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Die Geschichte von dem Scheusal.

„In einer großen Stadt in Deutschland, die wir Yburg nennen wollen, ich habe den wirklichen Namen absichtlich weggelassen, besonderer Rücksichten halber -- lebte der Commerzienrath Schöler --“

„Commerzienrath?“ fragte unser Freund gespannt und sich etwas weiter aus dem Bette lehnend, das Ganze besser zu hören.

„Der Commerzienrath Schöler; ich muß Sie aber bitten, mich jetzt nicht weiter zu unterbrechen, da Sie sonst den Faden verlieren und dem Ganzen nicht aufmerksam genug folgen können; ich will lieber noch einmal von vorn anfangen: In einer großen Stadt in Deutschland, die wir Yburg nennen wollen, lebte der Commerzienrath Schöler in sehr glücklichen, mit jeder irdischen Lebensgabe reichlich ausgestatteten Verhältnissen. Er besaß ein stattliches Haus mitten in der Stadt, in einer der besten Lagen -- die erste Etage bewohnte er selber, die zweite allein trug ihm 400 Thaler Miethe --, war in allen ersten Familien eingeführt, galt für einen Liebling des Königs, trug drei Orden verschiedener Herren Länder, bezog vom Staate noch außerdem eine Pension von 1200 Thalern, und verfügte als Vormund der Tochter eines reichen vor einiger Zeit verstorbenen Bankiers außerdem über ein sehr bedeutendes Capital. Diese junge Dame hieß Rosaura.“

„Der Commerzienrath Schöler war ein anerkannt ehrenwerther und außerdem sehr frommer Mann, Mitglied des Gustav-Adolf-Vereins, Vorsteher eines Armeninstituts, Kassirer des Waisenhauses, Director des Missionsvereins und Protector aller übrigen mildthätigen Anstalten in der Stadt und Umgegend, dabei etwa 52 Jahre alt, noch immer ziemlich rüstig und unbeweibt --“

„Aber Sie wollen doch nicht behaupten, daß dieser Mann“, warf der Commerzienrath Mahlhuber eine fast ebenso erschrockene als erstaunte Bemerkung ein.

„Bitte, unterbrechen Sie mich nicht“, sagte der Doctor rasch, „es gibt in unserm gesellschaftlichen Leben viele Dinge, die wir uns nicht träumen lassen; aber Sie werden gleich selber hören. In dem Hause des Generalsuperintendenten, wo der Commerzienrath freien Eintritt hatte, erkrankte die Tochter so schwer, daß ihr Arzt, ein intimer Freund des Commerzienraths, keine andere Rettung wußte, als sie in ein ziemlich entfernt gelegenes Bad zu einer von seinen eigenen Verwandten zu schicken; das geschah. Die Kasse des Waisenhauses wurde eines Morgens erbrochen gefunden. In dem Local, wo sie aufbewahrt worden, fanden sich deutliche Spuren, daß im Hause selber Irgendjemand mit den Spitzbuben -- es war ein Capital von 15,000 Thalern entwendet worden -- gemeinsame Sache gemacht hatte; aber trotz allen Nachspürens der Polizei blieb der Dieb unentdeckt. Der Commerzienrath war an dem Nachmittag, wie er das sehr häufig dringender Arbeiten wegen that, der Letzte im Bureau gewesen. Er selber sagte aus, daß bei seinem Fortgehen Alles in der gewöhnlichen und gehörigen Ordnung gewesen sei, und er die Fenster noch selber eigenhändig untersucht habe, ob die Läden fest und gut geschlossen seien. Ein Resultat war nicht zu erzielen, und Mehre, der Unterkassirer, wie der Hausmann und andere niedere Beamte, auf die man in diesem Falle Verdacht werfen mußte, wurden eingezogen und eine Weile in Untersuchungshaft gehalten, und als sich ihnen nichts beweisen ließ, abgelohnt und entlassen.“

„Es ist entsetzlich!“ stöhnte der Commerzienrath.

„Als Director des Missionsvereins“, fuhr der Doctor fort, „hatte der Commerzienrath, der mit Australien und Afrika in brieflicher Verbindung stand und einzelne Freunde dort drüben hatte, übernommen, die Gelder wie die wollenen Unterröcke und Strümpfe für die Heidenkinder an ihre Adressen zu befördern. Die Unterröcke und Strümpfe kamen an, das Geld nicht --“

„Aber da hätten ja die Postscheine augenblicklich ergeben müssen, wo das Geld abhandengekommen“, rief der Commerzienrath erstaunt aus.

