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April
Korrespondenz
Rom, den 10. April 1788.
Noch bin ich in Rom mit dem Leibe, nicht mit der Seele. Sobald der Entschluß fest war, abzugehen, hatte ich auch kein Interesse mehr, und ich wäre lieber schon vierzehn Tage fort. Eigentlich bleibe ich noch um Kaysers willen und um Burys willen. Ersterer muß noch einige Studien absolvieren, die er nur hier in Rom machen kann, noch einige Musikalien sammeln; der andere muß noch die Zeichnung zu einem Gemälde nach meiner Erfindung ins reine bringen, dabei er meines Rats bedarf.
Doch hab' ich den 21. oder 22. April zur Abreise festgesetzt.
Rom den 11. April.
Die Tage vergehn, und ich kann nichts mehr tun. Kaum mag ich noch etwas sehen; mein ehrlicher Meyer steht mir noch bei, und ich genieße noch zuletzt seines unterrichtenden Umgangs. Hätte ich Kaysern nicht bei mir, so hätte ich jenen mitgebracht. Wenn wir ihn nur ein Jahr gehabt hätten, so wären wir weit genug gekommen. Besonders hätte er bald über alle Skrupel im Köpfezeichnen hinausgeholfen.
Ich war mit meinem guten Meyer diesen Morgen in der französischen Akademie, wo die Abgüsse der besten Statuen des Altertums beisammenstehn. Wie könnt' ich ausdrücken, was ich hier wie zum Abschied empfand? In solcher Gegenwart wird man mehr, als man ist; man fühlt, das Würdigste, womit man sich beschäftigen sollte, sei die menschliche Gestalt, die man hier in aller mannigfaltigen Herrlichkeit gewahr wird. Doch wer fühlt bei einem solchen Anblick nicht alsobald, wie unzulänglich er sei; selbst vorbereitet steht man wie vernichtet. Hatte ich doch Proportion, Anatomie, Regelmäßigkeit der Bewegung mir einigermaßen zu verdeutlichen gesucht, hier aber fiel mir nur zu sehr auf, daß die Form zuletzt alles einschließe, der Glieder Zweckmäßigkeit, Verhältnis, Charakter und Schönheit.
Rom, den 14. April.
Die Verwirrung kann wohl nicht größer werden! Indem ich nicht abließ, an jenem Fuß fortzumodellieren, ging mir auf, daß ich nunmehr "Tasso" unmittelbar angreifen müßte, zu dem sich denn auch meine Gedanken hinwendeten, ein willkommener Gefährte zur bevorstehenden Reise. Dazwischen wird eingepackt, und man sieht in solchem Augenblicke erst, was man alles um sich versammelt und zusammengeschleppt hat.
Bericht
April
Meine Korrespondenz der letzten Wochen bietet wenig Bedeutendes; meine Lage war zu verwickelt zwischen Kunst und Freundschaft, zwischen Besitz und Bestreben, zwischen einer gewohnten Gegenwart und einer wieder neu anzugewöhnenden Zukunft. In diesen Zuständen konnten meine Briefe wenig enthalten; die Freude, meine alten geprüften Freunde wiederzusehen, war nur mäßig ausgesprochen, der Schmerz des Loslösens dagegen kaum verheimlicht. Ich fasse daher in gegenwärtigen nachträglichen Bericht manches zusammen und nehme nur das auf, was aus jener Zeit mir teils durch andere Papiere und Denkmale bewahrt, teils in der Erinnerung wieder hervorzurufen ist.
Tischbein verweilte noch immer in Neapel, ob er schon seine Zurückkunft im Frühling wiederholt angekündigt hatte. Es war sonst mit ihm gut leben, nur ein gewisser Tik ward auf die Länge beschwerlich. Er ließ nämlich alles, was er zu tun vorhatte, in einer Art Unbestimmtheit, wodurch er oft ohne eigentlich bösen Willen andere zu Schaden und Unlust brachte. So erging es mir nun auch in diesem Falle; ich mußte, wenn er zurückkehrte, um uns alle bequem logiert zu sehen, das Quartier verändern, und da die obere Etage unsers Hauses eben leer ward, säumte ich nicht, sie zu mieten und sie zu beziehen, damit er bei seiner Ankunft in der untern alles bereit fände.
