Friedrich Gerstäcker - Nach Amerika! Zweiter Band - Leben an Bord

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Capitel 6.

LEBEN AN BORD.

Es war ein schwüler Nachmittag gewesen, und die ziemlich starke günstige Brise, mit der sie bis dahin so vortrefflichen Fortgang gemacht, schwächer und schwächer geworden, bis die See, deren Wellen sich ebenfalls nach und nach beruhigten wie ein stillwogender Spiegel blank und ungebrochen lag, und den Rumpf des Schiffes mit seinen langsam schwankenden Masten treulich im Bilde wiedergab. Matt und lässig schlugen dabei die schweren Segel, von keiner Luft mehr gebläht, gegen die Takellage, füllten auf, wenn das Schiff schwerfällig nach hinten niedersetzte, und trafen dann wieder mit mattem Schlag das Tauwerk, das sie dadurch, wie auch sich selbst, mehr scheuerten und angriffen, als es der ärgste Sturm gethan haben könnte.

»Reepschläger und Segelmacher prügeln sich« sagen die Matrosen wenn bei Windstille die Segel gegen das Takelwerk schlagen, und der Seemann sieht es nicht gern. Desto willkommener ist aber gewöhnlich den Passagieren eine solche erste Ruhe, wenn sie natürlich nicht zu lang anhält, die ihnen das Meer von einer ganz neuen, noch nicht einmal geahnten Seite zeigt, und selbst den Kränksten Gelegenheit giebt sich zu erholen und auf Deck zu ergehn.

Klar und wolkenrein spannt sich der Himmel aus über der dunkelblauen, mattglänzenden Fluth, und das Auge schwindelt wenn es in die durchsichtige Tiefe niederschaut, die sich plötzlich seinem Blicke öffnet. Reges geschäftiges Leben herrscht dabei an Bord, hier schwimmt eine in schillernden Farben wunderlich gefärbte Blase auf dem Wasser und hebt und senkt sich nach eigener Willenskraft — das sogenannte »portugiesische Kriegsschiff« wie der kleine Segler heißt(7) — dort streicht die dunkle Flosse eines Fisches langsam und träge durch die Fluth, und der Ruf »ein Hai, ein Hai« lockt selbst den Untersteuermann aus seinem Morgenschlaf auf, die gefräßige Bestie, diesmal vergeblich, mit einem ausgeworfenen und an einem Haken befestigten Stück Speck zu fangen. Lässig kreist dabei die schlanke Möve hoch in der Luft, und ganze Schaaren munterer Seeschwalben, »Mutter Kareys Küchelchen,« wie sie der Seemann nennt, suchen um das Schiff herum ausgeworfene Nahrung, und tauchen ellentief unter nach den wegsinkenden Stücken Fleisch und Speck.

Und nicht den mindesten Fortgang macht das Fahrzeug dabei; das alte Kartoffelfaß, das der Koch an dem Morgen über Bord geworfen, treibt noch in kaum hundert Schritt vom Schiff, von den neugierigen Schwalben immer und immer wieder besucht, umher; Kartoffelschalen und Rübenabfälle die die Frauen ausgeschüttet, schwimmen auf dem Wasser und sinken langsam tiefer, in der Fluth buntfarbige weißschillernde Lichter mit prismatischen Farben annehmend. Wergflocken und Stückchen getheerten Segeltuches, Federn von für die Cajüte gerupften Hühnern, und Streifen Papier und Zeug sprenkeln nach allen Richtungen hin die Oberfläche, und geben den Müssigen an Bord Gelegenheit zu rathen was es sei, oder dem versinkenden mit den Augen zu folgen tief, tief hinunter, dem Abgrund zu.

Aber nicht Alle schauen müßig über Bord; hier sitzen fleißige Gruppen, ihre Wäsche waschend und sich endlich einer Arbeit fügend, der sie sich eben nicht mehr länger entziehen können; dort hängen Andere die gewaschene an den Wanten und Tauen auf und ärgern die Matrosen damit, die den Leuten nicht begreiflich machen können daß sie das »laufende Tauwerk« dazu nicht benutzen dürfen.(8) Hie und da hat auch Einer ein Buch genommen, und studirt halblaut vor sich hin die unbegreifliche Aussprache englischer Wörter nach, irgend einem trostlosen Rathgeber in Redensarten und Gesprächen, quält sich mit dem w und th, und steckt das Buch endlich wieder, so klug als vorher und nur vielleicht noch mehr verwirrt, in die Tasche.

Die Arbeiten der Matrosen gehn indessen ruhig fort, denn es ist gewöhnlich ein irriger Glaube der Leute an Land, daß die Matrosen in See, wenn das Schiff nur erst in Gang wäre, nichts weiter zu thun haben als zu segeln, daß heißt das Schiff eben ruhig laufen zu lassen. Das Segelausbessern hört nicht auf an Bord, eben so muß das Takelwerk fortwährend nachgesehn, hier wieder neu gespließt, dort umwickelt, da neu getheert werden, und wäre wirklich gar nichts anderes vorzunehmen, dann muß ein Theil der Leute, zu späterer Verwendung bei neuen Tauen, altes getheertes Werg zerzupfen, und ein anderer Schiemanns Garn daraus spinnen, so daß es den Leuten nie und nimmer an Beschäftigung fehlt. Ein Schiff in See ist der letzte müßige Platz auf der Welt, und nur die Passagiere haben das Recht darauf zu faullenzen.

Auf Deck war solcher Art Alles in seinem gewöhnlichen stillen Gang geblieben, als die Cajütspassagiere, die auf dem Quarterdeck auf- und abgingen, plötzlich ein Hindrängen der Massen nach einer Stelle sahen, und eine laute Stimme hörten, die zu den um sie Versammelten sprach. Herr von Hopfgarten, ein wenig neugierig, und keineswegs so prude wie sein »Stubenbursch« Baron von Benkendroff, gab sich alle mögliche Mühe von dem etwas höher liegenden Quarterdeck aus das, was vorn an Deck vorgehe, zu erkennen; der Sprecher stand aber gerade auf der Back des Schiffes, und die lose niederhängende Fock verhinderte ihn etwas von ihm zu erkennen. Er stieg deshalb rasch auf das Deck nieder, dem Platz zuzueilen, von wo ihm jetzt schon lautes schallendes Gelächter entgegendröhnte.

»Hurrah, Maulbeere soll leben — Zachäus vivat hoch!« jubelte eine Menge lachender Kehlen, und die Zwischendeckspassagiere drängten jetzt in so festem Keil nach vorn, daß selbst die Schiemannsscheibe außer Thätigkeit gerieth, und die Matrosen ebenfalls dem was da vorging mit schmunzelnden Gesichtern lauschten.

Der Urheber dieses plötzlichen Lärmens sowohl, wie der wilden rauschenden Fröhlichkeit war, aber wirklich niemand Anderes als Zachäus Maulbeere, der sonst so mürrische, einsylbige Patron, der jetzt, aber ebenfalls mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt, und selbst während dem Jubeln und Jauchzen der Menge, keine Miene verzog, den Mund nur, als wenn er die Pfeifenspitze darin hielt, etwas mehr zusammendrückte, und die großen buschigen Augenbrauen womöglich noch höher emporzog, als er das sonst gewohnt war zu thun.

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»Aber um Gottes Willen, was geht denn hier vor?« frug Herr von Hopfgarten, auf’s Aeußerste erstaunt einen der Nächststehenden — »was macht denn der Mensch da oben?«

»Maulbeere?« sagte dieser, es war der polnische Jude der sich mit dem vergnügtesten Gesicht von der Welt nach ihm umdrehte — »Maulbeere? — Gottes Wunder er predigt, und _was_ vor a Predigt — es is a Traktement ihn zu heren, und sind’er zwa ihn zu sehn.«

Der Pole hatte allerdings recht; es _war_ der Mühe werth Maulbeere zu sehn wie er da oben, im vollen Triumph einer ihm zujauchzenden Menge, unbeweglich und fest wie ein Fels im Meer stand, und gerade so that, als ob ihn die ganze Sache auch nicht das Mindeste anginge oder kümmerte. Er trug seinen gewöhnlichen abgebleicht grünen, langschößigen Rock mit dem schmalen Kragen, die gesprenkelte Weste und die schmutzig grauen, etwas kurzen Hosen, aber den Hut hatte er neben sich auf der Back, und vor sich einen kleinen niederen Tisch stehn, der dem polnischen Juden gehörte, und auf dem ein dickes aufgeschlagenes Buch mit einer Brille, wie seine Dose lag, während er in der linken Hand — die rechte hatte er in die Seite gestemmt — sein roth- und gelbgemustertes baumwollenes Taschentuch gefaßt und zusammengedrückt hielt.

Er machte eben eine kurze Pause, zu der ihn der Jubel der überraschten und immer noch mehr herbeidrängenden Zuschauer gezwungen hatte, und schien in voller Gemüthsruhe das endliche Schweigen des stürmischen Publikums zu erwarten.

»Aber was ist denn hier los?« riefen Einzelne dazwischen, die eben erst von unten heraufpreßten, zu sehn was es gäbe; »wie kommt denn Maulbeere da oben hin — Zachäus als Prediger — hat die ganze Reise den Mund noch nicht aufgethan und fängt auf die Art an?« — »Er ist übergeschnappt« jubelten Andere — »und giebt uns jetzt die Nutznießung seines verschobenen Gehirns« — »Ruhe — laßt ihn sprechen — still da — Ruhe — Zachäus hat das Wort!« hieß es dazwischen.

