Ein Taxifahrer in New York City

© Willi Schnitzler     

New York Taxi, Henning 48, Wikimedia CommonsMan stelle sich ein Formular mit blöden Fragen vor. Dann stelle man sich eine Landung vor, etwas holprig vielleicht, aber o. k.! Weiterhin stelle man sich Gepäck vor, das schnell in die richtigen Hände geraten ist und mit Füßen weitergeschoben wird. Wenn es nicht zu viel verlangt ist, stelle man sich nun eine Schlange vor, nein, nicht die, sondern die andere. Der Weg (der Schlange) ist vorgegeben. Ein freundliches „How are you“, danach wird’s ernst - drei Minuten, fünf Minuten, manchmal auch länger (es kommt auf das gesunde Mischungsverhältnis von Ehrlichkeit und Dämlichkeit des Besuchers an). Immigration heißt das Zauberwort und das, was nun vor einem liegt. Die im Flugzeug ausgefüllten Formulare werden einer näheren Prüfung unterzogen. Wie sieht es mit ansteckenden Krankheiten aus, war jemand der Familie Kriegsverbrecher? Man stelle sich vor, vor dem Ticketverkäufer seines Lieblingskinos zu stehen, während man ein wenig Geduld und ein leichtes Kopfschütteln mitbringt. 

Gut - aber sind die Fragen wirklich ernst gemeint, denken wahrscheinlich nicht nur wir. So what oder wie der weitgereiste Deutsche sagt: what shalls! Ja, ich habe einen gültigen Personalausweis und ersuche um Einlass als nicht immigrierender Besucher; nein, ich habe nichts Böses im Sinn mit ihrem Land; niemand hat mich ausgeschlossen aus diesen oder jenen Gründen, seien es ansteckende oder mentale, narkotische oder dealende, kriminelle oder abgeschobene Gründe, oder gar subversive und kommunistische, nein, entschieden nein, nein, nein! Ich bin keine Gefahr für Wohlergehen, Gesundheit und Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika.

Da müssen alle durch, die nach Amerika hineinwollen. Ist es jetzt noch schwierig sich vorzustellen, dass man in New York ist, Pardon, New York City natürlich.

Draußen vor dem John F. Kennedy Airport warten die Taxis, gelbe große Kutschen, gemeinsam mit jenen uniformierten Menschen, die ihren Broterwerb Taxireinstecken nennen könnten und mit autoritären Handbewegungen die Fahrer herbeirufen. Von ihnen erfährt der Passagier, dass der Pilot des gelben Ungetüms nicht mehr als 30 $ plus 3,50 $ Tunnelgebühr plus 15 % Trinkgeld verlangen könne. Also hinein ins Taxi - sehr bestimmt, sehr freundlich, von sehr fürsorglichen Händen getrieben (das Vorurteil, alle Amerikaner haben keine Zeit, bestätigt sich hier zum ersten Mal) - die Fahrt nach Manhattan beginnt. Natürlich wissen wir, dass es auch einen Bus gibt, der billiger ist, doch manchmal gibt es Gründe, die teurere Variante zu wählen.

Kaum Platz genommen (wir liegen wie auf einem Sofa, mittels einer Glasscheibe vom Pilotensitz getrennt) schießt der Wagen davon, während der Taxifahrer, jemand mit fernöstlicher Zunge, der man kaum folgen kann, uns (ich glaube aus gesetzlichen Gründen, bin mir aber nicht sicher) noch einmal mit Worten und einem Aufkleber, so gut es eben geht, aufklärt, wie viel die Fahrt kosten dürfe. Im gleichen Atemzug klagt er uns, aber mehr noch sich selbst, die Ohren voll, dass die Fahrt ja eigentlich 40 $ kosten würde, eigentlich, aber aus unerfindlichen Gründen billiger sei. Auf solche Diskussionen darf man sich erst gar nicht einlassen, denke ich, finde es jedoch recht ersprießlich, als er die beklagenswerten Lebensverhältnisse in Bangladesh (unser Taxifahrer stammt aus Bangladesh) im Besonderen anführt, die beklagenswerten Verhältnisse im Fernen Osten sowieso, die beklagenswerten Verhältnisse seines Onkels in Brooklyn obendrein, die beklagenswerten Verhältnisse in seinem Taxi ohnehin. Das sehe ich ein (meine neben mir sitzende Freundin hat sich seit zwei Minuten, genauer gesagt, seit der ersten Kurve, ausgeklinkt und ist infolgedessen zu einer Stellungnahme nicht bereit - sie schaut ängstlich nach draußen). Nanu, denke ich, sie hat die Wüste und ihre Ente überlebt und den Winterschlussverkauf bei Karstadt, und schaue ängstlich hinterher. Der Mann aus Bangladesh jagt seinen Wagen kreuz und quer über drei bis acht Spuren durch den dichten Verkehr, von oben muss es aussehen wie die Verfolgungsjagd von O. J. Simpson (auch wenn wir nicht in einem Ford Bronco sitzen), und mir kommt der Gedanke, als preiswerter Statist in einem Ami-Krimi missbraucht zu werden.