Die oberen Räume waren den unteren gleich, die hintere Seite jedoch hatte den Vorteil einer allerliebsten Aussicht über den Hausgarten und die Gärten der Nachbarschaft, welche, da unser Haus ein Eckhaus war, sich nach allen Seiten ausdehnte.
Hier sah man nun die verschiedensten Gärten, regelmäßig durch Mauern getrennt, in unendlicher Mannigfaltigkeit gehalten und bepflanzt; dieses grünende und blühende Paradies zu verherrlichen, trat überall die einfach edle Baukunst hervor: Gartensäle, Balkone, Terrassen, auch auf den höhern Hinterhäuschen eine offne Loge, dazwischen alle Baum--und Pflanzenarten der Gegend.
In unserm Hausgarten versorgte ein alter Weltgeistlicher eine Anzahl wohlgehaltener Zitronenbäume von mäßiger Höhe in verzierten Vasen von gebrannter Erde, welche im Sommer der freien Luft genossen, im Winter jedoch im Gartensaale verwahrt standen. Nach vollkommen geprüfter Reife wurden die Früchte sorgfältig abgenommen, jede einzeln in weiches Papier gewickelt, so zusammengepackt und versendet. Sie sind wegen besonderer Vorzüge im Handel beliebt. Eine solche Orangerie wird als ein kleines Kapital in bürgerlichen Familien betrachtet, wovon man alle Jahre die gewissen Interessen zieht.
Dieselbigen Fenster, aus welchen man so viel Anmut beim klarsten Himmel ungestört betrachtete, gaben auch ein vortreffliches Licht zu Beschauung malerischer Kunstwerke. Soeben hatte Kniep verschiedene Aquarellzeichnungen, ausgeführt nach Umrissen, die er auf unsrer Reise durch Sizilien sorgfältig zog, verabredetermaßen eingesendet, die nunmehr bei dem günstigsten Licht allen Teilnehmenden zu Freude und Bewunderung gereichten. Klarheit und luftige Haltung ist vielleicht in dieser Art keinem besser gelungen als ihm, der sich mit Neigung gerade hierauf geworfen hatte. Die Ansicht dieser Blätter bezauberte wirklich, denn man glaubte, die Feuchte des Meers, die blauen Schatten der Felsen, die gelbrötlichen Töne der Gebirge, das Verschweben der Ferne in dem glanzreichsten Himmel wieder zu sehen, wieder zu empfinden. Aber nicht allein diese Blätter erschienen in solchem Grade günstig, jedes Gemälde, auf dieselbe Staffelei, an denselben Ort gestellt, erschien wirksamer und auffallender; ich erinnere mich, daß einigemal, als ich ins Zimmer trat, mir ein solches Bild wie zauberisch entgegenwirkte.
Das Geheimnis einer günstigen oder ungünstigen, direkten oder indirekten atmosphärischen Beleuchtung war damals noch nicht entdeckt, sie selbst aber durchaus gefühlt, angestaunt und als nur zufällig und unerklärbar betrachtet.
Diese neue Wohnung gab nun Gelegenheit, eine Anzahl von Gipsabgüssen, die sich nach und nach um uns gesammelt hatten, in freundlicher Ordnung und gutem Lichte aufzustellen, und man genoß jetzt erst eines höchst würdigen Besitzes. Wenn man, wie in Rom der Fall ist, sich immerfort in Gegenwart plastischer Kunstwerke der Alten befindet, so fühlt man sich wie in Gegenwart der Natur vor einem Unendlichen, Unerforschlichen. Der Eindruck des Erhabenen, des Schönen, so wohltätig er auch sein mag, beunruhigt uns, wir wünschen unsre Gefühle, unsre Anschauung in Worte zu fassen: dazu müßten wir aber erst erkennen, einsehen, begreifen; wir fangen an zu sondern, zu unterscheiden, zu ordnen, und auch dieses finden wir, wo nicht unmöglich, doch höchst schwierig, und so kehren wir endlich zu einer schauenden und genießenden Bewunderung zurück.
