Friedrich Gerstäcker - Nach Amerika! Zweiter Band - Das Schiff

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Capitel 3.

DAS SCHIFF.

Weit besser befanden sich die Passagiere, die mit den, die Weser befahrenden Dampfbooten ihrem Ziele rasch und bequem entgegeneilten. So hatte die Familie des Professor Lobenstein, mit dem größten Theil der im Hannöverschen Haus einquartirten und für die Haidschnucke bestimmten Auswanderer, schon um sechs Uhr Morgens Bremen verlassen, und der kleine rasche Dampfer legte sich bald nach 9 Uhr an Bord des mächtigen Seeschiffes, dem sie ihre Leben für die weite Fahrt anvertrauen wollten. Dort wurden schon Kisten und Kasten, Schachteln und Koffer rasch an Deck gehoben, und die Reisenden sahen sich plötzlich wie mit einem Schlage, aus allen ihren bisherigen Verhältnissen herausgerissen, in einer neuen unbekannten, fremden Welt.

_Das Schiff!_ Wie viel hatten sie darüber gelesen, wie viel sich davon erzählen lassen: von den Cajüten und Decks, von den Masten und Segeln, von den Matrosen selbst, und dem Leben an Bord; wie hatten sie doch, als sie erst einmal den Gedanken an Auswanderung fest gefaßt, und mit den Verhältnissen im alten Vaterlande zerfallen, ihre ganze Hoffnung auf das neue gesetzt, den Augenblick herbeigesehnt, in dem sie an den hohen Seitenwänden des Schiffes, das sie nach Amerika hinüber bringen sollte, hinaufklettern, und die Hüte schwenken würden, den stolzen Bau zu begrüßen. Tausend wunderliche und bunte Bilder hatten sie sich dabei ausgemalt, Jeder in seiner Art, auf seine Weise. Der Capitain stand dann auf seinem Deck und winkte dem nahenden Boot schon von weitem seinen Willkommen zu, die Matrosen jubelten und ein paar Böller wurden gelöst, den Passagieren zu Ehren. Die Flaggen und Wimpel wehten dabei, und im Hintergrund rauschte das Meer mit seinen mächtigen Wogen gewaltig darein, in die Harmonie dieses einen seligen Augenblicks —

So hatte sich die Phantasie eben diesen Augenblick gemalt, und jetzt? gerade vor neun Uhr fing es, höchst prosaischer Weise, an zu regnen, als ob sie da oben die Wolken mit Eimern ausschöpften und ohne richtige Ortspolizei das Wasser mitten in die Welt hineingössen. Das auf Deck liegende Gepäck war freilich mit getheerter Leinwand überspannt, wie aber das Boot an das Schiff hinanrauschte, wurde dieselbe hinweggezogen, und die Sorge der Auswanderer nahm das so ausschließlich in Beschlag, daß sie fast an weiter nichts Anderes dachten, oder denken konnten, und Jeder nur das Seinige so rasch als möglich unter Dach und Fach zu bringen suchte.

Das Tau, das ein Matrose vorn am Bug des Dampfbootes zum Wurf zusammengerollt in der Hand trug, flog aus und wurde an Bord der Haidschnucke, von rasch zuspringenden Leuten befestigt, die Räder arbeiteten langsam vorwärts, das Boot eben gegen die Strömung, gegen die es aufgedreht war, festzuhalten, und eine von Bord niedergelassene, bequeme Treppe, mit niederhängenden Tauen (_fallreeps_) an der Seite sich festzuhalten, diente den Passagieren zum Aufsteigen auf das höhere Deck.

Dort befand sich aber schon ein Theil der Frühergekommenen, die es für zweckmäßig gefunden hatten sich zeitiger einzufinden, und dadurch die Wahl eines Platzes zu haben. In der Cajüte waren nun allerdings die einzelnen _staterooms_ oder Cajütenplätze schon von den Rhedern selber für die Passagiere nach ihrer Anmeldung bestimmt, und eine Beschlagnahme des einen oder anderen Platzes konnte da nicht stattfinden; im Zwischendeck gab es aber dafür desto verschiedenere Plätze, die allerdings den Erstgekommenen zur Wahl frei lagen, und die Cojen unter den beiden Luken nach vor und aft wären jedenfalls zuerst vor allen anderen belegt worden, hätte der Steuermann, die zweite Person an Bord, den zuerst gekommenen Passagieren nicht dadurch die Wahl wieder schwergemacht, und Manche sogar dazu bestimmt sich einen Mittelplatz zu wählen, daß er ihnen sagte die, welche sich gerade in der Mitte des Schiffes befänden, wären der Bewegung desselben auch am wenigsten ausgesetzt, und würden deshalb auch am wenigsten von der Seekrankheit zu leiden haben.

Es hat das etwas für sich; die Bewegung des Schiffes ist dort allerdings am geringsten, aber trotzdem noch stark genug dem, der nur irgend zu diesem Leiden inclinirt, nicht den geringsten Schutz zu gewähren, und der davon verschont bleibt wird sie auch an den entfernteren Enden nicht bekommen. Jedenfalls haben die Plätze unter den Luken die meiste frische Luft, und wer je zur See war, wird die zu schätzen wissen.

Einige, wie schon gesagt, ließen sich aber doch dazu bereden Mittelplätze zu belegen; unter diesen Mehlmeier, der von Steinert beauftragt worden, falls er früher an Bord kommen sollte, einen Platz für ihn aufzuheben, und der selber die Seekrankheit mehr als Cholera und gelbes Fieber fürchtete. Zu diesem hatte sich noch der kleine graue Herr mit dem spitzen Mützenschild gesellt, den der Kellner in Bremen die »_Nachtigall_« genannt und der ebenfalls seine Passage im Zwischendeck genommen; Drei und Drei bekamen eine Coye zusammen, von denen immer zwei übereinander lagen, Steinert war also »im Bunde der Dritte« wie er sich ausdrückte, als er die Einrichtung erfuhr, und der kleine graue Herr, der Schultze hieß, hatte sich, wogegen Mehlmeier allerdings im Anfang protestirte, dann aber nachgab, die obere Coye ausgesucht. Die untere Coye nahm der polnische Jude mit seinem Knaben ein, dem später noch der junge Bursche, für den an der Landung in Bremen gesammelt worden, zugegeben wurde, da Niemand Anderes ein Logis mit dem langbärtigen, nicht eben reinlich aussehenden Manne inne haben wollte.

Im ersten Augenblicke wußte aber Niemand wohin er gehöre, noch sah irgend Jemand die Möglichkeit ein sich oder sein Gepäck an irgend einem nur erträglichen Ort unterzubringen. Alles schrie und lief durcheinander; sämmtliche Bagage wurde vorläufig an Deck aufgestapelt, und dann durch die Matrosen, nur um die Sachen aus dem Regen fortzubekommen, in das Zwischendeck hinuntergelassen, wo in der Dunkelheit des Raumes an ein Sortiren der verschiedenen Eigentumsrechte nicht zu denken war. Vergebens blieben auch alle Protestationen der Passagiere, die _diese_ Kiste nicht auf den Kopf gestellt, _jene_ nicht gedrückt oder gestoßen haben wollten; die Matrosen thaten gerade so, als ob sie eine ganz andere Sprache redeten, und kein Wort von allen Bitten und Vorwürfen verständen, schlugen ein Tau um das erste beste Stück, das ihnen unter die Hände kam, und mit einem »_heave!_« und »_lower away_« den englischen Ausdrücken des Einladens, hoben sich die Kisten in die Luft, schaukelten einen Moment hin und her, und verschwanden dann in der Tiefe, unten zu einem Chaos von Dingen aufgestapelt zu werden, in dem Niemand mehr das Mein und Dein unterscheiden konnte. Auch von den Cajütspassagieren wurden eine Menge Sachen dort versenkt, und diese ebenfalls protestirten vergeblich dagegen. Die Sachen mußten »aus dem Weg geschafft werden« — wie es die Matrosen nannten, indem sie es den Zwischendeckspassagieren gerade _in_ den Weg warfen — und wer nicht zufällig einen Theil seiner Sachen oben auf entdeckte und selber faßte und wegtrug, konnte dann sehn wie und wo er es später wiederfand.

Die Cajütspassagiere bekamen indessen, sobald sie sich bei dem Steuermann meldeten, ihre resv. Plätze sofort angewiesen; in der That waren die verschiedenen Thüren, die alle nach innen in den großen Saal führten, schon mit den verschiedenen Namen bezeichnet worden, und die Lobenstein’sche Familie, die drei nebeneinanderliegende Räume, die Hälfte der Cajüte einnahm, sah sich bald, so gut es den Umständen nach nur irgend ging, in zwar kleinen aber ziemlich geräumigen und besonders nett und reinlich gehaltenen Cajüten untergebracht. Der Vater und Eduard bewohnten eine von diesen, Anna und Marie die zweite und die Mutter mit den beiden jüngsten Kindern die dritte.

