Die abenteuerliche Liebe zwischen Hinemoa und Tutanekai
© Willi Schnitzler
Im Dorf Owhata lernte die bildschöne Tochter des mächtigen Häuptlings Amukaria von Rotorua bei einem Zusammentreffen verschiedener Stämme den jungen Häuptling Tutanekai kennen, der mit seiner Familie auf der Insel Mokoia im Rotorua See lebte. Das Unvermeidliche geschah. Sie verliebten sich ineinander, aber Tutanekai hatte keine Gelegenheit, ihr seine Liebe zu erklären, da junge Häuptlingstöchter im Range Hinemoas gewöhnlich streng bewacht wurden. Mit Bitterkeit im Herzen stand Tutanekai des Nachts auf der Veranda seines Schlafhauses und schickte die entzückende Melodie seiner traurigen Liebeslieder, die er auf seiner Nasenflöte blies, über die dunklen Fluten des Sees in das Herz seiner Geliebten. Doch die Tage und Nächte schlichen unendlich langsam zum nächsten Stammestreffen. In Owhata vereinbarten die beiden Liebenden dann ein Stelldichein, aber der Vater Hinemoas hatte andere, standesgemäßere Heiratspläne für seine Tochter und verbot jeglichen Kontakt.
Er drohte Tutanekai sogar mit dem Tod, falls er die Dreistigkeit haben sollte, sich in die Nähe des Dorfes zu wagen. Auf geheimnisvollen Wegen erhielt Hinemoa eine Nachricht von Tutanekai und hörte voll trauriger Verzweiflung allabendlich die über den See wehenden, sehnsüchtigen Liebeslieder der Nasenflöte. Der zornige Vater Hinemoas befahl daraufhin seinem Priestern, die Windrichtung zu ändern, was aber nicht gelang. Eines Abends schlich Hinemoa an den Strand, um mit einem Kanu zur Insel zu gelangen, musste jedoch feststellen, dass ihr weitsichtiger Vater vorsichtshalber alle Boote an Land hatte ziehen lassen. Sie war verzweifelt und beschloss, zur Insel hinüberzuschwimmen. Am nächsten Tag band sie insgeheim sechs hohle Kürbisse mit Flachs zusammen, die ihre stützenden Begleiter werden sollten. In einer mondlosen Nacht glitt sie in die kalte schwarze See und folgte dem Klang der Flöte. Die zauberhafte Melodie spornte Hinemoa immer wieder an, wenn der lange und beschwerliche Weg sie müde werden ließ. Schließlich gelangte sie am nächsten Morgen erschöpft und ausgekühlt ans Ufer der Insel. Hinemoa erwärmte sich in einem nahen heißen Tümpel, als sie Schritte vernahm. Es war ein Sklave, der Wasser holen wollte. Aus sicherem Versteck heraus fragte sie:
„Sklave, für wen holst du Wasser?“
Erschrocken und an einen Geist glaubend, antwortete dieser: „Für meinen Meister Tutanekai.“
„Gib mir zu trinken, ich bin durstig“, verlangte Hinemoa, woraufhin sie das Gefäß ergriff, daraus trank und es gegen die Felsen schmetterte. Verängstigt kehrte der Sklave zu seinem Herrn zurück, ohne ihm diese geheimnisvollen Vorgänge erklären zu können. Er wurde noch zweimal zu der Wasserquelle geschickt, doch wieder und wieder ließ sich Hinemoa die Krüge geben und schleuderte sie gegen die Felsen. Tutanekai begab sich schließlich mit einer Keule aus Walknochen selbst zur Quelle und schrie über den Tümpel hinweg:
„Wo ist derjenige, der meine Gefäße zertrümmert, damit ich ihn töte!“
Erst jetzt ließ Hinemoa ihre Tarnung fallen und trat aus ihrem Versteck.
„Oh Tutanekai, willst du wirklich deine Frau töten?“, rief sie ihm zu. Dem erstaunten jungen Häuptling glitt die Keule aus der Hand und er flüsterte: „Hinemoa!“
Endlich konnte er die Geliebte in seine Arme schließen.
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