überhaupt aber ist dies die entschiedenste Wirkung aller Kunstwerke, daß sie uns in den Zustand der Zeit und der Individuen versetzen, die sie hervorbrachten. Umgeben von antiken Statuen, empfindet man sich in einem bewegten Naturleben, man wird die Mannigfaltigkeit der Menschengestaltung gewahr und durchaus auf den Menschen in seinem reinsten Zustande zurückgeführt, wodurch denn der Beschauer selbst lebendig und rein menschlich wird. Selbst die Bekleidung, der Natur angemessen, die Gestalt gewissermaßen noch hervorhebend, tut im allgemeinen Sinne wohl. Kann man dergleichen Umgebung in Rom tagtäglich genießen, so wird man zugleich habsüchtig darnach; man verlangt, solche Gebilde neben sich aufzustellen, und gute Gipsabgüsse als die eigentlichsten Faksimiles geben hiezu die beste Gelegenheit. Wenn man des Morgens die Augen aufschlägt, fühlt man sich von dem Vortrefflichsten gerührt; alles unser Denken und Sinnen ist von solchen Gestalten begleitet, und es wird dadurch unmöglich, in Barbarei zurückzufallen.
Den ersten Platz bei uns behauptete Juno Ludovisi, um desto höher geschätzt und verehrt, als man das Original nur selten, nur zufällig zu sehen bekam und man es für ein Glück achten mußte, sie immerwährend vor Augen zu haben; denn keiner unsrer Zeitgenossen, der zum erstenmal vor sie hintritt, darf behaupten, diesem Anblick gewachsen zu sein.
Noch einige kleinere Junonen standen zur Vergleichung neben ihr, vorzüglich Büsten Jupiters und, um anderes zu übergehen, ein guter alter Abguß der Medusa Rondanini; ein wundersames Werk, das, den Zwiespalt zwischen Tod und Leben, zwischen Schmerz und Wollust ausdrückend, einen unnennbaren Reiz wie irgendein anderes Problem über uns ausübt.
Doch erwähn' ich noch eines Herkules Anax, so kräftig und groß, als verständig und mild; sodann eines allerliebsten Merkur, deren beider Originale sich jetzt in England befinden.
Halberhobene Arbeiten, Abgüsse von manchen schönen Werken gebrannter Erde, auch die ägyptischen, von dem Gipfel des großen Obelisk genommen, und was nicht sonst an Fragmenten, worunter einige marmorne waren, standen wohl eingereiht umher.
Ich spreche von diesen Schätzen, welche nur wenige Wochen in die neue Wohnung gereiht standen, wie einer, der sein Testament überdenkt, den ihn umgebenden Besitz mit Fassung, aber doch gerührt ansehen wird. Die Umständlichkeit, die Bemühung und Kosten und eine gewisse Unbehülflichkeit in solchen Dingen hielten mich ab, das Vorzüglichste sogleich nach Deutschland zu bestimmen. Juno Ludovisi war der edlen Angelika zugedacht, weniges andere den nächsten Künstlern, manches gehörte noch zu den Tischbeinischen Besitzungen, anderes sollte unangetastet bleiben und von Bury, der das Quartier nach mir bezog, nach seiner Weise benutzt werden.
Indem ich dieses niederschreibe, werden meine Gedanken in die frühsten Zeiten hingeführt und die Gelegenheiten hervorgerufen, die mich anfänglich mit solchen Gegenständen bekannt machten, meinen Anteil erregten, bei einem völlig ungenügenden Denken einen überschwenglichen Enthusiasmus hervorriefen und die grenzenlose Sehnsucht nach Italien zur Folge hatten.
In meiner frühsten Jugend ward ich nichts Plastisches in meiner Vaterstadt gewahr; in Leipzig machte zuerst der gleichsam tanzend auftretende, die Zimbeln schlagende Faun einen tiefen Eindruck, so daß ich mir den Abguß noch jetzt in seiner Individualität und Umgebung denken kann. Nach einer langen Pause ward ich auf einmal in das volle Meer gestürzt, als ich mich von der Mannheimer Sammlung in dem von oben wohlbeleuchteten Saale plötzlich umgeben sah.
Nachher fanden sich Gipsgießer in Frankfurt ein, sie hatten sich mit manchen Originalabgüssen über die Alpen begeben, welche sie sodann abformten und die Originale für einen leidlichen Preis abließen. So erhielt ich einen ziemlich guten Laokoons-Kopf, Niobes Töchter, ein Köpfchen, später für eine Sappho angesprochen, und noch sonst einiges. Diese edlen Gestalten waren eine Art von heimlichem Gegengift, wenn das Schwache, Falsche, Manierierte über mich zu gewinnen drohte. Eigentlich aber empfand ich immer innerliche Schmerzen eines unbefriedigten, sich aufs Unbekannte beziehenden, oft gedämpften und immer wieder auflebenden Verlangens. Groß war der Schmerz daher, als ich, aus Rom scheidend, von dem Besitz des endlich Erlangten, sehnlichst Gehofften mich lostrennen sollte.
