Hangi-Cooking
© Willi Schnitzler
Haere mai, haere mai, kommt her, kommt her.
Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, von Dutzenden von Augenpaaren pausenlos beobachtet zu werden, um mich bei Nichtgefallen mit einem schrecklichen Fluch zu belegen. Die Vermutung, einen stummen Zeugen im Rücken zu haben, verließ mich nie. Unbewusst blieb ich die meiste Zeit außerhalb der Gebäude und kam auf meinem Weg an einem Ort vorbei, an dem in den heißen Quellen gewaschen und in Erdöfen gekocht wurde.
„Was machen Sie da?“, fragte ich die dunkelhäutige Frau, die auf den Knien saß.
„Es ist Zeit für ein hangi!“, sagte sie ohne aufzuschauen.
„Was ist ein hangi?“, fragte ich.
„Du weißt nicht, was hangi ist!“, sagte sie und ermutigte mich mit einer Kopfbewegung näher zu kommen. "Hangi ist unsere traditionelle Art, das Essen zuzubereiten. In erster Linie musst du das folgende beachten: Suche zuerst nach der passenden Stelle, die in der Nähe von Wasser sein sollte, denn das braucht man, um Säcke und Tücher zu durchnässen und Dampf zu erzeugen. Die Stelle sollte leicht zu graben sein, tunlichst nicht im Rasenstück deiner Nachbarn. Wenn doch, steche das Grasstück heraus und setz es nachher wieder drauf, damit sie’s nicht merken. Schließlich, achte auf die Windrichtung und habe stets ein wachsames Auge auf das Feuer, du weißt, wegen der Funken.“
Sie machte eine kurze Pause, um irgendwelche Steine aufzuschichten.
"Hangi cooking braucht Zeit. Also, wenn es möglich ist, bereite einiges schon am Tag zuvor zu. Das Fleisch zum Beispiel und das Gemüse. Besorge das Feuerholz und die Steine und mach die Körbe.“
Sie hielt inne.
„In Ordnung. Nachdem du also die Stelle ausgewählt hast, machst du die Essensliste. Fleisch, Fisch, Huhn, Gemüse und dergleichen, was du halt willst. Danach ist es wichtig, das Material zum Kochen aufzulisten.“
„Welches Material?“, fragte ich, dachte an Fleisch, Fisch, Huhn und Gemüse.
„Steine, Feuerholz, Essenskörbe, die Abdeckung und so. Du brauchst zum Beispiel Steine, die nach dem Erhitzen nicht bröseln. Vulkangestein ist natürlich besser als Sandstein.“
Ich verstand, was sie meinte und nickte. Wie ich dastand, wirkte ich wie der kleine Junge vor der großen Tafel, der die Mathematikaufgabe zur Zufriedenheit des Lehrers gelöst hatte.
„Nun, für ein erfolgreiches hangi benötigst du eine Mischung aus trockenem Holz und langsam brennenden Klötzen. Hartholz ist Weichholz vorzuziehen, weil es eine stärkere Hitze abgibt. Du nimmst etwa fünfundvierzig Scheite, einen Meter lang und fünf bis acht Zentimeter dick.
Dann die Körbe. Sie sind meistens aus dem Draht, woraus Hühnerställe gemacht werden. Die Behälter für die Speisen können gelöcherte Stahlkanister sein oder auch einfaches Schaf- oder Hammeltuch. Spezielle Gerichte, die beispielsweise in Wein eingelegt werden müssen, werden in Folie eingewickelt.
Gut! Zum Abdecken braucht man zweierlei: Weiße Baumwolle, um das Essen und die Seiten der Körbe abzudecken, bevor sie ins Loch herunterlassen werden, und Sackleinen, um die Erde davon abzuhalten, ins Essen zu rutschen. Ehe man die schwere Decke auflegt, sollten die Säcke sorgfältig gewässert sein. Das ist sehr wichtig.“
Wieder nickte ich, konnte jetzt aber nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich alles richtig verstanden hatte, was die Frau mir in ihrer selbstverständlichen Art zu verstehen gab.
