrämpfe, Ohnmachten und Blutspeien erfolgten. Ich begriff nun erst, daß mein Zustand gefährlicher war, als ich bis jetzt glauben wollte, und der Arzt erklärte mir ernstlich, ich könnte in der Nähe des Eises nicht bleiben. Es kostete mich einen langen, schmerzlichen Kampf; mehr als einmal war ich entschlossen, dem Tode trotzend, mein Unternehmen auszuführen; wenn ich aber wieder bedachte, daß uns noch eine schwierige Rückreise ins Vaterland bevorstand und vielleicht die Erhaltung des ›Ruriks‹ und das Leben meiner Gefährten an dem meinigen hing, so fühlte ich wohl, daß ich meine Ehrbegier unterdrücken mußte; das einzige, was mich bei diesem Kampfe aufrecht erhielt, war die beruhigende Überzeugung, meine Pflicht redlich erfüllt zu haben. Ich meldete dem Kommando schriftlich, daß meine Krankheit mich nötige, nach Unalaschka zurückzukehren. Der Augenblick, in dem ich das Papier unterzeichnete, war einer der schmerzlichsten meines Lebens; denn mit diesem Federzuge gab ich einen lang genährten, heißen Wunsch meines Herzens auf.«

Und ich selbst kann nicht ohne das schmerzlichste Gefühl dieses unglückliche Ereignis berühren. Ereignis, ja! mehr denn eine Tat. Herr von Kotzebue befand sich in einem krankhaften Zustand, das ist die Wahrheit; und dieser Zustand erklärt vollkommen den Befehl, den er unterzeichnete. Erklärt, sage ich, ob aber auch rechtfertiget, muß erörtert werden. Ein befugter Richter sagt darüber in der »Quarterly Review« (January 1822), Vol. XXIV, p. 363: [Fußnote]

»Wir haben wenig mehr zu sagen von dieser erfolglosen Reise; aber es scheint uns kaum zu rechtfertigen, sie unter den erwähnten Umständen plötzlich aufgegeben zu haben. Es würde in England nicht geduldet werden, daß die schlechte Gesundheit des kommandierenden Offiziers vorgeschützt werde als ein Grund, ein wichtiges Unternehmen aufzugeben, solange sich noch ein anderer Offizier am Bord befände, der imstande wäre, das Kommando zu übernehmen.«

Dieses ist auch meine Meinung. Derselbe Richter verdächtiget aber unbillig Offizier und Mannen, durch Entmutigung dem Befehl entgegengekommen zu sein. – Ich habe für meinen Teil mit schmerzlicher Entrüstung den Befehl von Herrn von Kotzebue vernommen und mich in meine Instruktion gehüllt: »Ein Passagier an Bord eines Kriegsschiffes, wo man nicht gewohnt ist, welche zu haben, hat keinerlei Ansprüche zu machen.«

Ich habe in den schweigenden, niedergeschlagenen Gesichtern um mich her dasselbe, was in mir vorging, unter der Hülle gewohnter Subordination ebenfalls durchschauen zu sehen geglaubt. Was das ärztliche Gutachten des Doktors Eschscholtz anbetrifft, so hat selbiger die Verantwortlichkeit dafür übernommen; mehr läßt sich nicht sagen.

Ich habe damals den kranken Herrn von Kotzebue tief bedauert, daß ein Verfahren, welches mir unter ähnlichen Umständen auf Schiffen anderer Nationen beobachtet worden zu sein scheint, vermutlich nicht in den Bräuchen des russischen Seedienstes lag und der von ihm gefaßte Entschluß nicht beraten, nicht von einem Kriegsrat, zu welchem jeder Stimmfähige auf dem Schiffe zugezogen worden, für notwendig erkannt und gerechtfertigt worden sei. Ich habe noch eine Zeitlang gehofft, Herr von Kotzebue werde, den Anfall der Krankheit bemeisternd, sich besinnen und den gegebenen Befehl zurückrufen. Darin hätte er Charakterstärke bewiesen, und ich hätte mich in Demut vor ihm geneigt.