Die Gesetzlichkeit der Pflanzenorganisation, die ich in Sizilien gewahr worden, beschäftigte mich zwischen allem durch, wie es Neigungen zu tun pflegen, die sich unsres Innern bemächtigen und sich zugleich unsern Fähigkeiten angemessen erzeigen. Ich besuchte den botanischen Garten, welcher, wenn man will, in seinem veralteten Zustande geringen Reiz ausübte, auf mich aber doch, dem vieles, was er dort vorfand, neu und unerwartet schien, einen günstigen Einfluß hatte. Ich nahm daher Gelegenheit, manche seltenere Pflanzen um mich zu versammeln und meine Betrachtungen darüber fortzusetzen, sowie die von mir aus Samen und Kernen erzogenen fernerhin pflegend zu beobachten.
In diese letzten besonders wollten bei meiner Abreise mehrere Freunde sich teilen. Ich pflanzte den schon einigermaßen erwachsenen Piniensprößling, Vorbildchen eines künftigen Baumes, bei Angelika in den Hausgarten, wo er durch manche Jahre zu einer ansehnlichen Höhe gedieh, wovon mir teilnehmende Reisende zu wechselseitigem Vergnügen, wie auch von meinem Andenken an jenem Platze, gar manches zu erzählen wußten. Leider fand der nach dem Ableben jener unschätzbaren Freundin eintretende neue Besitzer es unpassend, auf seinen Blumenbeeten ganz unörtlich Pinien hervorwachsen zu sehen. Späterhin fanden wohlwollende, darnach forschende Reisende die Stelle leer und hier wenigstens die Spur eines anmutigen Daseins ausgelöscht.
Glücklicher waren einige Dattelpflanzen, die ich aus Kernen gezogen hatte. Wie ich denn überhaupt die merkwürdige Entwicklung derselben durch Aufopferung mehrerer Exemplare von Zeit zu Zeit beobachtete; die überbliebenen, frisch aufgeschossenen übergab ich einem römischen Freunde, der sie in einen Garten der Sixtinischen Straße pflanzte, wo sie noch am Leben sind, und zwar bis zur Manneshöhe herangewachsen, wie ein erhabener Reisende mir zu versichern die Gnade hatte. Mögen sie den Besitzern nicht unbequem werden und fernerhin zu meinem Andenken grünen, wachsen und gedeihen!
Auf dem Verzeichnisse, was vor der Abreise von Rom allenfalls nachzuholen sein möchte, fanden sich zuletzt sehr disparate Gegenstände, die Cloaca Massima und die Katakomben bei St. Sebastian. Die erste erhöhte wohl noch den kolossalen Begriff, wozu uns Piranesi vorbereitet hatte; der Besuch des zweiten Lokals geriet jedoch nicht zum besten, denn die ersten Schritte in diese dumpfigen Räume erregten mir alsobald ein solches Mißbehagen, daß ich sogleich wieder ans Tageslicht hervorstieg und dort im Freien in einer ohnehin unbekannten, fernen Gegend der Stadt die Rückkunft der übrigen Gesellschaft abwartete, welche, gefaßter als ich, die dortigen Zustände getrost beschauen mochte.
In dem großen Werke "Roma sotterranea, di Antonio Bosio Romano" belehrt' ich mich lange Zeit nachher umständlich von allem dem, was ich dort gesehen oder auch wohl nicht gesehen hätte, und glaubte mich dadurch hinlänglich entschädigt.
Eine andere Wallfahrt wurde dagegen mit mehr Nutzen und Folge unternommen: es war zu der Akademie S. Luca, dem Schädel Raffaels unsre Verehrung zu bezeigen, welcher dort als ein Heiligtum aufbewahrt wird, seitdem er aus dem Grabe dieses außerordentlichen Mannes, das man bei einer baulichen Angelegenheit eröffnet hatte, daselbst entfernt und hierher gebracht worden.
