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Das Posthaus und die Mamsell.
Der Commerzienrath Mahlhuber stand noch, wie wir ihn im vorigen Capitel verlassen, viele Minuten lang wirklich sprachlos vor Erstaunen und Ueberraschung da, bis er selbst das Rollen der Räder nicht mehr hören konnte.
„Gute Nacht, Herr Commerzienrath“, hatte der Mensch gesagt, der die ganze Fahrt hindurch keine Silbe gesprochen, und den er einmal für einen Engländer und dann für taubstumm gehalten, bis er zu der Ueberzeugung kam, daß es doch am Ende ein Engländer sein könne. „Gute Nacht, Herr Commerzienrath“; woher, um des Himmels willen, wußte der Mann seinen Namen?
„Nu -- was soll denn hier mit den Sachen werden?“ fragte in diesem Augenblick eine Stimme hinter ihm, und als er sich umdrehte, stand eine Art Zwitterding von Postillon und Hausknecht, oben in Uniform und unten in Unterhosen und Pantoffeln, mit einer Nachtmütze auf dem Kopfe und einer Stallaterne in der Hand, neben ihm, und deutete auf die neben ihm aufgeschichteten Koffer und Hutschachtel. „Es kommt heute Abend keine Post mehr.“
„So? -- das thut mir leid“, sagte Herr Mahlhuber ganz in Gedanken, „oder es macht eigentlich nichts“, setzte er dann sich besinnend hinzu, „denn ich werde hier übernachten“.
„Hier -- in der Post?“ fragte der Mann und leuchtete ihm erstaunt ins Gesicht.
„Nun, wird hier nicht gleich ein Wirthshaus gehalten?“ fragte der Reisende, etwas unangenehm überrascht, „man hat es mir doch gesagt.“
„Wirthshaus? -- ne, nich so recht -- die Schenke ist da drüben“, lautete die etwas barsche Antwort.
„Hm!“ sagte der Commerzienrath und sah etwas mistrauisch nach dem niedern düstern Gebäude hinüber, in dessen unterer Stube nur Licht brannte, „und kann man da etwas zu essen und ein gutes Bett bekommen?“
„Zu essen, ja“, sagte der Mann und leuchtete über die Koffer hin, nach deren Zustand den Passagier selber zu beurtheilen, „gutes Bett aber ne, wenn Sie nicht auf der Streu mit den Fuhrleuten schlafen wollen.“
„Auf der Streu schlafen?“ wiederholte der an jede häusliche Bequemlichkeit gewöhnte Mann entsetzt, „wie kann ich auf der Streu schlafen?“
„Ja das weiß ich nich, wenn Sie’s nicht wissen“, sagte der halbe Hausknecht gleichgültig, „aber sollen die Koffer hier auf der Straße stehen bleiben?“
„Und in der Post ist keine Möglichkeit unterzukommen?“
„Fragen kann mer noch emal“, sagte der Mann, seine Laterne niedersetzend und seine Hosen etwas in die Höhe ziehend, „manchmal nimmt die Mamsell Gäste ein, manchmal nich -- wie’s ’r gerade paßt.“ Und ohne eine Antwort abzuwarten schlenderte er langsam, den Commerzienrath bei den Koffern und der Laterne zurücklassend, in die Post hinein, die schmale steinerne Treppe hinauf. Die „Mamsell“, wie er die gleich darauf in der Thür erscheinende Dame genannt, schien aber seiner Beredtsamkeit nicht haben widerstehen zu können, denn ihre gastliche Stimme rief gleich darauf von der Treppe aus ein eben nicht ermunterndes, aber doch auf weitere Erklärungen sich einlassendes „Wer ist denn da?“
Die Gefahr, die Nacht, wegen der er die Postfahrt unterbrochen, auf einer Streu zubringen zu müssen, machte den Commerzienrath beredt; er ging näher zur Thür, stellte sich der Dame (unter dem Lichte der Stallaterne, die er zu dem Zwecke hoch in die Höhe hielt) als einen Reisenden vor, der seiner Gesundheit wegen nicht mit der Post weitergefahren wäre und das Aergste befürchten müßte, wenn er nicht die Nacht in einem warmen Bette zubringen könne, und war sogar schon im Begriff auf seine Leber und vielleicht auch auf die mit ihr in Verbindung stehende Balggeschwulst einzugehen, als die Mamsell, die rasch den gesetzten achtbaren Bürger oder vielleicht gar Staatsbeamten in ihm erkannte, ihr tröstliches und schon viel freundlicheres „Treten Sie näher!“ ihm hinüberrief und den theilweisen Postbeamten beorderte, des Herrn Sachen in die „grüne Stube“ hinaufzutragen.