Die Passagiere hatten übrigens Ursache erstaunt zu sein, denn Maulbeere, der in der That die ganze bisherige Reise über noch mit keinen drei Menschen auch nur ein Wort gewechselt, und still und mürrisch vor sich hingebrütet hatte Tage lang, war auf einmal mit dem kleinen Tisch, den er im Zwischendeck gefunden und mitgenommen, an Deck und auf die Back gestiegen, wo er, ohne weitere vorherige Warnung, ganz im Styl einer wirklichen Predigt, aber diese parodirend, mit Thema und Einleitung und citirten Sprüchen nach Capiteln und Versen, dem Schnaps (über dessen schlechtere Qualität die Zwischendeckspassagiere seit drei Tagen etwa Ursache zu haben glaubten sich zu beklagen) eine Lobrede hielt.

»Ruhe — gebt Frieden — Zachäus fahr fort!« schrieen indeß die Stimmen durcheinander, und als sich der Lärm ein klein wenig gelegt, der indeß so arg geworden war daß der Capitain an Deck kam, zu sehn was es gebe, begann Maulbeere wieder:

»Wir haben drittens gesehn daß der Schnaps auch in seinen Wirkungen das Gemüth des Menschen sänftiget, und ihm die zum Guten nöthige Kraft verleiht auf der Bahn der Gerechten zu wallen! Schnaps — geliebte Zuhörer, welcher Wohllaut liegt schon in dem einen kleinen Wort. Wie sanft und feurig zugleich durchströmt er uns die Adern, kitzelt uns den Gaumen und vertreibt die bösen Dünste. Er auch war es, der schon vor tausenden von Jahren viele jener merkwürdigen Wunder vollbracht, die eine thörichte Welt jetzt, und irrthümliche, oft böswillige Uebertragungen, anderen Wirkungen zugeschrieben haben. Schnaps ist _Geist_ — wer aber brachte den Geist über die Propheten, die mit fremden Zungen redeten und nachher in alle Welt gingen alle Völker zu lehren? — wer anders als jener heilige Geist —«

»Das ist Gotteslästerung!« schrie da eine Stimme aus der Menge — »herunter von dort Du nichtswürdiger Mensch daß Dich nicht der Arm dessen trifft, den Du verhöhnst.«

Es war der Weber aus Zurschtel, der sich mit Mühe zwischen die Menschenmasse gedrängt hatte, zu sehn was da vorgehe, und jetzt in ehrlicher Entrüstung etwas entweihen hörte, an dem seine ganze Seele mit gläubiger Ehrfurcht hing.

»Ruhe da — Frieden! laßt den Mann ausreden!« rief aber mit Donnerstimme der Gesell mit den kurzgeschnittenen Haaren, der sich selber Meier genannt hatte — »halt’s Maul Weber bis Du gefragt wirst!«

»Nein, er hat recht, das geht nicht — das dürfen wir nicht leiden!« riefen aber jetzt auch Andere dazwischen.

»Hurrah Maulbeere soll leben! fahr fort Maulbeere, laß Dich nicht irre machen!« jubelten ihm wieder Andere zu — »fort mit den Störenfrieden, steckt sie in’s Zwischendeck hinunter.«

Der einzige Ruhige bei dem ganzen Sturm blieb Zachäus, der, ohne auch nur eine Miene zu verziehn, oder mit einer Muskel zu zucken, dem Toben geduldig zuhörte, langsam eine Prise nahm, sich schnaubte, und dann sein Taschentuch wieder wie einen Ball zusammendrehte. Sobald aber ein Augenblick Ruhe eintrat, fuhr er auch eben so unverwüstlich in seiner Predigt fort, sang, mit näselndem Ton, als er diese beendet hatte, die Litanei ab, die Worte dabei so verdrehend daß sie ein Lob des Schnapses bildeten, und schloß dann seine Predigt, unter dem wiehernden Gelächter der Passagiere, mit dem »Es sind auch noch einige Personen vorhanden, welche Willens sind in den Stand der heiligen Ehe zu treten,« wobei er eine Reihe unanständiger Namen von einem Papier ablas, und dann zum Gebet schreiten wollte, als der Steuermann von dem Capitain, bei dem sich Einzelne über den Unfug beschwert hatten, nach vorne geschickt wurde demselben zu wehren.

»Avast da!« rief er dem parodirenden Prediger auf seine derbe Art zu — »avast da mein Bursche und herunter von der Kanzel; der Unsinn hat jetzt lange genug gedauert, und die Leute da unten, die ihre Wacht zur Coye haben, wollen schlafen. Verstehst Du Hochdeutsch, oder soll ich platt mit Dir sprechen?«

»Laßt den Mann seine Rede halten, so lang’s ihm gefällt« nahm hier wieder Meier seine Parthie — »wir reden Euch auch nicht hinein wenn Ihr sprecht.«

»Wenn Du einmal gefragt wirst mein Bursch, darfst Du antworten!« rief ihm aber der Seemann keck und zornig entgegen — »wenn ich hier befehle er soll herunterkommen, so kommt er oder — ich lasse ihn holen.«

»Faßt Einen von uns hier an!« schrie aber der, über Anrede wie Ausdruck gereizte Mann — »legt Hand an Einen von uns, und seht dann was aus Euch und dem Schiff wird. Gott verdamm mich!«

Die drei letztgekommenen Passagiere, die höchst aufmerksame und vergnügte Zuhörer der Predigt gewesen waren, standen dicht hinter ihm, und ihre Blicke begegneten ebenfalls in finsterem störrischem Trotz denen des Steuermanns; dieser aber, ohne sich im mindesten irre machen zu lassen, griff eine, gerad’ auf der Ankerwinde liegende Handspeiche auf, und während die an Deck befindlichen Matrosen, die recht gut wußten wie nothwendig es für sie war in einem solchen Augenblick zusammenzuhalten, sich rasch und geräuschlos neben und hinter ihren Oberen drängten, und ebenfalls schon in der Eile Alles aufgefaßt hatten was ihnen bei einem möglichen Handgemenge von Nutzen sein konnte, rief der Steuermann, die Handspeiche zum Schlag fertig, und das Gesicht von Zorn und Wuth fast dunkelroth gefärbt.

»Hinunter mit Euch sag ich — und Ihr drei da besonders mit Euren grauen Kitteln, hinunter von Deck wohin Ihr gehört, oder der Erste, bei Gott, der mir noch mit einem Wort widerspricht, oder die Hand aufhebt gegen mich ist eine Leiche.«

Meier warf einen wilden tückischen Blick im Kreis umher, zu sehn auf wen von der Schaar er sich wohl allenfalls noch verlassen konnte, aber die drei Grauröcke hatten wohl ihre ganz besonderen Ursachen es nicht zum Aeußersten kommen zu lassen, noch dazu solcher Lappalie wegen, und von den Anderen bezeugte ebenfalls Niemand Lust mit dem wilden Burschen, dem Steuermann, so aus freier Faust anzubinden.

»Wir haben ein Recht hier an Deck zu stehn und dafür bezahlt« murrte er da, als er sah wie er nicht hoffen durfte Schutz und Beistand bei den Anderen zu finden gegen die Schiffsmannschaft.

»Das könnt Ihr auch« sagte der Steuermann, verächtlich seine Handspeiche neben sich zu Boden werfend — er wußte daß er jetzt keine weitere Widersetzlichkeit mehr zu fürchten hatte — »Niemand wehrt’s Euch, so lange Ihr nicht im Wege seid, wer aber dann nicht geht wird _gestoßen_, und darf sich nachher beklagen, wenn es ihn freut. So also herunter jetzt mit dem Prediger — na, wo ist der Mosje denn auf einmal hingekommen?«

Zachäus war allerdings verschwunden; sobald nämlich der Wortstreit einen ernsten Charakter anzunehmen schien, hatte er sich, keineswegs gewillt daran Theil zu nehmen, seitab von der Back hinunter und nach hinten gedrückt, wo er jetzt schon wieder auf seiner Lieblingsstelle am großen Mast kauerte, und den Dampf seiner Pfeife in die blaue Luft hineinqualmte.

Herr von Hopfgarten stattete indessen in der Cajüte Bericht über das Gehörte und Gesehene ab, freute sich aber ebenfalls daß solch gemeiner Blasphemie an Bord gesteuert worden, und erzählte nun den Damen in seiner komischen und lebendigen Art, wie der Steuermann dazwischen gesprungen sei und die Debatte mit der Handspeiche aufgenommen habe.

»Und was hatten _Sie_ dazwischen zu thun, _chèr ami_?« frug Herr von Benkendroff über ein Buch weg das er in der Hand hielt (wahrscheinlich mehr der Hand als des Buches wegen) — »was haben Sie davon sich zwischen die Canaille zu mischen; wenn es nun wirklich zu Thätlichkeiten kam?«

»Ich hatte die stille Hoffnung« schmunzelte der kleine Mann — »alle Wetter, ein Seegefecht, Baron, das wär ein famoses Abenteuer gewesen, und ein prächtiger Beginn für meine Fahrt. Sie wissen noch gar nicht daß ich nur auf Abenteuer reise?«

»Auf Abenteuer — bah« sagte Herr von Benkendroff achselzuckend — »ich hoffe daß Sie vernünftiger sind; es giebt nichts Ungentileres als ein Abenteuer, ein galantes vielleicht ausgenommen, und ich hasse selbst diese, weil sie den Menschen unnöthig aufregen, und aus seiner gewohnten Ruhe bringen.«

»Aber was für Abenteuer wollen Sie erleben?« frug lachend Marie.