„Wahrhaftig, Sie haben Recht“, sagte der Doctor, „daran habe ich noch gar nicht gedacht, sehen Sie, das war ein sehr guter Gedanke, das muß ich mir überlegen. Aber hören Sie weiter. Commerzienrath Schöler nimmt vor einigen Jahren ein armes junges Mädchen, eine Waise, deren Vater und Mutter auf eine schaudererregende Art in dem Brande ihres Hauses umkamen, bei sich auf, läßt sie unterrichten und zieht sie zu seiner Wirthschafterin heran. Das Mädchen heißt Susanna. Die Tochter des Bankiers, sein Mündel, die einige Zimmer in der Etage des Commerzienraths bewohnt, kränkelt indessen seit einiger Zeit und wird von demselben Doctor, der die Tochter des Generalsuperintendenten in das Bad geschickt hat, behandelt. Ihre Krankheit ist eigener Art, nervenlähmend, mit heftigem Drücken des Herzens und Magens.“

„Das kenne ich“, rief der Commerzienrath lebhaft, „das ist der Anfang der Hypertrophie.“

Der Doctor, der sich an seinem Tische gegen ihn mit dem Stuhle gewendet hatte, sah überrascht zu ihm auf, über das Papier weg und sagte ruhig:

„Ich muß Sie ernsthaft bitten alle derartigen Unterbrechungen zu vermeiden, ich sehe mich sonst genöthigt das Lesen aufzugeben.“ Der Commerzienrath überlegte sich eben, ob das überhaupt eine Drohung sei, als jener in den Schriften suchend, die verlorene Stelle wiederzufinden fortfuhr: „Ihre Brust ist beengt, ihr Athem erschwert, häufiger Schweiß auf der Stirn, Uebelkeiten und Kopfschmerzen --“

„Ich gebe Ihnen mein Wort, daß --“ fuhr der Commerzienrath unwillig heraus, biß aber seine Worte kurz ab und schluckte den übrigen Satz hinunter, als er dem finsterzürnenden Blick des Lesenden begegnete.

„Merkwürdig“, sagte dieser, ohne sich weiter stören zu lassen, „daß diese Zustände sich oft auf einige Zeit besserten, ja fast vollkommen hoben, nur um nach einiger Zeit mit um soviel größerer Stärke wiederzukehren, bis sie ihnen endlich erlag. Das Testament kam jetzt zur Vollstreckung, nach dem -- solchen Fall vorausbestimmt, daß die einzige Erbin vor ihrer erlangten Mündigkeit sterben sollte -- ziemlich bedeutende Summen an Wohlthätigkeitsanstalten und fromme Stiftungen übergingen, für den Rest aber, mit einem Capital von etwa 100,000 Thalern, der Commerzienrath Schöler zum Erben eingesetzt war.“

„Sie hat Gift bekommen!“ rief der andere Commerzienrath, in seinem Bette die Hände vor Entsetzen zusammenschlagend.

„Commerzienrath Schöler war jetzt mehr noch als je ein reicher Mann“, las der Doctor lächelnd weiter, „betrauerte allerdings den Tod der jungen Erbin ein volles Jahr durch schwarze Kleidung und einen breiten Flor um den Hut, setzte sich aber ungesäumt in den Besitz des bedeutenden Vermögens und lebte herrlich und in Freuden.“

„Noch existirte ein armer, aber naher Verwandter des Bankiers, und zwar der Stiefsohn seiner Schwester, der aber, jung und leichtsinnig, dem alten reichen Herrn nie recht gefallen hatte. Karl, so hieß er, war ein herzensguter braver Bursche, selten bei Kasse, es ist wahr, aber stets leichten Herzens und fröhlichen Sinnes, bis er einst in des Onkels Hause, dem er eine Visite machte, dessen Tochter sah -- kennenlernte und -- mit dem Todespfeile im Herzen die Schwelle wieder verließ.“

„Nun bestand eine Sage in der Familie, daß vor alten Zeiten eine Großmutter dieses jungen Mannes in Indien verheiratet gewesen, später gestorben sei und ein rasendes Vermögen hinterlassen habe, das aber ein malayischer Regent, wegen eines fälschlich in Besitz genommenen Landstrichs, anfechten wollte, und sich ein District in jener Gegend auch schon deshalb empört haben sollte. Eines Morgens tritt plötzlich ein sonnengebräunter Mann, der Aehnlichkeit mit einem Matrosen hat, in Karl’s Thür, fragt ihn, ob er Karl Neumann heiße, der Enkel einer in Indien verstorbenen Frau, Namens Katharina Neumann sei und seine Erbschaft von dort, etwa sieben Millionen spanische Thaler, richtig empfangen habe.“

„Sieben Millionen Thaler!“ flüsterte der Commerzienrath in halblautem Erstaunen vor sich hin.