„Grüne Stube!“ Schon das Wort klang behaglich, und mit einem leise gemurmelten „Gott sei Dank“ griff Herr Mahlhuber seine Sachen auf und folgte dem mit einem Koffer und der Stallaterne vorausgehenden dienstbaren Individuum die Treppe hinauf in das Haus.
Die nächste Stunde verging dem Reisenden übrigens in dem unbehaglichen Gefühle, keinen Platz zu haben wo man zu Hause ist. Es war ihm Alles fremd und unwohnlich in der fremden Stube; die hölzernen Stühle, der wunderbare Geruch, die niedere räucherige Decke, die schrecklichen Bilder an den Wänden, Caricaturen von Heiligen und Märtyrern und ein Napoleon dazwischen, der auf der Spitze eines Gletschers galoppirt, während an der gegenüberstehenden Wand schlechte Lithographien von Landesvätern und Landesmüttern hingen. Unheimlich auch sah der alte Wandschrank aus, wo neben einer alten wiener Stutzuhr mit alabasternen Säulen ein grünangestrichener Gypsmops stand, der früher einmal einen beweglichen Kopf gehabt und mit ängstlich verdrehtem Halse jetzt in die Stube unter sich hinunterstarrte, während auf der andern Seite eine weithalsige, oben eingebrochene Glascaraffe einen Büschel Schilfblüte mit einigen roth- und gelbgefärbten Strohblumen hielt.
Die „Mamsell“ lenkte jedoch seine Aufmerksamkeit von den übrigen Gegenständen ab, denn sie erkundigte sich nach den Befehlen des Gastes wegen „Abendbrot“. Die Auswahl war freilich sehr beschränkt, also leicht getroffen: aufgewärmter Kalbsbraten mit getrockneten Birnen und einer halben Flasche Rothwein „vom Besten“, wie er noch vorsichtig hinzusetzte, denn die altmodischen dickgeschliffenen Weingläser mit viereckigem Fuße erweckten eine dunkle Ahnung von sauerm Landwein in ihm, die er nicht gleich wieder von sich abscheuchen konnte.
„Kommen Sie schon weit her?“ fragte jetzt die Mamsell, die sich die Schürze an der einen Seite aufgesteckt und die Aermel, man wußte eigentlich nicht recht weshalb, in die Höhe gekrempelt hatte.
„Von Gidelsbach“, sagte der Commerzienrath in seiner Unschuld, „und -- und drüber hinaus“, setzte er dann etwas rascher hinzu, denn er hatte sich ja einmal vorgenommen „incognito“ zu reisen.
Die Mamsell war eine nicht gerade sehr junge Dame, in ihren „besten Jahren“, so zwei- und vierunddreißig vielleicht, aber mit sonst noch sehr jugendlichem Aeußern, langen Locken, zurückgescheitelten Haaren und großen goldemaillirten Ringen in den Ohren. Auch der Schnitt ihres Kleides gehörte jedenfalls einem vergangenen Alter an, während sie die Fragen an den Gast mit einer schüchternen mädchenhaften Verschämtheit, die in eigenthümlichem Widerspruch zu ihren ersten Worten, als sie noch in der Thür stand, richtete.
„Ach, Gidelsbach liegt so schön“, nahm die Mamsell den Anknüpfungspunkt an den einen bekannten Namen, „es ist von jeher mein Lieblingswunsch gewesen dort zu wohnen, das muß ein wahres Paradies sein. Sind Sie dort bekannt?“
„Wenig“, sagte der Commerzienrath, seine Vaterstadt verleugnend; „das Essen ist wol bald fertig?“
„Den Augenblick“, sagte die Mamsell, fast unwillkürlich bei der Frage halb von ihrem Stuhle aufstehend, und dann wieder auf den Sitz zurücksinkend. „Aber was ich gleich fragen wollte, haben Sie Geschäfte in Otzleben?“
„Wo?“ fragte der Commerzienrath erstaunt.