»Was für Abenteuer?« wiederholte der kleine Mann, sich rasch nach ihr herumdrehend — »alle — jedes nur erdenkliche — Räuber, Platzen eines Dampfbootes, Zusammenstoß mit einer Lokomotive, Ueberfall von Indianern, selbst unter Gefahr meines Scalpes,« und er nahm dabei seine Mütze ab, und zeigte seinen etwas kahlen Kopf — »nächtliche Attaque von Bären und Panthern, Entführungen, Verhaftungen, Lynchgesetz und wie all jene tausend und tausend interessanten vorherzusehenden und unvorhergesehenen Fälle heißen, denen man in dem Lande unserer Sehnsucht ausgesetzt ist, oder die man, wenn sie Einem nicht gleich gutwillig aufstoßen, mit Leichtigkeit aller Orten und Enden aufsuchen kann.«

»Dann reis’ ich gewiß nicht mit Ihnen« rief Clara rasch und lachend — »Sie wären im Stande solche Dinge vom lieben Gott, als ganz besondere Zeichen von Wohlwollen zu erbitten.«

»Allerdings« sagte Herr von Hopfgarten mit größtem Ernst, »und ich schwankte lange zwischen einer Reise in das Innere von Afrika und den Vereinigten Staaten, aber allen gelesenen Beschreibungen nach halte ich die Union doch noch für das passendste Land dazu, und freue mich unendlich darauf seine werthe Bekanntschaft zu machen.«

»Sie könnten Einem die Lust zur Auswanderung verleiden« sagte lächelnd Professor Lobenstein, sich in das Gespräch mischend, »wenn man eben noch eine Wahl behalten hätte. Jedenfalls ist es ein interessantes Factum Sie, mit _diesen_ Ansichten, an Bord eines Auswandererschiffes zu haben, dessen sämmtliche Passagiere, mit Ihrer alleinigen Ausnahme, gerade hinübergehn um Ruhe und Frieden zu finden, und sich eine, nicht so leicht von äußeren Einflüssen gefährdete Existenz zu gründen.«

»Ich die alleinige Ausnahme?« rief aber der kleine Mann rasch und lebhaft aus — »lieber Professor, da schwimmen Sie in einem gewaltigen Irrthum herum. Gehn Sie einmal durch das ganze Schiff und sehen Sie sich die einzelnen Physiognomien, die einzelnen Gestalten der Leute an, wie ich es wieder und wieder gethan habe, und wenn Sie dann nur irgend in den Zügen eines Menschen zu lesen verstehn, dann sagen Sie mir nachher, ob sich alle die Leute nach einer ruhigen Existenz sehnen, und ob überhaupt nur die Hälfte von ihnen weiß, was sie dort mit sich anfangen soll.«

»In mancher Hinsicht mögen Sie recht haben« sagte der Professor lächelnd, »aber derartigen extraordinären Fällen sollte man dann doch eher aus dem Wege gehn, als sie gerade muthwillig aufsuchen.«

»Nein« sagte der kleine gemüthliche Mann, dem sich ein wunderliches Behagen über die runden Züge legte, und sie mit einer eigenthümlichen Gluth und Freude überstrahlte, indem er vor seinem fruchtbaren inneren Geist wahrscheinlich schon einige der erhofften Scenen heraufbeschwor — »nein lieber Professor, an aus dem Wege gehn ist nun einmal schon gar kein Gedanke — wird auch nicht gut möglich sein« setzte er sich, wie in innerem Behagen die Hände reibend, hinzu — »man müßte denn wie eine Schlange dazwischen durchschlüpfen können. Vor allen Dingen befahre ich den Mississippi auf den dortigen Dampfbooten, und lasse mich erst zwei- oder dreimal in die Luft blasen, oder in den Grund rennen; dann existirt dort noch, wie ich aus ganz sicheren Quellen weiß, die Morrelsche Bande, die mit allen Pferdedieben und falschen Spielern der Union in Verbindung steht, und in der That über die ganzen Vereinigten Staaten ihre Auszweigungen hat. Wenn ich nur irgend Glück habe falle ich denen in die Hände. Dort finde ich ebenfalls die beste Gelegenheit einer Bärenjagd beizuwohnen, und in den Sclavenstaaten müßte es mit dem Bösen zugehn, wenn man nicht wenigstens die Woche einmal, so einem armen Teufel von Schwarzen zur Flucht verhelfen, und durch das Interessante der Situation manche müßige Stunde ausfüllen könnte.«

»Sie bauen darauf, lieber Hopfgarten« sagte hier, während die Anderen lachten, Herr von Benkendroff, wieder über sein Buch hinüber nach seinem kleinen Freund sehend, »daß Sie gar keinen Hals haben an dem man Sie aufhängen kann — sonst scheinen Sie mir auf dem besten Wege dazu.«

»Bah, aufhängen« rief Herr von Hopfgarten verächtlich — »darin bewährt sich gerade der Mann, den Kopf in schwierigen Situationen aus der Schlinge zu halten.«

»Jedenfalls sollten Sie sich dann den langen Menschen aus dem Zwischendeck, ich glaube es ist ein Schneider« sagte Herr von Benkendroff ruhig »zum Begleiter, gewissermaßen als Sancho Pansa mitnehmen; Ihr Zug würde dadurch einen gewissen historischen Werth bekommen.«

»Spotten Sie nur« lächelte aber Herr von Hopfgarten gutmüthig — »Jeder sucht sein Vergnügen auf seine eigene Weise, und Don Quixote, einige verrückte Marotten abgerechnet, war ein ganz achtungswerther Charakter — seine Kurzsichtigkeit muß übrigens Vieles bei ihm entschuldigen, und ich habe ein Auge wie ein Falke.«

»Im Zwischendeck ist allerdings ein Mann der für Sie passen würde Herr von Hopfgarten,« fiel aber hier das Fräulein von Seebald ein, »ein junger Dichter, der ebenfalls noch nicht in dem Alltagsleben der Welt zu Grunde gegangen, und keineswegs daran zu zweifeln scheint, dem Leben auch noch eine poetische Seite abzugewinnen. Nur in der That bewährt sich der männliche Charakter;« setzte sie mit einem Seitenblick auf Herrn von Benkendroff hinzu, der aber an diesem vollkommen abprallte.

»Vortrefflich!« rief da die muntere Clara — »Herr von Hopfgarten kann dann die amerikanischen Riesen und Ungeheuer bekämpfen, und sein Begleiter gleich die Thaten besingen; ich subscribire von vornherein auf ein Exemplar.«

»Ihnen, meine gnädige Frau« lachte aber der kleine Mann, »dedicire ich das Werk, und werde mir von Ihnen noch ganz besonders eine Schleife oder einen Handschuh ausbitten, nach ächter Ritterart am Hut zu tragen.«

»Ein Wort ein Mann« rief die junge Frau, ihren linken Handschuh lachend abziehend und dem neuen Ritter zuwerfend — »hier ist das Pfand, und bedenken Sie, daß ich es nur mit dem Blut der Feinde getränkt zurückerwarte.«

»Gnädige Frau!« rief da der kleine Mann, begeistert von seinem Stuhle aufspringend — »nur mit meinem Leben trenne ich mich wieder von dieser Gabe, bis ich sie in würdiger Weise zurückerstatten kann, und hier unser bequemer Freund Benkendroff selber —«

Seine weitere Rede wurde durch das Heraufstürmen der Matrosen auf das Quarterdeck unterbrochen, die, so ehrerbietig sie sonst dasselbe betraten, jetzt ohne weiteres Ceremoniell und in größter Eile anfingen die aufgerollten Falle von den Nägeln herunter auf Deck zu werfen, wobei sie den überrascht aufspringenden Passagieren sehr ungenirt die Sessel aus dem Weg rückten. Zu gleicher Zeit sahen diese wie ein Theil der Mannschaft, gelenk wie Katzen, an den Wanten(9) hinauflief; die leichteren Segel flatterten dabei aus, und wurden eingeholt und befestigt, die leeren Raaen(10) queer gebraßt, und auf den Marsraaen, dessen Segel in der frischer werdenden Brise schlug und flappte, lagen die Leute mit der Brust auf, die Füße gegen das scharfangespannte Lauftau gepreßt und mit dem Oberkörper in freier Luft hängend, das ausschlagende schwere Segeltuch zu fassen und einzuziehen, um es in die Reefbänder zu schlagen, und kleinere Fläche der Leinwand einem jedenfalls erwarteten Sturm zu bieten.