Lasset uns übrigens nicht vergessen, daß, obgleich der »Rurik« die kaiserliche Kriegsflagge trug, Schiff, Kapitän und Mannschaft nur den Grafen Romanzow als Herrn anerkannten; daß der Graf Romanzow die Expedition ausgerüstet und nur ihm über den Erfolg derselben Rechenschaft abzulegen war. Herr von Kotzebue hat dem Grafen Romanzow, von dem seine Instruktionen ausgingen, Rechenschaft abgelegt und ihm vollkommen Genüge getan; mithin ist, was der Graf Romanzow gutgeheißen, gut und die Frage über das, was sonst hätte geschehen können, eine bloß wissenschaftliche.

Nun aber fordert ihr, ihr habt nach dem Gesagten das Recht, daß ich euch die Frage nach meiner eigenen Weisheit beantworte und euch sage, was ich denn glaube, daß sonst noch hätte geschehen können. – Aufrichtig gestanden, nicht viel. Wir waren mit einem einzigen dienstfähigen Offizier und zwei Untersteuerleuten (auf den dritten war zur Zeit aus Gründen, die hierher nicht gehören, nicht zu rechnen) sehr schwach, und wenn in der Nacht vom 10. zum 11. Juli das Eis noch zwischen der Sankt-Laurenz-Insel und der amerikanischen Küste anstehend gefunden ward, so mochte dieser Sommer ungünstiger sein als der vorjährige.

Wir hätten uns die nächstfolgenden Tage bei der Sankt-Matwey-Insel verweilen können. Das mit dem Strom nordwärts treibende Eis bedrohete uns mit keiner Gefahr; wir hätten demselben auf der asiatischen Seite der Sankt-Laurenz-Insel folgen können und hier schon Vorerfahrungen sammeln von dem, was im Norden aufzusuchen unsere Bestimmung war. Die Sankt-Laurenz-Bucht bot uns einen sichern Hafen und köstliche Erfrischungen dar. Wir hätten daselbst von Renfleisch gelebt, uns mit Renfleisch verproviantiert und die Zeit abgewartet, wo der Kotzebue-Sund, vom Eise befreit, dem »Rurik« zugänglich geworden wäre. Hier bei dem Schiffe hätte sich der kranke Kapitän so gut als auf Unalaschka ausruhen können, während er dem Leutnant Schischmarew den Befehl über die Baidaren-Nordfahrt übertragen hätte. Ich bin der festen Meinung, daß im schlimmsten denkbaren Falle ein Untersteuermann das Schiff in den Hafen von Sankt Peter und Paul zu fahren vollkommen genügt hätte. Man wird mich gern einer weitern Ausführung, welche auch meines Amtes nicht ist, überheben.

Wir machten bei wechselnden Winden, meist in nordische Nebel gehüllt, unsern Weg nach Unalaschka. Wir kamen an den Inseln Sankt Matwey, Sankt Paul und Sankt George vorüber, ohne dieselben zu sehen. Wir segelten am 20. Juli in der Nähe von Unalaschka über zwei Walfische von der Art Kullomoch. Sie waren von sehr verschiedener Größe; ihre Haut war glatt; nur die Protuberanz am Vorderteil des Kopfes und der äußere Rand der Klappe der sehr großen und wenig voneinander getrennten Spritzlöcher schwammartig. Sie erhielten drei Wurfspieße von unsern Aleuten, ohne sehr darauf zu achten. Sie warfen wenig Wasser, und ich konnte, obgleich aufmerksam darauf, keinen Geruch wahrnehmen. Die Erschütterung des Stoßes, die im Schiffsraum empfunden wurde, war auf dem Verdeck unmerklich.

Am Morgen des 21. zeigten sich etliche Seelöwen um das Schiff. Am Nachmittag entdeckten wir unter der Nebeldecke Unalaschka in geringer Entfernung. Wir lagen in Windstille. Wir ließen uns durch unsere Boote bugsieren. Wir kamen in der Nacht an und lagen am Morgen des 22. Juli 1817 im Hafen von Unalaschka vor Anker.