Ein wahrhaft wundersamer Anblick! Eine so schön als nur denkbar zusammengefaßte und abgerundete Schale, ohne eine Spur von jenen Erhöhungen, Beulen und Buckeln, welche, später an andern Schädeln bemerkt, in der Gallischen Lehre zu so mannigfaltiger Bedeutung geworden sind. Ich konnte mich von dem Anblick nicht losreißen und bemerkte beim Weggehen, wie bedeutend es für Natur--und Kunstfreunde sein müßte, einen Abguß davon zu haben, wenn es irgend möglich wäre. Hofrat Reiffenstein, dieser einflußreiche Freund, gab mir Hoffnung und erfüllte sie nach einiger Zeit, indem er mir wirklich einen solchen Abguß nach Deutschland sendete, dessen Anblick mich noch oft zu den mannigfaltigsten Betrachtungen aufruft.
Das liebenswürdige Bild von des Künstlers Hand, St. Lucas, dem die Mutter Gottes erscheint, damit er sie in ihrer vollen göttlichen Hoheit und Anmut wahr und natürlich darstellen möge, gewährte den heitersten Anblick. Raffael selbst, noch jung, steht in einiger Entfernung und sieht dem Evangelisten bei der Arbeit zu. Anmutiger kann man wohl nicht einen Beruf, zu dem man sich entschieden hingezogen fühlt, ausdrücken und bekennen.
Peter von Cortona war ehmals der Besitzer dieses Werks und hat solches der Akademie vermacht. Es ist freilich an manchen Stellen beschädigt und restauriert, aber doch immer ein Gemälde von bedeutendem Wert.
In diesen Tagen jedoch ward ich durch eine ganz eigene Versuchung geprüft, die meine Reise zu verhindern und mich in Rom aufs neue zu fesseln drohte. Es kam nämlich von Neapel Herr Antonio Rega, Künstler und ebenfalls Kunsthändler, zu Freund Meyer, ihm vertraulich ankündigend, er sei mit einem Schiffe hier angekommen, welches draußen an Ripa grande liege, wohin er ihn mitzugehen hiedurch einlade, denn er habe auf demselben eine bedeutende antike Statue, jene Tänzerin oder Muse, welche in Neapel im Hofe des Palasts Caraffa Colombrano nebst andern in einer Nische seit undenklichen Jahren gestanden und durchaus für ein gutes Werk gehalten worden sei. Er wünsche diese zu verkaufen, aber in der Stille, und frage deshalb an, ob nicht etwa Herr Meyer selbst oder einer seiner vertrauten Freunde sich zu diesem Handel entschließen könnte. Er biete das edle Kunstwerk zu einem auf alle Fälle höchst mäßigen Preise von dreihundert Zechinen, welche Forderung sich ohne Frage erhöhen möchte, wenn man nicht in Betracht der Verkäufer und des Käufers mit Vorsicht zu verfahren Ursache hätte.
Mir ward die Sache sogleich mitgeteilt, und wir eilten selbdritte zu dem von unsrer Wohnung ziemlich entfernten Landungsplatz. Rega hub sogleich ein Brett von der Kiste, die auf dem Verdeck stand, und wir sahen ein allerliebstes Köpfchen, das noch nie vom Rumpfe getrennt gewesen, unter freien Haarlocken hervorblickend, und nach und nach aufgedeckt eine lieblich bewegte Gestalt, im anständigsten Gewande, übrigens wenig versehrt und die eine Hand vollkommen gut erhalten.
Sogleich erinnerten wir uns recht gut, sie an Ort und Stelle gesehen zu haben, ohne zu ahnen, daß sie uns je so nah kommen könnte.
Hier nun fiel uns ein, und wem hätte es nicht einfallen sollen: "Gewiß", sagten wir, "wenn man ein ganzes Jahr mit bedeutenden Kosten gegraben hätte und zuletzt auf einen solchen Schatz gestoßen wäre, man hätte sich höchst glücklich gefunden." Wir konnten uns kaum von der Betrachtung losreißen, denn ein so reines, wohlerhaltenes Altertum in einem leicht zu restaurierenden Zustande kam uns wohl niemals zu Gesicht. Doch schieden wir zuletzt mit Vorsatz und Zusage, baldigste Antwort vernehmen zu lassen.