Die Passagiere sahen allerdings im Anfang erstaunt auf und umher, denn das Wetter war, bei fast völliger Windstille, mild und warm gewesen, und eine leichte Brise, die sich nach und nach erhoben und das Schiff wieder langsam durch die klare, fast spiegelglatte Fluth trieb, von ihnen wohl freudig begrüßt worden, aber keinem als irgend Gefahr drohend erschienen. Der erste überraschte Blick umher überzeugte aber bald alle, selbst die größten Laien in der Wetterkunde, daß der sonnige Morgen einem stürmischen Mittag werde weichen müssen. In Nord-Westen stiegen schwere dunkle Wolkenmassen auf, die dem Wasser schon ihren fahlen Bleiglanz mitzutheilen begannen, über die See zog es in dunkelstreifigen, flüchtigen Kräuselwellen, wie die Vorboten des nahenden Wetters, und als die schwache Brise endlich wieder vollständig erstarb, die düstere Wolkenmasse aber, die bis jetzt fast auf dem Horizont gelegen, mit rasender Schnelle höher und höher stieg, da bat der Capitain, der bis dahin an Nichts anderes gedacht hatte, als sein Schiff auf das kommende Wetter vorzubereiten und seine Segel zu bergen, die Passagiere dringend, hinunter in die Cajüte und dem Unwetter aus dem Wege zu gehn, daß sich die Mannschaft frei bewegen könne. Fast alle fügten sich auch dem Wunsch nur zu bereitwillig, die meisten selber froh unter dem schützenden Dach der Cajüte den Ausbruch des Sturmes erwarten zu dürfen; nur Herr von Hopfgarten holte sich rasch seine geölten Seemannskleider, die er sich zu diesem Zweck besonders angeschafft, hervor, zog sie an, setzte seinen Südwester(11) auf, und stieg, die Hände in die Taschen schiebend, wieder an Deck, dem Sturm »die Wetterseite zu bieten.«

Diese unheimliche, und einem heftigen Orkan sehr oft vorhergehende Stille dauerte aber nicht lange; im Nord-Westen nahm der Meeresspiegel eine vollkommen dunkle Färbung an, wie sich die Kräuselwellen da vor der heranbrausenden Windsbraut hoben, und als die Windsbraut herankam und das Schiff faßte, durch die Blöcke und Taue pfiff und über die nackten Raaen heulte, fegte sie auch schon die oberen Tropfen von den aufspritzenden, wie ängstlich zuckenden Wellen, und lehnte sich jetzt hinein in das Meer, das ruhige aufzurütteln aus seinem Schlaf.

Hui wie es da drängte und bohrte und die Segel faßte und schüttelte, die es noch wagten ihm Trotz zu bieten, während es dem stöhnenden Schiff pfeilschnell die bäumenden Wogen entgegenjagte; wie die Masten ächzten und sich elastisch der furchtbaren Kraft beugten, und die schweren Raaen in ihren Ketten klirrten und die Falle, und Taue zum Zerspringen spannten. Aber machtlos griff der Sturm in das künstliche Gebäu, das des kecken Menschen Hand, selbst seinen Schrecken zum Trotz, muthig und sicher über die brausenden Wogen führte; zur rechten Zeit waren alle überflüssigen Segel geborgen und die nöthigsten dicht gereeft, dem Orkan so kleine Fläche als möglich zu bieten, und was noch stand, an dem konnte er rütteln und reißen und seine Kraft versuchen; die Leinwand war stark und neu und die Taue hielten seinem wildesten Sprung und Drang.

Aber die Passagiere hatte er überrascht, denn sie waren bis jetzt an ruhiges Wetter und ziemlich gleichmäßigen Wind gewöhnt, der es den Leuten erlaubte ihre Segel in Ruhe zu setzen oder einzunehmen. Die nöthigen Befehle waren dabei auch natürlich in aller Ruhe gegeben, und von den Leuten eben so ausgeführt worden; das aber änderte sich jetzt wie mit einem Zauberschlag, und in dem wüsten Lärm der Seeleute, dem sich das Toben der Elemente gesellte, schien dem Laien jede Ordnung im Schiff gerade in dem Moment gelöst und aufgehoben, wo die Gefahr zum ersten Mal mit eiserner Faust an ihre Planken schlug. Die Offiziere schrieen ihre Befehle, jedem Ohr unverständlich und in dem Heulen des Sturmes wild und ängstlich klingend, über Deck, die Matrosen selber stürzten herüber und hinüber, die Segel hingen eine Zeitlang gelöst und schlugen an die Masten, die Taue fuhren wirr durcheinander, und die Hast, mit der die zum Reefen aufgeschickten Leute nach oben eilten, nach rasch ausgeführtem Befehl wieder an den Pardunen niederglitten, und die Raaen dann unter dem schrillen Ruf des Steuermanns und dem ihnen so ängstlich klingenden Taktsang der Matrosen aufgezogen wurden, bestätigten bei Vielen den schlimmsten Verdacht, und machte ihre Herzen rascher klopfen.

Die Cajüte konnte sich da noch eher Raths erholen; besorgte, an die Steuerleute oder den Capitain gerichtete Fragen der Damen, wurden beruhigend beantwortet, und die Gewißheit gerade, mit der die Offiziere den Sturm vorausgesehn, und die nöthigen Vorkehrungen dagegen getroffen, hatte schon an sich etwas Trost und Vertrauen Erweckendes. Schlimmer sah es dagegen im Zwischendeck aus, wo eine Menge Frauen und Kinder, in den engen dunklen Raum gebannt, über dem sie nur das unheimlich rasche Laufen der Seeleute und das Heulen des Sturmes hörten, durch ihr Jammern und Stöhnen und Wehklagen die Verwirrung, die überdieß schon unten herrschte, noch arg vermehrten.

Wie dabei der Wind über die See tobte, hoben sich die Wellen höher und höher, das Schiff fing an zu stampfen und in den anstürmenden Wogen herüber und hinüber zu schlingern, daß in dem dumpfigen Raum hie und da schon wieder die Seekrankheit ihren Arm nach einzelnen unglücklichen Opfern ausstreckte. Die um die Mittelstützen des Zwischendecks befestigten Koffer und Kisten schurrten dabei, so weit es ihnen die nach und nach locker gewordenen Taue gestatteten, mit der Bewegung des Schiffes bald nach dieser bald nach jener Seite, und drohten in der That sich nach und nach völlig loszuarbeiten aus ihren Banden, wie einzelne Schachteln mit unvorsichtig dort aufgespeicherten Vorräthen, Stücken Fleisch und Zwieback, Zwiebeln und Kartoffeln, oder auch nachlässig aufbewahrte Gefäße und Flaschen, plötzlich laut wurden und hervorpolterten, den Passagieren dadurch einen ungefähren Begriff gebend, was sie zu erwarten hätten, wenn sich das _schwere_ Gepäck losscheuere und mit seinem Gewicht und den scharfen Ecken und Kanten über sie hereinbreche und herüber und hinüber schleudere.

Einige der Zwischendeckspassagiere machten sich nun zwar bereitwillig daran, einer solchen Fatalität durch festes Schnüren der Taue in Zeiten vorzubeugen; bei dem immer stärkeren Schaukeln des Schiffs wurde das aber mehr, als sie auszuführen vermochten; das Arbeiten in dem niederen dumpfen Raum machte sie schwindlich und übel, und Matrosen mußten zuletzt zu Hülfe gerufen werden, die gelösten und nicht wieder ordentlich befestigten Taue, die jetzt hie und da nachgaben, auf’s Neue zu verbinden und Unglück zu verhüten.

Was übrigens im Anfang selbst dem Capitain nur als ein eben so rasch wie es gekommen, vorübergehendes Gewitter geschienen, artete zuletzt wider Erwarten in einen ordentlichen Sturm aus, der mit der untergehenden Sonne neue Kraft gewann. Die Segel blieben dicht gereeft, die Luken wurden, des niederströmenden Regens wegen, mit getheerter Leinwand überhangen, und die Wellen wuchsen natürlich, durch ihre eigene Schwere von Stunde zu Stunde, bis sie die weisgekrönten Kämme, wie funkelnde Mähnen, im Ansturm gegen den starken Bug des Schiffes trugen, und ihre Stirnen wild und dröhnend, immer und immer wieder vergebens, dagegen schmetterten.

Die Haidschnucke kämpfte sich indessen still und unverdrossen ihre Bahn, während der Widderkopf, den sie als Brustbild auf der Gallion vorn trug, ihr alle Ehre machte. Den starken Nacken gebogen, einem wirklichen Widder gleich, setzte er zum Stoß ein, den anprallenden Wogen gegenüber, und wenn sich die hochaufbäumenden an ihm brachen, und schäumend und brausend ihre Sturzseen über Deck warfen, stieg er fest und trotzig, von dem glühenden Meeresschaum hell erleuchtet, daraus empor, den wilden wüsten Schlachtplan überblickend, und es war fast, als ob er sich einen neuen Gegner herausfordernd suche, zum Kampf auf Leben und Tod.

In der Nacht gab es wieder viele Kranke an Bord, und Stöhnen und Aechzen, Beten und Fluchen tönte aus dem niederen dunklen und dumpfigen Raum empor, dem nur manche mal eine bleiche, sich überall krampfhaft anhaltende Gestalt entstieg, den Schiffsbord zu suchen, sich daran festzuklammern, und was sie drückte, hinüber zu werfen in die boshafte tückische See. Wehe dem Armen dann, wenn er mit schwindelndem Hirn, und von dem ihn umrasenden Sturm betäubt, die Leeseite, nach der er sich zu wenden hatte, mit der Luvseite verwechselte, und gegen den Wind seinem Leiden Luft machen wollte; der boshafte Sturm warf ihm das dann gewiß erbarmungslos wieder zurück und entgegen, und eine nachstürzende See spühlte den Armen vielleicht mitleidig dem nach, nach Lee hinüber, von wo er sich triefend und betäubt die Bahn wieder nach unten suchen mußte, seiner dunklen Coye zu.