„In Otzleben.“
„Otzleben! -- Wo liegt das?“
„Nun hier der Ort, wo wir uns befinden.“
„Der heißt Otzleben? -- So -- nein -- ich wollte nur hier übernachten; nicht wahr, der Kalbsbraten ist gleich fertig?“
„Ja wol -- den Augenblick“, sagte die Mamsell, wieder von ihrem Sitze aufschnellend, und der Commerzienrath stand ebenfalls auf und ging indessen mit raschen Schritten im Zimmer auf und nieder. Es fröstelte ihn, und wie der Sand auf den Dielen, ein ganz ungewohntes Gefühl, unter seinen Füßen knirschte, kam ihm bei dem düstern, auf dem Tische brennenden einzelnen Talglichte das Zimmer noch einmal so still und öde vor, als es ihm im Anfange erschienen.
Die Hausmagd öffnete in diesem Augenblick die Thür und kam mit einem zwar groben aber reinlichen Tischtuche herein, das sie ausbreitete, Teller, Messer und Gabel mit dem großen Salzfaß darauf arrangirte und dann wieder hinausging, das Abendbrot hereinzuholen. Die Mamsell hatte indessen eins von den geschliffenen Weingläsern von der Commode genommen und mit dem Schürzenzipfel einigen darin gesammelten Staub und mehre todte Fliegen herausgewischt; dann stellte sie die Flasche auf den Tisch, und wenige Minuten später konnte sich der Commerzienrath zu dem in langer Brühe schwimmenden aufgebratenen Kalbstoß niedersetzen und nach Herzenslust zulangen.
„Heute ist ja wol auf der Post ein Unglück geschehen?“ fragte endlich die Mamsell, die ihm gegenüber Platz genommen, nach einer hinreichenden Pause.
„Ein Unglück?“ sagte der Commerzienrath, überrascht zu ihr aufschauend, indem er einen Augenblick mit Kauen einhielt, „wie so ein Unglück?“
„Es soll einem der Passagiere ein geladenes Pistol losgegangen sein, hat der Postillon erzählt.“
„Der Postillon sollte sich um seine Pferde bekümmern“, brummte Herr Mahlhuber, „da thät’ er gescheiter --“
„Er hat doch Niemanden getroffen?“ fragte die Mamsell mit einiger Entschlossenheit weiter, der Sache auf den Grund zu kommen.
„Wer?“ sagte der Commerzienrath, „der Postillon?“
„Nein, der Passagier.“
„Nicht daß ich wüßte“, sagte dieser, die indessen eingestellte Beschäftigung wieder mit frischen Kräften aufnehmend. So mittheilend er sonst war, wo er Irgendjemanden fand, mit dem er sich unterhalten und vielleicht die Geschichte seiner Krankheit und Leiden anbringen konnte, so schüchtern und zurückhaltend war er heute geworden, wo eben die Erzählung solche furchtbare Folgen gehabt, und die neugierige Wirthschafterin mußte es bald aufgeben aus dem schweigsamen Gaste Neuigkeiten herauszulocken, von denen er am Ende gar nichts wußte oder die er, im andern Falle, Grund hatte zu verschweigen. Namen und Stand ihres Gastes zu erfahren, besaß sie aber noch ein anderes Mittel, das Fremdenbuch, und als er vom Tische aufstand und sich das letzte Glas Wein aus seiner Flasche, der er gar wacker zugesprochen, einschenkte, schob sie ihm das mit einem freundlichen Knix zur Beachtung hin.
Dem Commerzienrath blieb keine andere Wahl als sich da einzuschreiben, und Hieronymus Mahlhuber stand bald darauf in zierlicher Schrift über Namen- und Wohnortsrubrik zugleich hinweg, die letztere dadurch geschickt umgehend. Stand? -- Das „Co“ hatte er schon in aller Unschuld, der alten Gewohnheit folgend, begonnen, als er sich eines Bessern besann und die beiden Buchstaben zu einem P umformte, dem er sein „rivatmann“ dahintersetzte. Die übrigen Colonnen füllte er so gewissenhaft wie möglich aus und bat dann seine freundliche Wirthin ihm seine Schlafstätte anzuweisen, da er entsetzlich müde sei und auszuruhen wünsche. „Und wann kommt die Post morgen früh wieder vorbei?“
„Zurück nach Gidelsbach?“
„Nein, den andern Weg.“ -- Was hatte er in Gidelsbach zu thun?
„Die andere? -- um 9 Uhr -- eher noch ein paar Minuten früher.“
Das paßte ihm und er bestellte, daß er dann morgen früh etwa um ¾8 Uhr geweckt würde, und einen starken heißen Kaffee vorfände. Die Mamsell versprach Alles aufs beste zu besorgen.