Mit dem Hubschrauber zu den Walen vor Kaikoura
Ich hatte am gestrigen Abend einen Helikopterflug zu den Finnwalen gebucht, die draußen vor der Küste schwammen, den Leuten des Ortes etwas Geld einbrachten und dem Jungen einen Herzenswunsch erfüllten. Bis es so weit war, blieb mir noch genügend Zeit, mich umzuschauen.
Kaikoura liegt an einer kleinen Halbinsel und wird fast von zwei hohen Gebirgszügen ins Meer gedrängt. Der Tapuaenuku mit seiner kümmerlichen Grasnarbe hatte sich für diesen Tag mit dem spitzen Rest seiner zweitausendachthundertfünfundachtzig Meter wie ein alter Mann mit einem dichten Haarkranz aus grauen Wolken abgefunden, nur ganz allmählich riss die Wolkendecke auf und trieb Schattenspiele auf dem pechschwarzen Lavastrand, als zöge der Rauch eines vorbeieilenden Zuges dahin.
Der Mann im Schatten
© Willi Schnitzler
Zum Mittagessen hielt der Bus in Flat Hills, wo alle Hunde der Welt begraben zu liegen schienen. Vom ständigen Sitzen müde verließ ich den Bus, begleitet nur von meinem eigenen kleinen Schatten. Ohne Schatten, ohne Seele, sagte man früher und spann damit den Mythos von Körperschatten und Schattengeist. Wer am Silvesterabend seinen Schatten ohne Kopf sieht, stirbt im nächsten Jahr, behauptete man in Norddeutschland. Und die Lanze, die bei Homer die »Weithinschattende« hieß, war bei den arabischen Wüstenstämmen noch das Werkzeug, aus dessen Schatten man sich die Tageszeit bestimmte.
Zugfahrt nach Wellington
© Willi Schnitzler
Bereits in Napier war mir eine alte Frau aufgefallen, die von ihrer Tochter und deren Freund nicht schnell genug in den Zug gesteckt werden konnte. Sie war klein und neigte ein wenig zur Zerbrechlichkeit; an ihrem Hals trauerte eine kleine Perle. Ihr Gesicht aus Plissee war eine einzige sorgenzerfurchte Stirn, an deren Falten man die Zeit messen konnte – kleiner Mund, kleine
Nase, kleines Kinn. Die Frau trug ein verwaschenes blaues Kleid aus einem jüngeren Herbst und schien eine Vorliebe für Karomuster zu besitzen: schien eine neuseeländische Spezialität zu sein, schien hierher zu gehören wie das Bandoneon zum Tango. Ihre Füße steckten in flachen Schuhen, die venezianischen Gondeln glichen; die Hände lagen in Reichweite eines Buches, das sie herausgenommen und auf ihre Knie gelegt hatte. Ich konnte nicht sehen, was für eine Art Buch es war. Zunächst verbrachte sie die Zeit zu lesen und ihre Nachbarn über die Brille hinweg schweigend zu betrachten, bis sie ihre Scheu ablegte und erzählte, dass sie von einem Besuch nach Wellington zurückkehre. Sie entpuppte sich als wahre Fundgrube von Tipps und Geschichten für Reisende in die „Glasstadt“ Wellington. Geschichten, die aus der Vergangenheit kamen, um für Augenblicke das Bild einer Welt zu zeichnen, die eine Spur von Verblüffung bei uns zurückließ. Sie fragte:
„Kennst du das Land, das eigentlich ein an der Angel gefangener Fisch ist? Wo Berge sich lieben und Eifersucht zeigen? Wo Götter leben mit seltsamen Namen wie Hina-moki, Nga-rangi-hore, Tiki oder Irawari?“
Verblüfft sagte ich: „Nein, das kenne ich nicht!“
Hürdenrennen mit Kanus
© Willi Schnitzler
Ich hatte kaum Platz auf meinem Rucksack genommen, geschweige denn die Zeit gefunden, mir die Örtlichkeit ins Gedächtnis zu rufen, da näherte sich ein Auto und in Windeseile befand ich mich auf dem Weg nach Rotorua. Ein freundliches Ehepaar von bestimmt hundertfünfzig Jahren bot mir sogleich einen Becher heißen Tee an, von der Sorte, die eine Nonne zum Singen gebracht hätte, weil der Trank mindestens zur Hälfte aus Rum bestand. Sie stammten aus Wanaka, dem Nabel der südlichen Schwester, fuhren der Nordinsel über das Gesicht und lächelten das zufriedene Lächeln zweier Menschen, die nach einem gemeinsamen glücklichen Leben ihre letzte große Reise unternahmen. Die Liebe der beiden alten Menschen hatte der Abnutzung des Tagtäglichen erfolgreich widerstanden und strafte die Worte Lord Byrons Lügen, der schrieb: „Wie Wein ist Liebe, wenn sie himmlisch jung, Die Ehe ist ein Alltagstrunk, Am Anfang nüchtern, auf die Dauer Von Geschmack wie Essig sauer.“
Fjordland
© Willi Schnitzler
Mit einem Mal befand ich mich in einer anderen, in einer verlassenen Welt. Hinter dem Tunnel lag eine karge Landschaft. Graue hochaufgeschossene Berge; rutschendes Geröll; Nebelschwaden, die der Wind über die Baumwipfel fegte; dünnes Gras; Krampfadern im Fels. Ein Ort, vom Leben kaum berührt. Im Winter muss es hier bitterkalt, trostlos, gar bedrückend sein, dachte ich. Doch folgte man der Straße bergab ins Cleddau-Tal, gelangte man schließlich in den Anfang des Milford Sound, den Kipling als das achte Weltwunder bezeichnet hatte. Kipling, der schrieb: „They shut the road through the woods seventy years ago“, könnte mit dem Satz das Fjordland gemeint haben.