Oh wie lang, wie entsetzlich lang dauerte die Nacht, in der selbst den Gesunden das Kreischen der Kinder, das Jammern der Frauen, das Stöhnen und Aechzen der Seekranken, wie das Werfen der Falle und das Stampfen der Matrosen an Deck, jeden Augenblick Schlaf raubte oder verkümmerte. Dabei peitschte draußen die Fluth, die schwachen Planken, die sie allein von der Unendlichkeit trennten, und die furchtbaren Stöße, mit denen der scharfe Bug des Schiffes den anprallenden Wogen begegnete, während ganze Fluthen von vorn nach aft über Deck strömten, machten den mächtigen Bau bis in den Kiel hinab erzittern, und füllten oft die Herzen selbst der Unerschrockensten mit jenem eigenthümlich unbehaglichen Gefühl, daß Holz und Eisen doch am Ende nicht auf die Länge der Zeit solchen unermüdlichen, unausgesetzten Anprallen werde widerstehen können. Und wenn es brach? — wenn sich die tolle Fluth die Bahn erzwang in die jetzt Leben gefüllten Räume, wenn die gierigen, donnernden Wogen nur einen Zollbreit Raum gewannen, nur daß sie Halt bekamen an dem Mark des Schiffs, was dann? — ein wilder Todeskampf, ein Angstgeschrei, der den inneren Raum erfüllte, und mit den Wogen machtlos kämpfend rangen hunderte von Wesen, deren Herzen jetzt noch warm und hoffend schlugen — rangen und versanken, der nächsten Sonne nur in wenig einzeln treibenden Hölzern den Ort verrathend, an dem die Tiefe sie verschlang.

Mit vollkommen ruhigem und kaltem Blut betrachtet indessen der Seemann den Aufruhr der Elemente. An das Schiff denkt er dabei, daß er es sicher und unbeschädigt durch die Wogen führe, nicht an sein Leben, das dem Schiff gehört. Gewohnheit stumpft den Menschen auch zuletzt gegen eine wieder und immer wieder kehrende Gefahr ab, sei sie noch so groß; und fast mechanisch thut er Alles, was ihm der Augenblick eben zu thun gebietet. Sind dann die Segel dicht gereeft, ist Alles an Deck so gut befestigt wie es geht, jede Luke geschlossen und keine drohende Küste in Lee, von der abzukreuzen, sonst alle Kräfte angespannt werden müßten, dann hat der Schiffer gethan was eben in seinen Kräften steht, und auf gutem, seetüchtigem Schiff, vertraut er das und sein Leben ruhig dem Schutz des Höchsten.

Auf offener See ist die Gefahr auch lange nicht so groß; es muß da ordentlich wehn, und eine furchtbare See muß stehn wenn es dem wirklich guten Schiff verderblich werden soll. Reißen die Wellen auch dann und wann einmal ein paar Ellen Schanzkleidung(12) über Bord, oder waschen sie gar das Deck rein von Kambüse(13) und Wasserfässern, trotz ihren Tauen und eisernen Klammern, der Sturm kann nicht ewig währen, und ein paar Stunden ruhigen Wetters geben dem unerschrockenen Seemann bald wieder Zeit, den gehabten Schaden, so gut das eben auf offener See geht, auszubessern. Nur wenn er Land in Lee weiß, das bedrängte Schiff kaum im Stande ist, sich gegen den Anprall von Wind und Wellen zu halten und die Strömung vielleicht gar noch dem Sturm die Hand bietet; wenn er wieder und wieder über Stag(14) muß dem Wind in die Zähne hinein zu segeln und trotz dem das dämmernde Land immer deutlicher, immer furchtbarer zu ihm herüberstarrt, die Brandung immer drohender, immer furchtbarer an sein Ohr schlägt, dann mag ihm das Herz pochen, und das Auge ängstlich am Horizont nach Rettung suchen, ob sich die Wolken nicht lichten, die wilden Böen nicht legen wollen, dann allerdings lauert der Tod in den dunklen starrenden Klippen, die gierig die Häupter herausstrecken aus der schäumenden Brandung, denn das _Land_ ist des Seemanns Feind, nicht das _Meer_.

In dieser Nacht legte sich der Sturm aber nicht, und wenn er auch gegen Morgen etwas in seinem Grimm nachzulassen schien, nahm er vor Sonnenaufgang auf’s Neue die Backen voll und tobte toller als vorher. »S’ist eine frische Hand am Blasbalg« sagen in dem Fall scherzhafter Weise die Matrosen, denen »eine Mütze voll Wind mehr oder weniger« nicht viel verschlägt. Im Gegentheil; der Lohn geht fort; hält sie der Sturm ein paar Tage länger auf See, gut, desto mehr Geld haben sie zu fordern, wenn sie das Land betreten, und können desto mehr verthun; ja bei schwerem Wetter fallen sogar die lästigen Arbeiten, wie Schiemanns-Garn drehen und Werg zupfen fort, mit denen sie in ruhiger Zeit doch außerdem genug geärgert werden. Die Leute sitzen dann auch meist — mag das Wetter toben so arg es will — ganz ruhig und vergnügt im Lee vom großen Boot und erzählen sich Geschichten und Anekdoten. Sind die Segel dicht gereeft, und haben die Leute genug Taback, dann verlangen sie keine bessere Zeit und sind munter und vergnügt. Nur bei Windstille flucht der Matrose, denn das ist die Zeit, in der er am meisten beschäftigt ist.

Nur wenige von den Passagieren hatten sich aber die Nacht über hinauf getraut an Deck, dem Sturm und den noch fataleren Sturzseeen kühn die Stirn zu bieten. Die aber, die es gewagt, waren auch reichlich durch den wundervollen großartigen Anblick der zürnenden See entschädigt worden. Zischend und schäumend wälzten die phosphorglühenden Wogenmassen herum, mit ihrem geisterhaften Licht die Masten hellend, bis hinauf zu den nackten tanzenden Spieren. Wie von silberblitzenden Adern durchzogen, quollen die mächtigen Wellen am Schiff vorbei, das träge und störrisch nur hindurchzudringen schien, und die See, die sich zu windwärts über dem Buge brach, goß tausend und tausend glimmende Funken über das nasse Deck und schmückte es wie mit blitzenden Edelsteinen. Die Windsbraut hatte dabei den Himmel rein gefegt; mit der Tiefe wetteifernd funkelten die Sterne ihr flammendes Licht herab, und als der Mond dem Horizont endlich entstieg, sandte er seine zuckenden Strahlen wie matte Blitze über die erregte Fluth.

Die Noth im Zwischendeck hatte indeß ihren höchsten Grad erreicht, denn die überstürzenden Seeen, die ihre plätschernde Fluth um die Vorderluke spühlten, schlugen einmal sogar die Leinwand fort, und gossen einen Strom hinab in den unteren Raum. Die Matrosen sprangen allerdings gleich zu und schlossen die Luke mit den Lukenklappen, weiterem Eindringen des Seewassers, weniger der Passagiere, als der unter ihnen eingestauten Fracht wegen, zu wehren, aber der Angstruf der Zaghaftesten, »das Schiff hat einen Leck — wir sinken — wir sind verloren« zuckte mit dem Nothschrei von Lippe zu Lippe, und Alles, was sich noch auf den Füßen halten konnte, drängte jetzt wild zurück, der hinteren Luke zu, den Weg von da an Deck zu finden. Ein gewisser Instinkt trieb die Schaar an die freie Luft, wo eben so wenig Rettung für sie war, als dort unten, wäre ihr furchtbarer Verdacht wirklich begründet gewesen — aber sie wollten nicht im Dunklen sterben.

»Na nu setz mich mal an Land!« rief der Steuermann verwundert, als die Passagiere plötzlich, wie Bienen aus ihrem gestörten Haus, an Deck quollen, und nach dem Boot und um Hülfe schrieen, »Dösköppe, seid Ihr verrückt geworden oder was fällt Euch ein? — wollt Ihr machen, daß Ihr wieder hinunter kommt, oder ich lass’ Euch hier oben noch einmal begießen!«

Die Drohung half aber Nichts, Andere preßten nach, von unten herauf, den Erstgekommenen den Rückzug abschneidend, und eine gerade wieder über das Schiff herüberschlagende See vermehrte die furchtbare Verwirrung der zum Tod Erschrockenen.

Unten im Zwischendeck schrie eine einzelne Frauenstimme mit markdurchschneidenden Tönen nach Hülfe, und unheimlich klang der gellende Laut selbst durch das Gewirr von Stimmen und das Toben der Elemente.

»Aber so nehmt doch nur um Gottes Willen Vernunft an — zurück da mit Euch oder ich lasse die Luke hier ebenfalls dicht machen und keiner Mutter Sohn wieder an Deck herauf« — bat und fluchte der Seemann — aber Alles umsonst; ein panischer Schrecken hatte sich der unglückseligen Passagiere bemächtigt und Einzelne, die von der überstürzenden See fortgewaschen an Deck herumschwammen, und wie sie nur den Mund wieder frei bekamen, nach Rettung brüllten, setzten der heillosen Verwirrung die Krone auf, und trieben jetzt auch die Cajütspassagiere in Todesangst aus ihren Coyen.