Ihnen gegenüber war die eine Eckcoye oder Cajüte von Herrn Henkel und seiner jungen Frau, die übrigens noch nicht eingetroffen, belegt worden, die zweite hatten zwei fremde Herren in Besitz, ein Baron von Benkendroff und ein Herr von Hopfgarten, die mittlere bewohnte schon seit acht Tagen, sehr zum Aerger des Steuermanns der dadurch vielfältig genirt worden, ein Fräulein von Seebald mit einer alten würdigen Dame (einer Frau von Kaulitz), die ungemein gern Whist spielte und die ersten Tage in einem gelinden Grad von Verzweiflung gelebt hatte, nicht den dritten »Mann« zu einer Parthie bekommen zu können. Die beiden Herren Hopfgarten und Benkendroff erschienen ihr als eben so viele Engel in der Noth, und Herr von Hopfgarten besonders, war, seitdem er an Bord gekommen, erst im Stande gewesen sich einen einzigen Nachmittag der unausweichlichen Parthie zu entziehen.

Noch war, der Cajüte der beiden Steuerleute gerade gegenüber, ein anderer, etwas schmalerer _stateroom_ frei, dessen unterer Theil von Schiffswegen zu einer Art Vorratskammer für neues Segeltuch und Garn benutzt wurde. Der obere Theil war dagegen einem Mittelding zwischen Passagier und Schiffsoffizier, dem »Doktor« wie er kurzweg genannt wurde, zugetheilt, sich darin, so gut wie das eben gehen wollte, häuslich niederzulassen.

Im Zwischendeck befanden sich indessen die Leute fast eben so behaglich und zufrieden wie in der Cajüte. Nachdem nur der erste Sturm der eintreffenden Mitpassagiere abgeschlagen, und diese mit ihrem Gepäck beseitigt worden, hatten sich die Leute in den verschiedenen Coyen vertheilt und Raum übrig genug. Allerdings ging das Gerücht daß noch Passagiere mit einem Weserkahn eintreffen würden, und fünf oder sechs konnten, ihrer Meinung nach, auch noch mit Bequemlichkeit untergebracht werden, — einige Coyen standen sogar noch ganz leer, — vielleicht kamen die aber auch _nicht_, trösteten sich Andere, und dann versprachen sich die Meisten eine sehr angenehme Reise. Lieber Gott, das Zwischendeck versagte ihnen manche am Land gewohnte Bequemlichkeit, aber dafür war man ja doch auch an Bord, und mußte sich die kurze Zeit schon behelfen. Die Belohnung lag über dem Wasser drüben, und hieß _Amerika_.

So verging der zur Einschiffung bestimmt gewesene Tag, der 20ste August, an dem noch, trotz dem Regen, fortwährend Fracht in Fässern, Kisten und Ballen eintraf, und in den unteren Raum weggestaut wurde. Die erste Nacht an Bord ging auch ruhig und ohne weitere Störung vorüber; das Schiff, ein großes stattliches Fahrzeug, lag still und regungslos auf der glatten Wasserfläche, und in dem weiten Raum des Zwischendecks, mit den beiden Luken geöffnet, über die ein Dach von getheerter Leinwand gespannt worden, während ein Windfang den Tag über noch frische Luft hinunter führte, ließ es sich schon aushalten — die Leute waren auf Schlimmeres vorbereitet gewesen. Auch die Provisionen waren leidlich, Butter und Schwarzbrod konnte sogar gut genannt werden, und mit dem frischen Fleisch und grünen Gemüse, was sie, so lange sie an Bord lagen, statt der Schiffskost geliefert bekamen, durften sie wohl zufrieden fein; _Viele_ von ihnen hatten es in der eigenen Heimath lange nicht so gut gehabt.

Nur das Wetter wollte und wollte nicht besser werden, der Himmel hing in düsteren Wetterwolken über der schon vollgesogenen Erde, und der Herbst meldete sich in den kalten, unfreundlichen Schauern als ein viel zu zeitiger, unwillkommener Gast. So verging der Morgen des 21sten, und während ein großer Theil der schon an Bord befindlichen Passagiere einsah, daß er sich keineswegs hatte so zu übereilen gebraucht, wurde ein anderer schon ungeduldig, behauptete das Versprechen der Abfahrt für den 20sten zu haben, und verlangte vom Capitain die Abfahrt. Sie hielten _ihren_ Contrakt, und meinten deshalb, daß der Capitain den seinigen ebenfalls halten müsse. Die Erwiederung der Seeleute daß ein großer Theil der Passagiere noch gar nicht an Bord sei, hielt ebenfalls nicht Stich. »Wer nicht da wäre dem würde der Kopf nicht gewaschen« meinte Herr Schultze, »und wenn die Leute bis Weihnachten nicht kämen, sollten sie wohl auch daliegen bleiben und auf sie warten? — Alle Vögel« setzte er dabei hinzu — »hielten die richtige Zeit in ihrer Wanderung, und sie wollten die ihrige ebenfalls nicht unnöthig versäumen.«

So rückte der Mittag heran, und der Koch hatte eben zum »_Schaffen_« gerufen, ein eigenes wunderliches Wort, das in unserer norddeutschen Sprache »Essen« bedeutet, als der Steuermann, der schon den ganzen Morgen oft und ungeduldig den Fluß hinaufgeschaut hatte, nach der Nummer des Segels und der aufgezogenen kleinen Privatflagge des Rheders, den so lang erwarteten Kahn mit dem Rest der Passagiere erspähte, und die Ordre gab das Deck für den Empfang der neuen Gäste _klar_ zu machen. Glücklicher Weise hatte, seit einer Stunde etwa, der Regen wenigstens nachgelassen, und die Nachricht verbreitete sich rasch über Deck, daß ihre neue Einquartierung anrücke. Eben so stand das ganze Deck des kleinen Weserkahns gedrängt voll Menschen, die sehnsüchtig ihrer endlichen Erlösung von dem trostlos engen Fahrzeug entgegensahen und das Schiff jetzt, dem sie sich rasch näherten, mit einem dreimaligen donnernden Hurrah begrüßten. Keineswegs so freudig wurden sie hier empfangen.

»_Den_ Schwarm Menschen sollen wir hier noch an Bord bekommen?« lief der Schreckensruf durch das ganze Schiff — »wo wollen sich die denn unterbringen? — das ist ja gar nicht möglich!« — und kein einziger Zuruf antwortete dem grüßenden Hurrah. Aber der Steuermann hatte indessen die Bremer Flagge am Heck und des Rheders Zeichen am Fockmast, wie ein Tuch, mit dem weit auswehenden Namen des Schiffs am Top des großen Mastes gehißt, als Merkmal für den Kahn, der auch jetzt direkt auf das Schiff zulief, scharf gegen den Wind anluvte, und als er seinen Bug ziemlich nahe zum Bugspriet der Haidschnucke gebracht hatte, voll in den Wind hineindrehte. Während das Segel niederfiel fing »Capitain Meinert« ein nach vorn ihm zugeworfenes Tau, das er rasch an seinem eigenen Bord befestigte; der Matrose hatte im Hintertheil des Kahns ein anderes zugeworfen bekommen, und wenige Minuten später lag er wohlbehalten langseit der Haidschnucke seine »lebendige und todte Fracht« an deren Bord zu _löschen_.

Unmöglich wäre es jetzt die Verwirrung, den Lärmen zu schildern, der in diesem Augenblick entstand — der Steuermann schrie seine Befehle über Deck, aber die ganze Mannschaft, wie sämmtliche Passagiere schrien mit, und der Mann hätte sich eben so gut ruhig in die Cajüte setzen und seinen Teller voll Suppe essen können der drinnen auf dem Tische kalt wurde, als hier zu versuchen Ordnung in dies Babel von Stimmen und Koffern und Hutschachteln, Matratzen, Kisten, wollenen Decken, kleinen Kindern und Körben mit Provisionen zu bringen.

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Jeder der Passagiere wollte natürlich seine Sachen zuerst hinaufgereicht haben, Jeder wollte aber auch zuerst an Bord des Schiffes sein, und die Einen schrieen hinauf, die Anderen hinunter, bis sich die Mannschaft der Haidschnucke endlich in einer festen Masse sammeln und das Uebertragen des Gepäckes selber in die Hand nehmen konnte. Hei wie die Schachteln und Körbe da flogen, und wie die Frauen kreischten wenn irgendwo in einem Korb eine Flasche zerbrach und auslief, oder irgend ein Topf oder Geschirr knackte und splitterte.