„Schließlich und endlich braucht man noch Schaufeln und geschärfte Steine, Axt und Heugabel, Säge und Beil, Messer und Gabeln, Teller, Zeitungspapier, Alufolie, Trockentücher, Seife und Handtücher, Fliegenspray, Drahtschneider und einen Schlauch.“
Die Frau schwieg für einen dankbaren Augenblick, denn mir schwirrte der Kopf.
„Und dann geht’s los. Ich sagte ja, es dauert lange. Sechs Stunden bis zum Servieren muss man schon rechnen. Aber der Reihe nach. Je nach Größe der Körbe fällt das Loch aus, das man graben muss. Manche legen die Körbe nebeneinander und stechen den Umfang so ab. Wie’s einem gefällt. Lass aber zehn Zentimeter Rand. Die Grube sollte letztendlich nur so tief sein, dass alle Steine problemlos untergebracht werden können. Ist sie zu tief, wird die Erde am Rand das Essen verschmutzen, ist sie zu niedrig, braucht man viel mehr Erde als nötig, um das Essen zu bedecken. So, und nachdem man das Loch gegraben hat, wirft man zerknülltes Zeitungspapier hinein. Eine Doppelseite rollt man zu einer Art Docht zusammen und steckt sie am Rand in die Erde. Dann legt man das Anzündholz darauf und beginnt, vorsichtig mit den größeren Holzscheiten eine Pyramide darüber zu errichten; obenauf werden in drei oder vier Lagen die Steine gehäuft, bis das Erdniveau erreicht ist. Dies ist die schwierige Arbeit des Stapelns und Packens, mit den richtigen Winkeln und so, denn der Stapel sollte eine Stunde brennen, ohne das ein Auffüllen notwendig ist. Nun wird der Zeitungsdocht angesteckt.
Die Steine werden ihre Farbe verändern, wenn sie genügend heiß sind, Vulkansteine sind in diesem Stadium nahezu weiß. Bald ist das Holz heruntergebrannt, die heißen Steine fallen in die Grube. Zeit, das Holz nachzufüllen und verschobene Steine wieder richtig anzuordnen.“
Pause. Gott sei Dank. Die Frau hantierte an kleinen Körben mit Kartoffeln und Gemüse, doch nicht lange genug, denn sie hatte den Faden schon wieder aufgenommen.
„Inzwischen bleibt genug Zeit, die Essenskörbe zu füllen, zu würzen und mit den weißen Tüchern zu bedecken. Die nassen Säcke sollten mittlerweile neben der Grube liegen. Nach anderthalb Stunden oder nach zweieinhalb Stunden, wenn’s ein richtig großes hangi ist, sollte das Loch mit Asche und Steinen bedeckt sein und gereinigt werden, d. h. die Asche und die nicht abgebrannten Holzstücke müssen entfernt werden. Aus den heißen Steinen wird ein flaches Bett geschichtet, auf das umgehend zwei Hände voll kaltes Wasser geschüttet werden. Der Dampfstrahl wird die Restasche wegblasen, sodass die Steine nun alleine auf der Glut liegen, wie es sein sollte. Nachdem man mit der Heugabel das rohe Fleisch zum Ansengen auf die Steine platziert hat, wartet man, bis es kurz angebraten ist und legt die fertigen Stücke auf ein Tablett.
Nun stellt man den großen Korb, der vorher mit Kohlblättern ausgelegt worden ist, auf die Steine und schichtet das angebratene Fleisch obenauf. Der Gemüsebehälter wird zentral aufs Fleisch gelegt, während die anderen Gerichte, Kartoffeln und Kochpudding, oben auf das Gemüse kommen. Wasser wird über die Steine und Speisen geträufelt und das ist dann der Punkt, an dem man sich beeilen muss. Man vergewissert sich, dass die weißen Tücher ausreichend nass sind, denn sie müssen nun über das Essen geschichtet werden, um den Dampf einzuschließen. Darüber werden die ebenfalls feuchten, natürlich chemikalienfreien Säcke gelegt und wieder mit Wasser beträufelt. Das Ganze wird schließlich mit Erde bedeckt, wobei die Stellen, an denen noch Dampf austritt, eliminiert werden müssen. Und jetzt hat man sich eine flüssige Belohnung redlich verdient.“
Ich atmete auf, als die Frau ihren Redeschwall kurzzeitig unterbrach, um Luft zu holen. Sie schaute von ihrer Arbeit hoch und sprach weiter.