Es bedurfte wohl einer halben Stunde Zeit, in der die Matrosen die, die am meisten schrieen, und sich am unsinnigsten geberdeten, anfassen, schütteln und erst wieder zur Vernunft stoßen mußten, bis die Leute nur anfingen zu begreifen, daß ihnen keineswegs eine unmittelbare Gefahr drohe, und der Sturm eben nicht ärger das noch vollkommen tüchtige und dichte Schiff umtobe, als am Abend, wo sie sich ruhig in ihre Coyen zum Schlafen niedergelegt. Die Vernünftigsten der Schaar, die sich doch auch ihres Kleinmuths wegen zu schämen begannen, wollten deshalb eben wieder hinunter in das Zwischendeck steigen, wo der Lärm noch ärger als vorher tobte, auch dahin die tröstliche Nachricht zu bringen, und die Verzweifelnden zu beruhigen, als sich von dort herauf der Tischler Leupold wild und ängstlich die Bahn brach, und nach dem Arzt — dem Doktor schrie, um Gottes und des Heilandes Willen seiner Frau zu Hülfe zu kommen.

»Was ist — was giebts?« riefen die Leute durcheinander, und der Steuermann faßte den halb Rasenden und frug ihn, was geschehen sei; dieser aber riß sich los und bat und flehte, nur den Arzt aus der Cajüte zu holen, damit dieser der Unglücklichen beistehn könnte, die plötzlich _wahnsinnig_ geworden wäre.

_Wahnsinnig_, es ist ein furchtbares Wort, und der Sturm heulte seine tolle Weise darein, die Masten knarrten und ächzten und durch die Blöcke pfiff es wie in wilder unheimlicher Luft.

»Der Arzt — wo ist der Doktor!« riefen die Leute jetzt durcheinander, den Sturm fast vergessend über die augenblickliche, dringendere Noth des Mitpassagiers — »der Doktor!« und selbst der Steuermann, der sich sonst wahrlich nicht beeilte, wenn ein Zwischendeckspassagier oder ein Passagier überhaupt, einen Wunsch aussprach, sprang in die Cajüte hinein, den »Doktor« herauszuklopfen, damit er helfen könne, wenn hier überhaupt menschliche Hülfe noch möglich war.

Der Doktor lag angezogen in seiner Cajüte auf dem Bett, und sprang bei dem ersten Ruf schon rasch und bereitwillig auf, aber er sah selber todtenbleich aus, und ein neuer Angriff der Seekrankheit, mit der Angst um das eigene Leben, hatte ihm jeden Blutstropfen zum Herzen zurückgejagt.

»Doktor machen Sie rasch — eine Frau ist im Zwischendeck wahnsinnig geworden — Sie müssen helfen!« rief der Steuermann.

»Eine Frau wahnsinnig?« stöhnte der unglückliche Sohn Aesculaps — »das ist ja entsetzlich, das ist ja gar zu traurig — was werden — was werden wir ihr denn da gleich eingeben —«

»Sehn Sie sich die Kranke nur erst einmal an« rief aber der Steuermann ungeduldig, als der Doktor in allen seinen Taschen nach seinem Besteck an zu suchen fing — »bis Sie hinunterkommen kann sie todt sein, wenn Sie so lange machen.«

»Ja wenn das aber _so_ schnell geht« sagte der arme Hückler in Verzweiflung, »dann werde ich ihr mit meinem Besuch auch nicht mehr viel helfen können — das ist eine verzweifelte Geschichte und indessen der Sturm« — murmelte er vor sich hin, als er die niedere halbe Treppe an Deck hinaufstieg und sich oben gleich anhalten mußte, auf dem spiegelglatten Deck, nicht nach Lee zu geworfen zu werden — »heilige Dreifaltigkeit, Steuermann, das Deck geht Einem ja unter den Füßen fort — das Schiff ist zu schwer auf der einen Seite.«

»Hätte bald was gesagt,« murmelte aber der alte Seebär zwischen den Zähnen durch, während er ihn auf der linken Seite stützte, daß er nur rascher vorwärts kam.

Unter Deck hatte sich indessen eine Gruppe von Frauen meist um die unglückliche Tischlersfrau gesammelt, die sich den Händen der sie haltenden Männer fortwährend zu entwinden suchte, und dabei laut lachte und schrie, und wunderliche, verslose Lieder sang. Der junge Donner, während er sich mit der linken Hand selber fest an der nächsten Coye hielt und seinen linken Fuß zwischen die dort befestigten Kisten eingeklemmt hatte, hielt sie mit dem rechten Arme umschlungen, daß sie sich nicht selber von ihrem Stand herunterstürzte, und Leupold, mit Herrn Mehlmeiers Hülfe, suchte sie auf der anderen Seite zu stützen und zu beruhigen und sie nur zu bewegen, daß sie sich erst einmal wieder in ihre Coye lege.

Ueber dieser von einer gewöhnlichen Schiffslaterne beleuchteten Gruppe, oben an der steilen, in das Zwischendeck niederführenden Treppenleiter, erschien jetzt der Doktor, und mußte mit Gewalt den Ekel bezwingen, der ihm bei dem furchtbaren Schaukeln des Schiffs, und dem warmen, von unten zu ihm aufströmenden Dunst des inneren Decks zu erfassen drohte. Gerade aber, als er sich umdrehte um niederzusteigen, sah und erkannte ihn die Frau und schrie auf, als ob sie einen Geist erblickt »Er will mich würgen — er will mich würgen.« Der arme Doktor, überdieß nicht auf festen Füßen, drehte sich bei dem Schrei halb um, rutschte auf seinem schlüpfrigen Stand aus und glitt halb, halb fiel er mitten zwischen die Gruppe hinein.

»Hahahaha!« lachte da die Unglückliche hell und laut auf — »hahahaha, er hat den Hals gebrochen, er hat den Hals gebrochen« und sank besinnungslos zurück in Georg Donners Arm, während ihr Mann kaum noch Zeit behielt, sie mit zu unterstützen.

Hückler hatte sich indessen rasch und erschreckt wieder erhoben, und während er sich an der Treppe und den Kisten zu der Patientin hinfühlte, riß Hedwig ihre Matratze aus dem eigenen Bett, sie der Frau vor der Coye unterzubereiten, und kauerte dann neben ihr nieder, ihren Kopf zu unterstützen. Dem Doktor wurde indessen mit kurzen Umrissen die mögliche Ursache des Unglücks mitgetheilt, das der arme Tischler von einem Sturz herrührend glaubte, den die Frau an dem Morgen gethan. Sie war dabei mit dem Hinterkopf gegen eine Kistenecke geschlagen, und trotzdem, daß sich kein Zeichen äußerer Verletzung deutlich machte, viele Minuten lang bewußtlos liegen geblieben; hatte auch nachher, als sie wieder zu sich kam, über Kopfschmerz geklagt, sich jedoch sonst wohl befunden, bis der Sturm an dem Abend überhand nahm, und nun die Angst, vielleicht das Uebel verschlimmernd, die frühere Verletzung des Hirns zum Ausbruch drängte.

_Dr._ Hückler hatte indessen den Puls der Kranken in seiner Hand gehalten, und befand sich in größter Verlegenheit, was ihm in diesem Fall zu thun oder zu lassen bliebe. Der Wahnsinn, weder in seinem Ursprung, noch seiner Wirkung, stand nicht in dem Medicinbuch mit angegeben, und so viel und sorgsam er sich auf fast alle übrigen Krankheiten und Zustände vorbereitet, so wenig hatte er einen solchen Fall für möglich gehalten, ja in der That nicht einmal daran gedacht. Aderlassen! das blieb das Einzige — er hatte auch eine wirkliche Schwäche für Aderlassen, und es befand sich nicht eine Person an Bord, die seine Hülfe in Anspruch genommen, sei es für was auch immer, und ohne einen Aderlaß davongekommen wäre. Keinenfalls konnte der schaden. Sein Besteck also, das er, als er die eigene Coye verließ, fast instinktartig zu sich gesteckt, herausnehmend, ging er auch ohne weiteres daran, die Operation mit gewohnter Fertigkeit vorzunehmen. Georg Donner unterstützte ihn dabei nach besten Kräften und Doktor Hückler, der dadurch wieder seine ganze frühere Zuversichtlichkeit erlangt hatte, verordnete noch, ehe er das Zwischendeck verließ, und als die Kranke wieder Zeichen zurückkehrenden Bewußtseins gab, sie jetzt fest in ihre Coye zu packen, mit Kissen wohl zu verwahren, damit sie nicht herausfallen könne, und sie die Nacht durch ordentlich und fest schwitzen zu lassen.

Georg Donner wollte hiergegen Einspruch thun, Doktor Hückler aber, dem durch den langen Aufenthalt im Zwischendeck selber wieder der Schweiß auf die Stirn trat, und dem es wüst und unbehaglich zu Muthe wurde, hatte seine Instrumente schon zusammengepackt, und verließ rasch den dumpfigen Raum. Donner aber stieg, ohne weiter ein Wort zu verlieren, ebenfalls an Deck, holte einen Eimer voll Seewasser herunter, den er an einen der in den Queerbalken befestigten Haken hing, ließ sich dann von Leupold ein reines Handtuch geben, das er mit dem kalten Wasser netzte, und rieth ihm, die Frau vor der Coye auf der Matratze liegen zu lassen, und ihr fortwährend kalte Umschläge auf die fieberglühende Stirn zu legen, die Hitze daraus zu bannen. Hedwig, die nicht von der Seite der Kranken wich, übernahm das Amt, die Umschläge zu erneuern, und trotz dem furchtbaren Stampfen des Schiffes, das gegen die mit jeder Stunde höher wachsende See fortwährend anzukämpfen hatte, wurde endlich Ruhe im Zwischendeck. — Die Passagiere fanden, daß die Gefahr nicht so nah sei wie sie geglaubt, und ergaben sich endlich — was sie hätten gleich von Anfang an thun sollen — ruhig in ihr Schicksal.