„Karl schrak zusammen“, fuhr der Doctor fort, „als ob er ein Verbrechen begangen habe und dabei entdeckt worden wäre; seine Wangen verließ das Blut, seine Glieder zitterten und er mußte sich an einem Stuhle halten, um nicht umzusinken.“

„Sieben Millionen Thaler“, stöhnte er, „sieben Millionen Thaler -- von Indien?“

„Sie haben nichts empfangen?“ rief der Seemann rasch und erstaunt, „wäre es möglich, daß jener indische Rajah Sie darum betrogen hätte, hm, dann wehe ihm! Allah’s Zorn und meine Rache sollen ihn treffen, und flöhe er zu den Stufen seines Tempels, zu dem Heiligthum des ewigen Sarges, ich würde ihn erreichen.“

„Wer sind Sie?“ fragte ihn Karl, „daß Sie solchen Antheil an meinem Schicksal nehmen, und glauben Sie, daß Sie mir zu der Erbschaft oder wenigstens zu einem Theile derselben wiederverhelfen könnten?“

„Glaub’ ich!“ wiederholte der Seemann indignirt, „ich weiß gewiß, daß, wäre das Geld in der That noch nicht abgesandt, es Ihnen werden muß, und wenn der erste Rajah selber die gierigen Hände schon darübergebreitet. Wir hatten in Indien die Adresse eines Mannes aufbekommen, an den die Summe abgeschickt werden sollte, der indische Fürst schwor in meine Hand sie richtig zu befördern.“

„Und wie hieß der Mann, dem man für mich ein solches Capital anvertrauen wollte?“ rief Karl, von einer fürchterlichen Ahnung ergriffen --

„Commerzienrath Schöler“, sagte der Seemann, und Karl brach bewußtlos neben seinem Stuhle zusammen. Wie lange er so gelegen, wußte er nicht; als er wieder zu sich kam, fühlte er wie ihm Jemand kaltes Wasser in sein Gesicht goß, und er stöhnte: «Wo bin ich?» Der indische Seemann war noch bei ihm und suchte ihn ins Leben zurückzurufen, und Karl mußte ihm jetzt, sobald er sich nur soweit erholt, wieder sprechen zu können, erzählen, welche Befürchtungen er habe, und daß er fast überzeugt sei, wie der Commerzienrath das Geld unterschlagen hätte.

„Aber ich bitte Sie um Gottes Willen“, brach jetzt der arme gequälte Mahlhuber, der immer noch nicht sah, daß der entsetzliche Mensch zur eigentlichen Sache kam, und es ebenfalls für höchst unwahrscheinlich fand, daß ein deutscher Commerzienrath sieben Millionen Thaler unterschlagen könne, das Schweigen. Er war fest entschlossen jetzt ebenfalls ein Wort mit hineinzureden. „Sie haben ganz Recht, dieser Mensch muß ein wahres Scheusal sein, und wenn wir 7 Uhr Abends hätten, verehrter Herr, würde ich nicht das mindeste Bedenken tragen, Ihnen mit dem größten Interesse zuzuhören, denn der Fall ist in der That außergewöhnlich und muß, sobald er vor die Oeffentlichkeit kommt, ein gewaltiges Aufsehen machen; aber thun Sie mir die Liebe -- ganz abgesehen davon, daß ich wirklich glaube, Sie haben den Commerzienrath mit den sieben Millionen in einem falschen Verdacht -- und geben Sie mir lieber die Umrisse des Ganzen, die einfachen nackten Thatsachen, und lassen Sie besonders die Gespräche der Leute weg, denn ich bin sonst wahrhaftig nicht im Stande ein unbefangenes Urtheil zu fällen. Mir ist der Kopf schon jetzt -- ich kann Sie versichern -- so wirr und voll von den vielen Namen und Begebenheiten, daß ich anfange irre zu werden -- wie viel Uhr haben wir wol?“