»Nehmen Sie sich in Acht da ist Glas drin — Sie stehn ja in meiner Hutschachtel — passen Sie auf, das Bett fällt über Bord — Herr Gott da sind meine sämmtlichen Provisionen drinnen!« — und tausend ähnliche Aufkreische der Angst und Sorgfalt, eben so oft vergebens, denn die Seeleute kümmerten sich den Henker um alle Warnungen und Ermahnungen, füllten die Luft, bis die Unmasse Gepäck, indeß die Passagiere ihre eigenen Personen wenigstens in Sicherheit brachten, glücklich an Deck gelandet war, und jetzt eben so rasch und rücksichtslos in das Zwischendeck hinunter befördert wurde. Da hinein regnete es ordentlich Hutschachteln, Reisesäcke und Matratzen, mit riesigen kistenähnlichen Holzkoffern, und um die Verwirrung, wenn das irgend möglich gewesen wäre, noch größer zu machen, riß inmitten dieser Beschäftigung der eiserne Henkel eines solchen Colli’s aus, die Kiste fiel auf der Lukenwand auf, brach, und streute jetzt ein Hagelwetter von Kleidern, Wäsche, Schuhwerk, Zwieback, Würsten und allen möglichen und unmöglichen anderen Effekten über die unten schon aufgehäuften Sachen über die sich der glückliche Eigenthümer jetzt mit einem lauten Gebrüll der Verzweiflung warf, um gleich darauf von nachfolgenden Hutschachteln und Matratzen im wahren Sinn des Worts bedeckt zu werden.

War die Verwirrung aber an Deck schon groß gewesen, so wurde sie es jetzt im inneren Raume des Zwischendecks noch weit mehr. Die Neugekommenen wollten natürlich gleich auch ihre Coyen wissen und belegen, fanden aber alle besetzt, wenn auch hie und da nur von einzelnen Personen, die sich jedoch hartnäckig weigerten noch irgend Jemanden in einem Raume aufzunehmen in dem sie, wie sie erklärten, kaum selber Platz hätten. Hier wie überall sollte der Steuermann entscheiden, von allen Seiten aber gerufen und gequält, ging dem sonst ruhigen Mann auch endlich die Geduld aus. Er fluchte und schwor er wolle verdammt sein wenn er solch ein Gelärm schon in seinem ganzen Leben gesehn, und erklärte endlich sie möchten sich erst einmal ordentlich durcheinander schütteln und würgen, und wenn sie dann ein wenig zu Verstande gekommen, wolle er hinuntergehn — eher aber keinen Schritt.

Er that auch zuletzt, was er gleich zu allem Anfang hätte thun können und ging, so wie nur erst einmal sämmtliches Gepäck an Bord genommen und der Lichter klar geworden war, in die Cajüte zurück, sein Mittagsessen zu verzehren. Unterdessen kam ein Bote nach dem andern, daß sie sich unten im Zwischendeck prügelten und mit Messern und Pistolen drohten; er ließ sich nicht stören und antwortete nur vollkommen gleichmüthig, es wäre das Beste wenn sie erst eine Weile einander todtschlügen, denn dann bekämen die Anderen gewiß Platz — die Todten würfen sie über Bord, und die Mörder steckten sie ins Zuchthaus. Der Mann hatte aber derlei Einschiffungen schon in den letzten zwölf Jahren, jedes Jahr wenigstens zweimal mit durchgemacht, und wußte daß eine gewisse Zeit dazu gehörte bis sich die Masse erst setzen und ordnen konnte. Der erste Ansturm mußte vorüber sein, eher war kein vernünftiges Wort mit ihnen zu reden, dann ging aber auch Alles leicht und ruhig von statten, und da für Jeden Platz da war, fand sich auch für Jeden zuletzt der rechte.

Im Zwischendeck sah es indessen wirklich bös aus, und einen ernstlichen Zusammenstoß der verschiedenen Partheien verhinderte wohl nur der Umstand, daß Niemand einen bestimmten Gegner fand an den er sich halten konnte. Dann war der Capitain selber nicht an Bord, der ein Endurtheil fällen sollte, und der Steuermann hatte, wie schon gesagt, noch nicht bewogen werden können hinunter zu gehn. Zugleich hinderte das, einem Wall gleich aufgeschichtete Gepäck die freie Bewegung der Leute, von denen sich die, die schon Coyen inne hatten, nicht daraus zu entfernen wagten, weil sie wußten daß sie augenblicklich von Anderen in Besitz genommen würden, während die Neugekommenen ihr Augenmerk auf eine oder die andere bestimmte Coye gerichtet hielten, und diese förmlich belagerten.

Nur einige Wenige der Letztgekommenen waren so glücklich gewesen schon einen Platz für sich zu erbeuten. Zu diesen gehörte Eltrich, der trotz seiner sonstigen Bescheidenheit hier doch für Frau und Kind zu sorgen, und diese gleich im Anfang mit seinem Gepäck auf dem Kahn zurückgelassen hatte, vor allen Dingen eine gute Coye für sie zu finden. Daß immer drei Personen eine Coye bekommen mußten wußte er, sein Kind bezahlte halbe Passage, mußte aber einen ganzen Schlafplatz erhalten, und eine untere Schlafstelle, in der Nähe der Luke noch frei findend, legte er sich ohne weiteres vorn in diese hinein und blieb da liegen, bis seine kleine Frau mit dem Kind, die er vorher ermahnt hatte sich aus jedem Gedränge fern zu halten, den Weg zu ihm finden würde. Es war das Klügste was er hätte thun können.

Steinert fand ebenfalls den für ihn belegten Platz, und zu gleicher Zeit, und so wie er nur den Fuß in das Zwischendeck gesetzt, hatte sich auch der wunderliche Mann mit dem affenähnlichen Gesicht, sein Gepäck ganz rücksichtslos im Stich lassend, eine obere Coye ausgefunden, in der allerdings schon Betten lagen, die er aber doch für sich geeignet hielt, und wohinein er auch augenblicklich kletterte. Allerdings ertappte ihn noch, im Akt des Hineinsteigens die Besitzerin der Coye, Rebecca, Frau des ehrsamen Krämers Moses Löwenhaupt, am Rockschooß, und wollte ihn, mit einer Fluth von Verwünschungen zurückziehn, der Mann wandte aber nur den Kopf nach ihr um, und blitzte sie mit seinen kleinen stechenden grauen Augen unter den buschigen Brauen vor so feindlich an, und zeigte ihr dabei die beiden Reihen weißglänzender und fehlerfreier Zähne, daß sie ihn erschreckt wieder losließ. Der Usurpator saß denn auch, keine halbe Minute später, mit untergeschlagenen Beinen und etwas nach vorn gebogenem Kopf, der niedrigen Coye wegen, gerade in deren Mitte, und blies den Qualm aus seiner kurzen Pfeife, die er jedenfalls schon brennend mußte in der Tasche gehabt haben, in solchen Stößen um sich her, daß ihn derselbe in kurzer Zeit ganz verhüllte, und wie eine Wolke, unheimlich und schwer die Coye füllte.

In fast gleicher Zeit hatte sich der Mann mit den gescheitelten Haaren in die andere Coye, dicht unter den Raucher hineingebohrt, ohne jedoch von dem Besitzer derselben, einem kurzhaarigen mürrischen und finsteren Gesell, der ihm schweigend dabei zusah, weiter belästigt zu werden. Der Mann schien sogar mit dem neuen Einzug vollkommen zufrieden; drehte sich wenigstens auf die andere Seite, und ließ ihn sogar ungehindert einen kleinen Handkoffer den er bei sich führte, und in der ersten Eile vor die Coye gestellt hatte, nachziehn. Der Mann mit den gescheitelten Haaren hatte dadurch vollständig Besitz ergriffen.

»Nun sind wir aber genug hier drin und nehmen keinen mehr herein« brummte der Erstbewohner des Schlafplatzes übrigens, als der junge Literat, der sich Theobald nannte, nach außen hin mit einigen seiner Bekannten vom Kahn her ein Gespräch anknüpfte.

»Also bekommen immer zwei und zwei eine Coye?« frug dieser rasch, und wie es schien sehr befriedigt.

»Nein, drei —« erwiederte der Mann.

»Drei? — und wer ist der Dritte hier drin?«

»Meine Frau!« lautete die lakonische Antwort, die aber auch jedes weitere Gespräch abschnitt, denn Theobald war zu bestürzt darüber, auch nur noch eine Sylbe erwiedern, oder weiter fragen zu können.