Der nächste Morgen brach trüb und eben noch so stürmisch an; mit der ersten Dämmerung war es fast, als ob sich der Wind etwas legen wollte, wie aber die Sonne roth und flammend aus dem schäumenden Wogenkessel sich hob, gewann der Sturm neue Kraft und heulend und rasend fegte er die See. Hei wie er die mächtigen, mit durchsichtigen Kronen überworfenen Wogen faßte, die Schulter dagegen stemmte, und die bäumenden Kämme aufgriff und in Silberperlen über die grollende See hinaus streute; wie er sich in die fliegenden Berge wühlte und ihnen den Boden unter den Füßen wegriß, neue zu bauen mit _einem_ mächtigen Hauch; wie er sie tanzen ließ die gewaltigen Rosse der See, die in unabsehbaren Reihen sich stürzend und drängend, vor ihm flohen, und seine starke Faust doch immer und immer wieder im Nacken fühlten, wie Sporn und Peitsche, sie zu wilderem Lauf zu treiben, zu rascherem Sturz. Ha wie das kochte und gohr in den Kesseln und Schluchten, und die Schaumesadern zu wirbelnden Trichtern in die Tiefe zog. Schlag auf Schlag donnerte dabei der Wogen Schaar gegen den zerpeitschten Bug des wackeren Schiffes an, doch Stoß um Stoß erwiedernd hob sich das wie mit wachsendem Muth, als der grimme Feind ihm wuchs, auf dessen Nacken, die klare perlende Fluth von den Schultern schüttelnd, dem neuen Gegner keck die Stirn zu bieten. Wie die Wolken über den mattblauen Himmel jagten, als ob sie die Sonne verscheuchen wollten in ihr tobendes Bett und die Möve mit schrillem Ruf ihre Kreise zog in Lee des Schiffs, ein böses Zeichen für den Seemann, der dann wohl sicher weiß daß er noch schweres Wetter zu überstehen hat, trotz Sonnenschein und Licht.

Die Kranke im Zwischendeck hatte die Nacht indessen ziemlich ruhig verbracht; der starke Blutverlust, wie die kalten Umschläge um Stirn und Schläfe, die Hedwig ihr ununterbrochen aufgelegt (denn Leupolds eigene Mutter war selber so seekrank daß sie den Kopf nicht in ihrer Coye heben konnte) schienen ihren Zustand, wenn auch noch nicht ganz gehoben, doch wesentlich verbessert zu haben. Auch die übrigen Passagiere, mit Ausnahme vielleicht von sechs oder acht, wurden das Schaukeln nach und nach gewöhnt, und ängstigten sich nicht weiter über die Sturzseeen, die ihnen wohl ein paar Tons Wasser über Deck schleuderten, aber weiter eben keinen großen Schaden thaten, viel weniger denn die Sicherheit des Schiffes selbst gefährdeten.

Am wackersten hielt sich bei diesem Unwetter die Cajüte, deren Passagiere aber auch luftigere und geräumigere Lager und bessere und leichtere Kost hatten, der Seekrankheit zu begegnen. Nur Fräulein von Seebald hütete an dem Tage noch ihr Bett, heftiger Kopfschmerzen wegen wie sie sich entschuldigen ließ, sonst waren Alle munter und auf den Füßen, und selbst der Mittagtisch versammelte sie heute, wie in stiller Zeit.

Böse Arbeit aber gab es dabei für den Steward und Cajütenwärter, Geschirr und Speisen nicht allein glücklich von der Cambüse über Deck in die Cajüte zu schaffen, sondern auch dort so zu stellen und zu befestigen, daß sie durch das tolle Springen des Schiffs nicht vom Tisch heruntergeworfen wurden. Ein eigenes Gestell, das Herr von Benkendroff gerade nicht unpassend das _Marterholz_ nannte, da es sich nur bei unruhigem Wetter zeigte, und eine Masse für ihn fataler Unbequemlichkeiten mit sich brachte, wurde über dem, auf dem Tisch ausgebreiteten, nicht übermäßig reinlichen Tischtuch festgemacht. Dieses, durch etwa drei Zoll hohe Querhölzer verbunden und in Quadrate getheilt, schloß durch seinen hohen Rand den Tisch vollkommen ein, und hielt Teller und Schüsseln so ziemlich fest, daß sie wenigstens nicht hinunterrutschen konnten, war aber natürlich nicht im Stande das Ueberlaufen der Schüsseln und gefüllten Teller zu verhindern, wenn man sie hätte vor sich auf den Tisch stellen wollen. Diese forderten deshalb auch gebieterisch die ungeteilte Aufmerksamkeit der Essenden, und die geringste Unachtsamkeit blieb gewiß nicht ungestraft.

Herr von Hopfgarten hatte indeß von dem Krankheitsfall im Zwischendeck gehört, war gleich hinuntergegangen sich selber zu überzeugen, und erfuhr dort was Doktor Hückler der Kranken nach dem Aderlaß verordnet habe, und wie diese gerade durch das Gegentheil wenigstens so weit hergestellt worden, sie für jetzt außer Gefahr zu halten. In die Cajüte zurückgekehrt hatte er dann aber auch nichts Eiligeres zu thun, als die Damen davon in Kenntniß zu setzen, und während diese der Leidenden _Eau de Cologne_ zum Einreiben und leichten Zwieback für eine mehr passende Nahrung als die schwere Schiffskost, hinunterschickten, nahm Herr von Hopfgarten den Doktor bei einem Knopf, zog ihn in die nächste Ecke und machte ihm hier die ungeheuersten Elogen wegen der fabelhaften Kur die er in dieser Nacht vollbracht, und womit er jedenfalls das Leben der Frau auf die eclatanteste Weise gerettet habe. Der arme Teufel von »Doktor« wußte freilich im Anfang nicht wohin er aus Verlegenheit sehen sollte, war auch von dem kleinen Mann schon so oft zum Besten gehalten worden, um ihm in diesem Fall gleich zu trauen, daß er es wirklich ehrlich meine; Herr von Hopfgarten verzog aber keine Miene dabei, ja rief zuletzt selbst den Capitain und die übrigen Cajütspassagiere herbei, und gratulirte sich und ihnen einen so wackeren Arzt an Bord zu haben, der mit Kopf und Herz auf der rechten Stelle, eine große Beruhigung für eine, von jeder weiteren Hülfe abgeschnittene Schiffsgesellschaft sein müßte.

Dem Chirurgen Hückler that aber das Lob, das so offen gespendet auch aufrichtig gemeint sein mußte, nicht allein unendlich wohl, sondern er bekam sich auch wirklich selber in Verdacht, in letzter Nacht eine höchst schwierige Kur mit seltener Geistesgegenwart und richtigem Urtheil aufgefaßt und behandelt zu haben, und doch am Ende von der Medicin mehr zu verstehen, als er sich selber zugetraut. Durch dieses Selbstvertrauen aber fühlte er sich gehoben, wurde gesprächig, und fing nun an, wie das leider überhaupt seine Gewohnheit war, einzelne andere, mitunter höchst merkwürdige Kuren zu erzählen, die er in früheren Zeiten gemacht, und wodurch er das Leben schon von anderen Aerzten aufgegebener Patienten mehrmals gerettet haben wollte. Herr von Hopfgarten ging darauf ein sich das Alles aufbinden zu lassen, und Hückler schwamm in einem Meer von Wonne.

Die Suppe wurde indessen aufgetragen, und der Steward, in der linken Hand die Klingel schwingend, mit der er die Passagiere herbeirief Platz zu nehmen, hielt mit der rechten die auf den Tisch gestellte Terrine, in der die heiße Hühnersuppe qualmte, sie vor dem Ueberschwappen zu bewahren. Des Doktors Geschäft war es übrigens bei Tisch die Suppe auszutheilen, und überhaupt vorzulegen, ein Amt das sich der Capitain, mit seinen unangenehmen Consequenzen bei einem stark besetzten Passagierschiff, gern vom Hals geschafft; er saß dabei zu Starbord an der Mitte des Tisches, neben ihm zur Rechten Eduard Lobenstein, und zur Linken Herr von Hopfgarten, während ihm gegenüber Frau von Kaulitz mit Herrn von Benkendroff die Sitze inne hatten. Professor Lobenstein mit Frau und den jüngsten Kindern nahm den vorderen Theil des Tisches ein, und die jungen Damen hatte der Capitain so placirt, daß sie gerade um ihn selber herum zu sitzen kamen. Das Schiff lag dabei fast vollständig auf der Larbordseite, den an diesem Bord bei Tische Sitzenden eine keineswegs bequeme Stellung gewährend, obgleich die Mahagony- und mit geflochtenem Rohr überzogenen Bänke, auf denen sie saßen, wohl befestigt waren, und nicht wanken und weichen konnten.