„O es ist noch früh“, sagte der Doctor, flüchtig auf seine Uhr sehend, ohne die Frage selber zu beantworten. „Ich kann Ihnen übrigens nicht helfen, denn diese Einzelheiten, die eben das Ganze bilden, müssen Sie kennenlernen, um im Stande zu sein, ein richtiges Urtheil zu fällen. Uebrigens kommt gerade jetzt die Hauptsache, und ich bin fest überzeugt, sobald wir die berührt haben, werden Sie so gepackt und aufgeregt sein, die ganze Nacht nicht mehr schlafen zu können.“

„Das wäre mir aber nicht lieb“, stöhnte der Commerzienrath vor sich hin, „die ganze vorige Nacht Hunde aus der Thür geworfen, und heute Nacht über ein Menschenleben zu Gericht sitzen, daß man sich später vielleicht die schrecklichsten Vorwürfe macht, jahrelang eine blutige Gestalt vor Augen sieht und hinter jeder Thür, unter jeder Bettstelle, besonders aber unter der eigenen, irgendeine entsetzliche Gestalt vermuthet. Das bischen Seelenruhe ist dann auch noch zum Teufel. -- Guter allmächtiger Gott! und ein Commerzienrath dieser nichtswürdige bigote Heuchler -- es ist eine Schmach für den sonst so ehrenwerthen Stand. Man müßte wirklich bei der hohen Staatsregierung darauf antragen, daß ihm der Titel und Rang, sobald sein Verbrechen nur erst einmal constatirt worden, wieder abgenommen würde, daß er aller dieser Ehrenrechte verlustig gehe. -- Ein wahres Scheusal von einem Commerzienrath.“

Der Doctor hatte indessen wieder einmal getrunken, und das Manuscript aufnehmend, begann er von neuem:

„Jetzt muß ich noch erwähnen, daß das Haus, in welchem Karl wohnte, dicht an das des Commerzienraths Schöler stieß und mit diesem auch in der That einen durch eine dünne Backsteinwand getrennten Keller hatte. Karl war nicht reich, aber er liebte es doch in seinem eigenen Keller sein eigenes Bier einzulegen, und er fühlte sich jetzt so schwach, daß er einer Stärkung, welcher Art sie auch sei, bedurfte. Er ging hinunter, das Bier heraufzuschaffen, und hörte unten, als er die Thür langsam aufgeschlossen hatte, ein dumpfes Graben und Stoßen nebenan, als ob die Erde aufgeworfen würde. In dem Augenblick achtete er aber nicht darauf, nahm einige Flaschen Bier unter den Arm und stieg wieder nach oben.“

„Dem Seemann schloß er nun sein ganzes Herz auf, gestand ihm, daß er arm aber ehrlich sei, und bat ihn um seinen Rath, wie es möglich gemacht werden könnte, dem gierigen Vormund das wahrscheinlich unterschlagene Capital zu entreißen.“

„Nicht um des Geldes wegen“, rief der junge Mann, und ein edles Feuer blitzte aus seinen Augen, „nicht des schnöden Mammons wegen sehne ich mich nach dem Besitze; was ich brauche, verdiene ich mir durch meine Feder, und frei und unabhängig stehe ich in der Welt, aber -- weh mir -- ich liebe hoffnungslos, und die Geliebte ist des falschen Onkels Mündel.“

„Aber die ist ja schon todt!“ rief der Commerzienrath voller Erstaunen, „ich bin ja schon fest davon überzeugt gewesen, daß sie der nichtswürdige Mensch vergiftet hat.“

„Ja -- Sie haben Recht“, sagte der Doctor, „aber hier lasse ich den Leser einen vermutheten Scheintod ahnen -- ich spanne ihn gewissermaßen auf die Folter und glaube gerade, daß mir diese Wendung vortrefflich gelungen ist. Jetzt warten Sie -- jetzt verschwindet das Mädchen, das er zu sich ins Haus genommen hat, und dadurch, daß Karl in seinem Keller das Graben und Erdewerfen gehört hatte, habe ich den Commerzienrath vollständig in meiner Gewalt -- ich kann ihn entweder durch eine Haussuchung überführen und entdeckt werden, oder vorher, durch den Seemann vielleicht, der sich dafür einen Theil der sieben Millionen sichert, warnen und nach Amerika flüchten lassen.“