Das Schiff blieb dieses Mal weit vom Ufer. Der Kapitän zog wieder zu dem Agenten Kriukow. Wir speisten auf dem »Rurik« und tranken Tee auf dem Lande.

Der Kapitän teilte uns den Plan der Reise mit: die Sandwich-Inseln, Radack, Ralick und die Karolinen, Manila, die Sunda-Straße, das Vorgebürge der Guten Hoffnung und Europa. »Der Mangel an frischen Lebensmitteln und der üble Zustand des ›Ruriks‹, der durchaus einer Reparatur bedurfte, gestattete mir nicht, meinen Rückweg, der Instruktion zufolge, durch die Torres-Straße zu nehmen.« Also Herr von Kotzebue, »Reise«, II, Seite 106. – Die Sandwich-Inseln versorgten uns mit frischen Lebensmitteln in Überfluß.

Wir sollten zu Sankt Peter und Paul Briefe von der Heimat vorfinden und wiederum Gelegenheit haben, in die Heimat zu schreiben. – Wir vergruben uns, verschollen für die Welt, zu Unalaschka, schifften aus, was wir zu unserer Ausrüstung auf unsere Nordfahrt eingeschifft, verbuken zu Zwieback, woran wir Mangel zu leiden bedroht waren, das Mehl, das wir in San Francisco an Bord genommen, und verbrachten die Zeit wie in einem Aufenthalt der Verführung.

Ich werde eine kleine Reise erzählen, die ich durch das Innere der Insel zu machen Gelegenheit fand. Ein Schwein, das zu Makuschkin für den »Rurik« geschlachtet worden war, spielte bei dieser Expedition die Hauptrolle und war die Hauptperson, an deren Gefolge ich mich anschließen durfte. Die ganze Gebirgsmasse, über welche der Vulkan von Unalaschka, die Makuschkaja Sobka, sich erhebt, liegt zwischen Illiuliuk und Makuschkin. Zwei Meerbusen oder Fjorden kommen einander in verschiedenen Richtungen entgegen und machen aus jenem Gebürgsstock eine Halbinsel. Aber die Landzunge von einem Fjorde zu dem anderen, über Bergtäler und Pässe, welche in die Schneeregion reichen, zu durchkreuzen erfodert wenigstens acht Stunden Zeit. Ich machte mich am 1. August morgens um sechs Uhr mit zwei Aleuten und einem Russenknaben auf den Weg. Wir erreichten in kleinen Baidaren um acht Uhr den Hintergrund der Kapitäns-Bucht, des Fjordes, an welchem Illiuliuk liegt, und traten von da an talhinauf unsere Wanderung an. Kein Weg ist gebahnt; der Bergstrom, zu dessen Quelle man hinansteigt, ist der Führer durch die Wildnis. Man muß ihn oft durchkreuzen und sich zum kalten Bade in das reißende Schneewasser, das einem bis über die Hüften steigt, entblößen. Die landesübliche Fuß- und Beinbedeckung, die Tarbassi, die, obgleich immer feucht, kein Wasser durchlassen, erlauben minder tiefe Gewässer zu durchwaten, ohne sich auszuziehen. Im unteren Tale ist der Graswuchs üppig und hinderlich dem Wandernden. An der Schneegrenze fesselte manche Pflanze meine Aufmerksamkeit, und die Weite des Weges nicht kennend, den wir noch zurückzulegen hatten, beschleunigte ich nicht den Marsch so, wie ich gesollt hätte. Das jenseitige Tal führet durch tiefe Moräste zu dem Meere. Die Nacht brach ein, als wir den Strand erreichten. Ich glaubte schon bei Makuschkin zu sein; aber der Weg folgt dem Strande in einem Teile des Umkreises der Halbinsel, und hinter jeder vorgestreckten Landspitze, die man mit der Hoffnung erreicht, zu Makuschkin anzukommen, sieht man eine andere Landzunge sich vorstrecken, die eine gleich lügenhafte Hoffnung erregt. Es war elf Uhr in der Nacht, als wir ankamen. Ich bin als ein rüstiger Fußgänger bekannt gewesen, und was ich als solcher geleistet, hat mir schwerlich einer nachmachen können: ich habe in meinem Leben keinen ermüdenderen Tagemarsch gemacht als den eben beschriebenen. Alles schlief. Der hier befehlende Russe, bei dem ich heimkehrte, empfing mich auf das gastlichste; aber es war zu spät, um das Bad zu heizen, und er hatte weiter nichts mir vorzusetzen als Tee ohne Branntwein, ohne Zucker und ohne Milch, zu welchem Getränke er mich gutmütig nötigte, als sei es Malvasier. Der gute Sanin, so hieß mein Wirt, gab mir sein Bett, und das war das Beste, was er mir geben konnte.