Endlich, nach einem Zeitraum der den dabei Betheiligten eine Ewigkeit geschienen, kam der Steuermann, in Abwesenheit des Capitains die oberste Behörde an Bord eines Schiffs, langsam die neben dem großen Mast in das Zwischendeck führende Treppe hinunter, blieb aber noch auf den mittleren Stufen stehn, als ihm hier schon sämmtliche Passagiere mit ihren Klagen und Forderungen laut durcheinander schreiend entgegendrängten.

»Hier Herr Obersteuermann — die wollen mich in keine Coye lassen — Herr Obersteuermann wir haben unsern Platz so gut bezahlt wie die Anderen — Und meinen Koffer haben sie wieder raus geworfen — ich schlage dem Hund ein Bein entzwei, wenn ich nur erst zu ihm komme — Und meine Frau ist krank und muß einen guten Platz haben — Gottes Wunder was geht uns die Frau an, wir haben Alle gleiche Rechte auf einen guten Platz; wie haißt kranke Frau — Hier Herr Obersteuermann kommen Sie nur einmal her und sehn Sie, wie sie meine Hutschachtel zertreten haben — Mir muß der Capitain den Schaden ersetzen, meine Hemden liegen im Schmutz, und mein Taback und mein Zwieback sind alle untereinander gekommen.«

So schrie und tobte es um ihn her, und der Steuermann hielt sich die Ohren zu und schloß die Augen und blieb, halb abgedreht von den Wüthenden, so lange regungslos stehn, bis diese doch einsahen daß sie auf solche Art ihren Zweck unmöglich erreichen konnten, und sich wenigstens in etwas beruhigten.

»So —« sagte der Steuermann, als er endlich hoffen durfte den Lärm mit der eigenen Stimme übertönen zu können; »hat nun Jeder seinen Platz?«

»Nein — nein!« schrie es wieder von allen Seiten.

»Gut, dann haltet auch einmal zum Teufel die — Frieden« lautete die Antwort — »oder ich gehe an Deck zurück und Ihr mögt Euch hier meinethalben die Köpfe blutig schlagen, nach Herzenslust.«

Die Passagiere, denen daran gelegen war daß der Steuermann ihre Angelegenheit in Ordnung bringe, sahen endlich selber ein, daß sie ihn gewähren lassen müßten, machten ihm also Platz, und Einzelne, die Vernünftigeren der Schaar, baten ihn, ihnen eine Stelle anzuweisen wo sie ihre Matratzen unterbringen, oder die, die Familie hatten, mit diesen zusammen einquartirt werden konnten. Das war nicht mehr als billig, und der Steuermann, auf dessen Wink jetzt noch zwei Matrosen mit Laternen herunterstiegen, trat die wenigen Stufen noch nieder, und begann die verschiedenen Coyen, an der rechten Seite anfangend, zu visitiren.

»Wen haben wir hier?« begann er gleich mit der ersten, Eltrichs Coye, in welche dieser jetzt die junge Frau mit dem Kind placirt hatte, und so lange Wache davor hielt, bis Alles geregelt sein würde.

»Mann, Frau und Kind!« erwiederte der junge Mann — »ich heiße Eltrich.«

»Alles in Ordnung!« sagte der Steuermann, mit einem Stück Kreide das er in der Hand hielt eine 1 über die Coye malend — »So, und nun wollen wir die Geschichte gleich einmal richtig in Ordnung bringen« setzte er hinzu, seine Brieftafel mit der Passagierliste aus der Tasche nehmend, und zu dem Licht der Laternen haltend — »Coye 2 — wer ist hier drin?« —

Auch diese Coye war durch die Familie des Tischlermeister Leupold besetzt. Anders sah es aber mit Nr. 3 aus, wo sich zwei Oldenburger Bauern einquartirt hatten, und keinen weiteren Zuspruch gestatten wollten. Der eine, ein breitstämmiger Bursch, mit ledernen Hosen und nägelbeschlagenen Schuhen, der vornweg der Länge lang darin lag erklärte auch dabei ganz ruhig und bestimmt das sei ihr Platz, sie wären zuerst gekommen, brauchten was sie hätten, und gedächten es zu behalten.

»Wer hat noch keinen Platz?« frug der Steuermann ohne weiter etwas darauf zu erwiedern, die Passagiere — »halt nicht Alle auf einmal schreien — es muß eine einzelne Person sein.«

Wald meldete sich und der Steuermann sagte ruhig, nachdem er sich den Namen des neu Zutretenden bemerkt:

»So, da rückt einmal zu, Ihr da; drei und drei gehören immer in eine Coye, und dann habt Ihr noch übrig Platz.«

»Wenn der nirgendwo anders unterkommen kann, nachens is es noch immer Zeit;« erwiederte aber der eine Bauer trotzig.

»Wollt Ihr in Frieden Platz machen?« frug der Steuermann vollkommen freundlich.

»Ne« lautete die einzige Antwort.

»Smiet mi mal den Döskopp da ruth« lautete da der eben so ruhig gegebene Befehl an die beiden Matrosen, die zuerst vorsichtig ihre Laternen bei Seite setzten, und dann so plötzlich und mit so eisernem Griff den Widerspenstigen packten, daß dieser auch im Nu aus seiner Coye und auf die Erde flog. Hier sprang er aber eben so rasch in die Höh, und schien nicht übel Lust zu haben sich auf den Steuermann zu werfen; oben durch die Luke schauten aber noch drei oder vier stämmige Burschen von Matrosen, die nur eines Winks bedurft hätten, mit einem Satz unten bei ihren Kameraden zu sein, und der Steuermann sagte freundlich:

»Wullt Du _noch_ wat?«

Widerstand unter solchen Umständen war hoffnungslos, und der Bauerbursche brummte nur eine halbtrotzige Drohung in den Bart, daß er sich über solche Behandlung bei dem Capitain beschweren würde.

»Dat stat Di frie, myn Junge!« sagte aber der Steuermann, der stets platt sprach wenn er grob wurde, gleichgültig, und wies jetzt Wald an, seinen Platz einzunehmen, wie seine Sachen, die er unterwegs bei sich zu behalten wünsche, vor die Coye zu stellen.

Das Beispiel, gerade an einem der stärksten und stämmigsten der Schaar gegeben, hatte aber geholfen; in den nachfolgenden Coyen zeigten sich nicht die geringsten Schwierigkeiten mehr, und wo noch Platz war, fügten sich die Leute, nach Angabe ihrer Namen, ohne weiteren Widerspruch in das Unabänderliche. Nur den polnischen Juden mit seinem schmutzigen Kaftan wollten sie nirgends einnehmen, und selbst einer seiner Glaubensgenossen, der gerade unter Steinerts, Mehlmeiers und Schultzes Schlafplatz eine Coye für sich selber in Beschlag genommen, und jetzt mit dieser Einquartierung bedroht wurde, zog es vor auszuräumen und sich wo anders Raum zu suchen. Zu dem dritten Platz in des Polen Coye fand man Niemanden als den armen jungen Burschen, für den an der Landung in Bremen noch gesammelt worden, daß er sein Reisegeld zusammen bekam. Der wagte keine Widerrede, und ließ sich hinstecken, wo es den Anderen gefiel.

Ziemlich zu Ende mit der ganzen Anordnung, kam der Steuermann auch jetzt endlich zu Löwenhaupts Coye, von der »der große Unbekannte« wie ihn Steinert nannte, Besitz genommen, und aus seiner Tabackswolke auch noch nicht wieder zum Vorschein gekommen war.

»Hallo Mosje! — Sie da drin in dem Qualm« schrie der Steuermann, »stecken Sie das Schiff nicht in Brand — Dusendslag, wo hett denn de Permission kregen syn Dunnerwehers stinkigen Toback to smöken?«

Die Wolke stand einen Augenblick, und nicht weiter genährt, zog sie sich allmählig nach oben, jetzt zum ersten Mal die Gestalt des wunderlichen Mannes enthüllend.