Mürrisch katapultiert er unachtsame Fahrer zur Seite, droht mit der Faust, wenn die Reaktion ein Hupen ist, droht mit Wortsalven, wenn die Reaktion kein Hupen ist. Er ist ein sehr cholerischer, schlecht rasierter, schlecht gewaschener, schlecht autofahrender, bestimmt schlecht riechender Taxifahrer, der für den Erwerb seines Yellow Cab Scheins, so verstehe ich ihn, vier Monate auf Essen und Trinken und Schlafen verzichtet hat. Er selbst pfeift aus dem letzten Loch, von denen ich nicht weniger als fünf zwischen seinen Schulterblättern zähle. Da ich seinen Namen so schnell vergessen habe wie die Wettervorhersage, nenne ich ihn Bangla. Das finde ich gerechtfertigt, denn Angst scheint er nicht zu kennen. Im Augenblick hupt und flucht und gestikuliert er - nun, das finde ich keineswegs besorgniserregend, denn er scheint das Recht des beklagenswerten Bangladeshis, eingeklemmt zwischen Indien, Myanmar und dem Himalaja, auf seiner Seite zu haben. Dieser Mann, der, als er dann später vor dem Hotel so vor uns steht, ein kleiner Wicht ist, nicht größer als Humphrey Bogart mit Stöckelschuhen, hüpft die Fahrstreifen rauf und runter, schert sich kaum um die Vorfahrt anderer Fahrer und prüft unsere Jetlag-Nerven ein ums andere Mal. Das Gesicht meiner Freundin hat sich mittlerweile weiß gefärbt, obwohl sie, wie ich schon sagte, die Wüste und ihre Ente und den Winterschlussverkauf bei Karstadt überlebt hatte (eine feine Leistung, wie ich ihr immer wieder eingestehen muss).

In Manhattan angekommen, vor einer der nicht seltenen Baustellen dieser Stadt, schert ein schwarzer Cadillac, nicht unähnlich dem deutschen Reißverschluss-System, in den fließenden Verkehr. Er macht allerdings den Fehler, sich vor unseren Taxifahrer zu zwängen. Das tut man nicht, das ist Gesetz (Sie sehen, wir fühlen uns schon irgendwie heimisch und solidarisch). Bangla bedenkt ihn per se mit einer wahren Schimpfkanonade amerikanischer Flüche (sie sind amerikanisch, da gibt es keinen Zweifel), die immer länger und schlimmer wird, da dummerweise zudem noch eine penetrante Ampel auf Rot steht, sodass nichts mehr geht. Wir stecken im Stau fest. Bangla hupt und droht, droht und hupt. Flink wie ein Wiesel hat er dann sein Fenster heruntergekurbelt und schreit seinen Zorn nach draußen, wo ihm niemand auch nur eine Spur von Aufmerksamkeit schenkt.