Am 2. genoß ich des Dampfbades, ruhete mich aus und untersuchte gemächlich die Hügel um die Ansiedelung und die heiße Quelle, die dort am Strande unter dem Niveau des hohen Wassers aus dem Felsen sprudelt. Ein Tal liegt zwischen der Ansiedelung und dem Fuße des Schneegebürges, der die Grundfesten des Piks von Makuschkin bildet. Diese winterliche Wildnis gewährt einen abschreckenden Anblick. Ein Nebengipfel raucht unablässig; doch wird man den Rauch nur gewahr, wenn ihn der Wind auf die Seite hintreibt, auf welcher man steht.

Sanin selber rüstete sich mit einer Karawane von Trägern, das zerlegte Schwein nach dem Hafen zu bringen. Das schlechte Wetter verzögerte die Abreise um einen Tag, den ich die Gegend zu durchstreifen anwendete. Wir brachen den 4. am frühen Morgen auf. Die große Baidare der Ansiedelung brachte uns in den Hintergrund des Fjordes, von wo der Landweg über die Landenge kürzer ist als der, den ich auf der Hinreise gemacht. Ich habe, glaube ich, gesagt, daß diese großen Baidaren »Frauenboote« heißen; aleutische Mädchen waren unsere Ruderer. Arme Geschöpfe! Elend, Krankheit, Schmutz, Ungeziefer und Häßlichkeit schließen eine gewisse zarte Zierlichkeit der Sitten nicht aus; diese Mädchen haben mir einen Beweis davon gegeben, und ein Geschenk, das ich von ihnen besitze und in Ehren halte, hat mich mehr gerührt, als Gunstbezeugungen von Königen tun könnten. Auf dem Platze, wo wir Nachmittag noch bei guter Zeit landeten, richteten wir sogleich unser Bivouak ein. Unter der Baidare liegend, betrachtete ich meine Mütze, die zerrissen war; und die Gelegenheit wahrnehmend, dem Schaden abzuhelfen, steckte ich drei Nähnadeln hinein und reichte sie so dem mir zunächst liegenden Mädchen und machte sie auf das, was ich von ihr wünschte, aufmerksam. Drei Nähnadeln! – Ein solcher Schatz umsonst! Da leuchtete gar wundersam ein unaussprechliches Glück aus ihren Augen. Alle Mädchen kamen herbei, die Nadeln zu bewundern, der Begünstigten Glück zu wünschen, und manche schien mit Wehmut des eignen Elends zu gedenken. – Da beglückte ich sie denn alle und schenkte jeder drei Nadeln. – Wir brachen am andern Morgen früh auf und waren um drei Uhr zu Illiuliuk. – Hier überreichte mir Sanin das Gegengeschenk der dankbaren Mädchen, welches er mir erst nach der Ankunft einzuhändigen beauftragt war: ein Knäul Tierflechsenzwirn von ihrer Arbeit.

Ich habe Aleutenmädchen einen Hemdeknopf von Posamentierarbeit untersuchen sehen, sich unter sich darüber beraten und am Ende das zierliche Ding dergestalt nachmachen, daß ihr Machwerk würdig befunden wurde, an das Hemd des Kapitäns geheftet zu werden.