»Harpunen und Seekrebse« brummte aber der Steuermann, der sich niederkauerte einen Blick unter dem Qualm fort in das Gesicht des Mannes zu bekommen, gegen den schon, wie er kaum den Fuß an Bord gesetzt, eine Menge Klagen eingelaufen waren, »wo heet den de Heer hier in de smallkragigen Rock mit de grooten linnen Taschen — Sie da Wo heet hey?«

»Sehr würdiger Seemann« erwiederte ihm aber hierauf mit großer Ruhe und in wohlgesetzter Rede der Gefragte, »es thut mir unendlich leid daß ich keine Sylbe dieser nordischen Sprache, die Sie hier wenn ich nicht irre, plattdeutsch nennen, verstehe, und durchaus in reinem Hochdeutsch angesprochen werden muß, befriedigende Antworten zu erwarten.«

»Na nu wird’s Tag!« rief der Steuermann verwundert, »dei spreekt wie en Buk — Sie da also mit den empfindlichen Ohren, wie heißen Sie und wo sind sie her?«

»Zachäus Maulbeere aus Halle.«

»Maulbeere« — murmelte der Steuermann, den Namen auf der Liste suchend — »Maulbeere — Maulbeere —«

»Nein, nur einmal Maulbeere!« sagte Zachäus. Einzelne lachten, die Familie Löwenhaupt aber, deren Herr und Stamm sich in einem kleinen winzigen Männchen, mit einer furchtbar großen, wie eingehakten Habichtsnase zeigte, begann wieder auf’s Neue ihre Klagen über den Einbruch in ihre Rechte.

»Ruhe da!« rief aber der Steuermann — »und Sie da, wer hat Ihnen denn eigentlich Erlaubniß gegeben im Zwischendeck zu rauchen, und noch dazu solchen Giftknaster — wenn Sie das Schiff wirklich nicht in Brand stecken verpesten Sie es.

»Der Eine liebt Rosen der Andere Teufelsdreck« sagte Zachäus ruhig, »ich liebe Rosen.«

»Kann ich mir denken« meinte der Steuermann — »wer aber hat die Coye von allem Anfang an inne gehabt?«

»Ich — wir —« schrieen die Eheleute Löwenhaupt.

»Wie viel sind Sie?«

»Nu wie viel sollen mer sein?« frug Madame Löwenhaupt beleidigt — »ich und der Itzig.«

»Ja dann kann ich Ihnen nicht helfen« sagte der Seemann achselzuckend, »dann müssen Sie noch irgend Jemand darin aufnehmen.«

»Aber doch nich _den_ Menschen?« rief Herr Löwenhaupt rasch und erschreckt.

»Bieten Sie mir einen Tausch an, vielleicht lasse ich mich bewegen und ziehe aus!« sagte Zachäus, dem die Gesellschaft als er sie etwas näher besah, vielleicht selber nicht gefallen mochte.

»Na das machen Sie unter sich aus« sagte aber der Steuermann, sich mit seiner Laterne wieder den Anderen zuwendend — »immer drei gehören eben in eine Coye, und je friedlicher Ihr Euch hier darin vertragt, desto besser ist es für Euch. Geraucht wird aber hier unten _nicht_,« wandte er sich noch einmal gegen die Coye um, aus der Zachäus schon wieder dicke Wolken blies; »wer rauchen will geht mit seinem Stummel an Deck, verstanden?«

Ein dumpfes Brummen tönte als einzige Antwort von der Coye herüber, die Frauen aber besonders dankten Gott, daß sie den »Qualm und Gestank« wie sie’s nannten, da unten in dem überdies engen Raum los würden.

Die Regulirung der Coyen war übrigens hiernach bald beendet, und wie nur erst Jeder einmal seinen Platz angewiesen bekommen und bestätigt hatte, durften sie auch daran denken ihr Gepäck zu ordnen, damit es die Matrosen dann um die Mittelstützen herum und an den verschiedenen Coyen befestigen konnten.

Mit dem Gepäck fand sich übrigens hier ebenfalls eine Schwierigkeit, die besonders in der unzweckmäßigen Verpackung der Sachen lag, und von den Auswanderern, trotzdem daß sie ihnen so oft an das Herz gelegt, doch so selten beachtet wird. Leute aber, die mit der Einrichtung eines Schiffes nicht bekannt sind, können sich auch gewöhnlich gar keine Idee machen wie beschränkt der Raum doch natürlich in einem Fahrzeug sein muß, das Hunderte von Personen in Monate langer Reise über See schafft, und für diese Zeit nicht allein Wasser und Proviant mitnehmen muß, sondern mit seinem Haupterwerb auch auf die _Fracht_ angewiesen ist. Dabei denken die Auswanderer gewöhnlich nur an sich selbst, der Nachbar und Reisegefährte existirt nicht für sie, und sie müssen dann erst eine Weile durcheinander geschüttelt werden und eigne Erfahrung sammeln, bis sie lernen sich an Bord zu behelfen.(2)

Sobald sich also die Passagiere, in Cajüte wie Zwischendeck, nur erst halbwege eingerichtet hatten, und jetzt erfuhren daß sie heute noch gar nicht, sondern erst morgen früh in See gehn würden, verlangte ein großer Theil derselben, mit dem heimischen Boden dicht neben sich, auch noch einmal festes Land vor dem Abschied vom Vaterland zu betreten. Die meisten, besonders der Zwischendeckspassagiere, hatten dabei auch noch so Manches einzukaufen vergessen, was ihnen auf der Reise gute Dienste leisten konnte und hier, wie sie hörten, zu bekommen war, daß sie sich in Masse übersetzen ließen, noch eine Menge Geld, oft höchst unnöthiger Weise zu verschwenden. Die noch »deutsches Geld« hatten, meinten dies hier zweckmäßig verwenden zu können, und solche, die das schon in Bremen möglich gemacht, wechselten sich erst einen und dann mehre Dollare wieder ein, den »allerletzten« Tag in der Heimath würdig zu feiern. Nur die Frauen wollten nicht mehr von Bord, sie hatten mit dem alten Leben abgeschlossen, den Schmerz der Trennung einmal überwunden, und sie verlangten keine Zerstreuung, ja fürchteten sie eher. Für sie begann auch hier an Bord wieder eine neue Welt, in der sie schaffen und wirken mußten, fast wie zu Hause — die Cajütspassagiere natürlich ausgenommen, denen geliefert wurde was sie brauchten — hatten die Frauen im Zwischendeck, sich wieder eine gewisse Häuslichkeit herzurichten, um die sich die Männer wenig oder gar nicht kümmerten. Ihre Betten mußten gelüftet und in Ordnung gebracht, ihr Geschirr mußte gereinigt, die Wäsche die sie für den Schiffsgebrauch bestimmt nachgesehn werden. Die Sachen mußten auch einen Platz bekommen, und der Mann hätte eben so gut an Bord bleiben, und ihnen kleine Nägel in die Coyen schlagen können, Alles daran aufzuhängen, was sie zum täglichen Bedarf gebrauchten, und tausend andere Kleinigkeiten herzurichten.

Und wie sah es noch unten im Zwischendeck aus — überall standen Kisten und Kasten umher, um die sich ihre nachlässigen Eigentümer nicht bekümmert hatten; an Auskehren war natürlich gar kein Gedanke, einige kleine Plätze abgerechnet, und selbst heißes Wasser, das bei dem späten Mittag gebrauchte Geschirr aufzuwaschen, wollte der mürrische Koch nicht hergeben.

So kam der Abend heran, der die Cajütspassagiere um den gedeckten Tisch versammelte, und den Zwischendeckspassagieren dünnen Thee, ohne Zucker und Milch brachte — Brod und Butter war ihnen an dem Nachmittag schon gut und reichlich geliefert worden. Die wenigsten machten aber Gebrauch davon; die Männer waren fast noch sämmtlich an Land, viele schliefen sogar noch dort, und zahlten schweres Geld für ein schlechtes Bett, dem Gewirr an Bord, und dem ungewohnten Dunst des Zwischendecks so lang als irgend möglich zu entgehn, und die Frauen hatten, mit wenigen Ausnahmen, noch nie in ihrem Leben Thee getrunken, außer wenn sie krank waren Camill oder Pfeffermünz, aber wohl viel davon gehört daß es die Leute in der Stadt, oder die Reichen tränken, und wunderten sich jetzt kopfschüttelnd wie die Leute Geschmack daran finden könnten. Schiffsthee ohne Milch und Zucker aus einem Blechbecher getrunken schmeckt auch in der That nicht besonders.

Das Wetter hatte sich übrigens wieder aufgeklärt, auch war die Fracht sämmtlich eingeladen, und die untere Luke geschlossen worden, das Schiff lag mit geräumtem Deck vor seinem Anker, und als am nächsten Morgen, mit Tagesanbruch, die Decks gewaschen wurden, begann ein reges Leben an Bord, das auf die baldige, und in der That auf den Morgen angesetzte Abfahrt schließen ließ. Der Weserlootse, der das Schiff in See bringen sollte, kam an Bord, einzelne, bis jetzt noch fehlende Segel wurden aufgeholt und an die Raaen geschlagen und gleich nach dem Frühstück begann die Mannschaft ihre Arbeit an der Ankerwinde. Die Passagiere waren ebenfalls an Bord gerufen worden, aber immer noch fehlte der Capitain wie die letzten Cajütspassagiere, die aber mit dem nächsten Dampfboot erwartet wurden. Dieses kam endlich puffend den Strom herunter, legte sich langseit, und die sehnsüchtig Erwarteten, das endliche Signal zur Abfahrt, kamen mit ihm.