Wir waren beiderseits in einem wahrhaften Kampf begriffen, es schien uns in mancher Betrachtung unrätlich, diesen Ankauf zu machen; wir entschlossen uns daher, den Fall der guten Frau Angelika zu melden, als wohl vermögend zum Ankauf und durch ihre Verbindung zu Restauration und sonstigen Vorkommenheiten hinlänglich geeignet. Meyer übernahm die Meldung, wie früher die wegen des Bildes von Daniel von Volterra, und wir hofften deshalb das beste Gelingen. Allein die umsichtige Frau, mehr aber noch der ökonomische Gemahl lehnten das Geschäft ab, indem sie wohl auf Malereien bedeutende Summen verwendeten, sich aber auf Statuen einzulassen keineswegs den Entschluß fassen könnten.
Nach dieser ablehnenden Antwort wurden wir nun wieder zu neuer überlegung aufgeregt; die Gunst des Glückes schien ganz eigen; Meyer betrachtete den Schatz noch einmal und überzeugte sich, daß das Bildwerk nach seinen Gesamtzeichen wohl als griechische Arbeit anzuerkennen sei, und zwar geraume Zeit vor Augustus hinauf, vielleicht bis an Hiero II. geordnet werden könnte.
Den Kredit hatte ich wohl, dieses bedeutende Kunstwerk anzuschaffen, Rega schien sogar auf Stückzahlung eingehen zu wollen, und es war ein Augenblick, wo wir uns schon im Besitz des Bildnisses und solches in unserm großen Saal wohlbeleuchtet aufgestellt zu sehen glaubten.
Wie aber denn doch zwischen einer leidenschaftlichen Liebesneigung und einem abzuschließenden Heiratskontrakt noch manche Gedanken sich einzudringen pflegen, so war es auch hier, und wir durften ohne Rat und Zustimmung unsrer edlen Kunstverwandten, des Herrn Zucchi und seiner wohlmeinenden Gattin, eine solche Verbindung nicht unternehmen, denn eine Verbindung war es im ideell-pygmalionischen Sinne, und ich leugne nicht, daß der Gedanke, dieses Wesen zu besitzen, bei mir tiefe Wurzel gefaßt hatte. Ja, als ein Beweis, wie sehr ich mir hierin schmeichelte, mag das Bekenntnis gelten, daß ich dieses Ereignis als einen Wink höherer Dämonen ansah, die mich in Rom festzuhalten und alle Gründe, die mich zum Entschluß der Abreise vermocht, auf das tätigste niederzuschlagen gedächten.
Glücklicherweise waren wir schon in den Jahren, wo die Vernunft dem Verstand in solchen Fällen zu Hülfe zu kommen pflegt, und so mußte denn Kunstneigung, Besitzeslust und was ihnen sonst beistand, Dialektik und Aberglaube, vor den guten Gesinnungen weichen, welche die edle Freundin Angelika mit Sinn und Wohlwollen an uns zu wenden die Geneigtheit hatte. Bei ihren Vorstellungen traten daher aufs klarste die sämtlichen Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten an den Tag, die sich einem solchen Unternehmen entgegenstellten. Ruhige, bisher den Kunst--und Altertumstudien sich widmende Männer griffen auf einmal in den Kunsthandel ein und erregten die Eifersucht der zu solchem Geschäft herkömmlich Berechtigten. Die Schwierigkeiten der Restauration seien mannigfaltig, und es frage sich, inwiefern man dabei werde billig und redlich bedient werden. Wenn ferner bei der Absendung auch alles in möglichster Ordnung gehe, so könnten doch wegen der Erlaubnis der Ausfuhr eines solchen Kunstwerkes am Schluß noch Hindernisse entstehen, und was alsdann noch wegen der überfahrt und des Anlandens und Ankommens zu Hause alles noch für Widerwärtigkeiten zu befürchten seien. Über solche Betrachtungen, hieß es, gehe der Handelsmann hinaus, sowohl Mühe als Gefahr setze sich in einem großen Ganzen ins Gleichgewicht, dagegen sei ein einzelnes Unternehmen dieser Art auf jede Weise bedenklich.