„Ein kleines hangi für zehn bis zwanzig Personen dauert etwa zwei Stunden, bis es fertig ist. Ein hangi für bis zu hundert Personen braucht da schon ein halbes Stündchen länger. Und schließlich pellt man Erde, Säcke und Tücher vom Essen herunter und man bemerkt schon nach der ersten Schaufel Erde, wenn Dampf austritt, ob das hangi erfolgreich war.“
Und mit einem Zwinkern in den Augen fügte sie hinzu.
„Und wenn kein Rauch austritt, decke alles auf und kaufe Fisch und Chips.“
Ich gab in eine heiße Hand meinen Dank hinein, denn sie musste sich sputen irgendwo irgendetwas zu besorgen.
Bis zum heutigen Tag durften Viktualien nicht mit dem menschlichen Körper in Berührung kommen. Die Maori-Frau, die sich ihrer Tradition noch bewusst war, trocknete daher Tischwäsche und Kleider nicht an derselben Wäscheleine. Das gehörte zum strengen Gesetz des tapu – der Inbegriff für unantastbar, heilig und für die Maori, insbesondere für die Männer, zudem eine innere Lebenskraft. Unzählige solcher tapus bildeten die Grundlage des täglichen und religiösen Lebens der Maori; sie konnten sich auf Dinge, Personen und Orte beziehen, für immer oder nur für eine begrenzte Zeit. Dieser polynesische Begriff fand Eingang in den europäischen Sprachschatz mit dem Ausdruck „tabu“. Eine Übertretung wurde häufig mit dem Tode bestraft. Um ein tapu wieder aufzuheben, mussten komplizierte Rituale, whaka noa, abgehalten werden. Eine Vorstellung von Inhalt, Bedeutung und Umfang eines tapus, wie sie etwa für einen Maori-Priester, einen tohunga, galten, gab ein alter Bericht:
„Der Ruhm, Tohunga zu sein, war zwar groß, aber das Priestertabu brachte für diesen auch bedeutsame Eingriffe in sein Leben mit sich, die es recht schwierig gestalteten. So wurden alle Häuser, die er betrat, tabu, und deshalb durfte er nie das Versammlungshaus betreten, sondern aus Rücksicht auf seine Stammesgenossen nur davor sitzen. Nicht nur im Wharekura, sondern auch im Wohnhaus des Tohunga war gekochte Nahrung tabu, und er durfte weder irgendetwas kochen noch etwas, das ihm gebracht wurde, mit den Händen berühren. Infolgedessen musste er alle Nahrung im Freien zu sich nehmen und sie sich auf Farnkrautblattstäbchen gespießt in den Mund schieben lassen. Besonders wichtig war es, dass er vermied, seinen Schatten jemals auf einen Lebensmittelspeicher fallen zu lassen, denn sonst wurde dessen Inhalt tabu und musste mit dem Hause vernichtet werden. Mit den Ariki gemeinschaftlich unterlag er dem Verbot, seine Haare berühren zu lassen – es sei denn, dass besondere tabuierte Gehilfen ihm die Haare schnitten – und seine abgeschnittenen Fingernägel und Körperausscheidungen mussten auf das Sorgfältigste verborgen werden. Aber es gab auch schon für den gemeinen Mann das Tabu, sein Haar von einem weiblichen Wesen berühren zu lassen, auch nicht von der eigenen Frau.“
Harte Zeiten waren das und ich fragte mich, wer unter diesen Umständen überhaupt Priester werden wollte.