Der Capitain, eine vierschrötige ächt seemännische Gestalt, mit fast braunem Gesicht, entsetzlich großen, sehnigen sonngebräunten Händen, und einem großen Packet Papiere unter dem Arm, sah freilich etwas wunderlich in seinen »Landkleidern«, dem schwarzen auch nicht mehr modernen Frack und dem Zylinderhut (Schwalbenschwanz oder Nagelhammerrock und Schraube, wie die Matrosen diese Kleidungsstücke nennen) aus, schien sich auch nicht besonders wohl darin zu fühlen. Er grüßte seine Passagiere nur flüchtig und zog sich dann in die eigene Cajüte zurück, in die hinein ihm gleich der Steward oder Cajütendiener folgen mußte; der zweite Steuermann aber, ein trockener komischer Kauz, der gerade vor der Thür stand als es drin ein wenig laut herging, und des Capitains Stimme den Jungen schimpfte, meinte ruhig zum Steuermann, als er an diesem vorüber und an Deck ging:

»De Captein kann wedder syn Swalbenswanz nich uht kreegen — wat de Jong vor Arbeit het.«

Mit dem Dampfboot waren auch Henkels mit Hedwig Loßenwerder in ihrer Begleitung eingetroffen, und Lobensteins, die sich schon ziemlich häuslich an Bord eingerichtet hatten und mit der ganzen Einrichtung ziemlich zufrieden schienen, begrüßten sie, wie Hedwig, auf das Herzlichste.

Während sich Clara aber, mit dem Bewußtsein ihre Eltern ja schon in kurzen Monaten wiederzusehn, dem Fremden und Neuen was sie überall berührte, mit ganzer Seele und leuchtenden Blicken hingab, und sich wie ein fröhliches glückliches Kind selbst auf die Reise und all die kleinen Unbequemlichkeiten freute, die in so grellem Gegensatz zu dem bisher geführten ruhigen aber auch vollkommen gleichförmigen Leben standen, betrat Hedwig nur schüchtern und ängstlich das Deck des Schiffes, und blickte wie scheu und furchtsam umher, auf die ihr so gänzlich fremde Umgebung, auf die fremden Menschen. Sie hatte sich leicht entschlossen das Vaterland zu verlassen, das ihr in der Erinnerung ja nur traurige, schmerzliche Scenen bot, und sogar mit innigem Dank das Erbieten angenommen die liebe junge Frau auf ihrer Reise zu begleiten; jetzt aber, da sie den Schritt gethan, da sie wirklich in das neue Leben eintrat, fühlte sie erst das Gewaltige desselben, fühlte erst wie abhängig sie geworden sei von anderen fremden Menschen, und fürchtete für sich selbst, ob sie auch würde dem Allem genügen können was sie unternommen, und was man von ihr zu erwarten berechtigt sei. Ihre eigenen Kräfte kannte sie ja noch gar nicht, und wie dann, wenn sie diese überschätzt hatte, und die, die jetzt freundlich zu ihr waren, ihre Hand zurückzogen von ihr — in Amerika — drüben — weit drüben über dem Meere? Dann stand sie ganz allein, und was — was sollte da aus ihr werden?

»Du darfst nicht solch ein bös und ernsthaft Gesicht machen, Hedwig,« sagte da Marie Lobenstein, ihre Hand nehmend und ihr lächelnd mit der eigenen über die Stirn streichend, »jetzt fahren wir bald hinaus in’s Meer, nach dem weiten, großen Amerika, und wenn wir da traurig und verdrießlich ankommen, schicken uns die Leute am Ende wieder fort.«

»Sie sind so gut, Fräulein Marie« sagte Hedwig leise, die ihr gebotene Hand innig drückend — »ich will auch mein Möglichstes thun jede thörichte Furcht zu überwinden.«

»Fürchtest Du Dich?« lachte aber das leichtherzige fröhliche Mädchen zurück — »vor dem Wasser? — das kann ja gar nicht zu uns herauf, siehst Du wie hoch wir darüber stehn?«

»Ich weiß selbst nicht wovor,« seufzte das arme Kind — »es ist wohl auch nur die neue fremde Welt in die ich jetzt getreten, und die mir das Herz beklemmt; das wird schon bald vorübergehn.«

»Es muß« lachte Marie, »wenn wir nur erst in See sind, werden wir uns auch vortrefflich amüsiren; wir haben Bücher zum Lesen mit, und können stricken und nähen und sticken auf dem Schiff, was wir wollen; und dann lehnen wir Stunden lang über Bord, und schauen in die herrliche blaue See, von der uns Herr Henkel schon so viel erzählt.«

So plauderte das fröhliche Mädchen dem armen Kind die Sorgen aus der Stirn, bis der Steuermann kam sie abzuholen, und ihr den eigenen Schlafplatz zu zeigen, der ihr im Zwischendeck, bei zwei anderen jungen Mädchen und weitläufigen Verwandtinnen der Familie Rechheimer angewiesen wurde. Sie sollte im Zwischendeck essen und schlafen, hatte aber die Erlaubniß über Tag, oder wenn sie sonst von ihrer jungen Herrin gebraucht wurde, mit in der Cajüte und auf dem Quarterdeck zu sein.

Der Capitain hatte aber doch endlich seinen »Schwalbenschwanz über die Hände« bekommen, wie der zweite Steuermann meinte, und kam jetzt, in blauer Tuchhose und Jacke, in der er sich vor Behagen ordentlich schüttelte, mit einer grauen Tuchmütze auf und die Füße, wie es an Bord gebräuchlich ist, in Strümpfen und Schuhen, an Deck, die nöthigen Befehle des Unterwegsgehens selbst zu geben. Der Anker, der indessen von den Leuten nur gelüftet worden, kam, unter dem fröhlichen Singen der Mannschaft, denen eine Menge der Deckpassagiere bereitwillig half, nach oben, die Raaen wurden herumgebraßt, die Segel fielen gelößt nieder und faßten, wie die Schoten ausgeholt wurden, den Wind, und langsam bewegte sich zum ersten Mal der mächtige Bau durch die trübe Weserfluth stromab.

Die Passagiere standen dicht gedrängt an Deck, und vorn auf der Back des Vorcastles die Leute, hie und da noch Bekannten am Ufer zuwinkend, und Grüße für Andere hinüberrufend. Viele der Frauen schwenkten dabei, als sie das Ufer mehr und mehr verließen, ihre Tücher, aber sie wußten nicht wem, und es galt auch wohl mehr dem Lande selbst, als den Menschen die darauf standen, und ihnen ziemlich theilnahmlos und gleichgültig nachschauten; sie sahen täglich so viele Schiffe mit Auswanderern in See gehn — das war eins mehr, weiter Nichts.

Eine alte Frau stand auch an Deck, hielt sich mit der linken Hand an der Schanzkleidung und sah hinüber nach dem Land, dessen Häuser und Baumgruppen sie hinter sich ließen und langsam an dem niederen kahlen Ufer hinglitten. Es war die alte Mutter des Webers aus Zurschtel, und sie winkte mit der rechten Hand hinüber und murmelte halblaut und mit dem Kopf dazu nickend und schüttelnd vor sich hin:

»Adje Leberecht — adje Zurschtel und die alte Linde, das Haus und der Garten und die Astern — s’ist vorbei — s’ist Alles vorbei, und sie sollten mich alte arme Frau nur lieber hier gleich in’s Wasser werfen, ehe sie mich noch mit hinausschleppen auf das große Meer — Amerika krieg’ ich doch nicht zu sehn, und der Leberecht muß jetzt allein unter der Linde liegen.« Und tief aufseufzend setzte sie sich auf eine der Nothspieren die dort, langseit der Schanzkleidung befestigt waren, zog die Schürze über den Kopf und weinte bitterlich.

Ihre Tochter stand daneben, das kleinste Kind auf dem Arm, aber konnte die Mutter nicht trösten; das Herz war ihr selber zum Brechen voll, und die großen hellen Thränen liefen ihr dick und schwer die bleichen, abgehärmten Wangen hinunter.

Auf einem der an Deck befestigten Wasserfässer, dicht bei ihnen, saß der Mann mit den kurzgeschnittenen Haaren; die Sonne schien ihm hell und voll auf das scharfmarkirte Gesicht, dessen oberer Theil wetterbraun und hart aussah, während der untere Theil, wo jedenfalls ein jetzt abrasirter Bart gestanden, weiß und bläulich dagegen abstach. Wenig kümmerte der sich aber um das Land, die dunklen, finster genug dreinschauenden Augen hafteten nur eine Zeit lang wie forschend auf den Gestalten der beiden Frauen, dann aber pfiff er gleichgültig ein Lied vor sich hin, und trommelte mit den Fingern den Takt dazu auf dem Faß.