Durch solche Vorstellungen wurde denn nach und nach Begierde, Wunsch und Vorsatz gemildert, geschwächt, doch niemals ganz ausgelöscht, besonders da sie endlich zu großen Ehren gelangte; denn sie steht gegenwärtig im Museo Pio-Clementino in einem kleinen angebauten, aber mit dem Museum in Verbindung stehenden Kabinett, wo im Fußboden die wunderschönen Mosaiken von Masken und Laubgewinden eingesetzt sind. Die übrige Gesellschaft von Statuen in jenem Kabinett besteht 1) aus der auf der Ferse sitzenden Venus, an deren Base der Name des Bupalus eingegraben steht; 2) ein sehr schöner kleiner Ganymedes; 3) die schöne Statue eines Jünglings, dem, ich weiß nicht ob mit Recht, der Name Adonis beigelegt wird; 4) ein Faun aus Rosso Antico; 5) der ruhig stehende Discobolus.
Visconti hat im dritten, gedachtem Museum gewidmeten Bande dieses Denkmal beschrieben, nach seiner Weise erklärt und auf der dreißigsten Tafel abbilden lassen; da denn jeder Kunstfreund mit uns bedauern kann, daß es uns nicht gelungen, sie nach Deutschland zu schaffen und sie irgendeiner vaterländischen großen Sammlung hinzuzugesellen.
Man wird es natürlich finden, daß ich bei meinen Abschiedsbesuchen jene anmutige Mailänderin nicht vergaß. Ich hatte die Zeit her von ihr manches Vergnügliche gehört: wie sie mit Angelika immer vertrauter geworden und sich in der höhern Gesellschaft, wohin sie dadurch gelangt, gar gut zu benehmen wisse. Auch konnte ich die Vermutung nähren und den Wunsch, daß ein wohlhabender junger Mann, welcher mit Zucchis im besten Vernehmen stand, gegen ihre Anmut nicht unempfindlich und ernstere Absichten durchzuführen nicht abgeneigt sei.
Nun fand ich sie im reinlichen Morgenkleide, wie ich sie zuerst in Castel Gandolfo gesehen; sie empfing mich mit offner Anmut und drückte mit natürlicher Zierlichkeit den wiederholten Dank für meine Teilnahme gar liebenswürdig aus. "Ich werd' es nie vergessen", sagte sie, "daß ich, aus Verwirrung mich wieder erholend, unter den anfragenden geliebten und verehrten Namen auch den Eurigen nennen hörte; ich forschte mehrmals, ob es denn auch wahr sei. Ihr setztet Eure Erkundigungen durch mehrere Wochen fort, bis endlich mein Bruder Euch besuchend für uns beide danken konnte. Ich weiß nicht, ob er's ausgerichtet hat, wie ich's ihm auftrug, ich wäre gern mitgegangen, wenn sich's geziemte." Sie fragte nach dem Weg, den ich nehmen wollte, und als ich ihr meinen Reiseplan vorerzählte, versetzte sie: "Ihr seid glücklich, so reich zu sein, daß Ihr Euch dies nicht zu versagen braucht; wir andern müssen uns in die Stelle finden, welche Gott und seine Heiligen uns angewiesen. Schon lange seh' ich vor meinem Fenster Schiffe kommen und abgehen, ausladen und einladen; das ist unterhaltend, und ich denke manchmal, woher und wohin das alles?" Die Fenster gingen gerade auf die Treppen von Ripetta, die Bewegung war eben sehr lebhaft.
Sie sprach von ihrem Bruder mit Zärtlichkeit, freute sich, seine Haushaltung ordentlich zu führen, ihm möglich zu machen, daß er bei mäßiger Besoldung noch immer etwas zurück in einem vorteilhaften Handel anlegen könne; genug, sie ließ mich zunächst mit ihren Zuständen durchaus vertraut werden. Ich freute mich ihrer Gesprächigkeit; denn eigentlich macht' ich eine gar wunderliche Figur, indem ich schnell alle Momente unsres zarten Verhältnisses vom ersten Augenblick an bis zum letzten mir wieder vorzurollen gedrängt war. Nun trat der Bruder herein, und der Abschied schloß sich in freundlicher, mäßiger Prosa.
Als ich vor die Türe kam, fand ich meinen Wagen ohne den Kutscher, den ein geschäftiger Knabe zu holen lief. Sie sah heraus zum Fenster des Entresols, den sie in einem stattlichen Gebäude bewohnten; es war nicht gar hoch, man hätte geglaubt, sich die Hand reichen zu können.
