Lieder und Gesänge

Lieder und Gesänge der Maori
Außerordentlich reich sind die Maori an Liedern und Gesän­gen. Da gibt es Strophen und Lieder, die bei religiösen Zeremonien gesungen werden und den Namen Karakia tragen; es sind Zaubersprüche, Gebete, Beschwörungsformeln an die Adresse der Götter.

Bei der Ankunft von Fremden und Gästen wurden beispiels­weise die folgenden Zeilen gesungen:

 Maori-Willkommensgesang

Willkommen du Fremdling von über dem Himmel,

Mein liebliches Kind hat von dort dich gebracht,

Vom obersten Himmelsteil her dich gezaubert,

Willkommen daher, willkommen – ja! ja!

 

Toto-waka, Toitoi-waka und Tuki-waka, leichtere Lieder, die vornehmlich zur Ermunterung bei einer gemeinsam verrichte­ten Arbeit, wie Rudern oder Schleppen einer großen Last, gesungen werden, wobei eine Einzelstimme mit dem ganzen Chor im Wechselgesang steht.

An dieser Stelle erzählt Hochstetter, ein Entdeckungsreisender, eine Kanureise am unteren Waikato:

»Poroa, indem er die Rolle eines Kaituki übernahm, fing an zu singen Strophe um Strophe; zuerst langsam, dann immer schneller und schneller, und nach dem Tact des Gesanges wurde auch der Ruderschlag schneller. Kaituki bezeichnet nämlich den Anführer in einem Canoe, der durch Singen und allerlei Gesticulatio­nen die Leute zum Rudern anspornt, und in dem Rhythmus des Gesanges, welchen er wählt, den schnelleren oder langsameren Tact zum Rudern angibt. Ein solcher Gesang, Tukiwaka, genannt, ist z. B. folgender:

tena toia » Greif' zum Ruder!

tena pehia » Jetzt ziehe an,

tena tukia » Jetzt halt' die Zeit,

tena tiaia » Jetzt tauch' es ein,

tena kiamau » Jetzt halte aus,

tena kiau » Jetzt sei stark,

hoe hoe atu » Vorwärts, vorwärts fort,

runga runga atu » Aufwärts, aufwärts fort!

Waipa atu » Zum Waipa fort,

tena toia » Greif zum Ruder!

toia » Zum Ruder,

toia » Zum Ruder!

In großen Kriegscanoes, die oft 60 bis 70 Ruderer führen, dirigiren gewöhnlich zwei Kaitukis, Einer vorn und Einer hinten stehend. Sie geben den Tact dann nicht bloß durch den Rhythmus des Gesanges, sondern sie schlagen ihn auch mittelst ei­nes Stockes. Sie singen im Wechselgesang, indem Einer dem Andern antwortet, oder sie singen zusammen und improvisiren dabei allerlei Scherze und Witze, in­dem in die traditionellen Rudergesänge neue Strophen eingeführt wer­den, die auf die augenblickliche Situation Bezug haben. Es ist merkwürdig zu sehen, wie die Ruderer auf diese Weise in Tact und ins Feuer kommen. Gleichmäßig, wie von ei­ner ein­zigen Hand geführt, arbeiten die Ruder zu beiden Seiten und mit demselben gleichmäßigen Tacte bewegen sich die Oberkör­per aller Ruderer jetzt nach vorn und jetzt nach rückwärts; wie aber das Tempo rascher wird, werden auch diese Bewegun­gen rascher und energischer, bis zuletzt unter einem fast convulsivischen Vor= und Rückwärtswerfen des Kopfes und des ganzen Oberkörpers, sodass die Haare durch die Luft flie­gen, die ganze Mannschaft in wildem Chor die letzten Sylben oder Wörter jeder vorgesungenen Strophe wiederholt. Der An­blick eines solchen vollständig bemannten und festlich auf­geschmückten Kriegscanoes, wenn es unter dem gleichmäßigen Schlag von 60 oder noch mehr Rudern fast mit der Schnellig­keit eines Dampfbootes dahinschießt, macht einen imposan­ten, aber auch einen unheimlich wilden Eindruck. Es sieht aus wie ein Körper mit hundert Armen und hundert Füßen, an dem Alles lebt und zuckt – wie ein riesiger Tausendfüßler des Wassers«.

 

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