Diese erste Abfahrt war aber noch keineswegs ein wirklicher Abschied vom festen Land; die schwache Briese trieb das Schiff mit der günstigen Ebbe nur langsam vorwärts, und als die Brise später stärker wurde, trat die Fluth bald ein, die ihnen fast so viel schadete als jene nützte, und sie bald darauf zwang wieder vor Anker zu gehn. Sie befanden sich übrigens jetzt ganz in der Nähe von Bremerhafen, an dem sie die Masten der im Hafen liegenden Schiffe, ja die am Lande auf- und abgehenden Leute deutlich erkennen konnten.

Aber die Passagiere ärgerte das wieder Ankerwerfen; das Abschiednehmen vom Vaterland dauerte ihnen zu lang — »das Vaterland nahm gar kein Ende« wie Steinert meinte, der ungeduldig auf Deck auf- und abschritt, und die langweiligen Ufer der Weser um sich her betrachtete, denn einmal an Bord, wollten sie nun auch hinaus in See und das auf dem Flußherumfahren war ihnen — besonders den mit dem Kahn Gekommenen, fatal und langweilig genug geworden. Aendern ließ sich aber an der Sache auch nichts, und die Leute schlenderten theils an Deck herum, und sahen nach dem Lande hinüber, ob sie dort irgend etwas Interessantes erkennen könnten, oder lagen lang ausgestreckt auf den Wasserfässern oder im großen Boot und rauchten ihre Pfeife. Nur in der Cajüte hatte die alte Frau von Kaulitz eine Parthie Whist arrangirt — ihre Aiden _konnten_ ihr nun nicht mehr ausweichen — und kümmerte sich dabei weder um Land noch See, um Anker oder Segel, ja wenn nur Jemand von irgend etwas auf das Schiff Bezügliche spruch, wurde sie ungeduldig, und verlangte die ungeteilte Aufmerksamkeit auf das viel wichtigere Spiel.

Von den Zwischendeckspassagieren schien sich aber besonders Herr Schultze, der ein kleines Taschentelescop in der Hand trug, mit ganzem Eifer einem anderen Studium, und zwar dem der Seemöven hinzugeben, die hier theils auf dem Wasser schwammen, theils das Schiff umkreisten, und dann und wann blitzschnell nach einem Fisch hinunterstießen. Er folgte dabei ihrem Flug mit dem Glas so gut er konnte, und achtete weder auf seine Umgebung, noch das nahe liegende Ufer.

»Merkwürdige Vögel« murmelte er dabei, »ich gäbe etwas darum, wenn ich einen von ihnen lebendig an Deck haben könnte — äußerst merkwürdige Vögel — aber eine Aehnlichkeit bin ich noch nicht im Stande herauszustellen — sie fliegen zu schnell.«

»Ist das ein gutes Glas, was sie da haben?« redete ihn jetzt Herr Steinert an, der vor Langerweile schon gar nicht mehr wußte was er angeben sollte.

»Ein vorzügliches Glas« sagte Herr Schultze, ihm artig dasselbe überreichend — »ein Plössel; es vergrößert ungemein und mit außerordentlicher Schärfe.«

Steinert nahm das Glas und richtete es nach Bremerhafen zu, wo er in diesem Augenblick ein abkommendes Boot zu erkennen glaubte, das am Ufer herauf hielt.

»Wahrhaftig« rief er dabei, »das ist excellent — wo war denn das Boot gleich — ah da — ein Boot mit Soldaten, die am Lande hinaufrudern.«

»Mit was?« sagte der Steuermann, der gerade an ihm vorüberging und die Hand wie unwillkürlich nach dem kleinen Fernglas ausstreckte.

»Mit Soldaten« sagte Herr Steinert, ihm das Glas überreichend durch das der Seemann einen Augenblick nach dem Ufer hinübersah und es dann, ein paar unverständliche Worte dabei in den Bart murmelnd, wieder zurückgab. Ohne das Boot aber dann weiter eines Blickes zu würdigen, ging er nach vorn zu, den Leuten einige nöthige Befehle zu geben.

»Was sagten Sie daß da am Ufer heraufgerudert käme?« wandte sich jetzt der junge Bursche, für dessen Passage die Zwischendeckspassagiere noch an der Landung gesammelt, und der bei dem polnischen Juden einquartirt worden, an Herrn Steinert — »ein Boot mit Soldaten?«

»Ja, da drüben, mein Bursche —«

»Das hierherzu kommt?« frug der junge Mann mit ängstlicher Stimme.

»Nun sie thun uns Nichts,« lachte Steinert — »die Zeit der Piraten ist vorüber, und ihr Schiff streicht blos so durch die Wellen, Fridolin.«

Der Bursche schien aber keineswegs aufgelegt, auf einen Scherz einzugehn; er suchte nur mit den Blicken das Boot, das er auch bald mit bloßen Augen erkennen konnte, und stand eine Weile rathlos wie vor einer noch unbestimmten, aber doch gefürchteten Gefahr. Das Boot ruderte indessen noch eine kleine Strecke am Ufer hinauf und hielt jetzt, mit bloßen Augen ließ sich das schon erkennen, in die Mitte des Stromes hinaus und mehr nach ihnen herüber.

Der Obersteuermann kam wieder von vorn zurück, an ihm vorbei und blieb stehn, noch einmal nach dem Boot hinüberzusehn.

»Kommen sie hierher?« frug da der junge Bursch mit kaum hörbarer angsterstickter Stimme den Seemann.

»Wer?« sagte dieser, sich nach ihm umdrehend.

»Die Soldaten« stöhnte der junge Mann.

»Hallo mein Bursch« sagte aber der Steuermann, ihn jetzt von oben bis unten aufmerksam betrachtend — »Du bist ja so weiß wie ein altes Segel; was hast Du denn ausgefressen, daß Du Dich vor den Soldaten zu fürchten brauchst? Das ist allerdings Polizei die wahrscheinlich hier an Bord zu uns kömmt.«

»Dann bin ich verloren« hauchte der arme Teufel und barg sein Gesicht in den Händen.

»Nu nu, was giebt’s denn?« sagte der Steuermann, während sich die Nächststehenden, die wissen wollten was da verhandelt wurde, noch mehr herandrängten — »hast Du was verbrochen, so wirst Du auch jetzt dafür büßen müssen. Gesteh es aufrichtig, vielleicht kann’s Dir nützen.«

Es lag in dem Ton mehr Gutmüthigkeit als Drohung, und der junge Bursche, vielleicht eben so in der Angst seinem Herzen Luft zu machen, als auch einen falschen Verdacht von sich abzuwälzen, sagte rasch:

»Nein nein, Nichts verbrochen — nichts Schlechtes habe ich gethan, aber ich bin — ich bin —«

»Nun? — was bist Du?« frug der Seemann jetzt selber neugierig.

»Ein Deserteur« stöhnte der Unglückliche und sank bleich und zitternd in die Knie.

»Hm« sagte der Steuermann mit dem Kopf schüttelnd, während das Wort von Mund zu Munde lief, und mitleidige Stimmen überall laut wurden — »das ist eine böse Geschichte, und dann bekommen wir die Rothkragen da drüben auch jedenfalls an Bord — ja mein Junge, da kann ich Nichts für Dich thun.«

»Retten Sie mich, um Gottes und des Heilands Willen retten Sie mich« bat der Unglückliche, und suchte in der Angst des Steuermanns Hand zu fassen, dieser aber, der einen flüchtigen Blick nach dem, jetzt immer näher kommenden Boote geworfen hatte, machte sich von ihm los und ging rasch zurück in die Cajüte. Mehre der Passagiere folgten ihnen dahin, und baten ihn dringend den Unglücklichen nicht auszuliefern, aber er wies sie kopfschüttelnd ab und zog rasch die Thüre hinter sich in’s Schloß.

Wie ein Lauffeuer flog aber indeß das Gerücht, ein Deserteur sei an Bord und der Capitain wolle ihn den Soldaten ausliefern, von Mund zu Mund, und nicht allein die Passagiere nahmen Parthei für den armen Teufel, sondern auch die Matrosen, die sich bis jetzt noch ziemlich fern von ihnen gehalten, mischten sich zwischen sie und traten zu dem zitternd da Sitzenden, ihm Muth einzusprechen und ihn nach dem und jenem zu fragen. Von den Zwischendeckspassagieren hatten sich aber indessen schon Einige rasch entschlossen, den Capitain selber aufzusuchen und ihm die Sache an’s Herz zu legen, als der Untersteuermann aus der Cajüte kam, sich durch die an Deck geschaarten Leute drängte und zu dem jungen Burschen hintrat.