Ich habe die Radackerinnen über ein Gewebe unserer Fabrik, über einen Strohhut, ratschlagen sehen, Material und Arbeit betrachten und besprechen und die Frage in Erwägung ziehen, ob solches darzustellen ihnen möglich sein werde.

Ich habe meine Frau mit ihren Gespielinnen sich bemühen sehen, das Geknöte eines englischen Hosenträgers zu enträtseln. Ich habe überall die Frauen sich der Zierlichkeit befleißigen sehen, mit nicht gespartem Aufwand von Zeit, Mühe und Nachdenken ihre Handarbeiten auf das künstlichste ausschmücken und für den Putz der Männer wie für den eigenen sorgen. Wenn ich es aber in der Fremde gesehen habe, so habe ich immer eine herzige Freude daran gehabt.

Herr von Kotzebue behielt zur Verstärkung der Mannschaft des »Ruriks« etliche, ich glaube vier, der Aleuten, die wir auf unsere Nordfahrt mitgenommen hatten. Unter diesen war ein junger, frischer Bursche, aufgeräumten Sinnes und guter Geistesfähigkeit, mit dem Eschscholtz sich leicht zu verständigen gewußt und mit dessen Hülfe er unternommen hatte, die Sprache der Aleuten, die er bereits für einen Dialekt des Eskimo-Sprachstammes erkannt, näher zu beleuchten. – Ich hatte meine Freude an seiner Forschung, mit deren Ergebnissen er mich bekannt machte. Aber das begonnene Werk zu vollenden, das einem eingestandenen Bedürfnis der Linguistik abgeholfen hätte, und aus dem bereits Ermittelten Gewinn zu ziehen, war eines nötig: den Doktor Eschscholtz in Europa, wo es Grammatiken und Lexika zu vergleichen galt, des Beistandes seines Sprachlehrers nicht zu entblößen.

Ich habe oft Gelegenheit gehabt zu bedauern, daß, nachdem verschwenderisch für den Erwerb gesorgt worden, mitnichten daran gedacht werde, das Erworbene nutzbar zu machen, und daß selbst für die Erhaltung desselben geizig die geringste Beisteuer verweigert werde. Der Prunk kauft das Teuerste an; er stattet Sammler, sendet Reisende aus; aber das teuer Erstandene, das sorgenvoll Eingespeicherte wird sorglos dem Untergange überlassen. Der Prunk, der den Reisenden ausgerüstet, sorget manchmal noch für die Herausgabe eines Buches; jeder kann nach dem Maßstabe dessen, was er schon gekostet hat, seine Ansprüche stellen; aber mißachtet wird, wer und was freiwillig sich darbietet. – Ich habe einmal eine junge Berlinerin sagen hören, gemachte Rosen seien viel schöner als natürliche, denn sie kosteten viel mehr. Das ist ein großes Kapitel in der Geschichte der Menschen.

Aber ich wollte ja von der aleutischen Sprache reden. Sobald wir in Sankt Petersburg angekommen, ward der junge Bursch mit den andern Aleuten der Russisch-Amerikanischen Handelskompanie wieder überantwortet, und von der verdienstlichen Arbeit, der sich Eschscholtz unterziehen wollte und welche die Wissenschaft dankbar der Romanzowschen Expedition zum Ruhme angerechnet haben würde, ist nie wieder die Rede gewesen.

Bezeichnend wird es vielleicht in mehr als einer Hinsicht sein, zu bekennen, daß ich selber von der aleutischen Sprache nur ein einziges Wort erlernt und behalten habe: Kitung (i.e. pediculus [Fußnote]). Und, ad vocem Kitung, scheidend den letzten Rückblick auf den düstern Norden werfend, werde ich der Vollständigkeit halber bemerken, daß während unserer Nordfahrten im Jahre 1816 und 1817 das Benannte nichts Seltenes auf dem »Rurik« war, wogegen Iwan Iwanowitsch heimlich aus einem Krüglein spendete, was gute Dienste tat.

Am 18. August 1817 verließen wir zum dritten und letzten Male Unalaschka.

 

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