„Ich werde noch verrückt!“ stöhnte der Commerzienrath, mit beiden Händen seine eigene Stirn fassend und pressend. „Ist denn die Mündel wirklich todt oder lebt sie noch?“

„Ich sage Ihnen ja, ich kann das noch machen wie ich will“, erwiderte ihm der Doctor freundlich, „und auch hierüber wollte ich mir Ihre Ansicht erbitten, ob Sie nicht auch glauben, daß man durch einen glücklichen Scheintod das Interesse des Lesers weit gewaltiger anspannen könnte.“

Der Commerzienrath fuhr mit beiden Beinen zugleich aus dem Bette.

„Haben Sie mir da Thatsachen vorgelesen?“ rief er dabei, „oder mich zum Narren gehabt mit einer wahnsinnigen, erdichteten Geschichte, Herr?“

„Zum Narren gehabt? Wahnsinnige Geschichte? Mein Herr, das ist oder wird vielmehr eine Novelle, wenn ich im Stande bin sie so durchzuführen, wie sie angelegt ist, die ihres Gleichen in der Literatur sucht, und nur um Ihre Meinung darüber zu hören und mir in der Entwickelung vielleicht durch einen einfach praktischen Rath an die Hand zu gehen, habe ich sie Ihnen vorgelesen.“

„Herr Doctor!“ rief jetzt der Commerzienrath, mit den Füßen wieder zurück unter die Decke fahrend, als ob er draußen auf heißes Eisen getreten wäre, und mit beiden Händen zugleich seine weiße Nachtmütze fest und entschlossen über die Ohren ziehend, „wenn ich Ihnen das jetzt sagte, was ich von Ihnen denke, könnten Sie mich bei jedem Criminalamt auf die furchtbarste Verbalinjurie verklagen. Soviel will und muß ich Ihnen aber bemerken, daß ich ein kranker Mensch bin, der vorige ganze Nacht kein Auge zugethan und Ihnen aus übergroßer, wie ich nun einsehe, alberner Gutmüthigkeit sein eigenes Zimmer mit eingeräumt hat, um jetzt, unter der Vorspiegelung, wichtige Thatsachen erzählt zu bekommen, mit einer faden confusen Novelle mishandelt zu werden. Ich verlange jetzt ernsthaft von Ihnen, daß Sie mich in Ruhe lassen und endlich Ihr Licht auslöschen, ich bin sonst nicht im Stande einzuschlafen und -- und wünsche Ihnen eine angenehme Ruhe.“

Damit fiel er wie todtgeschlagen auf sein Kopfkissen zurück, schloß die Augen und machte ein Gesicht, als ob er Arsenik genommen hätte und nun bereit wäre zu sterben.

„Fade Novelle?“ rief der Doctor Wickendorf, an seiner empfindlichsten Stelle gefaßt. „Mein Herr, ich habe Ihnen mehr Beurtheilungskraft zugetraut, als Sie wirklich zu besitzen scheinen, und kann nur bedauern, meine Zeit damit verschwendet zu haben, Sie um eine Meinung darüber zu ersuchen. Schlafen Sie wohl!“

Der Mann war aufgesprungen und ging, zu des Commerzienraths stillem Grimme, ohne das Licht auszulöschen, mit raschen Schritten und mit festverschlungenen Armen im Zimmer auf und ab, dann und wann einen zürnenden Blick nach der Stelle hinüberwerfend, wo sein duldender Schlafkamerad, äußerlich ein Bild des stillen Friedens, mit der über die Ohren gezogenen Nachtmütze auf dem Rücken lag, innerlich aber den unruhigen Gesellen mit dem brennenden Lichte dahin wünschend, wo der Pfeffer wächst. In einer Art von verzweifelter Resignation schien der Commerzienrath entschlossen, auch das Schlimmste über sich ergehen zu lassen, ohne weiter dagegen anzumurren.