Diese Tatsache scheint den schmächtigen Mann noch mehr aus der Fassung zu bringen, denn ehe wir uns versehen, hat er ein paar Münzen geschnappt und schleudert sie gegen das Fahrzeug seines vermeintlichen Widersachers. Dieser scheint glücklicherweise zunächst keine Notiz davon zu nehmen, doch eine zweite Münzaufforderung in die Heckscheibe lässt ihn cool und ruhig und zwei Meter groß aus dem Fahrzeug steigen (in diesem Moment bemerken wir, dass sowohl der Cadillac als auch sein Fahrer schön schwarz sind und beide eine spiegelnde Glatze haben). Wir rücken auf Tuchfühlung zusammen, während Bangla dem schwarzen, elegant gekleideten Mann ein derbes, hochstimmiges „Son of a bitch“ zuwirft, noch ehe er vor dem Taxifenster zum Stehen kommt. Bangla hüpft in seinem Sitz, als habe ihn ein besonders schlimmer Anfall von Schluckauf ereilt und schreit der Glatze ins Gesicht - nachdem er aus begreiflicher Prävention seine Brille von der Nase genommen hat -, er möge ihm doch bitte gefälligst eine reinhauen, aber er würde schon sehen, was er davon habe. In diesem Moment gräbt sich die rechte Hand meiner Freundin in meinen linken Oberschenkel, ich schreie vor Schmerz auf und weiß mit einem Mal nicht mehr, von welcher Seite die größere Gefahr droht.

Nach dieser Überraschung linse ich neugierig in den New Yorker Nachmittag. Draußen steht noch immer der schwarze Riese und überlegt vermutlich, ob sich ein Strafgerichtsverfahren günstig auf seine Karriere als Broker oder Anwalt auswirken würde, kommt wohl zu einem abschlägigen Ergebnis, das er mit den Worten „Fuck you“ kundtut, geht die paar Schritte hocherhobenen Hauptes zurück zu seinem Cadillac, steigt ein und fährt davon. Er kann das, denn die Schlange vor uns hat sich wundersamerweise aufgelöst und auch die Ampel scheint des Roten überdrüssig zu sein. Bangla gelingt es, sein Fluchen nun mit fremdländischen Tönen zu würzen, die ich vorschnell, aber aus logischen Erwägungen, dennoch unverifiziert, den Zungen des Fernen Ostens zuschreibe.

Mittlerweile sind unser Taxifahrer und mithin wir selbst Kopf der Baustellen/Ampelschlange geworden. Während er justament den Wagen seelenruhig startet, schlägt uns eine Flutwelle von Hupsignalen entgegen, die Bangla mit den Worten „Fucking bastards“ kommentierte. Er fährt ein paar Schritte vor, hält an, steigt aus und sammelt mit der Ruhe eines Tiefseetauchers die soeben geworfenen Münzen wieder auf, was den nachfolgenden Verkehr zu einem wahren Hupkonzert veranlasst, worauf Bangla wütend, aber nachlässig mit der Faust droht.

Einen Block weiter, nicht weit von Ampel und Baustelle entfernt, lädt er uns vor unserem Hotel ab. Ich reiche ihm 35 $, er mir einen böses Blick, ich lege noch 2 $ drauf (das ist für den Verzicht auf handfeste Sanktionsmaßnahmen), er ein Augenflackern hinzu. Hätte er mir zumindest geholfen, das Gepäck aus dem Kofferraum zu hieven, wäre mein weiches Herz zum Vorschein gekommen, ich hätte ihm meine Brieftasche hingehalten, gesagt, nehmen Sie ruhig junger Mann, damit Ihr Onkel, Bangladesh, der ferne Osten und Ihr Taxi über die Runden kommen, nehmen Sie, keine falsche Bescheidenheit. Doch er versteckt die Hände in den Hosentaschen. So nicht junger Mann. Meine Freundin flüstert, ich solle den kleinen Scheißer doch stehen lassen, es reiche jetzt mit dem Geld, dafür hätte man sich auch ein richtiges Taxi leisten können.

Ich will sie verdutzt ansehen, aber sie ist schon im Hoteleingang verschwunden. Ich steigere sein Honorar um einen weiteren Dollar (das ist für die Hände in den Taschen) und gehe mit dem Gepäck rein. Als wir nach einer Viertelstunde die Formalitäten erledigt haben, sehen wir, wie Bangla, wütend mit sich selbst redend, sich und sein gelbes Taxi in den New Yorker Nachmittagsverkehr wieder einreiht, fest entschlossen, den Nächsten nicht so glimpflich davonkommen zu lassen.

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