»Ach das arme junge Blut!« riefen die Frauen — »schon an Bord und nun noch all den Jammer, all das Elend. Und dann seine Eltern zu Hause; die Schande und das Herzeleid.«

Der Untersteuermann hielt sich aber nicht mit langen Redensarten auf.

»Wie heißt Du?« frug er den jungen Burschen, indem er ihn eben nicht sanft an der Schulter faßte und schüttelte.

»Carl Berger« lautete die Antwort des Erschreckten.

»Carl Berger? — hm« murmelte der Untersteuermann vor sich hin, ein Papier das er in der Hand hielt, mit den Augen dabei mehrmals durchlaufend — »Carl Berger — Du stehst ja aber gar nicht mit in der Passagierliste — woher kommt das?«

»Ich hatte das Passagegeld noch nicht bei der Abfahrt« stammelte der junge Bursch — »gute Leute an Bord schossen es für mich zusammen, und als ich zum Rheder zurückkam und es bezahlte, hatte er die Liste nicht mehr und gab mir nur einen Zettel mit für den Capitain, daß ich hier an Bord nachgetragen würde.«

»Hm, so?« sagte der Untersteuermann, und sah über Bord — das Boot mit den Soldaten, das jetzt gerade auf das vor Anker liegende Schiff zuhielt, war noch kaum zweihundert Schritt von diesem entfernt, und es ließen sich schon die einzelnen Gesichter der im Boot stehenden Bewaffneten unterscheiden. Von dem was an Deck vorging, konnten diese aber nicht das Mindeste erkennen, da die über fünf Fuß hohe Schanzkleidung, die das Deck als Schutz umgab, alle darauf Befindlichen den Blicken der unten Heranfahrenden vollständig entzog. Der Untersteuermann wußte das auch, und wieder zu dem Deserteur hinantretend frug er, seinen Kautaback aus einem Mundwinkel in den anderen schiebend, die Umstehenden so phlegmatisch, als ob er eben nach der Zeit oder etwas anderem höchst Gleichgültigen früge.

»Könnt Ihr die Mäuler halten?«

Berger, der mit todtbleichen Wangen und ängstlich klopfendem Herzen den näher, immer näher kommenden Ruderschlägen gelauscht, ohne daß er gewagt hätte einen Blick hinauszuwerfen auf den Feind, sah rasch und kaum seinen Ohren trauend zu dem Manne auf. Lag in der Frage Hoffnung, Trost für _ihn_?

»Ach Herr Steuermann schaffen Sie ihn fort — schaffen Sie ihn fort« flüsterten aber die ihm Nächststehenden rasch und ängstlich — so nahe war das Boot schon daß sie fürchteten die Soldaten könnten unten verstehen, was hier oben gesprochen und verhandelt würde — »wir bissen uns eher die Zunge ab, ehe wir den Geyern da unten ein Wort verriethen.«

»Hm« sagte der Untersteuermann und sah sich etwas mißtrauisch im Kreise um; viel Zeit war aber auch nicht mehr zu verlieren, denn von unten herauf tönte schon die Stimme des Unteroffiziers oder Polizeibeamten, was er gerade war, der das Schiff anrief, und der Capitain selber erschien gleich darauf auf dem Quarterdeck und sah über Bord.

Carl Berger faltete in Todesangst die Hände, der Untersteuermann aber, zu dem er jetzt noch, wie in letzter Verzweiflung Hülfe suchend aufsah, blinzte ihm zu und winkte ihm, fast nur mit den Augen und einer kaum bemerkbaren Bewegung des Kopfes, ihm zu folgen. Ohne sich dann weiter nach ihm umzusehn schritt er rasch das Deck entlang, vorn der Logiskappe(3), zu, in die er gleich darauf verschwand, und wohin ihm der junge Bursche mit zitternden Gliedern folgte.

»Hallo das Schiff!« rief die Stimme indeß aus dem Boot, die, wie sich später ergab, einem der Polizeisergeanten gehörte.

»Hallo das Boot!« lautete die seemännische Gegenantwort des Capitains, als er das Deck erreicht hatte.

»Werft uns ein Tau herunter, daß wir an Bord kommen können« rief es wieder, mehr wie Befehl als Bitte klingend.

Die nöthige Ordre dazu wurde gegeben, und die Mannschaft, von den Passagieren jetzt dicht umdrängt, von den Matrosen aber keines Blickes gewürdigt, kletterte an Bord.

Der Unteroffizier, mit zwei Polizeidienern, ging jetzt, die Leute zurücklassend, nach dem Quarterdeck hinüber, wo der Capitain, die Hände in den Taschen, stand, übergaben dort ihre Legitimation, daß sie beauftragt seien das Schiff nach einem Deserteur zu durchsuchen, und forderten dem Capitain die Passagierliste ab, die einzelnen Passagiere dann selbst zu revidiren.

Capitain Siebelt wußte recht gut daß er sich dem nicht weigern konnte; so wenig sich aber Matrosen, und Seeleute überhaupt, aus einem _Soldaten_ machen, so sehr interessiren sie sich für einen Deserteur, dem gewiß jeder Matrose, wenn es nur irgend in seinen Kräften steht, Vorschub leisten wird. Der Capitain ging indessen langsam in die Cajüte zurück, holte die Liste und gab sie dem Bevollmächtigten, seinem Steuermann zugleich die Weisung ertheilend »die Herren gewähren zu lassen und sämmtliche Zwischendeckspassagiere an Deck zu schicken.« Das war bald geschehn, zwei von den Soldaten besetzten indessen die Luken, und während der Polizeisergeant oben die Passagiere nach Namen aufrief, und die Aufgerufenen an sich vorbei defiliren ließ, untersuchten zwei Andere unten die verschiedenen Coyen, und stöberten überall herum wo sich nur irgend ein Kind hätte verstecken können. Zwei Andere wurden zu gleicher Zeit vorn in das Logis zu den Leuten geschickt, die jetzt ebenfalls an Deck mustern mußten, während diese bei ihnen unten visitirten.

Aber auch selbst da ergab sich Nichts und die, bis dahin abgesperrte Cajüte, wurde nun ebenfalls rücksichtslos von oben bis unten untersucht; ja der Steuermann mußte, auf Verlangen des Sergeanten, den unteren Raum öffnen, und dieser kroch selber, hier aber von dem Untersteuermann gefolgt, der darauf sehen sollte daß kein Unglück mit dem Licht geschähe, in das fast vollgestaute untere Deck. Zwischen den Kisten und Fässern aber, die auch fast überall dicht zusammen lagen, und in der heißen schwülen Atmosphäre konnte er mit seiner enganschließenden Uniform und dem Seitengewehr, das überall hängen blieb, nicht lange aushalten. Nach einer halben Stunde etwa kehrte er in Schweiß gebadet und unverrichteter Sache an Deck zurück, und schlug eine Einladung des Untersteuermanns aus, der ihm anbot auch noch durch die vordere Luke eine ähnliche Promenade zu machen.

Der andere Polizeibeamte hatte indeß die Vorrathskammern und verschiedenen »Spintges« mit nicht besserem Erfolg, durchsucht, und an Deck zurückgekehrt wandten sich die Beamten noch einmal an den Steuermann und verlangten von diesem die »Auslieferung des Verbrechers« der sich jedenfalls an Bord befinden _müsse_. Der Steuermann behauptete aber noch keine Schiffsliste überliefert bekommen zu haben, da er zu viel mit dem Schiffe selber zu thun gehabt, sich auch nur im Mindesten um die Passagiere zu kümmern, und der Capitain wurde grob als sie von ihm noch weitere Auskunft forderten.

»Da sei die Liste und da die Passagiere« sagte er, »das ganze Schiff hätte er ihnen ebenfalls zur Verfügung gestellt, ob sie nun etwa noch von ihm verlangten daß er selber mit herumkriechen solle, oder ob er dazu da sei sich nach den Familien- oder staatlichen Verhältnissen der Leute zu bekümmern, die er einfach überliefert bekommen habe sicher und wohlbehalten nach Amerika hinüber zu schaffen?«

Er war darin in seinem vollen Recht, die Liste ebenfalls vollständig und in Ordnung: Keiner der darauf Angegebenen fehlte, aber auf keinen von diesen paßte auch das Signalement, und die Polizei, mit ihrer Militairunterstützung sah sich endlich wieder genöthigt das Schiff, wie sie gekommen, zu verlassen.

 

 

Reiseromane