„Das geschieht dir recht, Hieronymus“, murmelte er dabei unhörbar vor sich hin, „das geschieht dir ganz recht, und es freut mich ordentlich, daß es so gekommen ist. Du in deinen Jahren hättest gescheiter sein können und sollen, als dich von einem Narren von Doctor in die Welt hineinschicken zu lassen. War es doch die Dorothee; die kannte mich besser, als ich mich selber kannte, und die Unbequemlichkeit, das Elend dieser Nächte, die Aufregung und der Aerger am Tage, das Alles habe ich verdient, reichlich verdient mit meinem Leichtsinn. Nur die Leber -- das rasende Wachsen der Leber jetzt seit den letzten zwei Tagen, das ist mein Tod, das habe ich nicht verdient, und ich sterbe als Märtyrer für die Bequemlichkeit der Wallfahrer, unter Dach und Fach zu schlafen. Wallfahrer“, fuhr er fort, seinen Grimm in eine neue Bahn lenkend, „das nennen nun die Leute wallfahrten; kehren Abends ein, gehen zu Bier und essen, spielen und schlafen und verdrängen andere kranke Reisende aus ihrer gewohnten Ruhe und Bequemlichkeit -- Wallfahrer -- und der unglückliche Mensch läuft noch immer wie besessen im Zimmer herum und löscht das Licht nicht aus. Wenn ein Gerichtshof für moralische Verbrechen existirte, verklagte ich ihn auf kaltblütig überlegten, vorsätzlichen Mord -- der Mensch will mich todt machen.“

Der Commerzienrath schien ihm aber Unrecht gethan zu haben, oder war Doctor Wickendorf selber müde geworden? er trat plötzlich zum Tische, legte seine Papiere zusammen und schloß sie wieder in seinen Reisesack, fing an sich zu entkleiden und stieg dann, das brennende Licht neben sich auf einem kleinen Tische ungelöscht stehen lassend, ins Bett.

„Er wird es schon ausmachen“, tröstete sich der Commerzienrath, der versteckt nach ihm hinüberblinzte, „er wird doch nicht mehr im Bette lesen wollen? -- Das ist feuergefährlich.“ Doctor Wickendorf las aber weder, noch machte er das Licht aus; hätte aber der Commerzienrath das von ihm abgewandte boshaft lächelnde Gesteht des Schriftstellers sehen können, er würde gezittert haben.

Eine ganze Weile hielt es der arme gepeinigte Mahlhuber unverdrossen aus; er genirte sich den Doctor zu belästigen und anzureden -- er mußte ja das Licht doch zuletzt einmal auslöschen; dieser schien jedoch an nichts weniger zu denken, und der Commerzienrath drehte sich endlich mit einem gewaltsam gefaßten Entschlusse nach ihm um, hustete erst einmal und sagte dann:

„Herr Doctor --.“

„Ja.“

„Sie schlafen doch noch nicht?“

„Nein.“

„Dürfte ich Sie bitten das Licht auszulöschen? Ich bin nicht im Stande vorher einzuschlafen, und es ist auch feuergefährlich.“

„Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Mahlhuber“, erwiderte ihm sein Schlafkamerad freundlich, „ich sehe mich Ihnen gegenüber zu der Erklärung gezwungen, Sie nicht mehr zu beunruhigen als irgend nöthig ist -- ich habe das Licht absichtlich brennen lassen.“

„Aber weshalb, um Gottes Willen?“

„Das will ich Ihnen sagen“, seufzte der Doctor, „solange bei Vollmond ein Licht Nachts in meinem Zimmer brennt liege ich ruhig -- sobald ich es auslösche, nachtwandle ich.“

„Herr du mein Gott!“ stöhnte der Commerzienrath, „das hat mir noch gefehlt.“

„Wünschen Sie es“, fuhr der entsetzliche Mensch ruhig fort, „so lösche ich das Licht augenblicklich aus, aber ich bitte Sie dann ernstlich mich zu halten, falls ich aus dem Fenster klettern wollte. Wir logiren allerdings in der ersten Etage, aber es sind Steine unten.“

„Aber mein Herr“, sagte der Commerzienrath außer sich, „das nehmen Sie mir nicht übel, mit einem solchen Leiden behaftet, sollten Sie auch allein in einem Zimmer und womöglich mit vergitterten Fenstern schlafen --.“

„Ich hatte auch den Wirth nur aus Rücksicht für Sie gebeten, Sie anderswo einzuquartieren“, sagte der Doctor vollkommen ruhig, „also wünschen Sie, daß ich das Licht auslöschen soll?“

„Um Gottes Willen, nein!“ rief der Commerzienrath.

„Dann wünsche ich Ihnen eine recht angenehme Ruhe“, sagte Doctor Wickendorf, drehte sich herum und war in der nächsten Minute auch schon fest und sanft eingeschlafen.

 

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