"Man will mich nicht von Euch wegführen, seht Ihr", rief ich aus, "man weiß, so scheint es, daß ich ungern von Euch scheide."
Was sie darauf erwiderte, was ich versetzte, den Gang des anmutigsten Gespräches, das, von allen Fesseln frei, das Innere zweier sich nur halbbewußt Liebenden offenbarte, will ich nicht entweihen durch Wiederholung und Erzählung; es war ein wunderbares, zufällig eingeleitetes, durch innern Drang abgenötigtes lakonisches Schlußbekenntnis der unschuldigsten und zartesten wechselseitigen Gewogenheit, das mir auch deshalb nie aus Sinn und Seele gekommen ist.
Auf eine besonders feierliche Weise sollte jedoch mein Abschied aus Rom vorbereitet werden; drei Nächte vorher stand der volle Mond am klarsten Himmel, und ein Zauber, der sich dadurch über die ungeheure Stadt verbreitet, so oft empfunden, ward nun aufs eindringlichste fühlbar. Die großen Lichtmassen, klar, wie von einem milden Tage beleuchtet, mit ihren Gegensätzen von tiefen Schatten, durch Reflexe manchmal erhellt, zur Ahnung des Einzelnen, setzen uns in einen Zustand wie von einer andern, einfachern, größern Welt.
Nach zerstreuenden, mitunter peinlich zugebrachten Tagen macht' ich den Umgang mit wenigen Freunden einmal ganz allein. Nachdem ich den langen Korso, wohl zum letztenmal, durchwandert hatte, bestieg ich das Kapitol, das wie ein Feenpalast in der Wüste dastand. Die Statue Mark Aurels rief den Kommandeur in "Don Juan" zur Erinnerung und gab dem Wanderer zu verstehen, daß er etwas Ungewöhnliches unternehme. Dessenungeachtet ging ich die hintere Treppe hinab. Ganz finster, finstern Schatten werfend, stand mir der Triumphbogen des Septimius Severus entgegen; in der Einsamkeit der Via Sacra erschienen die sonst so bekannten Gegenstände fremdartig und geisterhaft. Als ich aber den erhabenen Resten des Koliseums mich näherte und in dessen verschlossenes Innere durchs Gitter hineinsah, darf ich nicht leugnen, daß mich ein Schauer überfiel und meine Rückkehr beschleunigte.
Alles Massenhafte macht einen eignen Eindruck zugleich als erhaben und faßlich, und in solchen Umgängen zog ich gleichsam ein unübersehbares Summa Summarum meines ganzen Aufenthaltes. Dieses, in aufgeregter Seele tief und groß empfunden, erregte eine Stimmung, die ich heroisch-elegisch nennen darf, woraus sich in poetischer Form eine Elegie zusammenbilden wollte.
Und wie sollte mir gerade in solchen Augenblicken Ovids Elegie nicht ins Gedächtnis zurückkehren, der, auch verbannt, in einer Mondnacht Rom verlassen sollte. "Cum repeto noctem!" seine Rückerinnerung, weit hinten am Schwarzen Meere, im trauer--und jammervollen Zustande, kam mir nicht aus dem Sinn, ich wiederholte das Gedicht, das mir teilweise genau im Gedächtnis hervorstieg, aber mich wirklich an eigner Produktion irre werden ließ und hinderte; die auch, später unternommen, niemals zustande kommen konnte.
Wandelt von jener Nacht mir das traurige Bild vor die Seele,
Welche die letzte für mich ward in der römischen Stadt,
Wiederhol' ich die Nacht, wo des Teuren soviel mir zurückblieb,
Gleitet vom Auge mir noch jetzt eine Träne herab.
Und schon ruhten bereits die Stimmen der Menschen und Hunde,
Luna, sie lenkt' in der Höh' nächtliches Rossegespann.
Zu ihr schaut' ich hinan, sah dann kapitolische Tempel,
Welchen umsonst so nah unsere Laren gegrenzt.--
Cum subit illius tristissima noctis imago,
Quae mihi supremum tempus in Urbe fuit;
Cum repeto noctem, qua tot mihi cara reliqui;
Labitur ex oculis nunc quoque gutta meis.
Iamque quiescebant voces hominumque canumque:
Lunaque nocturnos alta regebat equos.
Hanc ego suspiciens, et ab hac Capitolia cernens,
Quae nostro frustra iuncta fuere Lari.--