So wie Doktor Hückler am Tische Platz genommen, und die Terrine mit der linken Hand gefaßt hatte, ließ der Steward sie los, um weitere Bedürfnisse der Tischgäste herbeizuholen, und während sich die übrigen Passagiere ebenfalls setzten, füllte der Doktor jedem seine Portion auf den dargereichten Teller. Das Schiff schwankte dabei nach allen möglichen Richtungen hin, und die Damen besonders hatten im Anfang beide Hände voll zu thun, nur ihren Teller mit der Suppe zu balanciren, daß er nicht bald da bald dort überlaufe. Es gehörte auch erst in der That einige Uebung dazu, dies Geschäft der linken Hand allein anzuvertrauen, und, mit den Augen fest auf den Tellerrand geheftet, der geringsten Bewegung augenblicklich zu begegnen, mit der rechten Hand indessen nach dem Löffel herumzufühlen, bis man den glücklich fand, und nun mit äußerster Vorsicht daran zu gehen sein Theil dem Munde zuzuführen. An ein Hinsetzen des Tellers auf den Tisch durfte, ehe abgegessen war, gar nicht gedacht werden. Die einzige Schwierigkeit für den Doktor selber war indessen, daß er, als er Allen ausgefüllt hatte, seinen eigenen Teller nicht bedenken konnte, ohne die Terrine preiszugeben, das Schwanken des Schiffes hatte jedoch für den Augenblick ein wenig nachgelassen, die Terrine selber war auch fast ganz geleert, und sie deshalb zwischen eine Schüssel mit Kartoffeln und das Querbret so fest als möglich einzwängend, daß sie ziemlich sicher stand, begann er seine eigene Portion, denn Hühnersuppe war ein Leibgericht von ihm, zu verzehren.

»Herr Capitain« sagte er dabei, »Sie erlauben mir wohl daß ich nachher der Kranken einen Teller von dieser Suppe in’s Zwischendeck schicke; die wird ihr gut thun.«

»Ja woll Doktor, man tau« sagte Capitain Siebelt, der mit dem Doktor, sehr zu dessen Aerger, am liebsten platt sprach — »wo geiht et denn?«

»Oh gut, Capitain, ich denke wir sollen sie durchbringen, und heute Abend will ich ihr wieder eine Portion Schröpfköpfe setzen. Das Blut gestern sah dick und trübe aus, und kam faul und schleimig aus den Adern, aber ich denke wir bringen sie durch.«

Herr von Benkendroff sah den Sprecher, der ihm durch solche Beschreibung das Essen zu verderben drohte, mit einem höchst mißvergnügten Blicke an, sagte aber kein Wort, und der Doktor, dem das heraufbeschworene Bild andere, ähnliche seiner früheren Praxis vor die Seele rief, fuhr in dem vergeblichen Versuch ein Hühnerbein zu bewegen auf dem Löffel liegen zu bleiben, schmunzelnd fort:

»Wissen Sie Capitain, in Bremerhafen der Matrose, der im vorigen Sommer an Bord des Gellert von der Raanocke herunter und auf den Anker des daneben liegenden »Alexander White« fiel, und sich auch den Hinterkopf so bös dabei verletzte, der brach zwei Stunden lang die reine Galle, und lag drei volle Tage besinnungslos, ehe er wieder zu sich kam. An dem haben wir was herumgeschröpft und Adergelassen.«

»Aber ich bitte Sie um Gottes Willen Doktor, schweigen Sie doch nur ein einziges Mal, wenigstens über Tisch, von ihren abscheulichen Operationen und Krankheiten« bat ihn da Henkels junge Frau, »Sie verderben uns jedes Mal das Essen.«

»Aber beste Madame Henkel« entschuldigte sich der Geschäftseifrige — »es sind das so natürliche Sachen, und was mit unserem eigenen Körper in Verbindung steht, sollte uns eigentlich nie Ekel verursachen — Hautkrankheiten vielleicht ausgenommen, besonders mit feuchten —«

»Ich verlasse den Tisch, wenn Sie nicht aufhören!« rief aber die junge Frau, jetzt ernstlich böse gemacht.

»Sie thäten überhaupt besser sich mehr mit Ihrem Teller zu beschäftigen« bemerkte jetzt auch Herr von Benkendroff, »Sie haben schon zweimal übergegossen, und die ganze Geschichte kommt hier nach uns herüber.«

»Halten Sie die Terrine!« schrie in demselben Augenblick der Capitain, halb von seinem Sitze emporfahrend, als das Schiff plötzlich scharf nach Starbord überlegte; der Tisch stand in dem Moment fast ganz gerade, ja lehnte eher noch etwas nach rechts hinüber, trotzdem daß das Schiff auf der Larbordseite lag. Der Doktor sah sich deshalb, so von allen Seiten zugleich ermahnt, auch bestürzt nach dem Capitain um, aber kaum wandte er den Blick von dem eigenen Teller, als dieser seinen Inhalt auch auf das Tischtuch ausleerte, und wie er ihn rasch und erschreckt, wenn gleich etwas zu spät, auskippte, holte das Schiff zurück.

»Die Terrine!« schrie nochmals der Capitain, aber das donnernde Getöse einer über Bord schlagenden See, die das Schiff bis in seine innersten Rippen erzittern machte, und an Deck prasselte, als ob sie Breter und Planken in Atome schmettern müßte, ließ seine Warnung, mit der Verwirrung die ihr folgte, ungehört verhallen. Die ganze Tischplatte stand in dem furchtbaren Wurf fast senkrecht, und die Terrine mit allem was sie noch an heißer Hühnerbrühe enthielt, mit Kartoffeln und Erbsen, und sämmtlichen Messern und Gabeln wie sämmtlichen Suppentellern der Starbordlinie kam in dem Augenblick, wo sich die Passagiere nur an den Bänken halten mußten nicht selber fortgeworfen zu werden, nach Lee hinüber, und zwar erhielt Frau von Kaulitz, die nie außer in einem seidenen Kleide bei Tische erschien, den Vortheil der ganzen Suppe, von der nur noch höchstens ein Teller voll der Weste und den Beinkleidern des Herrn von Benkendroff zu Gute kam, während die Erbsen und Kartoffeln ziemlich gleichmäßig über die anderen beiden Flanken vertheilt wurden. Selbst der Tisch, gegen den sich der Doktor mit seinem ganzen Gewicht warf, drohte aus seinen Klammern und Schrauben herausgerissen zu werden, und wäre auch richtig gefolgt, hätte der eben in die Cajüte kommende Steward nicht mit vieler Geistesgegenwart die Sauce der Frau Professorin in den Schooß, und sich selbst, indem er die Füße gegen die Wand stemmte, mit der Schulter gegen die Tischplatte geworfen, wenigstens das noch daraufstehende Geschirr zu retten, das jetzt in den Querhölzern des Aufsatzes hängen blieb.

Ueberall in der ganzen Cajüte klirrte und klapperte es dabei, in dem Vorrathsspintge fielen die auf solchen Wurf nicht vorbereiteten Flaschen und Gläser durcheinander, in den verschiedenen Coyen stürzten Bücher, Cigarrenkisten und andere Sachen zu Boden nieder, und schurrten dort, mit der späteren Bewegung des Schiffes herüber und hinüber, und in der Coye des Fräulein von Seebald klirrte es und brach’s, und das Fräulein stieß einen durchdringenden Schrei aus.

Der Doktor trug übrigens die ganze Schuld, und kaum hatten sich die Passagiere nur wieder in etwas zusammengelesen und das Schiff einen ruhigeren, wenigstens nicht mehr so kopfüberen Gang angenommen, als Alle über den armen Teufel herfielen und ihm die bittersten Vorwürfe machten die Terrine nicht gehalten, den Tisch nach vorne übergestoßen, und mit beiden Ellbogen noch sämmtliches anderes Geschirr nachgeworfen zu haben. Frau von Kaulitz war dabei außer sich, und gerieth noch in größeren Zorn, als sie sich in ihre Cajüte zurückziehen wollte, und deren Thüre verschlossen fand. Die Mitbesitzerin weigerte sich dabei sogar hartnäckig zu öffnen, und fügte sich erst nach langem Parlamentiren, der gerechten Forderung, während sie im Inneren den erlittenen Schaden wahrscheinlich wieder so gut das eben anging zu verbessern suchte. Herr von Benkendroff verließ ebenfalls den Tisch, oder vielmehr die Trümmern desselben, und nur Henkels junge Frau, trotz den Flecken die auch ihr Kleid von Wein und Erbsen bekommen, wollte sich todtlachen über die Scene, wie die darauf folgende Confusion, und hörte nicht auf den armen Doktor, als gerechte Strafe für seine ewigen und entsetzlichen Krankheitsbeschreibungen, zu necken und zum Besten zu haben.

An dem Nachmittag legte sich der Sturm. Die See ging allerdings noch hohl, und wie der Druck nachließ, den der Wind selber auf das Schiff ausgeübt, daß dieses sich mehr emporrichten konnte, wurde auch die Bewegung desselben, das Schlingern und Stampfen, eher noch heftiger; aber die Wogen selber beruhigten sich doch mehr, wenn es auch längere Zeit bedurfte ehe diese riesigen Wasserberge, die sich jetzt nur noch durch die eigene Schwere hoben, und mit zerfließendem Kamm in sich zusammenbrachen, vollständig in ihr altes Bett zurückkehren konnten.

Der bis dahin so ungünstig gewesene Wind, der das Schiff mehr zurückgeworfen, als in seinem Cours vorwärts gebucht hatte, räumte mehr und mehr auf(15), die Reefen wurden ausgeschüttelt, die Raaen aufgebraßt, die leichteren Segel wieder gesetzt, und am nächsten Morgen flog das wackere Fahrzeug fast vor dem Wind, und nur noch etwas gegen die schwere See ankämpfend, rasch und flüchtig seine Bahn entlang, dem fernen Ziel entgegen.

 

 

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